Punteglias
EIN ANMARSCH VON WALTER BOPP, WINTERTHUR
Mit 3 Abbildungen ( 207-209 ) Da mein Freund Martin und ich erst am späten Abend in Linthal wegkamen und wir den Weg in der Dunkelheit mit unseren schweren Säcken bis zur Bifertenhütte scheuten, hatten wir in der M uttseehütte genächtigt. Nach wenigen Stunden Ruhe standen wir, als der junge Frühsommertag anbrach, bereits beim Einstieg in den Bänderweg am Bifertenstock. Wir hatten die Absicht, über die « Bänder »-Bifertenstock-Südgrat-Obere Frisallücke nach der Puntegliashütte zu gelangen, um von dort aus während einer Woche mit dem Führer Adolf Caduff Bergfahrten zu unternehmen.
Zu unserer grossen Enttäuschung stellten wir fest, dass jetzt, Ende Juni, das Band noch knietief mit Schnee aufgefüllt war. Schon letztes Jahr - damals war es anfangs Herbst, und eine Schlechtwetterperiode war vorangegangen - mussten wir nach äusserst mühsamem Schneewühlen nach dem ersten Kessel den Rückweg antreten und der vorgerückten Zeit wegen nach Brigels absteigen.
Es folgte nun der Abstieg zur Bifertenhütte, wo wir zum zweitenmal frühstückten und den Entschluss fassten, von der Akademikerhütte aus direkt ins Val Frisai hinabzusteigen, um, wie wir glaubten, uns den Umweg über die Rubialp zu ersparen. Am Anfang ging es leidlich gut. Dann wurde der Hang nicht nur steiler, sondern auch nässer. Felsbänder und Plattenschüsse zwangen uns zum seitlichen Ausweichen. Da jeder von uns glaubte, den günstigeren Weg gefunden zu haben, ging es auf diese Art nach links und nach rechts, hinab und sehr oft wieder ein gutes Stück hinauf. Die Sonne brannte immer heisser, die Säcke drückten immer mehr, und wir wurden immer schweigsamer. Oft mehr rutschend als gehend, fanden wir dann endlich den Anfang einer Wegspur, welche vom Fusse der mächtigen Bifertenwand weg zur Talsohle führte. Dass wir mit dieser vermeintlichen Abkürzung viel Zeit und Kraft verloren hatten, erwähnte keiner von uns beiden. Das Gespräch war übrigens schon längst verstummt. Wir stolperten durch die Steinwüste dem Flem entlang aufwärts, und wenn ich von Zeit zu Zeit den Kopf hob, so war der das Tal abschliessende Piz Frisai immer noch gleich weit entfernt. Unsere Lasten, Proviant für eine Woche, hatten wir gleichmässig aufgeteilt, bis auf das 30-m-Hanfseil, welches vereinbarungsgemäss abwechslungsweise hätte getragen werden sollen, jedoch infolge Abbruch jeglichen Gespräches immer noch meinen Rucksack zierte. Damals gab es noch kein Projekt für einen Stausee im Val Frisai, sonst hätten wir uns vielleicht gefragt, ob man wohl eines Tages einen Teil des Weges zur Untern Frisallücke mit dem Motorboot zurücklegen könne!
Die Mittagszeit war schon längst vorüber, als wir auf der Untern Frisallücke anlangten. Ich setzte mich an der tiefsten Stelle des Überganges nieder. Martin suchte sich einen Sitzplatz ausser meiner Sichtweite aus. Jetzt sahen wir auch, dass in den Kesseln noch so viel Schnee lag, dass wir kaum durchgekommen wären. Nach einer längeren Rast seilten wir uns für den Abstieg auf den Punteglias-Gletscher an. Erfreut stellte ich fest, dass mein Sack nun doch leichter geworden war. Mein Kamerad fand zwar, dass auch der seinige an Gewicht abgenommen habe. Rasch kamen wir tiefer. Die uns schon von früher her bekannte, kurze Abseilstelle bereitete uns keine Schwierigkeiten; dann über Geröll absteigend, befanden wir uns bald auf dem Gletscher und grüssten unsere alten Bekannten in der Runde, wovon wir einigen unseren Besuch in den nächsten Tagen in Aussicht stellten. Unsere schlechte Laune war verflogen. Im Angesicht der Berge, die wir in den nächsten Tagen zu besteigen gedachten, besprachen wir nochmals unser Programm, vor allem die Überschreitung des Urlaun-Nordostgrates und der Brigelser Hörner. Auch die Frage, wer auf diesen Touren in der Mitte gehen sollte, wurde angeschnitten. Wir wurden uns einig, diese Entscheidung dem Führer zu überlassen. Wir freuten uns auch auf die stillen Hüttenabende; denn um diese Jahreszeit hat es gewöhnlich auf Punteglias keine Besucher.
