Spigolo
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Spigolo

Hinweis: Dieser Artikel ist nur in einer Sprache verfügbar. In der Vergangenheit wurden die Jahresbücher nicht übersetzt.

Mit 1 Bild.

Von Willy UHendoppler

( Bern ).

Spigolo heisst Kante im Italienischen. Eine ungemein steile Felskante schwingt sich in schwindelnde Höhe.Vergebens sucht das erstaunte Auge nach Griffen. Zur Rechten der Kante schiesst eine Plattenwand in einen Riesenkamin, zur Linken eine noch viel grössere in dunkeln Tannenwald.

Kante und Plattenwände enden in einer äusserst kühnen Spitze und gleichen tatsächlich einer hoch auflodernden Flamme, deshalb der Name: Punta Fiammes ( Flammenturm ).

Von Cortina d' Ampezzo aus sieht man die Punta Fiammes schön. Mit 2342 m ist sie der westlichste Gipfel des Pomagagnonzuges. Es fällt mir nicht leicht, über diese Tour etwas zu berichten, und doch will ich es versuchen; denn sie ist meine tollste Felsfahrt geblieben.

SPIGOLO.

Was Interlaken für das Berner Oberland, das ist Cortina für die Dolomiten: Verkehrsknotenpunkt und Höhenstation ersten Ranges. In einem breiten, fruchtbaren Talkessel liegt dieser malerische Ort am linken Ufer der Bojte. Ringsum zieren viele kleinere Weiler die grünen Hänge. Als Abschluss des Ganzen ein Kranz von glatten, rosig angehauchten Wänden: die stolzen Riffe der Dolomiten. Ein Bild von erhabener Harmonie und Farbenwirkung wie kaum anderswo! Mitten durch Cortina geht die Strasse Toblach—Ampezzo—Cadore—Belluno, während die grosse Dolomitenstrasse vom Falzaregopass herunterkommt Eine andere Route führt von Cortina über den Tre-Croci-Pass nach Misurina und Schluderbach. Das Strassennetz in den Dolomiten verdient volle Bewunderung und Anerkennung, ebenfalls die S. A. D. ( Società Automobilistica Dolomiti ), welche mit ihrem vorzüglichen Wagenmaterial den Reisenden grösste Bequemlichkeit und Sicherheit gewährt. Eine Fahrt mit der S. A. D. auf den grossen Dolomitenstrassen gehört zum Wunderbarsten, das man sich denken kann. Reizende Dörfer und furchterregende Dolomitentürme wechseln in bunten Bildern. Täler, Schluchten, herrliche Wälder und Almen rollen an unserm erstaunten Auge vorüber und hinterlassen einen tiefen Eindruck.

Am frühen Morgen hallten Tritte von Nagelschuhen durch die noch stille Hauptstrasse von Cortina. Pietro Apollonio und ich waren im Anmarsch zum Spigolo. Luigi, Pietros Bruder, raste uns auf dem Motorrad vor; er wird uns am Einstiege warten und dann die Nagelschuhe über die Normalroute auf den Gipfel bringen. Bald wurde die Hauptstrasse verlassen, und über den Flecken Ferra erreichten wir den Wald zu Füssen unseres Berges. Unheimlich furchterregend ist der Riesenkamin zwischen der Punta Fiammes und der Punta della Croce. Ein gutes Weglein führte uns nicht zu steil gegen den Einstieg hinauf.

Pietro erzählte mir von seinem früheren Handwerk. Schuhmacher ist er gewesen. Aber an allen Haaren hat es ihn stets zu den Bergen gezogen, und bald wusste er mit Seil und Kletterhammer ebenso gut umzugehen wie mit Ahle und Pechdraht. Halbwegs stiessen wir auf Luigi. Die Genagelten wurden mit den Kletterfinken vertauscht. Mit dem Sackmesser schnitt mir Luigi in die neuen Fleckersohlen. « Sie werden besser greifen », meinte er und lachte mit dem ganzen Gesicht. Dann schulterte Luigi seinen Sack, wünschte uns eine schöne Tour und verschwand. Aber wir blieben nicht allein; ein Führer aus Cortina mit seinem Klienten arbeitete sich vor uns im Gebüsch höher. Pietro wechselte mit seinem Kameraden einige Worte und berichtete mir dann, dass die zwei die Plattenwand zur Linken des Spigolo machen wollten, eine Fahrt, die bedeutend leichter sei als die Kante. Ungläubig schaute ich am Flammenturm höher. Wenn die Wand tatsächlich leichter ist, wie schwer muss dann der Spigolo sein?

Nun erreichten wir die Mündung des Riesenkamins Links des Spigolos ging es vorerst durch leicht mit Gras durchsetzte Felsen schräg aufwärts. Plötzlich gebot die Plattenwand Halt, jäh schoss sie in die Höhe. Hier seilten wir an und nahmen Abschied von den zwei Kampfgenossen. Durch einen Kamin ging unser Weg vorerst ca. 20 m in die Höhe, und schräg nach rechts querend wurde unter einem schwarzen Wandstück ein langes, mit Gras und Krummholz bewachsenes Band erreicht. Dieses führte ohne Schwierigkeit nach rechts zum Spigolo und ist schon von unten sichtbar. 150 m hatten wir bereits an Höhe gewonnen.

