Schnee, Gletscher und Permafrost 2016/17
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Schnee, Gletscher und Permafrost 2016/17 Kryosphärenbericht für die Schweizer Alpen

Ein extrem schneearmer Winter und ein heisser Sommer haben die Gletscher – schon wieder – stark schmelzen lassen: Rund 3% des Eisvolumens sind verloren gegangen. Die geringe Schneemenge im Frühwinter und der kalte Januar haben dagegen erstmals seit ­Jahren zu einer Pause in der Erwärmung des Permafrostes geführt.

Witterung und Schnee

Im Herbst 2016 fielen vor allem im November grössere Schneemengen, und es bildete sich eine vielversprechende Schneedecke. Diese schmolz aber während einer lang anhaltenden Föhnphase unterhalb von 2000 Metern wieder ab. Der Dezember war aufgrund extremer Trockenheit so schneearm wie kein anderer seit Messbeginn. Bis zum Jahresende lag darum meist nur sehr wenig Schnee. Er fiel ab Januar, wenn auch nur in geringen Mengen. Eine Kälteperiode und viel ­Nebel kurz nach diesen ersten Schneefällen führten dazu, dass das Mittelland im Januar trotzdem mehrere Wochen mit einer dünnen Schneedecke bedeckt war (Abb. 1). Auch im ­Februar waren die Schneefälle meistens wenig ergiebig. Erst Anfang März führten mehrere Grossschneefälle zu kurz­zeitig knapp durchschnittlichen Schneehöhen. Ein rekordwarmer März liess den Winterschnee auch in den Bergen schnell wieder schmelzen, sodass die Anzahl Tage mit Schneebedeckung an vielen Stationen oberhalb von 1500 Metern beidseits der Alpen rekordtief war. Ab Mitte April kehrte der Winter nochmals zurück. Mit wiederholten Schneefällen war es in den Alpen bis Anfang Mai eher winterlich. Gemäss MeteoSchweiz erlebte die Schweiz den sechstwärmsten Winter (November–April) seit Beginn der Messungen 1864. Wärmer war diese Periode nur in den Jahren 1989/90, 2006/07 und 2013/14 bis 2015/16. Aufgrund der warmen Temperaturen und der geringen Schneefälle waren die relativen Schneehöhen im Vergleich zum langjährigen Mittel oberhalb von 1500 Metern so klein wie noch nie seit Messbeginn (Abb. 2). Die Alpensüdseite war von der Schneearmut sogar noch stärker betroffen als der Norden.

Frühe Ausaperung und heisser Sommer

Die Schneeschmelze, die bereits im Mai bis in hohe Lagen weit vorangeschritten war, setzte sich im heissen Juni rasch fort. Das Messfeld auf dem Weissfluhjoch auf 2540 Metern war bereits am 14. Juni schneefrei, fast einen Monat früher als im Schnitt. Nur fünfmal ist das Messfeld während der letzten 81 Jahre noch früher ausgeapert. Hohe Lagen ­(2000–3000 m) waren im Verlauf des Sommers bis Ende August nur an einzelnen Tagen von einer dünnen Schneeschicht bedeckt. Im Hochgebirge oberhalb von 3000 Metern lag dagegen wiederholt eine Schneedecke. Die Som­mer­pe­riode von Juni bis ­August 2017 war die drittwärmste seit Messbeginn 1864. Gemittelt über die ganze Schweiz lag die Temperatur 3 °C über der Norm (1961–1990). Im Verlauf des Sommers traten aber jeden Monat ein bis zwei Kältephasen ein. Am meisten Niederschlag fiel im Nordosten und im Süden, am wenigsten im Wallis. Im unterdurchschnittlich kühlen September fiel ­immer wieder Schnee bis in mittlere Lagen.

Gletscher

Extreme Gletscherschmelze

Im April und im Mai 2017 wurden auf Gletschern in allen Landesteilen leicht bis deutlich unterdurchschnittliche Schneemengen festgestellt. Aufgrund der anschliessenden sehr intensiven Schmelze hatten viele Gletscher bereits Anfang Juli die schützende Winterschneedecke grossflächig verloren. Sehr grosse Schmelzraten waren während des stabilen Hochsommerwetters im Juli und im August zu verzeichnen. Insbesondere Gletscher in tieferen Lagen aperten einmal mehr komplett aus. Die wiederholten Schneefälle im September bis in die Höhenlage der Gletscherzungen setzten der Schmelzsaison frühzeitig ein Ende und verhinderten so einen noch extremeren Eisverlust.