Als wir noch ca. 200 m von der Hütte entfernt waren, sahen wir eine Frau im nahen Gletscherbach Wasser holen. Wir liessen uns auf den nächsten Block nieder und gaben mit sehr bewegten Worten unserer Enttäuschung Ausdruck, dass sich nun auch auf Punteglias Hüttenwanzen eingenistet hätten. Als wir unsere Kröpfe geleert hatten, begaben wir uns in die Hütte, stellten unsere Säcke auf die Bank und antworteten auf den freundlichen Gruss dieser Frau mit Gebrumm. Während wir uns am Bach erfrischten, stiess Adolf Caduff zu uns, und sofort waren wir im schönsten Plaudern. Auf einmal rief eine Stimme zum Essen. Es war die « Hüttenwanze ». Adolf stellte uns nun seine Frau vor! Er erklärte uns, er habe angenommen, es sei für uns eine Erleichterung, wenn wir uns während dieser Woche nicht mit Kochen und Hausgeschäften abgeben müssten. Er habe deshalb seine Frau gebeten, auf Punteglias mitzukommen Während des Essens stellten wir dann fest, dass Maria Caduff nicht nur eine hübsche Bündnerin, sondern auch eine gute Köchin ist. Auch sorgte sie dafür, dass abends in der Hütte die fröhliche Stimmung allzu langes Fachsimpeln verdrängte.
Nach dem Essen wurde noch die Marschbereitschaft für die morgige Tour erstellt. Martin suchte seine Steigeisen. Er konnte seine « 10-zackigen Eckenstein » nirgends finden. Auf einmal erinnert er sich, seine Steigeisen bei der Rast auf der Untern Frisallücke ein wenig abseits von seinem Sitzplatz, gut sichtbarauf einen grossen Stein gelegt zu haben. Und nun? Wegen diesen Steigeisen wollten wir unser Programm, in welchem die Untere Frisallücke nicht berücksichtigt wurde, nicht ändern. Adolf war der Auffassung, dass unsere Dreierpartie auch mit zwei Paar Steigeisen auskommen werde, indem Martin einfach in die Mitte genommen werde. Somit war auch die Frage « Mittelmann » entschieden!
Wenn man den « Erlebnis-Rucksack » vom Val Punteglias ausschüttelt
VON JAKOB SCHILTKNECHT, BETSCHWANDEN.
Mit 2 Abbildungen ( 210, 211 ) « Chlaus » Wir stehen am Truner Bahnhof. Der Jutesack mit den Reepschnüren und neuen Seilen vom Vorunterricht gibt seinen Inhalt her - um die Säcke noch mehr zu beschweren. Denn die Verpflegungspakete samt den Konfitürenkesseln sind aufgebunden. « Sind überhaupt alle zur Tourenwoche Angemeldeten da? » Ich klaube den zerknüllten Zettel aus dem Hosensack. Den Zettel mit den mir zum grossen Teil unbekannten 30 Namen. Niklaus aus dem Toggenburg fehlt. Da kommt aber der Bahnhofvorstand - er hat uns in früheren Tourenwochen schon manchen kleinen Dienst erwiesen: « Ein Niklaus hat eben telephoniert und gesagt, er werde mit einem späteren Zug herfahren und allein zur Hütte aufsteigen. » Nun gut, das haben andere auch schon gemacht - denke ich. Ganz für mich bin ich ein wenig zornig auf diesen Niklaus. Ein Träger weniger. Und die Erfahrung hat mich gelehrt, dass man unbekannten Nachzüglern lieber kein Proviantpaket zurücklässt. Anderseits haben wir die Gewohnheit, sämtliches Material für die ganze Woche gleich beim Aufstieg zur Hütte mitzunehmen. Warum auch? Nun - die sollen gleich am ersten Tag spüren, wie sie zusammengehören. Und zudem: Die Zeit dort oben ist kostbar. So folgte die Gewichtskontrolle, wobei man dann immer die Postur und das Gesicht des Trägers mit dem Gewicht der Last vergleicht - und sich oft täuscht. Ich lade nicht mein Maximum. Denn erstens « habe ich » zehn Jahre mehr als die andern - und zweitens erweist es sich meistens schon bei der Brunnenstube oben, dass mehrere beim Beladen des Sackes gar nicht an einen Aufstieg gedacht haben. So auch diesmal: Es « preicht » mir noch einen Konfitürenkessel. Nun haben wir links ganz nahe den Bach. O Bach! Wie oft labtest du uns an heissen Aufstiegen um die Mittagszeit. Nicht dass wir aus dir getrunken hätten. Aber der feine weisse Staub, den du schäumend von dir gibst! Und der kühle Luftzug, den du auf deiner schnellen Reise zum Rhein mit dir nimmst. Heute kommst du mir fast ein wenig zu nass vor. Denn es kann sein, dass es auch aus den grauen Schwaden am Piz Ner und am Cavestrau zu regnen beginnt. Zudem: Ein Teilnehmer hat sein Brot schlecht aufgebunden - es fällt vom Sack und rollt hochkant zum Bach hinunter, dieses gute flache Rundbrot. Wir holen es wieder - aber es ist nass. Solche und andere Zwischenfälle können mich drücken, dass jedes Kilo ein doppeltes Kilo zu werden droht. Auch dieser Niklaus beschäftigt mich heute!
