SAC-Hütten und Jahrhundertsommer 2003. Stabiles Wetter bringt Gelassenheit an den Berg
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SAC-Hütten und Jahrhundertsommer 2003. Stabiles Wetter bringt Gelassenheit an den Berg

SAC-Hütten und Jahrhundertsommer 2003

Der Jahrhundertsommer und die lang anhaltenden Schönwetterperioden haben den Schweizer Berghütten 2003 rekordverdächtige Besucherzahlen beschert. Die Sommerhitze hat den Hüttenwarten aber nicht nur spürbar mehr Gäste und mehr Arbeit gebracht. Die klimatischen Besonderheiten führten auch zu neuen Herausforderungen. Die Hüttengäste hingegen waren merklich gelassener als in anderen Jahren, wie eine Umfrage zeigt.

In den bei Skitourenfahrern beliebten und höher gelegenen Berghütten hat die Saison 2003 bereits in den ersten Monaten rekordverdächtige Besucherfrequenzen gebracht: « Der Frühling hat im vergangenen Jahr alle Rekorde gebrochen », schwärmt Regina Burgener, die zusammen mit ihrem Mann Werner seit fünf Jahren die Hollandiahütte auf 3240 m bewartet. « Wir sind praktisch nicht mehr an die frische Luft gekommen. » Sind im Frühling sämtliche 120 Hüttenplätze der Hollandiahütte besetzt, arbeiten bis zu fünf Personen für das Wohl der Hüttengäste. « Wir waren alle am Anschlag », blickt Regina Burgener auf die anspruchsvolle Zeit zurück. « Eine Person war alleine mit Wasserschmelzen ausgelastet. »

Wärme brachte Gäste, Gletscherschwund und Steinschlag Was im Frühling 2003 so verheissungsvoll begann, setzte sich im Jahrhundertsommer fort: An den Wochenenden war die Hütte am Übergang zwischen Lötschental und Aletschgletscher dank anhaltend gutem Wetter regelmässig ausgebucht. Obwohl der Hüttenzustieg vom Jungfraujoch wegen der hohen Temperaturen und entsprechend vielen Gletscherspalten schwieriger und zeitinten-siver war als in früheren Jahren – 7 bis 8 Stunden statt 5 bis 6 –, blieben die Gäste nicht aus. Bis zum Herbst zählte Regina Burgener rund 3600 Übernachtungen, so viele wie noch nie. Die ungewöhnlich hohen Temperaturen und die fehlenden Niederschläge haben nicht nur die Hüttencrew, sondern auch die Hüttengäste gefordert. « Wir hatten direkt neben der Hütte 40 bis 50 Meter tiefe Gletscherspalten. Und die auch in der Nacht nicht nachlassende Steinschlaggefahr strapazierte die Nerven aller », sagt Regina Burgener rückblickend. Wasserprobleme hatte die gletschernahe Hollandiahütte im Sommer keine – trotzdem hofft das Hüttenwart-Ehepaar, dass das wärmere Klima nicht zur Regel wird und der Permafrost im Aletschhorngebiet nicht auftaut, « sonst wird es beim Betrieb der Hollandiahütte in Zukunft Probleme geben ».

Ein Fünftel mehr Gäste in der Windgällenhütte Profitiert vom ungewöhnlichen Sommer 2003 hat auch Bergführer Hans Jauch. Er führt zusammen mit seiner Frau Agnes seit sechs Jahren die Windgällenhütte ( AACZ ) im Urner Maderanertal auf 2032 m. « Schön, aber stressig » sei der Ausnahmesommer auf der Sonnenterrasse hoch über dem Golzerensee gewesen. « Wenn jemand über den Sommer 2003 im Urnerland jammert, dann war er am falschen Ort », ist Hans Jauch überzeugt. In der neu umgebauten Windgällenhütte hat Jauch zusammen mit seiner Familie im vergangenen Jahr ohne nennenswerte Probleme rund 20% mehr

Der Jahrhundertsommer 2003 bescherte vielen SAC-Hütten rekordverdächtige Besucherzahlen, so auch der Hollandiahütte SAC, 3240 m.

