Oberländer Gipfelparade
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Oberländer Gipfelparade

Hinweis: Dieser Artikel ist nur in einer Sprache verfügbar. In der Vergangenheit wurden die Jahresbücher nicht übersetzt.

r rVon M. Dörig

Mit 2 Bildern ( 101, 102Langenthal Gesegnet mit einer Flut von Sonne, aber doch schon merklich kühl waren die Mittagsstunden zu Ende Oktober des vergangenen Jahres. Während man in den Lücken der Gletscherjoche eine von Süden drängende Wolkenwand sichtete, umwebten ganz leichte Dunstschleier die lockenden Voralpen und Hochwächter des Berner Oberlandes. Auf dem Belp-moos stand das kleine Passagierflugzeug schon zum Abflug bereit. Es hielt mich eine seltsame Spannung gefangen. Begreiflich, galt der Start doch immerhin meiner ersten Exkursion in die freien Lüfte. Neben demPiloten nahm ich Platz, und schon rollte die Maschine aus, hob sich vom Boden ab, erschütterungsfrei, als flitzten wir im Wagen über eine Betonstrasse.Verheis-sungsvoll begann sich die Landschaftsrevue wie ein Filmstreifen zu entrollen. Eine wahre Lust wurde es mir, all die mittelländischen Kirchdörfer, Hügel und Flussläufe zu identifizieren.

Auf dem breiten Rücken des Belpberges blieb jedes einzelne Gehöft samt den Land-arbeitern und dem weidenden Vieh gut erkennbar. Man glaubte geradezu, den herben Geruch der beackerten Scholle in die Nase zu bekommen! Buntfarbig glühten im Feuer der Oktobersonne Büsche und Bäume.

Überaus rasch gewann indessen das Flugzeug an Höhe. Den untern Thuner See überflogen wir bereits auf 1500 Meter. In konstantem Weitersteigen schwenkten wir ab ins Kandertal. Mit jedem im Luftraum gewonnenen Kilometer kletterte auch das Fieber meiner Erwartungen beträchtlich nach oben. Gipfel um Gipfel, Grat um Grat tauchten auf - und traten von der Schaubühne wieder ab. Über die langgestreckte Niesenkette hinweg entragten dem westwärts wogenden Wolkenmeere wie Riffe drei mir besonders vertraute Gesellen: Wildhorn, Oldenhorn und Diablerets.

Hart steuerte der Pilot am Ärmighorn, dem Kientaler Matterhorn, vorbei. Sonderbar, wie einem Vergangenes wieder einfällt! So schoss es mir im Vorbeiflug durch den Kopf: « Liegen wirklich schon 20 Jahre Zeitgeschehen hinter uns, seit ich an einem Vorsommertag sechs Kameraden auf diesen Berg führte? » Wie eine Vision sah ich von neuem in jenem Aufstiegscouloir der Nordostflanke den mehrere Kubikmeter messenden Gesteinsbrocken auf uns zudonnern. « Obacht! An den Fels lehnen! Mit dem Sack Nacken und Kopf schützen! » waren meine schrillen Rufe, und schon setzte das Ungeheuer zwei Dutzend Meter ob mir ab zu neuem Sprung in die Tiefe, bei jedem Aufschlagen eine Unmenge Splitter erzeugend. Mit Ausnahme eines an Nase und Lippen leicht verletzten Kameraden ging das Unheil wirklich gnädig über uns hinweg. Schweigend, voll Konzentration und in begreif licher Eile brachten wir daraufhin die obern zwei Drittel des Kamins hinter uns. Westlich an den wolkenbehangenen Altels und Balmhorn vorbei, 900 Meter über dem Einschnitt der Gemmi, eilten wir in kursgeradem Vorstosse dem Rhonetal entgegen. Das Tal der Dala herauf krochen Nebelschwaden bis knapp unter die Gitzifurgge. Nur für einen Moment traten drüben die Lötschentaler Rothörner an die Rampe. Die Gedanken wanderten zurück zu jener Bergfahrt, an welcher wir, von Torrenthorn und Majinghörnern her kletternd, unweit des Gipfelkopfes vom Ferden Rothorn ein recht luftiges Biwak bezogen.