Der neue Geiss- und Rinderhirt auf Puntegliasalp ist menschlicher und gemütlicher als ein früherer. Jener wollte mir einmal zwei Franken für einen Liter Geissmilch abverlangen. Dabei hatte ich damals einen ganz besonderen Durst. Ich war wütend und liess ihn das merken, worauf er aufgeregt erwiderte: « Sie sinn Patron und i binn Patron - Sie könn grad mähe wiä Sie wann. » Er hatte natürlich recht, und ich stieg ohne Milch weiter. Der neue Hirt bringt ein paar Tage später, als wir unser paar eine Verunfallte ins Tal getragen haben und wieder aufsteigen, von sich aus Milch und will nichts dafür. Worauf wir ihm auch von uns aus den Liter mit zwei Franken bezahlen.
Aber nun wollte ich ja von Niklaus berichten. Das ist bald berichtet. Er kam nicht. Es gab nach jenem ersten Tag eine besonders dunkle Nacht. Es rieselte draussen. Öffnete einer die Haustüre, so fetzte der Nebel bis in die Stube. Diese Hütte! Sinnbild der Geborgenheit. Was braucht es anderes! Mit dem vollen Teekrug kehrt man sich am Kochherd um und stellt ihn gleich auf den ersten Tisch. Wie immer - so schlössen wir auch an diesem Abend den Tag draussen vor der Hütte mit einem Lied und kurzem gemeinsamem Gebet. Mittags darauf nützten wir eine Regenpause, um durch den Abbruch des Puntegliasgletschers zu steigen. Jede Partie eine eigene Route. Doch das in der Flanke des Bündner Tödi widerhallende Geräusch vom Hacken im Eis verstummte bald. Da und dort sah man plötzlich statt eines Mannes einen aufgespannten Regenschirm. So brachen wir die Übung ab und wanderten über die Mittelmoräne zurück. Sie wies uns im Nebel den Weg. Wir hatten uns damit abgefunden, dass ein Teilnehmer - offenbar wegen des schlechten Wetters - gar nicht von zu Hause weggefahren war. Aber dann kam er doch, abends 6 Uhr tauchte sein Kopf hinter dem Hüttenmäuerchen und zugleich aus dem Nebel auf. Was er berichtete, war so spannend, dass sich alle um ihn scharten, zuhörten und lachten. Ich kann es nur stichwortartig wiedergeben: 24 Stunden hatte er für den Aufstieg zur Hütte gebraucht. Im Nebel die Wegmarken an den Blöcken verloren; aufgestiegen, bis es zu steil wurde, abgestiegen in die Mulde mit den Felsblöcken, unter einem solchen schlotternd den Morgen abgewartet; um 4 Uhr in der Früh wieder ein Versuch, die Hütte zu finden; wieder zurück dem Bach entlang; die richtige Route mit den rotweissen Wegzeichen war ihm erst am frühen Nachmittag begegnet. Wirklich ein « Chlaus ».
