Sektionen rüsten sich für den Notfall Zuständigkeiten bei Krisen im Voraus klären
Ein schweres Unglück auf einer Sektionstour ist der Albtraum jedes Tourenleiters. Unklare Strukturen und ein falscher Umgang mit den Medien können Fehlinformationen und rechtliche Unsicherheiten verursachen. Das muss nicht sein, wie die Sektionen Uto und Zofingen zeigen: Sie sorgen mit einem Notfallkonzept vor.
Obwohl die Zahl der Bergsportler in den letzten Jahrzehnten deutlich gestiegen und die Zahl der Unfälle konstant geblieben ist, hat sich der Umgang mit Informationen und Nachrichten im Bereich «Unglück und Verbrechen» drastisch verändert: Im Zeitalter von elektronischen Medien und Social Media lassen sich im Notfall Informationen (oder solche, die es sein wollen) kaum mehr kontrollieren.
Im Notfall nicht in die «Medienfalle» tappen, schnell und adäquat handeln können und beim Krisenmanagement auch rechtlich auf der sicheren Seite stehen, das ist nicht einfach. Darum setzen immer mehr SAC-Sektionen die Empfehlung des Dachverbandes um. Sie erarbeiten Richtlinien und ein verbindliches Notfallkonzept. So soll es möglich sein, allen Beteiligten und insbesondere den Betroffenen und Angehörigen gerecht zu werden.
«Noch herrschen in der Schweiz keine amerikanischen Verhältnisse, aber es tut gut, zu wissen, dass wir mit dem neuen Behelf für den Krisenstab für alle Fälle gerüstet sind», erklärt Markus Müller, der designierte Chef des Krisenstabs vom SAC Uto. Laut Müller gibt der in den vergangenen zwei Jahren von ihm erarbeitete Behelf bei sektionsinternen Bergunfällen klare Verhaltensrichtlinien vor. Sie helfen, den im Notfall auftretenden «Zusatzgefahren» richtig zu begegnen. «Wir wollen mit der Tätigkeit des Krisenstabs nicht die Blaulichtorganisationen konkurrenzieren, sondern die Betroffenen bestmöglich unterstützen und möglichen Schaden vom Verein abwenden», hält Müller gegenüber der Zeitschrift «Die Alpen» fest.
«Verheerend und mühsam»
Die Notfallorganisation sei aber auch bei anderen Vorkommnissen brauchbar. So zum Beispiel bei einem Brand auf einer sektionseigenen Hütte, bei vereinsinternen Unregelmässigkeiten oder sonstigen «schlagzeilenträchtigen Vorkommnissen». «Wir möchten für alle Fälle gewappnet sein und die in Ausnahmefällen oft negativen Auswirkungen und Folgen für den Verein möglichst klein halten», erklärt der neue Stabschef der grössten SAC-Sektion der Schweiz. Es sei «verheerend und mühsam», wenn im Ernstfall unter schwierigsten Umständen alles von null auf aufgebaut und organisiert werden müsse.
Zwar wird bei der Bewältigung eines Krisenfalles im SAC Uto weiterhin die Vereinsleitung die Endverantwortung tragen, aber bei der unmittelbaren Reaktion sowie bei den vielfältigen Entscheidungsfindungen im oft belastenden Bewältigungsprozess wird ab 2015 der Krisenstab aktiv. Dabei stehen die Zusammenarbeit mit den Behörden und offiziellen Stellen, die Unterstützung von betroffenen Sektionsmitgliedern, eine verantwortungsvolle und seriöse Medienarbeit und das Erarbeiten von Handlungsoptionen zugunsten der Vereinsleitung im Vordergrund. Bei Bedarf sieht das Konzept auch den Einbezug eines Care-Teams vor.
Gerade bei Bergunfällen steht nicht zuletzt die Betreuung und Unterstützung des Tourenleiters im Zentrum. Ein Punkt, der nicht unterschätzt werden dürfe, meint Markus Müller. Er betont, dass ebendieses «Fangnetz» den Tourenverantwortlichen ein neues, zusätzliches und willkommenes Sicherheitsgefühl gebe.
Wer ist wofür verantwortlich?
Weil Unfälle und «Vorkommnisse mit grossem Medieninteresse» nicht selten ein Chaos verursachen und vorgängig unklare Strukturen noch mehr verwischt werden, legt die Sektion grossen Wert auf klare Notfallstrukturen. Bis zu sieben Personen bilden den eigentlichen Krisenstab, der je nach Situation ganz oder auch nur teilweise aufgeboten werden kann. Jedes Mitglied ist für eine Aufgabe vorgesehen und hat ein entsprechendes Pflichtenheft. Die Rollen sind fix verteilt. Neben dem Stabschef, der für die Abläufe verantwortlich ist, gibt es einen Verantwortlichen für Betrieb und Logistik, einen für die Information und je einen Ansprechpartner für Behörden, Angehörige und Tourenleiter. Auch ein Rechtsberater, der bei einem Unfall einen Rechtsbeistand für den Tourenleiter aufbieten kann, ist dabei.