Vor uns breitete sich ein meist geschlossenes und beinahe zur 4000-Meter-Marke auf-gewölbtes Wolkenfeld aus. Im blassgoldenen Glänzen des spätherbstlichen Lichtes liessen sich aber die Honoratioren der Penninischen Alpen klar erkennen; da ein kompaktes Massiv, dort ein vereinzeltes, bis an den Hals in Nebelwatte eingepacktes Horn. Wiederum klappte mein Erinnerungskästchen auf. Heraus quoll wahllos eine Handvoll mannigfacher, auf grösseren Fahrten in Eis und Fels erlebter Episoden. Wie seelisch beglückend sie waren, jene Touren, die in der Vergangenheit ruhen und dennoch unvergesslich weiter leuchten. Schatten gleiten aber auch über die Seele im Gedanken an liebe Weggenossen, die der Berg holte, am Bietschhorn, Simelistock und anderswo...

Ab und zu vermochte sogar einer der Walliser Vorposten, wie das Augstbordhorn und der Bec de Bosson, seine drollige Nebelkappe abzuschütteln und uns sein neuschnee-bedecktes Haupt zu zeigen. Wie einsame, vom Ozean umspülte Inseln kamen sie mir vor. Darüber spannte sich in der grossen Unendlichkeit und sattblau die Kuppel des Himmels. Die Blicke gewöhnten sich mittlerweile ein flinkeres Einfangen der vielen Eindrücke an. Gebannt nahmen wir ein Farbenspiel, duftigweich wie Samt und Seide, am weiten Horizonte wahr.

Bodenformen aus subnivalem Bereich Aufgeschnittener Rasenhügel. Bei der Schneeschmelze bleibt Schnee und Wasser zwischen den Hügeln lange liegen. An Stellen, wo die Vegetation zerstört ist, wirkt Kammeis und zerstört weitere Vegetationsflächen. In solchen Fällen liegt zwischen den Hügeln eine flüssige, teigige Masse, die teilweise abfließt und die Hügel passiv erhöht. ( 9. 6.1953 ) Buckelwiese auf dem Heidbühl ( 2100 m ). Die sumpfige, dreieckförmige Wiese trägt keine Buckel. ( 12.9.1954 ) 981991100 - Aufnahmen Gerhard Furrer ( Zürich ) Miniatursteinnetz. Länge des Messers 9 cm. ( 12. 9.1954 ) In ihrem gesamten mittleren Walliser Laufe blieb uns die Rhone als ein silbrig-glitzerndes Riesenband sichtbar. Es grüssten in ihrer Abgeschiedenheit die fruchtbaren, grünen Hänge des linken Rhoneufers. Siedlungen und Einzelstädel klebten darauf, als ob sie aus einer Spielzeugschachtel achtlos ausgestreut worden wären. Sonneübergossene, warmgrüne Matten und Wälder im fein nuancierten Wechsel mit tiefvioletten Schattenpartien erzeugten eine traumhaftschöne Szenerie. Auf den Plätzen wie in den Gassen des Städtchens Visp schien -gesehen aus unserer fliegenden Warte - alles menschliche Leben erstarrt zu sein. Jetzt drehten wir ab, Kurs Nordost, vorerst ins südliche Randgebiet der Berner Alpen. Fast schien es mir, dass mein Enthusiasmus mit seinem spürbaren Lechzen nach landschaftlichen Perlen den Flugzeugführer anspornte, mir eine extra delikate Platte servieren zu wollen. In welch eine wildwunderliche, wolkenumbrandete Welt kamen wir da! Es schien unter uns wie in einer veritablen Waschküche zu schäumen, zu dampfen! Trieben hier tolle Geister der Unterwelt ihren Schabernack? Manchmal pfeüten wir für Sekundenlänge in eines der schemenhaften Nebelbänder. Rassig schraubte sich aber die Maschine höher und höher.

