Ostern im Gebiet des Grossen Venedigers
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Ostern im Gebiet des Grossen Venedigers

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VON PAUL THÜRER, ZÜRICH

Mit 1 Bild ( 1 ) Als sich unsere Skifahrerträume über die Landesgrenzen hinaus zu bewegen begannen, da hatten der Venediger und sein Hoheitsgebiet eine besondere Anziehungskraft. Das mag auf eine Gedankenverbindung mit der Dogenstadt zurückzuführen sein, denn der Berg, der ihren Namen trägt, musste so illuster sein wie diese selbst. Aber für mich kam noch etwas Geheimnisvolleres dazu. Von den vielen Sagen, die ich seit der Bubenzeit mit Vorliebe gelesen habe, sprachen mich jene, in denen von den « Venedigern » erzählt wurde, besonders an. Das sind jene spukhaften Männchen, die sich in den Bergen herumtrieben, wo sie Schätze suchten; sie waren aber auch des Bannens mächtig. Und schliesslich gesellte sich noch dazu, dass laut Berichten der Venediger mit alle dem aufwarte, was das Herz eines alpinen Skifahrers sich nur wünschen kann.

Es ist ratsam, einen Führer in Dienst zu nehmen. Wir hielten uns an unseren Freund Ernst Senn aus Innsbruck. Und es ist ratsam, an Ostern als Standquartier nicht die zwar ideal gelegene Kürsingerhütte, sondern die Warnsdorferhütte zu wählen, wo man sich einigermassen vertun kann und vortrefflich aufgehoben ist. Man muss sich aber klar sein, dass es vom hintersten Dorf im Pinzgau, Krimml, sechs wohlgezählte Stunden zu tippeln gibt. Dafür braucht man keine Verpflegung mitzutragen, denn die Hütte ist bewirtet, was für einen richtigen, asketischen und den Statuten verpflichteten SAC-Mann zwar eine Sünde wider den Geist der Berge ist, die er aber, jedenfalls ausserhalb der helvetischen Lande im Gefühl der Exterritorialität, guten Gewissens nicht ungern begeht.

Gewaltig ist die Ouvertüre. Sie hebt an mit einem tiefen, melodiösen Dröhnen. Es steigert sich zu einem Tosen, sobald man gleich hinter dem Dorf in die Nähe des untersten der berühmten Krimmler Wasserfälle gelangt, die ihresgleichen nicht haben. In halber Fallhöhe schauen wir lange in ihre Lichtfülle und Wucht. Sie singen den Choral des Bergs. Es fällt mir mein alter Violinlehrer ein, der aus jedem Wasserfall den diesem eigenen Akkord heraushörte und aufschrieb. Als Beschenkte steigen wir den Tann hinauf, vorbei an einem Gasthaus, vorbei an den obern Fällen, vorbei auch an der düstern Stätte eines Lawinenunglücks, wo die Leute der Bergrettungswacht soeben das letzte Opfer geborgen haben und unserm Vorhaben recht skeptisch gegenüberstehen. Es hätte der Ermahnung indes nicht bedurft, denn der unter Tannreisern ruhende Tote bedeutete Warnung genug. Zudem war leicht zu sehen, dass die Berglehnen kahl waren und sich ihrer labilen Schneelasten entledigt hatten. Vorsicht war gleichwohl geboten, und es sind denn auch unmittelbar vor unserm Durchziehen noch zwei Lawinen abgefahren, denen man indes ausweichen konnte. Im übrigen ist das Tal nicht lawinengefährlicher als manches andere auch.

Halbwegs stösst man auf das Tauernhaus, einen Bau aus dem 16. Jahrhundert, mit einer ebenso alten wie behaglichen Gaststube mit einem monströsen Ofen. Wir stärken uns und stapfen dann weiter talein durchs Rainbachtal. Schlurfend schleifen die Ski im aufgeweichten Schnee. Der Wald verliert sich gegen die Gletscherzunge des Krimmlerkees'hin. Man wird sich bewusst, dass hier die Gletscher von « Ferner » auf « Kees » umgetauft sind, ein ursprungsdunkles, vermutlich keltisches Wort. Die Steigung nimmt zu. Im Abendlicht ersteht vor uns die Dreiherrenspitze, der Berg, der uns in den kommenden Tagen immer wieder faszinieren sollte, und man spürt plötzlich: jetzt entsteigt man den Tälern, jetzt beginnt die eigentliche Tour, jetzt haben wir das Reich unseres Bergs betreten. Er fordert uns auch gleich heraus, denn die Hänge werden steil und hart der Schnee. Der Kundige weiss Bescheid!

