Mount McKinley, der grosse Einsame von Alaska
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Mount McKinley, der grosse Einsame von Alaska

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McKinley,

der grosse Einsame von Alaska

Alain Fénart, Hausen ( AG )

1 Die Ureinwohner Alaskas, die Eskimos und Indianer, nannten diesen höchsten Berg Nordamerikas Denali oder Traleika ( d.h.

33 Alaska liegt im Grenzgebiet der pazifischen und der nordamerikanischen tektonischen Platte; daraus ergibt sich eine bedeutende Erdbebentätigkeit. Das bekam die Region empfindlich zu spüren, als 1964 ein Erdbeben die Städte an der Küste ganz oder teilweise zerstörte. Diese Erd- und Seebebentätigkeit führte zugleich zur Entstehung zahlreicher vulkanischer Massive und von Gebirgszügen, zu denen auch der Alaska Range mit seiner höchsten Erhebung, dem Mount McKinley ( 6194 m ), gehört.

Es handelt sich dabei um den höchsten Berg Nordamerikas, tausend Meter höher als seine ihn umgebenden Nachbarn, und unbestreitbar der König des Alaska Range. Das Massiv erstreckt sich über 240 km vom Rainy Pass zum Tal des Nenana River. Die längsten Gletscher liegen, mit Ausnahme des Muldrow Glacier ( 66 km ), im Südteil der Gebirgskette: Kahiltna Glacier ( 74 km ), Ruth Glacier ( 61 km ), ein namenloser Gletscher südlich des Mount Foraker ( 54 km ), Eldrige Glacier ( 49 km ), Tokositna Glacier ( 42 km ).

Die Niederschläge betragen in Talkeetna, 100 km südöstlich des Massivs, ungefähr 760-890 mm pro Jahr, am Lake Minchumina, 100 km nördlich des Mount McKinley, dagegen nur 305 mm jährlich. Man kann also, wenn man sich von Norden dem Gebirge nähert, mit besseren Wetterbedingungen rechnen als von der Küstenseite her.

Geologisch gesehen besteht diese grosse Kette aus Granit: Mount McKinley, Hunter, Foraker und Moose's Tooth sind die wichtigsten Granitgipfel. Die meisten anderen sind aus Sedimentgesteinen aufgebaut, die aber bei der Granitintrusion stark metamorphosiert wurden. Im allgemeinen gut zum Klettern eignet sich der graue und der rötliche Granit, während der dunkle Schiefer - bis auf wenige seltene Ausnahmen - brüchig ist.

Die Baumgrenze liegt schon bei 600 m, hingegen steigt die übrige Vegetation bis auf 1200 m, und einige Moose kommen noch bis auf 1650 m Höhe vor, jedoch nur auf stark besonnten Terrassen im Süden. Bis zu 1200 m Blick vom Lager I auf den Südgipfel des Mount McKinley gibt es während des ganzen Jahres Schneefälle. So gilt Wickesham Wall mit einer Höhendifferenz von 4500 m als eine der höchsten schneebedeckten Wände der Welt.

Die Besucher des Mount McKinley National Park wählen für ihre Reise meist den Park Highway im Norden, wobei sie jedoch nicht vergessen sollten, dass der grösste Teil des Parks jenseits der Gipfel des Alaska Range, das heisst auf der andern Seite des Gebirges liegt. Heute wird der südliche Teil des National Park nur von Bergsteigern, Skifahrern und Forschern besucht, die sich nach Abenteuern in einer wilden und unwirtlichen Natur sehnen.