Vom Herbst 2016 bis zum Herbst 2017 wurde die Massen­bilanz – der Saldo zwischen der Schneemenge im Winter und der Schmelze im Sommer – auf 20 Schweizer Gletschern bestimmt. In allen Regionen der Schweiz verzeichnete man stark überdurchschnittliche Verluste. Die grössten Dickenverluste mit zwei bis drei Metern mittlerer Eisdicke zeigten Gletscher in den westlichen Berner Alpen und im Nufenengebiet (Glacier de Tsanfleuron, Glacier de la Plaine Morte und Griesgletscher). Die geringsten Einbussen wurden am Findelgletscher/VS gemessen. Bei den übrigen Gletschern schwanken die Verluste zwischen einem und zwei Metern Eisdicke. Das aktuell in der Schweiz vorhandene Eisvolumen hat sich um rund 3% reduziert. Die Gletscher haben eine Wassermenge verloren, die ausreichen würde, um für jeden Schweizer Haushalt ein 25-Meter-Schwimmbecken zu füllen! Das Zusammentreffen von einem schneearmen Winter und einem schmelzintensiven Sommer hat für die Gletscher zu sehr hohen Verlusten geführt. Der Rekordverlust vom Hitzesommer 2003 wurde allerdings nicht ganz erreicht (Abb. 3).

Die Gletscherzungen ziehen sich weiter zurück

Die Änderung ihrer Länge widerspiegelt die Reaktion der Gletscher auf einen langfristigen Wandel der klimatischen Verhältnisse. Im Herbst 2017 wurde die Position von 95 Gletscherzungen vermessen. Nahezu alle untersuchten Gletscher haben weiter an Länge eingebüsst. Bei wenigen Ausnahmen wie dem Brunnifirn/UR ist die Position des Gletscherendes nahezu unverändert geblieben. Die Schwund­beträge schwanken bei den meisten Gletschern zwischen wenigen Metern und rund 50 Metern. Extreme Werte wurden am Tiefengletscher/UR, am Scalettagletscher/GR und am Glacier du Ferpècle/VS mit Rückgängen um mehrere Hundert Meter (620 m, 240 m bzw. 150 m) beobachtet. In allen Fällen ist der ausserordentlich grosse Schwund die Folge einer Entwicklung über mehrere Jahre. Wegen der teilweise starken Schuttbedeckung auf der Zunge sowie des andauernd ausbleibenden Eisnachschubs aus dem Firngebiet schmelzen die Eis­mas­sen sehr unregelmässig. Die Gletscherzungen dünnen dabei aus, ohne erheblich an Länge einzubüssen. In ­einem Einzeljahr können daher plötzlich grössere Flächen eisfrei werden, oder ein Teil der Zunge trennt sich an einem Geländeknick ab. Solche Fälle sind in den letzten Jahren immer wieder aufgetreten.

Die Gletscher fliessen langsamer

Gletscher reagieren dynamisch auf Veränderungen der Schneeakkumulation und der Schmelze. Sie passen ihre ­Dicke und ihre Länge an. Je nach Grösse des Gletschers sind das Ausmass der Massenänderung und die zeitliche Verzögerung der Auswirkung unterschiedlich. Messungen der Eisfliessgeschwindigkeit erlauben es, diese Zusammen­hänge zu dokumentieren. Auf fünf Schweizer Gletschern wird die Fliessgeschwindigkeit des Eises seit Jahrzehnten bestimmt. Die Eisfliessbewegung hängt von der Mächtigkeit und der Neigung des Gletschers ab. Veränderungen des Fliessens zeigen deshalb, ähnlich wie die Gletscherlänge, die längerfristige Entwicklung der Gletscher. Die zeitliche Entwicklung der Fliessgeschwindigkeit seit 1970, illustriert am Beispiel des Glacier du Giétro/VS, lässt sich in drei ­Perioden unterteilen: Auf die ersten zehn Jahre konstanter Eisfliessgeschwindigkeit folgen zunächst fünf Jahre mit einer starken Zunahme der Geschwindigkeit und dann eine kontinuierlichen Verlang­samung des Fliessens, die nunmehr seit über 30 Jahren andauert (Abb. 4, S. 44). Dies ist das ­Resultat einer Zunahme der Eisdicke bis Mitte der 1980er-Jahre und einer anschliessenden Abnahme. Während im Firngebiet die Veränderungen gering sind, zeigen sie sich auf der Zunge sehr deutlich. Sie widerspiegeln den veränderten Nachschub von Eis aus höheren Lagen von einer ­Periode mit kurzfristigem Gletscherwachstum bis zur nun anhaltenden Schwundphase.