Wir werden in der Wamsdorferhütte ( 2236 m ) aufs freundlichste willkommen geheissen und der österreichischen Gemütlichkeit teilhaftig. Man ist hier nicht blosser Konsument. Man weist uns ein kleines, arvengetäfeltes Schlafgemach zu. Hier wohnt Heimeligkeit mit uns.

Für den Beginn schlägt uns der Führer, eingedenk der Mühsal des Aufstiegs, eine Tour zum nur 1000 Meter höher gelegenen Sonntagsjoch vor. Der Samstagmorgen sieht uns daher zunächst übers Käferfeldkees dem Krimmler Törl zustreben und dann, nach Nordosten biegend, in das Sonntagskees einschwenken. Auf dem Joch nehmen wir mit den Augen Mass an den Bergen ringsum, vor allem an der Dreiherrenspitze, so geheissen, weil hier dreier Herren Reiche zusammenstiessen ( die Grafen von Görz und Tirol und der Erzbischof von Salzburg ). Kühl und majestätisch schwingt sie sich ins Himmelsblau. Schaufreudig schweifen die Blicke vor allem über das Umbalköpfel, die Simonyspitzen und die Maurerkeesköpfe hinüber zum Grossen Geiger und zum Grossen Venediger. Noch ehe wir uns ausgeschaut, vertreibt uns ein garstig fauchender Wind. Zügig fahren wir zum Krimmler Törl ab, machen noch der aussichtsreichen Gemsspitze unsere Aufwartung, künsteln im krustigen Schnee zur Hütte hinunter, wo das Dachtrauf singt, und geben uns dem Hüttenleben hin. Wir bedürfen nichts mehr - höchstens noch eines Zutrunks.

Strahlend bricht der Ostersonntag an. Hier oben sind noch keine Bäche vom Eise befreit, und es gibt noch keine Spaziergänge im Gedenken an Faust zu machen, aber auf den Gletschern ist doch schon die Kleinlebewelt der Insekten erwacht, und es stellen sich österliche Gedanken ein, wenn die Welt aus schwerer Schattennacht zum lichtesten Sonnenglanz aufersteht. Das kräftigt die Seele. Wer wüsste jetzt nicht von Gott?

Es gilt heute dem Mittleren Maurerkeeskogel ( 3281 m ). Er thront über dem wilden Krimmlerkees. Hinaufschauend scheint es vermessen, sich in dieses Gletscherlabyrinth zu wagen. Das Eis ist geborsten wie schlecht gelagertes Holz oder als hätte ein Zyklop mit einer Riesenaxt blindwütend Kerben geschlagen und mit Trümmern um sich geworfen. Einmal aber im Abenteuer drin, zeigt sich immer wieder ein Durchpass. Auf rund 2900 m gabelt sich die Route zum Vorderen und Mittleren Kogel. Wir halten südlichen Kurs, immer wieder dicht vorbei an gähnenden grünen und blauen Spalten. Die Sonne empfängt uns. Es geht ein Jubilieren durch die Lüfte. Gegen die Scharte zu wird der Gletscher manierlicher. Wir sind froh, wieder festen « Boden » unter den Füssen zu haben. Von der Scharte, wo man von selbst einen Schnaufhalt einlegt, ist nur noch ein gemächlicher Quergang zu bestehen, einem Himmelsweglein gleich schmiegt er sich in den steilen, teils felsdurchsetzten Hang. Oben ist die Rundsicht überwältigend schön, auch wenn man mit der Austeilung dieser Note sparsam ist. Der Grosse Geiger gibt den Ton an, der Grosse Venediger beherrscht die hintere Kette, in dunstiger Ferne ragt der Grossglockner - lauter Grosse unter ihresgleichen! Der Wind hat sich gelegt. Diese Lautlosigkeit! Man hätte nur einen Glockenton ertragen oder auch gewünscht. Die Abfahrt verlangt äusserste Disziplin, bleibt aber genussvoll. Ohne Aufstiegspur käme nur Seilfahren in Frage. Bei der Hütte erklingt wieder das Dachtrauflied. Noch eine mehr sachliche Bemerkung für Nachfolger: Bei guter Gangart erreicht man den Gipfel in drei Stunden.

