SAC investiert 9,5 Millionen Franken in den Lawinenschutz Lawinengefahr bei SAC-Hütten
Wegen des Klimawandels verändert sich an manchen Orten die Lawinengefahr. Eine Grobbeurteilung zeigt, dass ein Fünftel der SAC-Hütten in einer Lawinengefahrenzone liegt. Zum Schutz der Hütten sind nun Massnahmen in der Höhe von 9,5 Millionen Franken geplant. Gleichzeitig wird geprüft, wie weit der bestehende Schutz reicht.
Eine gewaltige Lawine ging Ende Januar auf die Trifthütte SAC unterhalb des Hinter Tierbergs im Berner Oberland nieder. Es herrschte die höchste Lawinengefahrenstufe. Erst bei der Begehung wurde das ganze Ausmass des Schadens klar: Der Massivbau aus dem Jahr 1947 und der 2007 errichtete Anbau wurden trotz Lawinenschutz stark beschädigt. Die alte Hütte aus dem Jahr 1906 war komplett zerstört. Die Trümmer lagen weit verstreut im Gelände. Fast genau zwei Jahre zuvor wurde auch das Mittelaletschbiwak SAC, das auf über 3000 Metern über Meer an der Route zum Aletschhorn lag, von einer Lawine weggefegt.
Wie gefährdet sind die Hütten und Biwaks im Gebirge? Diese Frage treibt auch den Schweizer Alpen-Club SAC um. «Die Lawinenereignisse der letzten Jahre haben uns vor Augen geführt, wie stark die Gefährdung zugenommen hat», sagt Ulrich Delang, Ressortleiter Hütten und Infrastruktur beim SAC. Weil innerhalb des SAC unterschiedlich mit der Lawinengefahr umgegangen wird, gab der Zentralverband eine Studie beim Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF in Auftrag. Diese sollte für die 153 offiziellen SAC-Hütten klären, ob sie in einer Lawinengefahrenzone liegen.
Klimawandel verändert die Lawinengefahr
Zwar handelt es sich bei der Studie um eine Grobbeurteilung, und die Gefährdung vieler Standorte ist bekannt, aber das Resultat lässt aufhorchen: Knapp ein Fünftel der Hütten befindet sich demnach in einer Lawinengefahrenzone. Das SLF teilte die Hütten in drei Kategorien ein: «keine Gefährdung», «mögliche Gefährdung» und «Lawinengefährdung erwiesen».
In der zweiten Kategorie, in der eine Gefährdung möglich ist, befindet sich zusätzlich knapp ein Viertel von allen Hütten. Erst mithilfe einer detaillierten Beurteilung lasse sich hier klären, ob eine Lawinengefährdung vorliege und welche Auswirkung eine Lawine haben könnte, heisst es in der Beurteilung.
«Das Resultat hat mich eigentlich nicht überrascht», sagt Stefan Margreth, der seit 32 Jahren beim SLF arbeitet und die Erstellung der Grobbeurteilung geleitet hat. Interessant sei aber, wie sich die Lawinengefahr an manchen Orten in den letzten Jahren verändert habe. 1998 hat er eine Beurteilung der Lawinengefahr für die Trifthütte gemacht. «Damals musste man das Anrissgebiet suchen, heute ist es rund doppelt so gross», sagt er. Wegen des Klimawandels ziehen sich die Gletscher zurück, und es können sehr steile Hänge zum Vorschein kommen. «Früher gab es dort nur kleine Lawinen, jetzt können sie bedeutend grösser sein», sagt er. Ein weiteres Phänomen, das mit dem Klimawandel zu tun hat, sind die höheren Niederschlagsmengen. Wie stark die Auswirkungen auf die Lawinenaktivität sind, könne jedoch noch nicht quantifiziert werden und sei Gegenstand laufender Forschungsarbeiten.
Aber nicht alle Entwicklungen sind dem Klimawandel geschuldet. Die Gebirgshütten werden immer grösser und höher. «Je grösser ein Gebäude, desto anfälliger ist es für Lawinen», sagt Stefan Margreth. Die Glärnischhütte SAC beispielsweise sei vor 150 Jahren als Unterschlupf zwischen Felsblöcken errichtet worden. Später folgte eine Holzhütte, die heutige Steinhütte wurde mehrmals um- und angebaut, und Lawinenschutzmassnahmen mussten umgesetzt werden.