Permafrost

Eine kurze Pause im Trend zur Erwärmung

Da sich eine isolierende Schneedecke im Winter 2016/17 erst sehr spät gebildet hat, konnten die tiefen Wintertemperaturen die oberflächennahen Schichten im Permafrost effizient abkühlen. Dies gilt für Permafroststandorte, an denen Schnee einen wichtigen Einfluss auf die Temperaturbedingungen im Untergrund hat, also in Schutthalden und Blockgletschern. Die an der Bodenoberfläche gemessenen Temperaturen haben im Winter 2016/17 Werte erreicht, die innerhalb der 10- bis 25-jährigen Messreihen zu den tiefsten gehören. Wegen der intensiven Schneeschmelze im warmen Frühling/Sommer war die Oberfläche aber früh im Jahr der Sonneneinstrahlung und hohen Temperaturen ausgesetzt. Und die Bodenober­flä­chen­temperaturen dieser Periode lagen deutlich über dem jahreszeitlichen Durchschnitt.

Diese Temperaturschwankungen an der Oberfläche beeinflussen mit Verzögerung auch diejenigen in der Tiefe und damit den Permafrost. Permafrost ist ein Phänomen des Untergrundes in kalten Regionen. In den Alpen findet man ihn in Felswänden und Schutthalten oberhalb der Wald­grenze, verborgen unter einer wenige Meter dicken Schicht, die im Sommer auftaut. Anders als bei Gletschern sind die Veränderungen daher nicht unmittelbar sichtbar, und di­rekte Messungen werden in Bohrlöchern ausgeführt. In zehn Metern Tiefe waren die Temperaturen an den meisten der 16 beobachteten Standorte deutlich tiefer als in den Jahren zuvor. An einigen Messstellen war der Temperaturrückgang sogar bis in eine Tiefe von 20 Metern feststellbar (Abb. 5). Dies gilt insbesondere für trockene Gebiete des Engadins und der Alpensüdseite: Dort hat bereits der Winter 2015/16 sehr spät eingesetzt. Die Auskühlung ist damit das Resultat von zwei schneearmen Wintern.

Im Gegensatz zu den Schutthalden und Blockgletschern ­wurde an Messstellen in sehr steilen Felswänden kein Unterbruch des Erwärmungstrends im Permafrost gemessen. Da sich aufgrund der Steilheit dort typischerweise keine dicke und isolierende Schneedecke entwickelt, folgen die Temperaturen an der Oberfläche – und verzögert jene in der Tiefe – ziemlich genau jenen der Luft. Unterschiedliche Schneeverhältnisse in verschiedenen Jahren haben dort deshalb keinen Einfluss auf die Entwicklung des Perma­frosts.

Auch an Standorten mit Permafrosttemperaturen nahe bei 0 °C war die Auskühlung weniger stark. Die während des Sommers in zehn Metern Tiefe gemessenen Temperaturen im Nordhang des Schilthorns/BE auf 2700 Metern waren sogar die zweithöchsten nach 2015. Hier haben die geo­phy­si­ka­lischen Messungen zudem die tiefsten elektrischen Widerstandswerte des Untergrundes seit 17 Jahren ergeben. Diese indirekten Messungen ergänzen die Temperaturbeobachtungen. Sie zeigen, dass der Anteil an ungefrorenem ­Wasser im Permafrost zugenommen hat. Dies bedeutet, dass ein Teil des vorhandenen Eises geschmolzen ist.

Blockgletscher werden langsamer

Parallel zur abnehmenden Permafrosttemperatur haben sich auch die Blockgletscher im Allgemeinen langsamer bewegt. Die Fliessgeschwindigkeiten waren 2016/17 im Durchschnitt um 30% tiefer als im Vorjahr. Sie liegen jedoch noch immer deutlich über den Werten, die zu Beginn der Messungen um 2000 beobachtet wurden, und erreichen an gewissen Orten mehrere Meter pro Jahr. In den 1990er-Jahren sprach man noch von Dezimetern pro Jahr, mit denen sich diese Landformen aus Gesteinsblöcken und Eis bewegten.

Der im Jahr 2016/17 beobachtete Unterbruch des Erwärmungstrends im Permafrosts ist die Folge von schneearmen Bedingungen Anfang des Winters. Aufgrund der besonderen Witterung ist diese Pause wohl nur vorübergehend. Zudem ist der Einfluss des heissen Sommers 2017 im Permafrost noch nicht voll zum Tragen gekommen. Er wird erst nach rund ­einem halben Jahr in einer Tiefe von zehn Metern sichtbar.