Der Montag ist der Tag der Schlieferspitze. Das ist, so wie wir die Tour ausführten, eine kraftraubende, aber dafür eine lohnende Besteigung. Sie hat etwas Geheimnisvolles, weil in diesem Gebiet Edelsteine gefunden werden, deren einer, ein Smaragd, in den englischen Kronschatz wanderte. Zudem sind die ganzen Tauern goldfündig. Auch wir sind vom Goldfieber erfasst, aber unser Sinn steht nach dem Sonnengold auf den Firnen. Es schenkte sich uns an diesem Tag überreich.

Wir nehmen den Weg über das südliche und dann über das nördliche Sonntagskees, traversieren zwischen zwei gut sichtbaren Felsriegeln unter den vielgestaltigen Sonntagsspitzen und Schliefer- türmen und hissen uns zu Ski so hoch wie nur möglich unter die Schlieferspitze, so dass uns nur noch rund 150 Meter als Fusstour blieben. Der Hang mündet in einen schneideförmigen Felsgrat mit etwelcher Kletterei. Das ist die willkommene Überhöhung jeder Skitour. Mit Fug rühmt sich die Schlieferspitze ( 3289 m ) einer prächtigen Aussicht. Nun kennen wir ja « unsere » Berge im Geviert schon. Senn benennt ein Dutzend weitere. Im Westen nehmen sich vor allem die Reichen- und Richterspitze eindrücklich aus. Ein Stück weit öffnet sich unserm Blick das ergrünende Obersulzbachtal. Ein Talweh will uns anfallen ob so viel Verlockung. Sie abzuschütteln fällt leicht in der Vorfreude der Abfahrt. Diese führt östlich über die skigerechtesten Steilhänge zum obern Keesboden im besagten Tal hinab. Es lohnt sich, etwa 250 Meter über dem Talgrund in südlicher Richtung, parallel dem Tal, die Planken unter dem Gletscher zu queren, stets gleiche Höhe haltend, um dann, langsam westwärts ausholend, über das Obersulzbachkees das Krimmler Törl zu gewinnen, eine Route, die sich zwischen den beiden auf der Karte eingetragenen hält. Dem Zauber dieses weiten Keeses kann man sich nicht entziehen. Im Steigen muss man stetsfort Umschau halten, wenn möglich ohne den Rhythmus zu verlieren. Mählich macht sich Müdigkeit bemerkbar, auch wenn bei der Traverse stets in überirdischer Pracht und mit anziehender Macht der Grosse Venediger inmitten des Blickfelds gestanden war. Gegen den Pass hinauf scheint es, als würde der eigene Schatten schwer und als müsste man ihn mitschieben. Gemächlich rüsten wir zur Abfahrt. Erwartungsfroh tritt man ein wenig an Ort und denkt, man müsste für das Abstossen in den Hang ein treffendes Wort haben, verwandt dem Abstreichen des Vogels oder dem Lichten der Segel. Nun, wir feiern Abfahrt, diesmal im besten Sulzschnee, bis uns die Hütte wieder hat. ( Aufstieg zum Gipfel vier Stunden, Rest gute drei Stunden ).

