Schnee, Gletscher und Permafrost 2014/15 Längenänderung der Gletscher in den Schweizer Alpen 2014/15
Die Hitzewelle im Sommer 2015 hat Gletschern und Permafrost in den Schweizer Alpen stark zugesetzt: Das abgeschmolzene Eis hätte ausgereicht, um den Bielersee zu füllen. Im Permafrost wurden neue Rekordtemperaturen verzeichnet, die Blockgletscher bewegten sich schneller als je bisher gemessen.
Witterung und Schnee
Der Frühwinter 2014/15 war ausserordentlich schneearm. In den Tallagen der grossen Skigebiete lag während der Weihnachtstage 2014 in der ganzen Schweiz kaum Schnee – so wenig wie letztmals im Winter 1989/90. Auf der Alpensüdseite und im Engadin musste sogar bis Mitte Januar gewartet werden, bis endlich auch unterhalb von 1800 Metern eine durchgehende Schneedecke lag (Abb. 1). Ganz anders im schneereichen Winter 2013/14: Da lagen zu dieser Jahreszeit in Bosco/Gurin oder Maloja bereits 150 Zentimeter Schnee.
Die Schneehöhe variierte stark mit der Höhenlage. Über den ganzen Winter 2014/15 betrachtet, waren die Schneehöhen am Alpensüdhang nur oberhalb von 2200 Metern leicht überdurchschnittlich. Am Alpennordhang dagegen auch oberhalb dieser Höhenlage höchstens durchschnittlich. Die markanten Unterschiede in der Schneemenge je nach Höhenlage kamen durch die relativ hohen Temperaturen während des Winters zustande, die den Schnee in mittleren und tiefen Lagen immer wieder wegschmolzen. Mit Ausnahme des Februars waren die Monate November bis März alle zu mild, der Frühwinter teilweise rekordwarm. Trotzdem erlebten Teile des Mittellandes und des Juras dank einem günstigen Zusammenspiel von Niederschlag und Kälte eine fast durchschnittliche Anzahl Schneetage.
Auf der Alpensüdseite sorgten drei kräftige Starkschneefälle bereits in der ersten Novemberhälfte für viel Schnee. So lagen am Wenghorn beim Simplonpass auf 2420 Metern Mitte November bereits 250 Zentimeter Schnee (Abb. 1). Diese überdurchschnittlichen Schneehöhen in den höheren Lagen der Alpensüdseite blieben bis zum Sommerbeginn erhalten, wenn auch nicht mehr so ausgeprägt. Im restlichen Gebiet konnten Mitte April fast überall durchschnittliche Schneehöhen festgestellt werden.
Anfang und Ende Juni stieg die Nullgradgrenze bereits auf nahezu 4000 Meter an. Im mittleren Monatsdrittel gab es auch Schneefälle bis hinunter auf 2000 Meter. Im aussergewöhnlich warmen Juli und August herrschten im Mittelland oft Temperaturen zwischen 30 und 35 Grad. Auf dem Weissfluhjoch konnte in dieser Zeit kein einziger Neuschneetag verzeichnet werden – das ist in der knapp 80-jährigen Messreihe erst einmal vorgekommen. Eine markante Abkühlung mit Schneefällen im Hochgebirge beendete in der zweiten Augusthälfte die Hitzewelle. Im September fiel erneut bis auf 2000 Meter Schnee.
Gletscher
In der Beobachtungsperiode zwischen Herbst 2014 und Herbst 2015 wurde auf 20 Gletschern die Massenbilanz ermittelt. An rund 100 Gletscherzungen wurden Messungen der Längenänderung vorgenommen. Um die Massenbilanz zu bestimmen, werden die Schneemenge im April oder Mai sowie die Schmelze während des Sommers an verschiedenen Punkten auf dem Gletscher gemessen. Die Längenänderung des Gletschers hingegen ergibt sich aus der Veränderung der Position der Gletscherfront im Vergleich zum Vorjahr.
Bis Ende Juni waren die meisten Gletscher durch die Winterschneedecke gut geschützt: Die Ausaperung setzte erst mit der Hitzeperiode im Juli ein. In der Folge führte das heisse und stabile Sommerwetter dafür zu sehr grossen Schmelzbeträgen. Die Neuschneefälle Mitte August und Anfang September beendeten die Schmelzsaison aber vergleichsweise früh. Auf vielen Gletschern blieb kaum Winterschnee liegen.