Was nun folgte, kann ich unmöglich mehr genau beschreiben, soviel ich auch darüber nachdenke. Ich weiss nur noch, dass es 250 m, teils auf der Kante selbst, teils zu ihrer Linken oder Rechten, nahezu lotrecht drei Stunden lang in die Höhe ging. Ich sah nun, dass die Wand tatsächlich leichter sein musste, denn rasch kam die andere Partie höher. Durch Zurufe hielten wir uns stets auf dem laufenden. Wir hatten Plattenschüsse zu meistern von 20—30 Meter, die oft nur an ganz winzigen Griffen oder Rissen einen Halt gewährten. Senkrecht, was senkrecht heisst, sah ich Pietro eine ganze Seillänge über mir arbeiten. Nur noch die Sohlen der Kletterfinken und der Boden seiner Manchesterhose waren für mich sichtbar, hie und da sein wildes Haar, wenn er den Kopf zur Prüfung des Weiterweges nach rückwärts neigte. Das Seil lief öfters durch Karabiner. Die Haken zum Einklinken waren bis auf zwei Stück, die ich als letzter wieder mitnehmen musste, vorhanden. Es war ein Genuss, Pietro an der Arbeit zu sehen, und zugleich bekam man trotz der furchtbaren Exponiertheit ein enormes Gefühl von Sicherheit. Bei Pietro kletterten scheinbar ausschliesslich die Augen! Es war kein Abmühen und Schinden, keine Schwerarbeit, nein, das war Spiel. Langsam, aber sicher, kam Pietro höher. Oft entschwand er meinen Blicken. « Kommen, bin sicher », ertönte dann von irgendwo der Ruf, und dann war die Reihe an mir. Diese unheimliche Steilheit! Winzige Grifflein und Trittlein über einer bodenlosen Tiefe mahnten ganz von selbst zu äusserster Vorsicht. Die Nordwand der kleinen Zinne und die Guglia de Amicis waren für mich eine gute Vorschule, wenn auch bedeutend leichter. Aber meist waren hier die Sicherungsplätze gut. Ich erinnere mich an zwei Stellen, die gleich einem Schwalbennest oder Adlerhorst an der Kante klebten und grossartige Tiefblicke auf Strasse und Bahntrasse Cortina-Schluderbach, wie auf die wild schäumende Bojte gewährten. Der obere dieser « Schnauf-plätze » ist unter einem grossen Überhang, schon nahe des Gipfels und birgt das Buch des Spigolos. Als ich von diesem Adlerhorst der Kante entlang in die Tiefe blickte, sah ich sie ins Bodenlose verschwinden. Erst einige hundert Meter im Grünen des Waldes unten fand das erstaunte Auge wieder Halt.

Der Weiterweg war ein leichter Quergang gegen den Riesenkamin. Durch eine 30 m hohe Plattenwand führte ein Riss wieder auf die Kante zurück. Dies war das allerschwerste Stück: ein richtiger « Schinder »! Die Füsse ganz im Riss verkeilt und mit den Fingerspitzen an winzige Grifflein geklammert, ging es behutsam höher. Nicht immer leicht war für mich an solchen Stellen das Ausklinken des Karabiners vom Mauerhaken. Auch der Fels liess hier zu wünschen übrig. Ein Griff brach mir sogar aus. Aber ich kletterte überall ruhig und selbständig, nie hatte ich das Gefühl einer Unsicherheit.

Als der Spigolo wieder erreicht wurde, hörten wir über unseren Köpfen Stimmen. Die nächsten paar Seillängen führten auf den Gipfel. Freudig war der Empfang durch die zwei Kumpane.

SPIGOLO.

Bei unsern Schuhen neben dem Steinmann hockten wir auf sonnenwarme Platten. O herrliche Rast! Über dem Talboden von Cortina lag ein Dunst, die Aussicht liess zu wünschen übrig. Aber was tat dies zur Sache? Für diesmal befriedigte die Leistung, denn die Punta Fiammes über die Südkante erklettert keiner um der Aussicht willen.

Die Nordseite der Pomagagnongruppe fusst im Val Grande. Sie ist ziemlich zahm. Nach einer ausgiebigen Rast nahmen wir den Schuhwechsel vor. Auch das Seil wurde nun im Rucksack verstaut. Leicht führte ein Pfad durch die Nordseite der Punta della Croce und Campanile Dimai in die Pomagagnonscharte. Ein grosser Geröllkar — gebettet zwischen der Campanile Dimai und der Croda Longes — geht von der Scharte in die Südseite hinunter. Schuttstaub aufwirbelnd, rannten wir zu viert durch den steilen Kar in die Tiefe.

Wenn in Cortina gegen Abend hinter den Tofanen die Sonne sinkt und im Talboden die Schatten langsam länger werden, dann erst versteht man den Namen Punta Fiammes richtig. Schwarz erscheint dann der Riesenkamin, schon haftet dort die Nacht. Jedoch feuerrot, wie von einer mächtigen Esse angefacht, lodert gleich einer Flamme der ganze Turm. Zwischen der Nacht im Kamin und dem goldigen Rot der Plattenwand zieht eine fein geschwungene Linie messerscharf die Grenze. Nahezu lotrecht fällt sie von der kühnen Spitze ins Dunkel der Wälder ab: Spigolo wird sie genannt!

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