Die ersten Versuche, den Mount McKinley zu ersteigen, erfolgten vom Nordosten her, vom Muldrow Glacier. Am 7. Juni 1913 wurde der Gipfel zum ersten Mal erreicht, und zwar von vier Männern unter der Führung des Reverend Hudson Stuck. Ihr Erfolg war nicht nur durch ihre feste Entschlossenheit und eine minuziöse Planung, sondern vor allem durch Informationen ermöglicht worden, die bei einer Reihe früherer Vorstösse - in den Jahren 1903, 1906, 1910 und 1912 — durch andere Gruppen zusammengetragen worden waren. Während der folgenden 19 Jahre unternahm niemand einen Aufstiegsversuch, einerseits wegen der intensiven Kälte, der schlechten Wetterbedin- gungen und der ungünstigen Schneeverhältnisse, andererseits, weil der Mount McKinley schwierig zu erreichen war und sich für alle, die nicht in Alaska wohnten, sehr hohe Kosten ergaben. Die erste Frau, die den Mount McKinley bezwang, war Barbara Washburn; das geschah am 6. Juni 1947, bei der vierten Besteigung des Gipfels überhaupt. Bis in die sechziger Jahre blieb dieser Weg die .

Die erste Besteigung des West Buttress ( 1951 ), wobei ein mit Kufen versehenes Flugzeug auf dem Kahiltna Glacier landete, eröffnete eine neue Zugangsmöglichkeit zum Massiv. Weitere Routen wurden versucht: über die Südflanke ( 1961 ), den Südostsporn ( 1962 ) und über den Ostgrat ( 1963 ). Doch die Route über den Westgrat und den Denalipass, der als

Jedes Jahr wagen 600 bis 700 Bergsteiger den Sturm auf den Mount McKinley. Ungefähr die Hälfte von ihnen erreicht den Gipfel, doch leider kehrt auch eine Anzahl nie mehr aus diesen eisigen Höhen zurück.

Ausgangspunkt für alle Touren von Süden her ist das Dorf Talkeetna, 230 km nördlich von Anchorage; es war bereits zur Zeit des Goldrauschs bekannt. In Talkeetna starten die Flugzeuge, mit denen die Touristen das Basislager auf dem südöstlichen Arm des Kahiltna Glacier erreichen. Das Lager befindet sich auf 2170 m am Fuss des Hunter und des Foraker, und dort treffen wir am 10. Mai 1985 ebenfalls ein: acht Bergsteiger aus Deutschland, Italien und der Schweiz, darunter eine Frau.

Nachdem wir die prächtigen und eindrucksvollen Gipfel rund um uns her bewundert haben, besteht unsere erste Arbeit in der Einrichtung des Lagers. Denn es genügt nicht, nur einfach die Zelte aufzuschlagen, man muss sie vielmehr noch zusätzlich mit verhältnismässig starken Schneemauern umgeben. Mit Sage und Schaufel bewaffnet, wühlen wir uns in die Tiefe, schneiden Blöcke zu, setzen sie zusammen, füllen die Fugen aus und schaffen so die Wälle, die uns vor einem möglichen Sturm schützen sollen. Einige Mitglieder der Gruppe bauen einen Iglu, der es uns erlauben wird, selbst bei schlechtem Wetter in aller Ruhe zu kochen. Mit unseren speziellen Benzinvergasern können wir Schnee schmelzen und so das für Suppe, Tee und auch für Das Basislager mit dem Mount Hunter ( 4310 m ) die Zubereitung der lyophilisierten Fertigmahlzeiten notwendige heisse Wasser gewinnen. Dank der sehr niedrigen Temperaturen ist die Konservierung frischer Lebensmittel, zum Beispiel von Brot und Butter, problemlos. Jedoch muss man sie zum Auftauen unter die Kleider nehmen. Das bewährt sich so gut, dass wir noch zehn Tage später frisches Brot essen können. Gesamthaft besitzen wir acht Seesäcke voller Lebensmittel, verfügen demnach über einen 18 bis 20 Tage reichenden Vorrat. Ausserdem führen wir drei Säcke voll Material mit, worunter sich auch Markierungsstangen befinden.

Für nur acht Personen ergibt das eine erhebliche Anzahl Lasten, um so mehr, als man in Ermangelung von Sherpas alles selbst transportieren muss. Natürlich lässt sich das nicht in einem Mal erledigen, weshalb wir uns für das folgende Vorgehen entscheiden: In einem ersten Schub tragen wir Lasten zum oberen Camp, werden anschliessend zum schon bestehenden unteren Lager zurückkehren, dort die Nacht verbringen und am folgenden Morgen dann endgültig wieder aufsteigen. Mit diesem System sollten wir, wenn alles gut geht, den Gipfel in rund zehn Tagen erreichen.

