Neue Erschliessungswelle in den Alpen?
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Neue Erschliessungswelle in den Alpen?

Bestens erschlossene Schweizer Alpen In den Schweizer Alpen gibt es rund 1900 Seilbahnen, Skilifte und Bergbahnen, die zum grössten Teil touristisch genutzt werden. Ihre Anzahl hat sich seit 1970 etwa verdoppelt. Diese hohe Zahl von touristischen Transportanlagen führte dazu, dass der Bund seit den frühen achtziger Jahren praktisch keine neuen Ge-bietserschliessungen mehr bewilligte. Man gelangte zur Überzeugung, dass die verbliebenen noch unerschlossenen Räume langfristig als solche erhalten bleiben sollten. Um so intensiver wurde in der vergangenen Dekade der « qualitative » Ausbau der bestehenden Anlagen und Gebiete vorangetrieben, mit einem gewaltigen Ausbau der Transportkapazitäten, der Pistenanlagen und, in letzter Zeit, auch der künstlichen Beschnei- Die wichtigsten Bahn-Erschliessungsprojekte Projekt Region, Kanton Tête de Balme Schweizer Montblanc, VS Thyon-Evolène Val d' Hérens, VS Allalinpass Saas Fee, VS Aletschgebiet i Belalp bis Fiesch, VS Leukerbad Schafberg, VS Hockenhorn Lötschental, VS Rosenhorn Grindelwald, BE Fondei-Fideris Prättigau, GR Urdental Schanfigg, GR Schamserberg Schams, GR Samnaun Unterengadin, GR Bemerkungen Neues Skigebiet auf Schweizer Seite ob Châtelard. Die Mit-Einsprache des SAC wurde vom EDI kürzlich gutgeheissen.

Verbindung zwischen Thyon 2000 und Evolène mit mehreren Bahnen Verbindung Saas Fee-Zermatt; Tunnel durch das Allalinhorn zum Allalinpass Verschiedene Projekte, u.a. Verbindungsbahn Belalp-Riederalp, Stollen zum Aletschgletscher, Erschliessung Märjelen, Erschliessung Senfspitze ( SW-Grat Wannenhorn ) Erweiterung des Skigebietes Torrenthorn Erweiterung des Skigebietes Lauchernalp hinauf zum Hockenhorn Neues Gletscherskigebiet vom Rosenhorngip-fel aus. Der SAC hat Widerstand beschlossen ( vgl. DIE ALPEN 4/98 ).

Verbindung von Davos bis Fideris über Fondei-Tal und Fideriser Heuberge Verbindung der Gebiete von Arosa, Lenzerheide und Tschiertschen über das Urdental. Der SAC hat Bedenken angemeldet.

Neues Skigebiet gegen den Piz Beverin Verbindung der Skigebiete Samnaun/Ischgl und Scuol BLN = Bundesinventar der Landschaften und Naturdenkmäler von nationaler Bedeutung Abb. 1 Der Aletschgletscher, grösster, grossartigster Alpengletscher. Das Gebiet ist im BLN-Inventar vertreten, und es soll als erste Region der Alpen als UNESCO-Weltnaturer-be deklariert werden. Gleichzeitig bestehen grosse Bahnprojekte in seinem unteren Teil.

mit denen man noch vor kurzer Zeit alle Kritiker der künstlichen Beschneiung besänftigt hat, vom Winde verweht worden. « Nur punktuelle Beschneiung kritischer Passagen, keine durchgehend beschneiten Talabfahrten, künstliche Zusätze nie », so hiess es. Seit diesem Winter alles Schnee von gestern! Nun soll innerhalb kurzer Zeit die künstlich beschneite Fläche in der Schweiz um 70% auf 1700 Hektaren gesteigert werden, und das Zusatzmittel « Snowmax » wird auch bei uns immer häufiger verwendet.

Fun und Techno Passend zu dieser Entwicklung treiben immer mehr Stationen die völlige Technisierung und Kommerzialisierung weiter. Es werden Schein-welten mit permanenter Berieselung durch Werbung, Musik und künstlichen Schnee entwickelt, in denen die alpine Umgebung nur noch Sportgerät und Staffage ist ( vgl. Abb. 3 ). Stellvertretend dafür sei das Projekt erwähnt, mit dem die Titlisbahnen ihre Stellung im Winter und Sommer weiter ausbauen möchten: In einem grossen futuristischen Neubau bei der Bergstation sollen eine Uhren-Er-lebniswelt ( sprich: Verkaufszentrale ) und andere Animationen eingerichtet werden, die mit der Umgebung rein gar nichts zu tun haben.