Besonderes Augenmerk wird auf die Informationstätigkeit gelegt. «Der Informationsverantwortliche ist der Einzige, der gegenüber den Medien Auskunft gibt. Er spricht sich vorher mit den ermittelnden Behörden ab», erklärt Markus Müller. «Unvollständige, ungenaue oder gar falsche Informationen in den falschen Händen haben weitreichende Folgen und wirken verletzend, lähmend oder sogar kontraproduktiv.» So soll Rücksicht auf Betroffene und Angehörige genommen und unseriösen Journalisten die Stirn geboten werden. Auch sei dank dem neuen Behelf nun allen klar, dass sich bei einem Unfall niemand über die Schuldfrage zu äussern hat.
Permanente Bereitschaft
Die Sektion Uto hat den Einsatz des Krisenstabs bereits einmal trainiert. Die ersten Erfahrungen seien positiv ausgefallen, erklärt Markus Müller. Der Behelf sei alles andere als ein Papiertiger und dank seriöser Schulung gut umzusetzen. Auch das Alarmierungskonzept, die neu verlangten Bereichsrapporte und die vorbereiteten Checklisten für alle Bereiche hätten sich bewährt. Noch zu klären sei die Frage der Alarmierung des Stabs, da naturgemäss dann, wenn viele Touren stattfinden, nicht selten auch die Angehörigen des Krisenstabs unterwegs seien. Aufgrund erster Erfahrungen verzichtet der SAC Uto aber auf eine Pikettstellung.
Dank den Checklisten könne der Stab auch in einer Minimalbesetzung zielgerichtet mit der Arbeit beginnen. Grundsätzlich verstehe sich der Krisenstab aber als «ständiges Gremium mit permanenter Bereitschaft». In einem nächsten Schritt will die Sektion Uto vier bis fünf relevante Risiken benennen und dann Referenzszenarien dazu beschreiben. Diese sollen auch als Grundlage für regelmässige Trainings dienen. Bereits im kommenden Jahr will die Sektion Uto das Konzept – nach einer umfassenden Information der Basis – «scharf schalten». Die Verantwortlichen sehen sich in einer Vorreiterrolle und bieten – bei Bedarf – ihre Unterlagen auch anderen Sektionen an.
Das Papier mit Leben füllen
Einen ähnlichen Fahrplan wie die Zürcher sieht auch die SAC-Sektion Zofingen vor: Rund ein halbes Jahr haben die Vorarbeiten für ein neues Notfallkonzept in Zofingen gedauert. Sektionspräsident Beat Weber will mit dem Konzept im laufenden Jahr noch weitere Erfahrungen sammeln, um falls nötig Anpassungen machen zu können. «Die Tourenleiter wurden an einer Informationsveranstaltung über die Neuerungen informiert», erklärt Weber. Das Notfallkonzept sei von diesen sehr positiv aufgenommen worden. Nun gehe es darum, das Papier mit Leben zu füllen. Auch die Zofinger wollen nächstes Jahr die neue Notfallorganisation in Kraft setzen und vorgängig die zuständigen Kontaktpersonen in ihre neue Aufgabe einführen.
Als besonders wertvoll erachtet Weber die klaren Strukturen, mit denen im Notfall die oft schwierige Zusammenstellung der Faktenlage vereinfacht und beschleunigt wird. «So können wir alle wichtigen Informationen innert kurzer Zeit vollständig und wahrheitsgetreu zusammentragen», meint Weber. Dies sei eine wichtige Voraussetzung, um im Notfall allen gegenüber verantwortungsvoll handeln und reagieren zu können.
«Passagierliste» hinterlegen
Die Arbeit am neuen Notfallkonzept hat nach Weber schnell einen neuen Umgang mit Toureninformationen nach sich gezogen. Bereits dieses Jahr wurden nämlich die Tourenführer aufgefordert, spätestens einen Tag vor Aufbruch die Details zur geplanten Tour und die definitive Namensliste der Gruppenmitglieder zu hinterlegen. So hätten die zuständigen Leute des Krisenstabs jederzeit verlässliche Informationen über Mitglieder, die unterwegs sind, und deren Tourenziele. Zudem habe der Tourenleiter für den Notfall die wichtigsten Schritte übersichtlich als Checkliste mit Kontaktdaten zur Hand.
Zusätzlich haben die Zofinger Tourengänger nun auch ein persönliches Datenblatt im Rucksack mitzuführen, das bei einem Notfall Auskunft über Blutgruppe, persönliche Medikamente und Kontaktdaten von Angehörigen gibt. Dass sich das Mitführen eines solchen Datenblattes diesen Sommer bereits einmal bewährt hat, ist für Beat Weber Beweis genug, dass die neuen Regeln Hand und Fuss haben.
Beide SAC-Sektionen sind sich bewusst: Soll sich das Notfallkonzept in Zukunft bewähren, muss es immer wieder geübt, trainiert und allenfalls angepasst werden. Beide Verantwortlichen sind sich auch einig, dass trotz gewissenhaften Vorbereitungen immer ein Restrisiko bestehen bleibt. Die Analyse und Kenntnis von Fehlern in Unfallsituationen kann und soll aber künftig juristischen Folgen und Imageschäden vorbeugen oder diese sogar ausschliessen.