Beladen mit je einem Rucksack, ziehen wir noch einen Schlitten hinter uns her, auf dem ein Seesack befestigt ist. Der erste Teil des Aufstiegs bringt uns über den Kahiltna Glacier empor, wo wir auf 11 000 Fuss ( ungefähr 3300 m ) Camp IM errichten wollen. Wenn auch der Höhenunterschied nicht sehr gross ist, so misst die Strecke über diesen oberen Teil des Gletschers doch 16 km. Die Temperatur kann während des Tages 25-30 °C erreichen, sinkt dagegen in der Nacht regelmässig unter — 20 °C. Der Temperaturwechsel bei Sonnenuntergang erfolgt bisweilen plötzlich: so hat man einen Abfall von 20 °C auf -12 °C innerhalb einer Stunde beobachtet.

In Camp III müssen wir eine dreitägige Zwangspause einlegen, denn der Sturm hat beschlossen, unser Aufstiegsprogramm umzustürzen. Doch wir überstehen diese Prüfung trotz mancher unangenehmer Augenblicke, zum Beispiel wenn man mehrmals in der Nacht aufstehen und zur Schaufel greifen muss, um das Zelt von dem darauf angehäuften Schnee zu befreien, denn ein Riss in der Zeltwand könnte katastrophale Folgen haben. Wir denken auch an diejenigen, die auf 5200 m bei Windgeschwindigkeiten von 160 km/h und einer Temperatur von - 45 ° C blockiert sind. Die einzige Möglichkeit, unter solchen Bedingungen zu überleben, bietet ein Iglu oder eine in den Schnee gegrabene Höhle; ein Zelt — selbst wenn es eingegraben ist - hält niemals stand.

Bald kehrt das schöne Wetter zurück, doch leider beruhigt der Wind sich nicht entsprechend. Wir setzen unsere Route in Richtung Camp IV fort, wobei wir jenen begegnen, die sich aus dem Camp V gerettet haben. Sie machen einen recht elenden Eindruck, aber sind Gott sei Dank mit dem Leben davongekommen. Die beiden Ärzte des Camps, die sich während der Saison ständig in diesem Gebiet aufhalten, haben genug zu tun, die zum Glück nicht sehr schweren Erfrierungen zu behandeln. Ein amerikanischer Führer versichert uns, er habe noch niemals erlebt, dass derart schlechtes Wetter so lange angehalten habe ( einige Bergsteiger warten schon seit mehr als 20 Tagen, um den Aufstieg in Angriff zu nehmen ). Selbst wenn die Sonne strahlt, verhindert der Wind jeden Versuch, zum Gipfel vorzudringen. In diesem Jahr haben bisher auch nur fünf Japaner und drei Deutsche den Kulminationspunkt erreicht.

Beim Passieren von Windy Corner ( 4000 m ) bringen uns heftige Böen von 80 km/h, die stets plötzlich, ohne Vorwarnung kommen, aus dem Gleichgewicht, wenn sie uns nicht sogar zu Boden werfen. Doch endlich ändert sich das Wetter grundlegend, und der Herrschaft der stürmischen Winde folgen glücklicherweise drei Tage mit ungewöhnlich guten Bedingungen.

Jetzt müssen wir ohne Zögern zum Angriff übergehen, denn es bleiben noch 2000 m zu erklettern, und das ist keine Kleinigkeit. Diese Höhe macht die Hälfte der gesamten Höhendifferenz aus, die wir bei unserer Unternehmung zu bewältigen haben. Vom Camp IV steigt der Hang steil an und erreicht dabei eine Neigung von 45°. Um die Unfälle in Grenzen zu halten, ist der am stärksten exponierte Wandteil unter dem Westgrat mit fixen Seilen ausgerüstet. Wenn wir Zeit und Atem finden, die umliegenden Gipfel zu betrachten, wird der vulkanische Ursprung des Massivs deutlich erkennbar: Von Ebenholzschwarz über Grau und Gelb bis zu hellem Rot sind alle Ge-steinsfarben vertreten.