DIE ALPEN 1/2004

Gäste betreut als in den vorangegangenen Jahren. Sorgen bereiteten Jauch lediglich das in rauen Mengen anfallende Schmelzwasser des 500 m oberhalb der Hütte gelegenen Gletschers. Der Stafelbach trat über die Ufer und überschwemmte das in einer Senke vor der Hütte gelegene Hochplateau, das jeweils von Kindern als Spielplatz genutzt wird. « Das Bödeli war sofort mit einer dicken Lehmschicht bedeckt », erinnert sich Jauch, « die Hütte konnte kaum mehr trockenen Fusses erreicht werden. »

Stabile Wetterlage – Balsam für gestresste Alpinisten Das stabile Sommerwetter wirkte sich auch auf das Hüttenleben aus: « Die Gäste waren angenehmer, die Atmosphäre vor und in der Hütte ruhiger und entspannter als in früheren Jahren », stellte Hans Jauch fest. « Das sichere und beständige Wetter hat nicht nur die Angst vor Wetterumstürzen reduziert, sondern ganz grundsätzlich die Gäste beruhigt. Diese gute und lockere Stimmung hat sich dann auf die ganze Hüttencrew übertragen », erinnert sich Jauch gerne an den Sommer 2003.

Stabil, aber bitte 10° kühler Gerne erinnert sich auch der Hüttenwart der Almagellerhütte am Fusse des Weissmies an das vergangene Hüttenjahr. « Wir erzielten rund 15% mehr Übernachtungen als im Vorjahr », berichtet Hüttenwart Hugo Anthamatten und fährt fort: « Es war zwar kein Rekordjahr, aber sicher eines der besten der letzten 20 Jahre. » Für Anthamatten waren vor allem das beständige Wetter und die hohen Temperaturen in tiefer gelegenen Gebieten ausschlaggebend, denn: « Die Leute flohen direkt in die Höhe, weil es unten richtig heiss war. »

« Bei uns oben war das Wetter wirklich super. Es darf so bleiben, aber bitte 10° kühler », stellt Anthamatten fest, der in seiner Hütte dank der nahe gelegenen Gletscher mit der Wasserversorgung keine Probleme hatte. Entwarnung gibt der erfahrene Hüttenwart aber trotzdem keine: « Wenn die Gletscher weiterhin so schmelzen, werden wir in den nächsten Jahren Probleme bekommen. » Zumindest im vergangenen Jahr habe das Wetter die Alpinisten beruhigt: « Die Tourengänger mussten sich nicht auf einzelne Schönwetterperioden konzentrieren. Das beruhigte die Stimmung auch in den Walliser SAC-Hütten grundsätzlich », weiss Anthamatten. Dass im Saaser Tal im vergangenen Jahr trotz der vielen Gäste und grosser Steinschlaggefahr kaum Unfälle passiert sind, ist für den Hüttenwart der Almagellerhütte das « Tüpfelchen auf dem i ». Nicht alle haben profitiert Trotz des schönen Wetters haben nicht alle Hüttenwarte von einem erfreulichen Jahr zu berichten. Der Hüttenwart der Saleinaz-Hütte, André Rieder, macht sich Sorgen: « Wir haben mit 900 Übernachtungen in der Sommersaison gegenüber früheren Jahren eine Einbusse von rund 10% zu verkraften. Der Einbruch der Übernachtungszahlen ist zwar momentan wirtschaftlich nicht so tragisch, weil die Saleinaz-Hütte, die der SAC-Sektion Neuenburg gehört, von verschiedenen Freiwilligen betreut wird und niemand direkt davon leben muss. Die Schwierigkeiten sind aber grundsätzlicher Natur. Bergsteiger suchen entweder extreme Herausforderungen oder dann nahe liegende ‹Genuss›-Gipfel. Bei uns ist der Hüttenzustieg für Wanderer nicht selten zu steil und für Alpinisten zu lang. Die Gipfelziele ihrerseits sind von der Hütte aus nicht innert Stundenfrist zu erreichen, was sich zunehmend negativ auf die Besucherfrequenz auswirkt. Dazu kommt, dass die Zahl jener Bergsteiger zunimmt, die im Winter die unbewartete Saleinaz-Hütte ohne zu bezahlen als Refugium benützen. Entsprechend gross ist der finanzielle Schaden. » Rieder wünscht sich da bei den Bergstei-

