Offen darüber reden
Sagt Ihnen Johann Joseph Jörger etwas? Ich muss zugeben, dass ich ihn auch nicht gekannt habe, bevor ich durch den Beitrag ab Seite 38 mehr über ihn erfuhr. Doch was gibt es über diesen bedeutenden Psychiater zu berichten, der Bündner SAC-Mitglied war und um die Wende des 20. Jahrhunderts lebte? Da wäre zum einen die Erstbesteigung 1895 vom Zentralgipfel des Zervreilahorns zusammen mit einem Valser Bergführer und einem Zürcher Zahnarzt. Zum anderen seine verheerenden Theorien, die später von anderen aufgegriffen wurden und zwischen 1926 und 1973 zum Versuch führten, das jenische Volk in der Schweiz auszulöschen.
Kaum ist der Fall Louis Agassiz abgeschlossen, kommt die Redaktion der Zeitschrift «Die Alpen» mit einem weiteren unangenehmen Fall. Aber keine Sorge, hier geht es nicht darum, einen Mann posthum zu verurteilen oder einen Gipfel umzubenennen. Wir möchten bloss etwas Licht auf die dunkle Seite eines unserer Mitglieder werfen, dessen Name zufällig bei der Vorbereitung eines Tourentipps für das Heft aufgetaucht ist. Die Beschreibung des Zervreilahorns durch einen gewissen J. J. Jörger war so schön, dass es naheliegend gewesen wäre, sie in dem Artikel zu erwähnen. Dank Nachforschungen stiess der akribische Kollege aber noch auf eine andere, dunklere Seite des Mannes. Die Redaktion beschloss, Jörgers Zitat zu streichen, aber in einem späteren Beitrag auf diese Person zurückzukommen. Mit dem aktuellen Artikel von Daniel Anker machen wir das jetzt.
Es ist nicht schön, im Müll der Vergangenheit zu wühlen. Aber wäre es richtig gewesen, die Thesen eines der Unseren zu verschweigen, die nicht weniger abscheulich waren als diejenigen von Agassiz, nur weil sie von der Mehrheit seiner Zeitgenossen vertreten wurden? Wäre dies nicht ein weiterer Schlag für die Opfer des Hilfswerks für die Kinder der Landstrasse? Der Fall Agassiz hat den Weg gewiesen: Es ist richtig, nicht zu schweigen, aber auch nicht zu urteilen, sondern offen darüber zu reden. Die Aufarbeitung erinnert uns daran, wer wir sind.