Segelflieger im Gebirge
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Segelflieger im Gebirge

Hinweis: Dieser Artikel ist nur in einer Sprache verfügbar. In der Vergangenheit wurden die Jahresbücher nicht übersetzt.

Naturerlebnis, das der Freiballonsport zu bieten hat, nämlich einen Freiballonaufstieg inmitten des Zentralalpenmassivs, ermöglichen ». Das grosse Abenteuer ist nicht billig. Es kann nicht

billig sein.

Segelflieger im Gebirge

Hans Schürch, Bern VORWORT

In den letzten Jahrzehnten ist eine neue, buchstäblich dritte Dimension des Alpinismus entstanden -das Segelfliegen im Hochgebirge. Die nachstehende Erzählung mag das Erleben der Berge im Vogelflug einem weiteren Kreis von Bergsteigern nahebringen.

... Der Führer der Seilschaft am Strahlhorn hat sich durch die kleine Rinne in der Felswand gestemmt. Der Fels lässt sich warm und körnig in den Handflächen anfühlen. In einer Nische fassen die schweren Bergschuhe Halt. Gemächlich nimmt er das Seil auf, Schlaufe um Schlaufe. Sichern... Nachkommen! Er blickt hinunter zum Kameraden.

Berg und Mensch — Erlebnisse, tausendfach gesucht und tausendfach wiederholt.

Ein sanfter Wind streicht die Wand herauf. Der ferne Geruch von Alpweiden mischt sich mit Leder und Wolle. Ein brauner Falter taumelt im aufsteigenden Luftstrom.

Ein leises Rauschen lässt beide Kletterer für einen Augenblick verharren, die Köpfe erheben. Auf weissen Schwingen streicht ein Segelflugzeug der Wand entlang, dreht in lässiger Anmut und streicht zurück. Der Mensch unter der durchsichtigen Haube hebt die Hand. Die beiden Bergsteiger erwidern den Gruss...

Der Phöbus ist vor einer knappen Stunde in Saanen abgeflogen. HB 886 sind die schwarzen Zeichen auf dem schlanken Rumpf. Sein Zwillingsbruder, HB 876, äusserlich sonst kaum zu unterscheiden, ist schon am Vormittag über den Sanetschpass Richtung Wallis verschwunden.

Eine sonnenweisse Wolke hat sich über dem Hundsrück gebildet. Unter dieser steigt der Phöbus, in weiten, ruhigen Kreisen Höhe gewinnend.

Links die Zähne der Ruth - altersbraun, aber trotzdem wohlgefügt. Der Blick weitet sich ins Mittelland und ins Pays d' Enhaut. Winde streichen aus dem Greyerzerland und dem Simmental gegen die Saanenmöser, stossen aufeinander, treiben sich gegenseitig in die Höhe. Der Phöbus zieht seinen letzten Kreis im aufsteigenden Luftstrom, knapp unter der Wolke. Bevor die untersten Wolkenfetzen nach dem Flügel greifen, taucht die Nase nach unten, und gleich einem Delphin schnellt der Vogel ins Weite. Kompasskurs Süd-Südost - Lenk.

Rechts unten der Rinderberg - Chäle. Weisst Du noch? Die Mutproben der Halbwüchsigen, zum erstenmal mit der neuen Diagonalzugbin-dung auf den Hickorylatten? Nach zweistündigem Aufstieg, die eissteifen Felle um den Bauch gewickelt, sind wir am Hang gestanden.«Darfsch gredi abe? » - « Gang afe, I warte der de dunde. » Am Wistätthorn vorbei. Der Höhenmesser zeigt 2200 Meter über Meer. Vorne Lenk und Oberried. Wolken stauen sich vor Wildhorn und Plaine Morte, hangen über dem Rawil, die Passhöhe verbergend. Links liegen Hahnenmoos und Ammertengrat, weiter hinten, unter Nebelfetzen, die grauen Wände des Tschingellochtighorns. Für einen Augenblick erscheint Adelboden im Gesichtsfeld.

Wie ein Meer brandet die nördliche Luftmasse gegen den Alpenkamm, sichtbar nur in der Gischt der kondensierenden Wolkenfetzen, aber fühlbar durch das Aufwärtstragen des weissen Vogels. Anderthalb Meter Steigen pro Sekunde zeigt die Variometernadel am Instrumentenbrett des Phöbus.