Treten zur linken Hand nicht die wohlproportionierten Gestalten des Nesthorns und des Bietschhorns ins Gesichtsfeld? Kaum gegrüsst, gemieden! Kurz darauf schwebten wir über dem nicht minder imposanten Aletschhorn. Die blaue Luftkutsche senkte sich, und nun umkreisten wir sie gar, diese eisgepanzerte Grösse. Alle die Gletschertäler waren angefüllt mit flatternden Massen hauchdünner Nebelfetzen, aber auch mit schweren und schwersten Wolkenballen und -türmen. Mal da, mal dort riss die lichtüberflutete, von Winden in Aufruhr gebrachte Decke jedoch auf, um uns in Erdsicht zu bringen. In eleganter Kreuzfahrt kurvte der Pilot weiter, um und über die weissen Bergspitzen. Die Ma-ximalflughöhe las ich mit 4650 Meter ab.

Je nach Fluglage ergaben sich oft völlig ungewohnte Aspekte, wie beispielsweise die gleichsam auf den Rücken gelegten Grate des Finsteraarhorns. Braucht man sich zu wundern, dass ich mich wie von der Erdenschwere gelöst und federnbeschwingt fühlte? Einer Alpendohle ähnlich, die im Auf- und Abwind mühelos die Bergzinnen umsegelt!

Zum Greifen nahe rauschten wir an den Steilwänden der Schreckhörner vorbei, schnellten zurück zu den Fiescherhömem, verfolgten in einem Teil seiner Länge den wuchtig geschwungenen Mittellegigrat und erspähten dabei die ihm wie ein Horst aufgebaute Schutzhütte. Schon summte das Flugzeug etliche hundert Meter über dem Scheitel der Jungfrau. Ein starkes Gleiten führte uns tiefer. Nun umflogen, ich möchte gar sagen, umschmeichelten wir diese stolze Dame just in ihren zauberhaft gleissenden Schulterpartien!...

Kaum vermochte ich die Blicke von derart erhabener Pracht der vorwinterlichen Hochwelt loszulösen, die ich als eine Synthese reinster und schönster Formen zu bezeichnen wage. Zu sehr erinnerte mich all das im Flug Geschaute an viele, sehr viele Bergtage voll Besinnlichkeit, voll Heiterkeit und reich an bergheimatlichen Eindrücken, an Stunden der Anstrengungen, an verbissenes Kämpfen gegen Naturgewalten.

Wieder befanden wir uns auf der wolkenlosen Alpennordseite mit der fernen Abschlussmauer des violettschimmernden Juras. Bereits huschten auf unserem Bilderbogen die Welt-kurorte des Oberlandes unter uns hinweg. Hoch kreuzten wir über Lauberhorn und Winter-egg-Faulhorn zum Brienzerseebecken, überquerten in der Längsrichtung den Brienzer Grat. Die Kare des Hohgant und der Sieben Hengste zeigten sich in der Vogelperspektive aus ihrer Leblosigkeit zu eigenartigen Reliefen erwacht.

In stetem Sinken kamen wir zu einem unerwarteten Besuche des Emmentales und Worblentales, wobei die verschiedenen Schlösser und Bauernhöfe besonders eindrucksvoll aus der reichgestaltigen Landschaft herausstachen. In zwei grossen Schleifen schwangen wir über der Bundesstadt aus - sie schien belebt wie ein aufgescheuchter Ameisenhaufen. Sicher brachte der Flieger den metallenen Vogel auf die Landepiste. Und wie aus einem erregend schönen Traume aufwachend, entstieg ich der Maschine. Erst der kräftige Händedruck des Piloten gab mir nach diesem « Jungfernflug » das volle Gefühl der Erdverbundenheit wieder zurück.

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