Punteglias ( Aus einer Beschreibung im Buch « Die offene Welt » ) Wie oft hausten wir in jenem kleinen Gletscherhochtal! In einer halben Stunde hatten wir es der Länge nach durchmessen. Zu drei Seiten des Tales ragten dunkle, teilweise granitene Zacken in den blauen Himmel Neben unserer Hütte zwängte sich schäumend der Bach, der einige hundert Meter weiter hinten das Gletschertor verlassen hatte, durch den Felseinschnitt, und stob donnernd in die Tiefe. Felsblöcke, die sich an Wänden gelöst hatten - ihre Aufschläge hörten sich an wie Schüsse aus schwerem Geschütz - und dieses Wasser und zuweilen ein Schaf, das sich aus der Herde verloren hatte und nun blökte, verursachten die einzigen Geräusche. Sie hoben sich als solche ab von der Stille. Da war Menschenwerk und also auch menschliche Sicherung beinahe ausgeschaltet. Wir standen auf Boden, der die Spuren eines Jahrmillionenwerkes trug. Das zog uns an: unsere Gummisohlen aufzusetzen, wo niemand einen Weg ausgehauen hatte und, wo es der Berg forderte, mit dem Pickel Trittlein für den Fuss aus dem blauen Eis zu hacken. An manchem Morgen querten wir jauchzend den Bach über die Steine, die dem schäumenden Wasser standhielten, und rangen dann manche Stunde um eine gangbare Route durch den Felsen zum Gipfel. Hunger, Durst, jene Müdigkeit, die entsteht, wenn der Fels dem Körper und der Seele zu schaffen macht, nahmen wir auf uns. Abends empfanden wir doppelt wohlig die Geborgenheit der einfachen Hütte und des Herdfeuers. Da klang das Lied auf. Und es klang aus der Seele, die dankte für Geborgenheit und Gemeinschaft. Und das Lied hatte darum etwas von der Urkraft zurückgewonnen, die jeden, der es hört, packt. Vielleicht hatte es diese Urkraft, weil die Natur in ihrer Gewalt uns Jungen unsere Ungeschütztheit wissen und uns für die Geborgenheit dankbar werden liess. Dann wiederum stand das Hüttlein alleine. Es hatte die wilde, bizarre Umgebung verloren: Nebel strichen am Mäuerchen vorbei. Der Regen, vom Winde aus der Fallrichtung getrieben, peitschte ins Gesicht. Es galt, den Felsblock aus den Sonnentagen wiederzuerkennen. In ständiger Anspannung schritten wir in der uns gebotenen Richtung, unsere Augen spähten auf die Firnfläche, die für uns auf wenige Meter zusammengeschrumpft war, ob da Spalten oder alte Tritte sich aus dem dämmerigen Weiss abhoben. Jenes Tal ist so klein, und doch: Wie viel Abenteuerliches lässt sich da erleben.
Bundesfeier - einmal anders Es war ein warmer sonniger Tag, jener 1. August. 7 Uhr war es - glaube ich -, als wir mit den 30 jungen Touristen den Bach querten. Dort, wo Lawinenschnee vom Frühjahr eine Brücke bildete. Der Ostgrat des Posta Biala ragte zackig gegen das Blau des Himmels. Wir teilten die Gruppe in kleine Grüpplein. Gewandtere Gänger stiegen am Piz Tgietgen ein; andere, welche es gemütlicher haben wollten, erst vor den Gratgendarmen, wieder andere erst bei der kleinen Wand vor dem Ostgipfel, und die geruhsamsten Leute zogen es vor, durch Firn und jenes Couloir mit den losen Steinen direkt zum Gipfel zu steigen. Jeder Gruppe hatte man einen gewandten, ortskundigen Mann beigegeben. Früher hatten wir auf diesem Grat noch die Ritzen nach Kristallen abgesucht, jedoch nie grössere gefunden. Ich glaube, es ist auch nicht sehr klug, dort oben zu suchen. Diesmal jedenfalls suchten wir nicht und fanden uns ohne Hast in recht kurzer Zeit auf dem Gipfel. Noch immer fühlten wir uns tatkräftig wie am Morgen. Gewöhnlich haben wir auf jenem Gipfel gejodelt, möglichst appenzellerisch. So auch diesmal Im übrigen sassen wir da und staunten in die Bergwelt hinaus. Ohne Gefahr konnten wir die Leute auf dem Firnschnee abrutschen lassen. Am Nachmittag fanden wir uns zur Aussprache. Wie immer an schönen Tagen draussen auf jener kleinen grünen Terrasse, von der man nach Trun und in die südlichen Berge sieht. Kurzes, drahtiges Gras. Ein Stück Natur, welches der anderen Natur abgerungen wurde. « Könnten wir nicht » - so lautete mein Vorschlag nach unserer Aussprache - « den Geburtstag der Eidgenossenschaft heute dort oben feiern? » Ich zeigte auf den Bündner Tödi. Wir liessen es halb 7 Uhr abends werden und verliessen dann die Hütte. Für das