Es wird merklich kalt. Der Phöbus streicht hin und her zwischen Tschingelgrat und Steghorn, über Felsplatten, punktiert mit grauweissen Som-merschneeflecken. Noch zwei Schlaufen, dann gelingt der Überschwung über den Grat. Daubensee und Gemmi sind nun in Sicht. Durch Wolkenlöcher bricht die Flut der Walliser Sonne ins Leuker Tal.

« Zielflug Saanen—Eggishorn—Saanen », steht auf dem schwarzen Brett am Startplatz, photographiert zum späteren Nachweis der Absicht.

Wie eine Sturmflut ergiesst sich die gestaute Luft über die Gemmi, den Vogel mit sich reissend, hinüber und hinab. Die gelben Markierungsku-geln der Hochspannungsleitung über dem Pass erscheinen grosser, bedrohlicher. Immer grosser wird die Fahrtanzeige am Instrumentenbrett, und die Variometernadel taucht « in den Keller » - 8 Meter Sinken! Dazu gesellen sich harte Schläge in der Turbulenz des Fallstromes. Endlich wird der Phöbus ausgespuckt, « wie ein garstiges Getier », in das Rhonetal, i ooo Meter über Leuk.

« Kräftige Westwinde im Wallis », stand in der metereologischen Übersicht zu lesen. Wie ein gütiger Vater nimmt der Wind den zerzausten Phöbus in seine Arme, trägt ihn talaufwärts, vorbei an sonnenbeschienenen Alpen und Weiden. Goppenstein - Läghorn — Wiwannihorn. Vorbei am Fusse Ihrer Majestät, des Bietschhorns. Namen - Erinnerungen an Seilkameraden, an Sommertage in Fels und Firn.

Gelegentlich zeigt die Variometernadel wieder nach oben -2, 23 Meter Steigen! Dann beginnt der Phöbus wieder zu kreisen, höher hinauf, gegen die Couloirs am Strahlhorn. Eine Zweier-Seilschaft steht im sonnenwarmen Fels. Zurück -wenige Flügelspannen von der Wand entfernt. Zwei junge, gebräunte Gesichter blicken nach oben. Ich hebe die Hand zum Gruss...

Langsam sinkend geht es nun Richtung Brig. Ein Druck auf den Knopf am Steuer:

« Acht-sächsesibezg vo acht-sächsenachzg? » Das Fragezeichen im gehobenen Laut am Wort-ende.

Das Wunder elektronischer Übermittlung wird augenblicklich manifest. Die Schwingungen im Metallstab am Rücken des Phöbus klingen aus im weiten Raum, fast im Unendlichen. An einem unsichtbaren Punkt werden sie gefasst, im Führersitz des Zwillings wieder zu Schall gewandelt. Nach einem Augenblick kommt die Antwort:

« Acht-sächsesibezg pronto. » Fast schläfrig in der Tonart, wie gerade aus südlicher Siesta geweckt. Wo mag er wohl sein? « Domanda posi. » Spaghetticode, geboren in der Zeit der FG-g, militärischer Flugfunkgeräte, welche nur die ein-deutigsten Vokale zuverlässig zu übermitteln imstande waren. Ambri, San Vittore, Magadino - Minestra, Polenta, Nostrano. Erinnerungen an Stunden hinter dröhnenden Motoren über den Engtälern im Tessin, Erinnerungen an die Nacht, als der Kamerad nicht vom Wetterrekognoszie-rungsflug zurückkam - gefasst vom grauen Tod der Nebelwände im Bedretto. Wieder das Erlebnis Mensch und Berg - diesmal in düsterer Sicht.

Die Frage nach dem Standort des Zwillings 876 hängt für einige Augenblicke im Leeren. Dann kommt eine unerwartete Antwort: « Warten ». Diesmal in Schriftsprache.

Im Geist sehe ich die topographische Karte aus der Seitentasche im engen Führersitz gezerrt und umständlich entfaltet. Dann kommt die Antwort:

« Täsch, viertuusig ». Für das solltest Du nicht auf der Karte nachsehen müssen, denke ich mir, leise belustigt. Immerhin, der Glückspilz schwebt zwischen Mischabel und Weisshorn dem Monte Rosa zu, auf königlicher Warte.

« Merci. » Die Kommunikation wird lakonisch-berndeutsch beendet.