Grosse Eisdickenverluste
Die Massenbilanzunterschiede zwischen den untersuchten Gletschern waren 2014/15 besonders gross. Am stärksten gelitten haben die Gletscher in den Waadtländer und Berner Alpen. Am Glacier de Tsanfleuron und am Glacier de la Plaine Morte wurden extreme Dickenverluste von 200 bis 250 Zentimetern gemessen (im Mittel über den ganzen Gletscher). Am geringsten fiel der Verlust am Findelen- und am Allalingletscher im südlichen Wallis aus: Hier verringerte sich die mittlere Eisdicke um jeweils rund 70 Zentimeter.
Die übrigen Messwerte bewegten sich zwischen 100 und 200 Zentimetern mittlerem Dickenverlust. Für die kleineren Gletscher ohne hoch hinaufreichendes Einzugsgebiet wirkte sich die Hitzeperiode des Sommers einmal mehr verheerend aus, waren doch Ende Juli bereits viele davon gänzlich ausgeapert. Obwohl das Jahr 2015 als das wärmste seit Beginn der Messreihen in die Annalen einging, verhinderten das zögerliche Ausapern im Frühsommer sowie die Schneefälle Mitte August und im September eine noch stärkere Gletscherschmelze.
Auf die ganze Gletscherfläche der Schweiz (rund 900 km2) hochgerechnet, ergibt sich fürs Beobachtungsjahr 2014/15 ein Verlust von 1300 Millionen Kubikmetern Eis. Dies entspricht einer Reduktion des aktuell in der Schweiz vorhandenen Gletschervolumens um rund 2,5% und würde ausreichen, um den gesamten Bielersee zu füllen. Obwohl die Schmelze deutlich überdurchschnittlich ausfiel, wurden die Rekordwerte aus dem Hitzesommer 2003 nicht ganz erreicht. Die Massenbilanz liegt aber im Bereich der ebenfalls sehr negativen Jahre 2006, 2011 und 2012 (Abb. 3).
Anhaltender Gletscherrückgang
Während die Massenbilanz direkt von den Witterungsbedingungen abhängt, widerspiegelt die Längenänderung der Gletscher vor allem die längerfristige Veränderung der klimatischen Verhältnisse. Diese wirkt sich, je nach Grösse des Gletschers, mit unterschiedlicher Verzögerung auf das Gletscherende aus (Abb. 4). Im Berichtsjahr 2014/15 wurden 92 Gletscher kürzer, während 3 Gletscher ihre Zungenposition nicht veränderten. Bei 4 Gletschern wurde ein leicht positiver Wert verzeichnet (siehe Tabelle).
Die meisten Werte liegen zwischen einem Rückzug von rund 100 Metern am Schwarzgletscher/VS und einem geringen Vorrücken der Gletscherfront am Bifertenfirn/GL von 18 Metern. Grössere Änderungen wurden am Unteren Grindelwaldgletscher/BE, am Gamchigletscher/BE, am Vadret da Morteratsch/GR und am Turtmanngletscher/VS beobachtet. Sie sind allerdings die Folge einer Entwicklung über die letzten Jahre: Aufgrund der teilweise starken Schuttbedeckung der Zunge und dem ausbleibenden Eisnachschub aus dem Firngebiet schmelzen die Eismassen sehr unregelmässig. Die Gletscherzungen dünnen aus, ohne dabei markant an Länge einzubüssen. In einem einzelnen Jahr können dann plötzlich ausgedehnte Flächen abschmelzen. Trennt sich an einer Engstelle ein grösserer Teil der Zunge ab, verschiebt sich das aktive Gletscherende schlagartig sehr weit nach hinten.
Die vereinzelt beobachteten positiven Messwerte sind nicht das Resultat eines Vorstosses aufgrund grösseren Eisnachschubs aus dem Firngebiet, sondern wurden von lokalen Gegebenheiten und Verhältnissen am Zungenende im Einzeljahr bestimmt.
Permafrost
Der Permafrost in den Schweizer Alpen war im Beobachtungsjahr 2014/15 ausserordentlich warm. An vielen Standorten und für alle Beobachtungsgrössen wurden neue Rekordwerte gemessen. Diese sind jedoch nicht nur auf den heissen Sommer 2015 zurückzuführen, sondern das Ergebnis anhaltend warmer Witterungsbedingungen während der letzten Jahre.