Investitionen von 9,5 Millionen Franken
Mit der Grobbeurteilung hat der SAC-Zentralverband nun ein Instrument in der Hand, um die Sektionen, in deren Eigentum die Hütten sind, auf eine mögliche Lawinengefahr hinzuweisen. «Bei Bauvorhaben haben sich die Sektionen zuweilen auf den Standpunkt gestellt, dass es keine Lawinengefahr gibt – dies einfach aufgrund ihrer Erfahrungen», sagt Hans Rudolf Keusen, Geologe und ehemaliges Mitglied der Kommission Hütten und Infrastruktur. Obwohl er bei Verdacht auf Lawinengefahr empfohlen habe, ein Gutachten einzuholen, hätten die Sektionen den Rat nicht immer befolgt. In einigen Fällen mussten die Sektionen deshalb das Projekt später überarbeiten, etwa weil der zuständige Kanton als Bewilligungsbehörde Lawinenschutzmassnahmen verlangte.
Künftig sollen sich die Sektionen über die Lawinengefahr bei ihren Hütten im Klaren sein. Denn aufgrund der Grobbeurteilung hat der Zentralvorstand des SAC eine Strategie verabschiedet, die konkrete Massnahmen verlangt. So soll für alle Hütten, die unter «Lawinengefährdung erwiesen» eingestuft wurden, ein Gutachten eingeholt werden, falls nicht eines vorliegt, das jünger als zehn Jahre ist. Bei Bedarf müssen die Sektionen dann auch die baulichen oder organisatorischen Massnahmen zum Schutz vor Lawinen umsetzen. Zudem müssen für alle Hütten mit Winterbetrieb, bei denen eine mögliche Gefährdung vorliegt, ebenfalls Gutachten eingeholt werden.
Für die anderen Hütten aus dieser Kategorie sollen Gutachten bei grösseren Bauvorhaben eingeholt werden – spätestens bis 2024, danach müssen die Schutzmassnahmen bis 2030 umgesetzt sein. Der SAC schätzt die Kosten dafür auf rund 9,5 Millionen Franken. «Das ist eine grosse Herausforderung», sagt Ulrich Delang vom SAC. Die Investitionen würden sich aber über zehn Jahre verteilen. Für den grössten Teil der Kosten will der Zentralverband selbst aufkommen mit Beiträgen aus dem Hüttenfonds und dem neu geschaffenen Fonds Naturgefahrenschutz. 20 bis 30% der Kosten sollen die Sektionen bezahlen.
Zerstörte Hütten werden wieder aufgebaut
Für die Gaulihütte kam die Grobbeurteilung und die Strategie zu spät. Der Kanton Bern verlangte während des Vorprüfungsverfahrens zur Baubewilligung Lawinenschutzmassnahmen, weshalb die Sektion nächsten Sommer nicht nur die Hütte umbauen lässt, sondern auch noch für 380 000 Franken einen sechs Meter hohen Keil zum Schutz vor Lawinen realisieren muss. Insbesondere auf grössere Sektionen, die mehrere Hütten besitzen, kommt eine grosse finanzielle Herausforderung zu. Die Sektion Bern etwa besitzt mit der Trift- und der Gaulihütte gleich zwei Hütten in einer Lawinengefahrenzone. «Ob die Schutzmassnahmen finanzierbar sind, kann erst beantwortet werden, wenn die effektiven Massnahmen und Kosten bekannt sind. Mit der Unterstützung aus dem Naturgefahrenfonds sind die Massnahmen wohl finanzierbar», sagt Lukas Rohr, Hüttenobmann der Sektion Bern. Aber auch für mittelgrosse Sektionen wie Brugg sind die Kosten hoch. Sofern man oberhalb der Gelmerhütte SAC einen Lawinenabweiskeil errichten müsse, sei dies mit Kosten von rund 400 000 Franken verbunden. «Eine Kostenbeteiligung von 20% ist für die Sektion knapp tragbar, schränkt aber unseren Handlungsspielraum für den geplanten Umbau der Hütte stark ein», sagt Alois Wyss, Präsident der Sektion Brugg. Die Sektion Monte Rosa hat die Lawinenschutzmassnahmen für die Schönbielhütte SAC bereits in den Projektwettbewerb einfliessen lassen.
Selbst die Hütten, die nun von einer Lawine getroffen wurden, wollen die Sektionen nicht fallen lassen. Sowohl die Trifthütte als auch das Mittelaletschbiwak sollen wieder aufgebaut werden. Für die Trifthütte wird erst mal abgeklärt, ob der bisherige Standort noch infrage kommt. «Wir rechnen mit mindestens drei Jahren, bis eine neue Hütte auf der Trift steht – eher mit mehr», sagt Micael Schweizer, Präsident der Sektion Bern. Sogar der Sommerbetrieb wurde aufrechterhalten, in Jurten und Zelten rund um die Hütte wurden bis zu 40 Gäste beherbergt. Für das Mittelaletschbiwak gibt es laut Geologe Hans Rudolf Keusen überall Lawinengefahr. «Aber», sagt er, «man kann mit einem Objektschutz so bauen, dass die Lawine ohne Schaden anzurichten über das Dach hinweggeht.»