Das Goms liegt in blauschwarzem Dunst unter geschlossenen Wolken. Das sind graue Vorhuten, gezeugt von den kalten Luftmassen des Nordens, getrieben vom Nordföhn über Grimsel und Furka, wie einst die alten Schweizer. Der warme Westwind aus den Ebenen Frankreichs hat sich mit gallischem Elan nach Süden gewendet. Johlend stürzt er sich über die Kämme am Weisshorn, Dom und Weissmies; flatternde Schneefahnen strömen von den Graten in seiner Bahn. Mit tausend Fäden zieht es den Phöbus ins offene Vispertal nach Zermatt, den Viertausendern zu, dem Gespielen nach.

« Ziel: Eggishorn !» Fast unwillig halten wir den Kurs West-Nordwest. Achselzuckend lässt der Westwind den Phöbus von seiner linken Schulter gleiten, hinab ins Niemandsland zwischen alemannischen und gallischen Luftmassen. Die Strömungen werden verworren, kleinteilig. Wenig Steigen, gefolgt von viel Sinken. Die verschrundete, graubelegte Zunge des Grossen Aletschgletschers leckt nach dem Briger Kessel hinunter.

Am Riedergrat findet der Phöbus schliesslich Halt in leichtem Aufwind. Langsam schieben wir uns gegen die Bettmeralp. Die grosse Schweizer Fahne am Seelein flattert unschlüssig nach allen Seiten. Dann öffnet sich ein Loch in den grauen Wolken, die Weiden leuchten auf in warmem Grün und Gold, um bald wieder vom düsteren Grau verschluckt zu werden. Meter um Meter muss der Weg nach oben erschwindelt werden; hin und her streicht der weisse Vogel, dem Wanderweg entlang. Bunte Herden von Spaziergängern grüssen und winken. Nach vier, fünf Passagen kann ich den kärglichen Höhengewinn fast zentimetergenau abzählen.

Fast eine Stunde dauert das zähe Ringen um Höhe; alle Nerven und Sinne sind gespannt, das kleinste Bläslein aufsteigender Luft zu erfassen. Endlich wird der Blick über den Grat zum Aletschgletscher hinunter frei. Der Phöbus schnuppert für einen Moment an der Nordseite, aber die eisgekühlte Luft über den blaugrauen Schrunden schreckt uns zurück zu den südlichen Felswänden am Bettmerhorn, knapp an der hässlichen viereckigen Bergstation vorbei; die Drahtseile der Bahn lauern indessen unsichtbar am beschatteten Hang. Dann: Photokamera aus der Tragtasche geschält und über den linken Flügel aufs Eggishorn gezielt. Kehrtkurve, Handwechsel zwischen Steuerknüppel und Kamera, und zur Sicherheit noch einmal über den rechten Flügel geknipst: Auftrag erfüllt - Ziel erreicht.

Erleichtert schnellt der Phöbus von der schattigen Wand ab, wie ein Schwimmer vom Start-brett. Über die Rhone, welche hier noch gut alemannisch Rotten heisst, geht es an die sonnigen Hänge des Simplon. Das mühsam errackerte Kapital an Höhe wird in Minuten verschwendet; aber siehe - wer gibt, dem wird gegeben werden. Warme Ströme umfangen den Phöbus wieder, hinauf und hinauf, gedrängt von sonnendurch-heizter Luft, duftend von warmem Heu.

Hoch über dem weiten Rhonetal, 3000 Meter über Meer, dreht der Phöbus seine Nase wieder nach Westen, dem fernen Stall zu. Hier wird die Strömung wieder grossräumig. Ein gewaltiger Fluss rollt aus dem Westen das Rhonetal herauf, ergiesst sich über die Kämme der Quertäler in weiten Wogen. Mattertal, Turtmanntal, Val d' Annivers, Val d' Hérens erzeugen Welle um Welle im mächtigen Strom.

Die Nase im Wind, steigt der Phöbus in den aufsteigenden Flanken der Wellen, hin und her, sich langsam nach Norden und dann wieder nach Süden schiebend. Dann duckt er sich und, Nase nach unten, gewinnt Fahrt. 120, 150, 180 Stundenkilometer zeigt der Fahrtmesser. Mühsam gewinnen wir Strecke gegen die gewaltige Strömung. Dann hebt sich die Nase wieder im nächsten Wellenberg, die Geschwindigkeit nimmt ab, bis der Vogel stillzustehen scheint, langsam, langsam wieder Höhe gewinnend.

Der Nachmittag geht zur Neige. Die Berghänge im Norden sind wolkenverhangen, abweisend.

« Acht-sächsesibezg vo acht-sächsenachzg? » -Keine Antwort.