Da mit dieser Entwicklung immer mehr Menschen ohne jegliche Ahnung ins Hochgebirge gehievt werden, müssen auch die begleitenden Sicherheitsinfrastrukturen ständig ausgebaut werden. Wie abgehoben von der Realität der Gebirgswelt viele Besucher heute sind, zeigen die urbanen Snöber, die keck und ahnungslos in die grössten Lawinenhänge hineinkurven - und dabei hie und da auch ums Leben kommen.

Man fragt sich, ob in den Köpfen mancher Planer nicht die Vision herumgeistert, die Alpen zu einem « Mega-Funpark » zu machen.

Und dazu noch das Beschwerderecht kippen!

Mit all dem nicht genug: Damit möglichst keine « grünen Verhinderer » mehr etwas gegen solche über-rissenen Projekte unternehmen können, soll das Beschwerderecht auch noch gleich abgeschafft werden ( vgl. Kasten S.52 ). Diesen Antrag stellte Nationalrat H. Fehr 1997 und fand dafür 85 mitunterzeichnende Parla-mentarier/innen! Die Antwort des Bundesrates darauf ist zwar eindeutig ablehnend, aber dass ein derartiger Vorstoss gerade jetzt kommt und erst noch so viel Unterstützung findet, passt doch gut in den geschilderten jüngsten Trend. Vermutlich ist dies eine Begleiterscheinung der derzeitigen wirtschaftlichen Entwicklung der « Globalisierung », in deren Rahmen ein roher Neokapitalismus Urständ feiert: Projekte sollen durchgezogen werden können, ohne Rück- sieht auf gewachsene Strukturen, auf betroffene Menschen und schon gar nicht auf die Landschaft und Natur.

Kluft zwischen Schein und Sein Um so erstaunlicher ist es, wenn man die neueste grossangelegte Werbekampagne von « Schweiz Tourismus » sieht, die das Image des Tou-rismuslandes Schweiz weltweit aufpolieren soll: « Ferien statt Tourismus » oder « Erholen sie sich mal vom Tourismus » oder « Wo entgeht man dem Tourismus? in den Ferien !», dazu jeweils ein wunderschönes Bild einer traditionellen Kulturlandschaft, Abb. 3 Ein Skitag am Titlis: in den Stationen und in der Bahn umflimmert von Werbung und Animations-TV, umtönt von Musik, auf der Piste kanalisiert von Absperrungen, angestarrt von den grossen Mäulern der Schneekanonen. Erlebnis Berg?

Abb. 2 Der Gauligletscher, heute noch umrahmt von einem schönen Kranz unberührter Gipfel. Mit einer Realisation des Rosenhorn-Projek-tes würde auch dieses Gebiet vom schnellen Rum-meltourismus heimgesucht, ein weiterer Teil einer Naturlandschaft wäre verloren.

einer Naturlandschaft, eines gemütlichen Bergdörf ils. Irgendwo scheint da ein Bruch zu sein in der Leitung zwischen den Werbern und den Machern.

Noch deutlicher wird die Kluft zwischen Wunsch und Realität, wenn man das 1998 verabschiedete Land- Schutz der Gebirgswelt schaftskonzept Schweiz, das Touris-mus-Leitbild des Bundes von 1996 5 oder die Alpenkonvention betrachtet. 3 In allen diesen Beschlüssen wird zwar 5 nicht einem kompletten Erschlies-5 sungsstopp in den Alpen das Wort „, geredet, jedoch wird übereinstim-ö mend festgestellt, dass Neuerschlies- sungen nur noch in Ausnahmefällen 52 erfolgen und mit einem entsprechenden Rückbau bestehender Anlagen gekoppelt sein sollen. Als Entwick-lungsziel wird von einem sanften, qualitativ hochstehenden und nachhaltigen Tourismus geredet, und nicht von einem weiteren Erschlies-sungsboom mit Bahnen und Liften.

Naturlandschaft als Kapital und Verpflichtung Diese offiziellen Szenarien gehen von zwei Grundvoraussetzungen aus: Erstens hat auch eine nicht genutzte Naturlandschaft - Urlandschaft oder Wildnis - einen Wert, der mit einer « harten » Erschliessung vermindert wird oder verloren geht, und zweitens haben wir gegenüber den nachfolgenden Generationen die Verpflichtung, ihnen wenigstens teilweise noch unerschlossene Naturlandschaften weiterzugeben ( ein Grundpfeiler der nachhaltigen Entwicklung ). Wer hat nicht selber schon erlebt, wie sehr gerade wir heutigen Menschen die beruhigende und heilende Wirkung von unberührter Natur und Naturlandschaft für unsere seelische Gesundheit brauchen?