Der Dienstag ist Zügeltag über den Grossen Geiger zur Kürsingerhütte, die sich, wie vom Führer vorausgesagt, beträchtlich entleert hat. Das Frühlicht mit seinen segantinischen gelben und graugrünen Tönungen war längst erloschen, als wir uns in Marsch zum Krimmler Törl hinauf setzen, nun wieder mit unserer ganzen Habe in den Säcken, samt Eisenzeug. Doch niemand wünschte sich einen Lift oder dergleichen. Für den Skitouristen sind und bleiben Aufstieg und Abstieg ein untrennbares Erlebnispaar. Fällt eines aus, verarmt das andere. Und wie könnte man z.B. Geige spielen nur mit Abstrichen und ohne AufstricheUnmittelbar nach dem Krimmler Törl drehen wir in südlicher Richtung ab und nehmen den Aufstieg zum Maurer Törl, dem Übergang zur Rostockerhütte, unter die Bretter. Schon nach einer Viertelstunde können wir jedoch alles Entbehrliche in einen einzigen Rucksack verstauen, denn die Abfahrt wird diese Stelle wieder berühren. Dann freuen wir uns einmal mehr über die prächtig greifenden Harscheisen, die man übrigens hier in ihrem Ursprungsland nur sehr selten trifft, und können uns auf dem Maurer Törl für eine kurze Abfahrt an den Fuss des Grossen Geigers rüsten. Dann ist wieder die Zeit der Felle da, und es geht aufwärts über die faltige weisse Toga des Geigers. Wieder ist die letzte halbe Stunde eine Fusstour. Man darf sich schon be-glückwünschend die Hände schütteln, wenn man droben steht, im Angesicht der sich wie eine Laub-sägearbeit scharf in den Horizont zeichnenden Dolomiten, des grazilen Grossglockners mit seinen Trabanten, des hoheitsvollen Venedigers und der nun entrückten Dreiherrenspitze. Das ist ein Augenfest. Von der Abfahrt ist zu vermelden, dass der Teil über das Obersulzbachkees als etwas Ekstatisches in meiner Erinnerung lebt. Man schwelgt im Wedeln; ja, auch dieses ist keine blosse Spielerei, sondern für den Skitouristen eine höchst brauchbare Kräfteersparnis, namentlich, auch im Neuschnee und durchnässtem Sulz. Und manchmal wird es zur reinen Freude an der Bewegung, fast zum Tanz und zur Lust am Ornament. Wie aus einem Traum erwacht, halten wir im Tale inne. Wir fühlten uns jung und übermütig. Was verschlägt es schon, wenn wir zur Hütte eine Stunde aufsteigen müssen in der nachmittäglichen Hitze?

Die Kürsingerhütte ist eine halbe Siedlung. Wir zählen vier Firste. Der Essraum ist saalartig gross, die Bewirtung ausgezeichnet. In Gedanken gehen wir die sechsstündige Tour zurück. Sind wir beim Geiger, so schweigen wir, sind wir auf der Abfahrt, so geht uns der Mund über. Vor dem Schlafengehen muss man einen Blick auf den Geiger werfen, auf diesen wahrhaft elementaren Berg.

Anderntags ist Abmarsch um sieben Uhr. Wir fühlen uns dem Grossen Venediger gewachsen, dem Berg der grössten Vergletscherung in den Tauern, der vier Grate wie ein Seestern aussendet. Von sieben Hütten aus ist er erreichbar. Er ist aber nach seiner Gestalt auch ein ästhetischer Mittelpunkt. Leichtes Gewölk war diesmal die Himmelszier. Nicht ungern hätten wir die Route über den nordöstlichen Gletscherteil eingeschlagen, aber der Führer versprach sich mehr von der Normalroute.Vier Stunden anregendster Wanderung brauchten wir bis auf die Venedigerscharte, der Senke zwischen dem Grossen und dem Kleinen Venediger. Schon lange bevor man sie erreicht, wird die Szenerie schlechthin überwältigend. Zuerst tut es einem der Nordgrat des Kleinen Venedigers an, dann noch mehr die farbenprächtige Eiswand des Grossen, über welcher uns der zipfelmützenför-mige und kokette Gipfel zuzuwinken scheint. Man darf sich aber nicht nur ablenken lassen, denn die Gletscherspalten liegen auf der Lauer. Der letzte Hang vor der Scharte hat es in sich. Schnaufend und mit dem Gefühl, zu dampfen, überschreiten wir sie ( 3414 m ). Nun umgehen wir den Venediger. Man hält sich mit Vorteil an das obere Ufer des Schlattenkeeses. Plötzlich wirft sich vor uns ein Schneewulst auf. Hier kommt man offenbar bei weniger günstigen Verhältnissen nicht ohne Pickel durch. Wir können ihn sogar mit den Ski bezwingen, und auch die folgende Achsel ist noch ein Stück weit skibar. Dann aber wird sie zu schmal. Man hat die Ski zurückzulassen. Bald darauf verbarrikadiert ein mächtiger Schneemann, ein seltsames Windgebilde, den Pfad. Mit grosser Behutsamkeit wird er umgangen, worauf der Gipfel in Griffnähe ist. Sein Abfall zur Rechten gleicht einer Sphinx aus Eis, auf der andern Seite gieren Gletscherschlünde. Klopfenden Herzens, aber entspannt, stehen wir oben. Wie wallendes, faltenreiches Gewand fallen allseits die Gletscher hinab. Um und um lauter Berge. Schade fast, dass man essen muss, anstatt sich nur der Aussicht hinzugeben. Man spürt die Weihe von Ort und Stunde wie eben nur auf Hochgipfeln. Es vollzieht sich eine Reduktion auf das Unerlässlichste, das wirkt befreiend. So machen Berge Menschen, Menschen für die Täler. Wir fühlen uns zurückversetzt in Stein- und Eiszeit, aber auch aller Zeit enthoben. ( Aufstiegszeit im.ganzen 5-6 Stunden ).