Der 23. Mai ist für die Besteigung des Gipfels vorgesehen. Es herrscht eine Temperatur von — 25 °C, die Windgeschwindigkeit beträgt 30-50 km/h; das entspricht einer Temperatur von -50 °C bei Windstille. Man muss deshalb ständig auf Zehen, Finger und Nase achten, die vom Frost besonders bedroht sind. Unser erstes Ziel ist jetzt der Denalipass ( 5530 m ), den wir nach einer ansteigenden Traverse erreichen. Leider müssen wir hier feststellen, dass die gute Wetterlage der letzten beiden Tage nicht mehr von langer Dauer zu sein scheint, denn der Gipfel hat sich bereits in Wolken gehüllt. Trotzdem setzen wir unsern Weg fort und schützen dabei unsere Gesichter vor dem Wind, indem wir ihm nach Möglichkeit den Rücken zuwenden.

Wir kommen langsamer voran, aber trotz der Schwierigkeiten halten alle durch. Nach sieben Stunden der Anstrengung und des Kampfes gegen Wind und Höhe stehen wir um 13.50 Uhr auf dem Gipfel. Wir lassen unserer Freude freien Lauf und geben uns den traditionellen Gipfelkuss. Als wolle er unsern Sieg mitfeiern, reisst jetzt der dicke Wolkenmantel auf, weicht und gibt unsern Blicken ein gigantisches Panorama zur Bewunderung frei. Alle benachbarten Gipfel liegen zu unsern Füssen, tausend Meter tiefer, und so können wir die Landschaft bis in eine Entfernung von gut hundert Kilometern bestaunen. Vom Gipfel stürzen die jähen Felswände in Abgründe, in deren Tiefe gewaltige Gletscher ansetzen, die Richtung Süden fliessen. Noch immer zugefrorene Flussläufe verlängern sie, dringen in die Tundra ein und verlieren sich dann in riesigen Fichtenwäldern.

Wir sind von intensiver Freude erfüllt, doch wir müssen an den Abstieg denken. Vorsicht ist unbedingt nötig, denn wir haben einen zusätzlichen Feind, die Müdigkeit. Wir erreichen unsern Ausgangspunkt auf 5200 m wieder. Da der Wind sehr heftig bläst, beschliessen wir, zum untern Lager zurückzukehren. Dies wird es uns ersparen, am nächsten Morgen bei Sturm den Rückweg über den Westgrat nehmen zu müssen, was sehr gefährlich werden könnte. Wir setzen deshalb unsern Weg bis zum Camp IV fort, das wir um etwa 22.00 Uhr erreichen.

Nach einer erholsamen Nacht versuchen wir, das Basislager in einer einzigen Etappe zu erreichen. Die Schlitten sind mit dem Seil verbunden, um die Traversierungen zu erleichtern. Unterwegs sammeln wir das belassene Material wieder ein und nehmen auch alle Abfallsäcke mit. Das entspricht einer Vorschrift der Verantwortlichen des Nationalparks, und sie ist voll und ganz gerechtfertigt. Dank dieser Vorschrift ist das Gebirge trotz der vielen Alpinisten, die es besuchen, nicht zu einer öffentlichen Abwassergrube und Müllhalde geworden, wie leider viele andere Gebirgsregionen der Erde. Erschöpft erreichen wir gegen 23.00 Uhr, als die Sonne gerade untergegangen ist, das Basislager. Dies ist eine Besonderheit hier im hohen Norden: Es ist während einiger Monate des Jahres nur von Mitternacht bis 4.00 Uhr dunkel, wobei man selbst während dieser Zeit nicht einmal eine Taschenlampe benötigt. So erlebt man in dieser Periode auch niemals die böse Überraschung, in schwarzer Nacht gefangen zu sein.

Unsere endgültig letzte Nacht im Gebirge bricht damit an - morgen wird uns das Flugzeug wieder in die Zivilisation zurückbringen.

Aus dem französischsprachigen Teil. Übersetzt von Roswitha Beyer, Bern.

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