Feuer hatten wir kein Holz, jedoch Fackeln. Die im Glarnerland sollten das Feuer auf dem Bündner Tödi sehen. Hinten beim Talschluss überlegte ich, ob es nicht noch reizvoller wäre, wenn gleich auf zweien von diesen Bergen ein Feuer angezündet würde. So beauftragte ich sechs geübte Leute, mit ebensovielen Fackeln über den Südgrat zum Piz Urlaun aufzusteigen. Abmachung: « Wir warten auf Euer Feuerzeichen auf dem Piz Urlaun und zünden dann unsererseits an. Treffpunkt wiederum im Talabschluss zwischen halb 11 und 11 Uhr. » - Wir trennten uns. Und bald trennte uns auch die Dunkelheit. Im steilen Stück unter der Bifertenlücke beleuchteten einige Lampen die Tritte. Merkwürdig: Die teilweise ungewohnten Bergsteiger - vor allem auch die Mädchen - stiegen mit grösster Selbstverständlichkeit. Sie sahen nur den nächsten Tritt. Der war gross genug. Alles andere war in Dunkelheit gehüllt. Dann standen wir oben. Stossweise war der Föhn im Anspringen. Aber noch immer war es klar - um uns und über uns. Kein Anzeichen von einer Föhnwand, die sich hier so schnell bildet und den Aufenthalt zu etwas sehr Ungemütlichem werden lässt. Drüben Braunwald, unten die Tallichter bis Schwanden. Links, überragend, die breite, dunkle Masse des Tödi; nur schwach hob sich das Firnweiss aus der Dunkelheit. Tief unten ein Lichtlein: Die Fridolinshütte. Wir warteten. Und spähten schräg aufwärts zum Urlaun. Kein Zeichen. Nach einiger Zeit gewahrten wir doch etwas wie ein Lichtzeichen. Aber kaum von einer Fackel. Doch zündeten wir unsererseits die Fackeln an. Der Wind verzögerte dies. Nun standen wir auf diesem Grat, nebeneinander. Wir freuten uns des kindlichen Schauspiels - und waren viel mehr noch beeindruckt vom Schauspiel der nächtlichen Berg- und Gestirnwelt. Ein Gefühl leidenschaftlicher Zugehörigkeit zu dieser Bergheimat mit ihren geistigen und naturhaften Werten überkam uns. Manches aus dieser Schar mochte das hier zum erstenmal deutlich empfinden. Da entglitt einem Teilnehmer die Fackel; brennend rutschte sie über die eisige Nordflanke des Bündner Tödi auf die Glarner Seite hinunter. « Wenn nur der Güscht in der Fridolinshütte nicht meint, es sei jemand gestürzt » - dachte ich. Nach einer Weile war es mir wirklich, ich sähe ein Lichtpünktlein sich von der Hütte Richtung Grünhorn entfernen.
( Später sagte er mir, er hätte alles gesehen, und auch ohne weiteres angenommen, dass die Fackel allein runtergerutscht sei.Während des Aufstiegs hatte ich mir Gedanken gemacht über eine Ansprache, die ich hier oben zu halten hätte. Aber nun hatte ich die nötige Ruhe nicht mehr. Denn noch immer war vom Urlaun her kein deutliches Feuerzeichen zu gewahren. So wurde die Ansprache noch knapper als vorgesehen, und wir machten uns gleich nach dem Lied an den Abstieg. Wohl dachte ich, der Wind habe dort oben das Fackellicht nicht aufkommen lassen. Aber schliesslich konnte ja auch anderes passieren. Am Treffpunkt keine Spur von den Kameraden. Wir liefen auf der Moräne talauswärts bis zu dem Punkt, da man Vorgipfel und Grat des Urlaun sah. Und spähten hinauf. Die Mehrzahl schickte ich weiter zur Hütte und behielt nur vier Kameraden bei mir. Wir spähten zum Grat, bis das schwache Licht der Sterne unmittelbar darüber zu tanzen begann. So vermuteten wir das Licht der Kameraden da und dort, um einige Sekunden später feststellen zu müssen, es sei Sternlicht. Dann aber auf dem Vorgipfel deutlich feststellbares Lampenlicht. Wechsel zwischen Erlöschen und Aufleuchten. Daran schloss sich bei uns die Befürchtung, es sei etwas passiert. Es brauchte nur noch die schwachen Rufe, die ich in regelmässigen Abständen zu hören vermeinte, um zwei zur Hütte zu schicken. Sie rannten davon, um die Bahre zu holen. « Wir treffen uns auf der oberen Puntegliaslücke - oder geben dort Meldung » - rief ich nach. Und gleich rannte ich mit den anderen zwei Kameraden bergwärts über das Riff aus Rötidolomit. Wir waren der Puntegliaslücke nahe, als lachend und übermütig unsere Urlaunbesteiger sich näherten. « Die Fackeln wollten nicht brennen, der Wind war zu stark. Und vorne auf dem Vorgipfel haben wir noch etwas gegessen - und auch gejohlt » - war die Auskunft, die wir erhielten.