Hohe Temperaturen im Untergrund
Sommerliche Hitzewellen führen typischerweise zu einer Erhöhung der mittleren jährlichen Bodenoberflächentemperatur um 0,5 bis 1 Grad. Die Bodenoberflächentemperatur zeigt zwar einen raschen Anstieg zwischen Mai und September und war im Juli zeitweise auch höher als im bisherigen Rekordsommer 2003, sie lag aber während des Berichtsjahres 2014/15 gesamthaft unter jener von 2002/03. Grund dafür ist das späte Einschneien im Herbst 2014. Dieses führte dazu, dass der Boden auskühlen konnte. Die Oberflächentemperaturen waren im Frühling 2015 deshalb tiefer als im Frühling 2003. In steilen Felswänden im Hochgebirge, wo es keine dicke Schneedecke gibt und die oberflächennahen Temperaturen in ihrer zeitlichen Variabilität weitgehend den Lufttemperaturen folgen, waren die gemessenen Temperaturen ausserordentlich hoch. Die meisten Messreihen in Felswänden beginnen erst im Jahr 2004, doch aufgrund dieses Zusammenhangs kann man davon ausgehen, dass die Felstemperaturen im Jahr 2015 höher lagen als 2003.
In der Tiefe zeigen die Messungen von Permafrosttemperaturen in etwa 30 Bohrlöchern im Jahr 2015 neue Rekordwerte in den 10- bis 25-jährigen Messreihen. Sie akzentuieren den Erwärmungstrend der letzten sieben Jahre. Ähnlich wie die Längenänderung der Gletscher widerspiegeln die Temperaturen in der Tiefe vor allem längerfristige Veränderungen der klimatischen Verhältnisse. Im Blockgletscher Corvatsch-Murtèl im Oberengadin – der mit 28 Jahren längsten Messreihe im Gebirgspermafrost – haben die Permafrosttemperaturen in 20 Metern Tiefe seit 2009 um insgesamt etwa ein halbes Grad zugenommen (Abb. 5).
Auch die maximalen Auftautiefen im Sommer waren im letzten Jahr oft so gross wie noch nie seit Beginn der Messungen. Im Bohrloch am Nordhang des Schilthorns konnte ein Rekordwert von über neun Metern festgestellt werden. Dort wird auch die längste Zeitreihe von geophysikalischen Messungen erhoben. Es zeigt sich eine deutliche Abnahme der elektrischen Widerstände im Untergrund über die letzten 15 Jahre, der ehemalige Rekord von 2003 wurde in den letzten Jahren bereits mehrfach übertroffen. Dies deutet auf einen grösseren Anteil von ungefrorenem Wasser im Untergrund hin und ist ein Anzeichen für einen erheblichen Eisschwund.
Beschleunigung der Blockgletscher
Auch die Kriechgeschwindigkeiten der Blockgletscher, die aus Gesteinsblöcken und Eis bestehen, haben im Beobachtungsjahr weiter zugenommen. Sie folgen der Temperaturentwicklung im Permafrost und zeigen ebenfalls seit 2009 eine Beschleunigung. Im Mittel sind die Geschwindigkeiten im Beobachtungsjahr 2014/15 gegenüber dem Vorjahr um 20% angestiegen. Insgesamt bewegt sich die Mehrheit der Blockgletscher gegenwärtig so schnell wie noch nie seit Beginn der Messungen um das Jahr 2000 (Abb. 6). Viele Blockgletscher weisen heute Geschwindigkeiten von mehreren Metern pro Jahr auf. Die aktuellen Geschwindigkeiten sind vielerorts vier bis fünf Mal höher als in der kühleren Periode zwischen 2005 und 2007 und übertreffen die ersten Bewegungsmaxima der Jahre 2003 und 2004.
Den warmen Bedingungen entsprechend wurden insbesondere im Juli und August 2015 in den Permafrostgebieten im Hochgebirge oberhalb von rund 2500 Metern viele Fels-stürze beobachtet. Diese waren meist eher klein (unter ca. 100 000 m3) und ereigneten sich in der Auftauschicht nahe der Felsoberfläche.
Verzögerte Reaktion auf die Hitzewelle
Weil es etwa ein halbes Jahr dauert, bis die Sommerwärme eine Tiefe von zehn Metern erreicht, wird man den vollen Einfluss der Hitzewelle 2015 erst im Jahr 2016 messen. Das lange Warten auf den Schnee im Frühwinter 2015/16 wird den Einfluss der Wärmeperiode insbesondere in den schattigen Gebieten etwas dämpfen können: Im Herbst kann der Boden auskühlen, solange noch keine dicke und isolierende Schneedecke liegt. In den steilen Felswänden dagegen werden die anhaltend hohen Lufttemperaturen eher zu einer weiteren Erwärmung beitragen.