Es kommt dazu, dass die Alpen eines der wenigen Gebiete Mitteleuropas mit grösseren erhaltenen Naturlandschaften sind und dass sie ein wichtiges Reservoir der biologischen Vielfalt darstellen.

Kreativ, visionär und innovativ?

Wahrscheinlich sind viele der grossen Projekte rein aus ökonomischen Gründen zum Scheitern verurteilt. Das ganze kommt einem ein bisschen vor wie ein letztes Aufbäumen vor einem Wechsel in eine neue Phase der Entwicklung. Aber man weiss das eben nicht so genau, muss auf alles mögliche gefasst sein. Bedenklich stimmt doch vor allem, dass derartige Projekte wieder so weit verbreitet und massiv geplant und gefördert werden, dass die Promotoren sich in der Regel als « kreativ, visionär und innovativ » bezeichnen und alle Kritiker ins Cliché der « grünen Verhinderer » oder « Totengräber der wirtschaftlichen Entwicklung » stellen wollen. Eine kühne Bergbahn war vor hundert Jahren tatsächlich visionär und kreativ, beim heutigen Stand der Technik und angesichts der Entwicklung der letzten vierzig Jahre ist es nichts als ein Wiederholen alter Rezepte. Wirklich innovativ wäre es heute, andere Wege für die touristische Zukunft in den Alpen zu entwerfen und zu versuchen, die letzten Reserven an Naturlandschaft nicht anzugreifen.

SAC: Anpassung oder Widerstand?

Schon aus der historischen Entwicklung des SAC, der sich seit Anbeginn gegen Exzesse der Erschliessung wehrte, aber auch aus den heutigen Grundsätzen unseres Clubs, wie sie im Leitbild von 1995 und den Richtlinien zum Schutz der Gebirgswelt von 1991 festgelegt sind, wird klar, dass wir gegenüber dieser Entwicklung sehr kritisch und skeptisch sein müssen. Nehmen wir auch noch unser Herz und unsern gesunden Menschenverstand dazu, wird unsere Haltung wohl noch eindeutiger. Nicht aus Prinzip gegen jegliche Erschliessung sein, aber alle Projekte sehr Die positive Wirkung von ursprünglichen Naturlandschaften auf den Menschen ist gross — allein schon dies ist Grund genug, den Wert solcher Landschaften hoch einzustufen; am Lago Mognola, Val Lavizzara ( TI ).

streng und kritisch beurteilen, ist unsere Devise. Wir müssen mithelfen sicherzustellen, dass bei allen Projekten zumindest die gesetzlichen Bestimmungen gebührend berücksichtigt werden. Bei Neuerschliessungen in besonders schützenswerten Räumen sollen wir auch von unserm Recht auf Anhörung und Beschwerde Gebrauch machen und gegen solche Projekte im Rahmen unserer legalen Möglichkeiten antreten. Solcher Widerstand ist zwar unangenehm, denn es kann leicht zu einer Verhärtung der Fronten kommen und « Gewinner » und « Verlierer » geben, aber angesichts der geplanten Projekte wird uns dies nicht erspart bleiben - wenn diese überhaupt je in eine konkrete Planungsphase kommen.

Jürg Meyer, SAC-Beauftragter für den Schutz der Gebirgswelt Das Verbandsbeschwerderecht Das Verbandsbeschwerderecht wurde 1967 auf Bundesebene im Natur- und Heimatschutz eingeführt und 1985 auf den Umweltschutz erweitert. Es gesteht den bezeichneten rund 20 Organisationen, zu denen auch der SAC gehört, das Recht zu, zu behördlichen Verfahren auf Bundesebene Stellung zu beziehen und diese anzufechten. Das Beschwerderecht ist eine Notbremse, die nur angewendet wird, wenn keine andere Form der Mitsprache zu einem Kompromiss führt. Es macht die Organisationen zu einem Partner, mit dem man rechnen muss. Denn es hilft, im Einspracheverfahren die Projekte so zu verbessern, dass eine Beschwerde unnötig wird. Mit einer Beschwerde werden die Behörde oder das Gericht gezwungen, die Umweltverträglichkeit eines Projektes aufgrund der bestehenden Gesetze genau zu prüfen. Die hohe Erfolgsquote bei den Einsprachen zeigt, dass eine derartige Überprüfung immer wieder notwendig ist. Eine leichtfertige Anwendung des Beschwerderechtes würde dessen Gewicht mit der Zeit untergraben.

Der Vorwurf, die Beschwerden würden dringende Projekte und die wirtschaftliche Entwicklung behindern, ist nicht stichhaltig. Die beklagten Verzögerungen stammen vorwiegend von unreifen, nicht ge-setzeskonformen oder unvollständigen Gesuchen, noch mehr jedoch von privaten Beschwerden.,

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