Obwohl der Zustieg zur Hollandiahütte, 3240 m, am Übergang vom Lötschental zum Aletschgletscher, wegen der vielen Gletscherspalten zeitintensiver wurde, blieben die Hüttengäste nicht aus. Hütten, die sich in der Nähe von Gletschern befinden, hatten während des aussergewöhnlichen Sommers 2003 keine Wasserprobleme, so auch die Hollandiahütte.

Fotos: Archiv SAC/Christoph Aebischer DIE ALPEN 1/2004

gern einen « neuen Geist » – oder jenen alten, bei dem die Verantwortung für die Hütten eine Selbstverständlichkeit war.

Rekordverdächtige Zahlen freuen den SAC Trotz vereinzelter Hiobsbotschaften ist Bruno Lüthi, Bereichsleiter Hütten SAC, überzeugt, dass die Alpen und mit ihnen auch die SAC-Hütten eine Renaissance erleben. Das bisherige Rekordjahr war 1990 mit insgesamt knapp 330 000 Übernachtungen in den rund 150 SAC-Hüt-ten. Daraufhin sanken die Übernachtungszahlen stetig. Erst in den letzten Jahren konnte der Negativtrend gestoppt werden. « Der Jahrhundertsommer 2003 hat nun aber unsere Erwartungen übertroffen », freut sich Lüthi. « Das sichere Bergwetter und der Umstand, dass viele Sonnenhungrige den Charme der Heimat neu entdeckten, bescherten zahlreichen SAC-Hütten in der laufenden Saison rekordverdächtige Übernachtungszahlen. » Das bringt auch dem SAC eine gewisse Entlastung: « Werden die Hütten reger benutzt, können die grossen Investitionen in die Infrastruktur unserer Hütten eher amortisiert werden », sagt Bruno Lüthi. Zugenommen haben nicht nur die Übernachtungszahlen von Alpinisten, sondern auch jene der Tagesgäste, insbesondere in den tiefer gelegenen SAC-Hütten. Dies ist nicht allein auf den Supersommer zurückzuführen, sondern auch auf die Marketinganstrengungen der letzten Jahre sowie auf die steigende Mitgliederzahl des SAC.

Einige Hüttenwarte haben die Zahl ihrer Gäste bewusst eingeschränkt. « Die Überbelegung einer Hütte darf nicht zum Normalfall werden, denn unter zu

den Gästen auch viel Spass: Hüttenwartsfamilie Jauch auf der Windgällenhütte Der Hüttensommer brachte den Hüttenwarten überdurchschnittlich viel Arbeit, aber dank der guten Stimmung unter Das beständige Sommerwetter wirkte sich allgemein beruhigend auf die Gäste aus, die Angst vor Wetterumstürzen war minim. Windgällenhütte Fo to :T omm y Dä twy le r Foto: Tommy Dätwyler DIE ALPEN 1/2004

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engen Platzverhältnissen leiden nicht nur die Hüttenwarte, sondern auch die Gäste », betont der Bereichsleiter Hütten beim SAC und fährt fort: « Sobald die Nerven blank liegen, wird die Zusammenarbeit schwierig, das Arbeitsklima belastet und die Stimmung bei den Gästen gereizt. Das wirkt sich grundsätzlich negativ aus, denn viele Hütten leben auch von der Mund-zu-Mund-Propa-ganda zufriedener Berggänger .» a

Tommy Dätwyler, Kölliken

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