Der Zwilling ist wohl schon wieder ins traute Saanenland zurückgekehrt, aus grosser Höhe über den Rawil gleitend, unbekümmert um die Wolkenfetzen am Alpenkamm.

Unser Problem ist komplizierter. Nach Norden über die Rhone kreuzend, sinkt der Phöbus rasch. Über den krebsartigen Betongeschwüren von Crans-Montana beginnt wieder der Krampf um Meterbruchteile. « Es bitzeli ufe, es bitzeli abe... » Die Spannung beginnt sich auszuwirken. Seilbah- nen links, Seilbahnen rechts. Manchmal sogar Seilbahnen oben. Eingezwängt kreist der Phöbus, kaum Höhe haltend. Dann klopfen Tropfen auf die Haube. Der Vogel schüttelt das nasse Gefieder - er will nicht mehr richtig fliegen.

Dreimal grochsen wir gegen den Stausee unter dem Wetzsteinhorn, dreimal kommen wir zwanzig Meter unter der Staumauer an und müssen zurück, schittere Wirbelchen suchend, um wieder Höhe zu gewinnen.

Dann wird eine Stimme im Führersitz laut:

« Acht-sächsenachzg vo Campo Saanen? » Besorgnis in der fremden Stimme. Was mir jetzt gerade noch fehlt, ist eine detaillierte Diskussion über meine gegenwärtige missliche Lage mit der Bodenstation in Saanen.

« Campo Saanen vo achtsächsenachzg, Posi Rawil. » Das anschliessende Kraftwort wird nicht ausgestrahlt. Dann, etwas ruhiger, aber immer noch mit deutlich mürrischem Unterton: « Chrampfe für Höchi. » Dann wieder die Bodenstation, diesmal an alle:

« Bambini Saanen, landen spätestens 18.45. » Ein Blick auf das Armband zeigt zehn nach sechs. Ich würdige Saanen keiner Antwort.

Talabwärts bricht in breiten Balken die Sonne durch die Wolken. Die Rebberge am Schlosshügel Sitten leuchten auf, dahinter glänzt einladend die regennasse, breite Piste des Flughafens.

Für einen Augenblick denke ich an Fondue und Fendant und an einen Hock in der getäferten Beiz, bis die Rückholmannschaft eintrifft... Dann setzt sich der Bernerschädel wieder durch. Vielleicht hat die Abendsonne über Sion doch noch genug Kraft, uns wieder hochzuspülen. Zum Teufel mit dem Rawilpass! Wir tasten uns behutsam talabwärts.

Freundlich gleissen die Schlaufen der Rhone in der späten Sonne, gemächlich hebt sich der Phöbus wieder.

Zunächst langsam, dann mit erstaunlicher Kraft geht es bergan - buchstäblich den Hang hinauf gegen Sex Noir, dann hinüber zum Sérac und zum Fuss des wolkenbehangenen Arpeli-stocks. Ein Dunstfetzen kondensiert am Grat, und in zwei Schlaufen ist der Phöbus über der Sanetsch-Passhöhe, knapp unter der Wolkendecke. Ein eisgrauer Tunnel zieht sich von der Passhöhe nach Norden. Durch das Loch sind ein paar Häuschen zu sehen, schliesslich eine belebte Autostrasse - Gsteig an der Strasse zum Pillon.

Der Phöbus taucht in den grauen Tunnel. Immer steiler senkt sich die Röhre nach unten, die Nebeldecke kaum dreihundert Meter über dem Boden. Das Sanetschsträsslein windet sich mühselig am Steilhang. Die Nadel am Fahrtmesser beginnt sich der roten Marke zu nähern. Sturzflug-bremsen aus! Die Wirbel hinter den ausgefahrenen Bremsklappen am Flügel schütteln den ganzen Vogel. Dann schiesst der Phöbus ins Freie, hoch über Gsteig, Gstaad frei vor uns, der vertraute Zacken des Rüblihorns zur Linken.

Bald erscheint der heimatliche Flugplatz Saanen hinter der Kalberhöhni. Zwei, drei Segelflugzeuge kreisen lässig über dem Platz. In weiten Kehren verliert der Phöbus Höhe. Die Disziplin des geordneten Flugverkehrs in Platznähe übernimmt die Handlung:

« Rad aus und verriegelt. » « Piste frei. » « Bremsbereit. » Leise polternd berührt der Phöbus den Boden, springt noch einmal leicht auf und legt sich schliesslich träge auf den rechten Flügel...

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