Bifertenstock - zu rasch Es hatte während der ganzen Tourenwoche geregnet. Das heisst, der Regen war dann in Schneefall übergegangen. Unter den Teilnehmern - alles Studenten - waren geübte Alpinisten. Bei diesen nun staute sich der Tatendrang recht ordentlich - und wollte vor dem endgültigen Abstieg gestillt werden. Am Tag vor der Abreise strahlte jenes klare Wetter, welches man oft bei unsicherer Wetterlage nach längeren Niederschlägen antrifft. Mit grossem Krafteinsatz - alle 20-50 Meter musste man jenseits der Gliemspforte im Spuren abwechseln - waren wir den Weg zum Piz Rusein gegangen. Und nun war der Tag der Abreise nahe. « Könnten wir nicht ganz früh aufstehen und noch einen dieser Berge besteigen? », war die Frage einiger Kameraden. « Also wir gehen um 3 Uhr, um 11 Uhr aber müssen wir hier bei der Hütte sein », meine Antwort. So hielten wir es. Noch sehe ich das Dämmerlicht. Wir waren im schuttigen Abhang der oberen Frisallücke. Der Tödi bekam rotes Morgenlicht. Und unmittelbar darauf in der westlichen Ferne auch das 900 Meter höhere Weisshorn. So deutlich hatte ich es noch nie gesehen, dass der Tag im Osten beginnt und sich nach Westen verschiebt. Um halb 6 Uhr hatten wir - bei der Kälte dauerte es nicht lange - auf der oberen Frisallücke unser zweites Frühstück eingenommen Und auch die Südwand des Bifertenstocks betrachtet. Auf den Platten unter dem Gipfelabsatz lag etwas verkrusteter Schnee, der uns gut vorwärtskommen liess. Ausgiebig genossen wir die Sicht: im Osten der Ortler, dann mehr südlich den Bernina, die Disgrazia, westlich die Walliser Berge bis zum Mont Blanc, nördlich war das Land bis über den Bodensee zu schauen. Und alles in jener erquickenden Morgenfrische. Wir wanderten über den Grat ostwärts gegen den Vorgipfel und stiegen am tiefsten Punkt, wo unten der Firn weit hinaufreicht, ab, querten den Frisalgletscher und stiegen ins oberste Stück des Val Frisai ab. Dieses Stücklein kahle Welt, fast immer schattig und düster, scheinbar ohne Ausgang, beeindruckt mich jedesmal neu. Dann schlüpften wir durch die untere Frisallücke, hinab durch diese erstaun- liehe Rinne mit den spitzen aufstehenden Steinchen im oberen Teil. Und schliesslich die Geröllhalde. Mein linker Fuss fürchtet diese, besonders wenn sie mit grösseren Steinen übersät ist. Wirklich stehen wir um halb 11 Uhr bei unserer Puntegliashütte, mit der uns so viele inhaltreiche und erquickende Stunden verbinden. Die Kameraden haben längst die Decken ausgeschüttelt und die Hütte für die nächsten Besucher in Ordnung gebracht. Und wir schämen uns ein wenig unserer Unkameradschaftlichkeit. Von diesem Tag weiss ich nur noch, dass wir in Trun sehr verschwitzt in die Bahn stiegen und ich selbst noch vor Tavanasa mit dem Kopf gegen eine Ecke des Gepäck-halters schlug. Nur eine Beule. Man sollte nicht so schnell in den Bergen herumrennen - nicht bloss wegen der Beulen, die es geben kann.