Spezielle Ereignisse

Bergsturz am Pizzo Cengalo

Kurz nach Weihnachten 2011 sind 1,5 Millionen Kubikmeter Granit von der Nordflanke des Pizzo Cengalo auf gut 3000 Meter ins Val Bondasca im Bergell/GR gestürzt. Der Alpinwanderweg zwischen den SAC-Hütten Sciora und Sasc Furä wurde verschüttet und ist seither geschlossen. Im Sommer 2012 wurden die Ablagerungen bei heftigen Gewittern durch Murgänge weiter hinunter bis nach Bondo ins Haupttal transportiert. In der Folge haben sich mehrere kleinere und grössere Felsstürze am Pizzo Cengalo ereignet, und im Sommer 2017 kam es schliesslich zum bisher grössten Bergsturz: Am 23. August 2017 lösten sich etwas unterhalb des Anrisses von 2011 gut drei Millionen Kubikmeter Fels. Die Felsmassen fielen auf den darunterliegenden Gletscher und erodierten diesen. Ein unmittelbarer Murgang aus dem Bergsturzmaterial und dem Gletscherwasser erreichte Bondo und verursachte grosse Schäden an Gebäuden und Strassen. Acht Wanderer, die sich im Abstieg von der Sciora-Hütte befanden, sind seither vermisst. Das nach dem Ereignis sichtbare Eis in der Anrisszone deutet auf Permafrostbedingungen hin. Direkte Messungen der Felstemperaturen sind keine vorhanden, doch Schätzungen aufgrund von Messungen aus vergleichbaren Flanken ergeben mittlere Felstemperaturen im Anrissbereich von ungefähr –1 bis –4 °C. Langfristige und tief greifende Auftauprozesse im Permafrost während des letzten Jahrzehnts sowie eindringendes Schmelz- und Regenwasser im Sommer können neben einer Vielzahl von anderen Faktoren zu den Bergsturzereignissen am Pizzo Cengalo beigetragen haben.

Abbruch eines Hängegletschers am Weissmies

Eine grosse Eismasse in der steilen Nordflanke des Weissmies/VS – unmittelbar über der Normalroute von Hohsaas auf den Gipfel – wurde 2014 als instabil erkannt und mit verschiedenen Messgeräten intensiv überwacht. Bei einem kompletten Abbrechen der rund 500 000 Kubikmeter Eis hätte die Lawine das Dorf Saas-Grund erreichen können. Zwei Faktoren waren für die gefährliche Situation verantwortlich: Zum einen war aufgrund des Rückgangs vom Triftgletscher der Hängegletscher nicht mehr abgestützt, und zum anderen führte die Erwärmung dazu, dass das Eis nicht mehr am Fels angefroren war. Im August 2017 stellte man eine starke Beschleunigung des Gletschers fest, die auf einen baldigen Abbruch hindeutete. Am 9. September wurden Geschwindigkeiten von über einem Meter pro Tag gemessen, und gefährdete Häuser im Tal mussten evakuiert werden. In der folgenden Nacht brach der Grossteil der instabilen Eismasse ab; glücklicherweise nicht in einem einzigen Ereignis, sondern in über einem Dutzend kleinerer Eislawinen. Diese hatten nur geringe Reichweiten, und es sind keine Schäden entstanden.

Kryosphärenmessnetze Schweiz

Die Beobachtung der Kryosphäre umfasst Schnee, ­Gletscher und Permafrost (www.kryosphäre.ch). Die Experten­kommission für Kryosphäre (EKK) ­koordiniert die Beobachtungen und Messnetze. Die Schnee­mes­sungen werden vom Bundesamt für ­Meteorologie und Klimatologie MeteoSchweiz und vom WSL-Institut für Schnee und Lawinen­forschung (SLF) durchgeführt und beinhalten rund 150 Mess­stationen (www.slf.ch). Messungen an rund 120 Gletschern werden im Rahmen des Schweizer Gletschermessnetzes (GLAMOS) durch verschiedene Hochschulen, kantonale Forstämter sowie Kraftwerksgesellschaften und Privatpersonen erhoben (www.glamos.ch). Das Schweizer Permafrost­messnetz (PERMOS) wird von mehreren Hochschulen und dem SLF betrieben und umfasst 29 Standorte mit Temperatur-, Geoelektrik- und/oder Bewegungsmessungen (www.permos.ch).

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