Original aus Fontainebleau Das «Pof», eine fast vergessene Tradition
In den Wäldern von Fontainebleau lassen die richtigen «Bleausards» den Chalkbag noch heute links liegen. Sie schwören auf «Pof»: einen Lappen, in den Kolophonium aus Pinienharz eingepackt ist.
Acht Uhr morgens im Wald von Fontainebleau. Ein Kletterer nimmt seinen dritten Boulder in Angriff und geniesst dabei die fast religiöse Stille um ihn herum. Plötzlich schallt ein dumpfes Klopfen aus dem Dickicht. Unserem Kletterer ist sofort klar, dass er Gesellschaft hat. «In Bleau weiss man sehr schnell, wenn man nicht mehr alleine ist», scherzt Jacky Godoffe. Der 60-Jährige ist bekannt für seine Boulder in der Region.
Aber woher kommt der Radau? Es geht um ein eigenartiges Ding namens «Le Pof». Es ist nicht zu verwechseln mit «La Pof», einem Begriff, der in einigen französischen Regionen die Magnesia bezeichnet.
Vom Rest der Welt quasi vergessen, «symbolisiert das Pof die Kletterei in Fontainebleau wie der Eiffelturm Paris», resümiert Jo Montchaussé, eine weitere einheimische Legende.
Selbst hergestellt
Das Pof ist ein rechteckiger Lappen, in dessen Mitte Kolophoniumstücke gelegt werden. Dann wird der Lappen mit einer Schnur eng zusammengezurrt, sodass um das Kolophonium ein kleiner Ball entsteht. Fontainebleaus Traditionalisten schlagen mit dem Ball auf die Griffe und ihre Schuhsohlen, um den Grip zu verbessern. Dies im Gegensatz zu der Magnesia, mit der man sich die Hände pudert.
«Die Kletterer stellen es noch heute selbst her», ergänzt Jacky Godoffe. «Ich hatte das Kolophonium damals von meinem Vater, der Geige spielte und es für seinen Bogen brauchte.» Das Kolophonium stammt übrigens aus organischen Rückständen des Pinienharzes.Christian Charreau sagt, dass er zudem mit den losen Enden des Lappens nach seinem Aufstieg die Griffe abwischen könne. Auch er ist mit den Praktiken in Fontainebleau bestens vertraut.
Die Verwendung des Pof geht auf die berühmte «Groupe de Bleau» zurück, die in den 1920er-Jahren die Sandsteinblöcke von Fontainebleau als Klettereldorado entdeckte. In den folgenden Jahrzehnten entwickelte sich das Pof zum unverzichtbaren Bestandteil des Boulderns. Der Anfang vom Ende kam in 1970er-Jahren: Die Magnesia wurde auf dem europäischen Klettermarkt eingeführt. Der Boom in den Kletterhallen steigerte die Popularität der Magnesia weiter und verdrängte schliesslich das Kolophonium sogar in Fontainebleau.
Weniger schädlich?
Freilich bleiben dem Pof seine treuen Anhänger. Mit Catherine Destivelle ist eine bekannte Protagonistin der Kletterszene überzeugt davon, dass das Pof bei den Sandsteinblöcken in Fontainebleau effizienter wirkt. Ein wenig pragmatischer sieht es Jacky Godoffe. Er hat das Pof gegen Magnesia ausgetauscht, aber den Lappen behalten, um die Griffe und Schuhe abzuwischen.
Ein Fall für die Wissenschaft
Auch wenn das «Pofen» (Klopfen) als Tradition am Verschwinden ist, bleibt die ewige Diskussion unter den Kletterern: Magnesiagegner beharren darauf, dass das Pof für den Felsen weniger schädlich sei. Die Magnesiabefürworter behaupten das Gegenteil.
Diese heftigen Auseinandersetzungen, die heutzutage auch in den sozialen Netzwerken ausgetragen werden, finden 2017 eventuell ihren Abschluss: Dieses Jahr sollen nämlich die Ergebnisse einer wissenschaftlichen Studie dazu veröffentlicht werden. Ob dadurch die Benutzung des Pof wieder in Mode kommt oder nicht – eines ist klar: Pof-Enthusiasten müssen sich ausserhalb von Fontainebleau nach wie vor in Umsicht üben. «Das erste Mal, als ich in den USA war, hat mir eine lokale Kletterberühmtheit mein Pof konfisziert», erzählt Jacky Godoffe, «und es mir erst bei meiner Abreise wieder zurückgegeben.» Benutze man Kolophonium auf anderem Gestein als Sandstein, bewirke es klar eine schnellere Abnützung des Felsens – vor allem bei Granit. Aber Godoffe resümiert: «Wichtig ist nicht, welche Substanz den Felsen mehr poliert, sondern dass man nach seinem Aufstieg alles wieder abwischt!»