Die Abfahrt ist wunderschön und fast zu leicht. Auf einem Gletscherplateau hocken wir uns hin, machen uns über die Rucksäcke und halten Siesta. Die Sonne scheint fast durch uns hindurch, wir verschmelzen mit der Landschaft, wir dösen und nehmen doch mit geschärften Sinnen die Bergwelt auf, aber auch die Wolken, die heute das belebende Element sind, Wolken, wie sie Hodler gemalt hat. Wir verweilen, bis der Ruf der Hütte unüberhörbar wird.

Schon schreiben wir Donnerstag. Wir haben für heute den Keeskogel ausersehen ( fast 3300 m ). Steil steigt er hinter der Hütte auf. Nach zwei Stunden ist er unser. Die Gipfel, die uns in den letzten Tagen beglückten, schlagen einen mächtigen Bogen um uns. Man kommt sich vor, als sässe man in der Mitte eines riesigen Zifferblattes einer Glücksuhr, und als wären unsere Blicke die Zeiger. Noch einmal wollen wir aller dieser Höhen habhaft werden, es ist die Stimmung begehrlichen Einheimsens. Mit ihr aber gewinnen wir den Berg nicht. Dazu brauchen wir die Stimmung der reinen Schau, des Ruhenlassens und der Ehrfurcht. Es war gut, dass sich auch diese Stimmung auf unserm letzten Gipfel einstellte.

Die Abfahrt vom Keeskogel kann man nur rühmen. Es schien uns, als hätten wir in den letzten Tagen etwas hinzugelernt, denn willig gehorchten die Ski unseren Regungen, ja fast unseren Wünschen. Gegen die Hütte zu steigern wir die Fahrt zu einem schneidigen Finale. Am Nachmittag an- vertrauen wir unsere Säcke der Materialbahn zum Keesboden hinunter, worauf wir uns von den Ski dorthin tragen lassen. Bald schon läuft das Gefälle aus, und man ist froh um jede Spanne Fahrt, die man dem Gelände noch ablistet. Wir kommen an der « türkischen Zeltstadt » vorbei, die aber nur noch ein kartographisches Dasein fristet. Vor Jahren, als die Gletscher noch nicht den Schwund hatten, stiess man hier auf die wunderlichsten Ausgeburten des Gletschers, die Zelten geglichen haben müssen, wenn nicht ein besonders Phantasiebegabter gewöhnliche Séracs so benannte. Das Rätsel wird sich erst lösen, wenn die Gletscher wieder wachsen.

Wir stacheln und schuhen das Obersulzbachtal hinaus nach Neukirchen im Pinzgau, vertrieben aus dem Schneeparadies, aber eingehend in dasjenige des Bergfrühlings. Es rauschen die Wasser, es singen die Vögel, es jauchzt ein Mensch. Wir stossen wieder auf Gold, diesmal auf Primelgold. Den farbigen Akzent aber setzen die roten Flechten oder Algen, eine Kalloplaca oder Trenthepolia iolithus, die hier auf weite Strecken die Steine überziehen. So schön das Wandern durch dieses Tal auch ist, so ergreifen wir die Gelegenheit doch gern, uns in die Kiste eines sogenannten Dreiradl pferchen zu lassen, das uns in Neukirchen vor einem äusserst einnehmenden Gasthaus absetzt.

Die Fortsetzung hätte eine Tour auf den Grossglockner oder in die Kette der Granatspitzen sein sollen. Der Wettergott bestimmte es anders. Oder sollte ein « Venediger » die Hand im Spiel gehabt haben und uns in sein Gebiet gebannt und uns kein anderes gestattet haben? Damit sind wir zum Ausgangspunkt, zu den Sagen, zurückgekehrt.

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