Mit Wissenschaft Rassen trennen
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Mit Wissenschaft Rassen trennen Louis Agassiz, Glaziologe und Rassist

Nur wenige Schweizer Persönlichkeiten vermögen es, die Gemüter so zu spalten wie Louis Agassiz (1807–1873). Für die ­einen ist er ein brillanter ­Wissenschaftler, für die anderen ein verachtenswerter Rassen­theoretiker. Eine Spurensuche.

Agassiz wird im kleinen Dorf Môtier am Murtensee geboren. Sein Umfeld ist religiös; sein Vater ist protestantischer Pfarrer wie auch schon dessen Vater und Grossvater. Bis zu seinem zehnten Lebensjahr wird Agassiz zu Hause unterrichtet, erst dann beginnt er, auf eine Schule in Biel zu gehen. Der junge Agassiz interessiert sich vor allem für die Wissenschaft. Im Alter von 15 Jahren verfasst er eine Liste mit persönlichen und intellektuellen Zielen. An erster Stelle schreibt er schon damals: «Ich möchte meinen Weg in der Wissenschaft gehen.»

Zunächst fasziniert von Fischen

Nach der Schule in Biel folgen einige Jahre Unterricht in Lausanne. Hier sehen Historiker bereits eine mögliche Verbindung zu den Rassentheorien, mit denen sich Agassiz etwa 20 Jahre später beschäftigen sollte. In Lausanne setzt sich Agassiz nämlich intensiv mit dem Werk Règne animal von Georges Cuvier auseinander. Der französische Forscher schrieb in seinem Buch, die «Rasse der Neger» sei aufgrund der äusserlichen Merkmalen in die Nähe der Affen zu setzen. Ausserdem seien afroamerikanische Völker alle barbarisch geblieben.

1824 beginnt Agassiz dann sein Studium der Medizin in Zürich. Nach seinem Abschluss zieht er nach Paris, wo Cuvier selbst einer seiner Mentoren wird. Unter Cuviers Aufsicht entdeckt Agassiz die Ichthyologie, die Fischkunde, für sich. Auf diesem Gebiet veröffentlicht er nach seiner Rückkehr aus Paris im Jahr 1932 verschiedene Werke und erlangt so gros­sen Ruhm und viel Anerkennung. Zur gleichen Zeit nimmt er eine Professur am Lyceum de Neuchâtel an.

Verschafft der Eiszeitheorie Gehör

Agassiz interessiert sich nicht nur für Fische, sondern auch für Gletscher. Entgegen der allgemeinen Meinung ist er allerdings nicht der Erfinder der Eiszeittheorie, sondern nur ein prominenter Anhänger davon. Die Wissenschaft verdankt diese Theorie nämlich einem anderen Wissenschaftler: Ignaz Venetz. Dieser stellt die Theorie bereits 1822 auf, findet aber zu diesem Zeitpunkt lediglich Gehör bei Jean de Charpentier, dem Salinendirektor in Bex. Bei einer Versammlung von Naturforschern in Solothurn von 1836 begegnet Charpentier Karl Friedrich Schimper, mit dem er die Eiszeittheorie weiterentwickelt. Im selben Jahr lässt sich auch Agassiz während eines Besuches bei Charpentier von der Theorie überzeugen.

Nur kurz darauf, im Jahr 1837, hält Agassiz bei der Versammlung der Schweizer Naturforscher in Neuenburg einen leidenschaftlichen Vortrag über die Eiszeittheorie. Er erzählt von einer Epoche «klirrender Kälte», von grossen Tieren, welche die Erde bevölkerten, und vom Eis, das ein Leichentuch über die Natur ausgebreitet habe. Der Vortrag führt zu Spannungen zwischen Agassiz, Venetz, Charpentier und Schimper. Letztere sind der Meinung, Agassiz habe nicht klar genug ausgedrückt, dass nicht er selbst der Erfinder der Eiszeittheorie sei. Zum endgültigen Bruch mit den anderen Gletscherforschern kommt es, als Agassiz 1840 seine Etudes sur les glaciers veröffentlicht. Darin schreibt er zwar, dass die Theorie nicht nur ihm zuzuschreiben sei, jedoch veröffentlicht er seine Studien noch bevor Charpentier seine ­eigenen Ergebnisse publizieren kann.

USA und Rassismus

Als er 1846 in die USA reist, gilt Agassiz in Europa als einer der wichtigsten Wissenschaftler seiner Zeit. Die Stadt Neuen­burg ist dermassen von ihm geprägt, dass bis heute verschiedene Gebäude der Universität Neuenburg auf dem ­Espace Louis Agassiz stehen. Auch in den USA wird Agassiz herzlich aufgenommen. Hier nimmt er 1847 zuerst eine Stelle als Professor für Zoologie an der Harvard University an und wechselt dann 1852 nach Charleston (Massachusetts), wo er Professor für vergleichende Anatomie wird. Auch diese Stelle gibt er aber nach zwei Jahren wieder auf.

Schon sehr früh während seiner Zeit in den USA beginnt der Rassismus Agassiz’ deutlicher in Erscheinung zu treten. Ein Schlüsselmoment könnte die erste Begegnung mit einem Afroamerikaner auf amerikanischem Boden sein. Diese findet 1846 in Philadelphia statt. Kurz darauf schreibt er seiner in der Schweiz gebliebenen Mutter: «Je grösser mein Bedauern wurde bei der Sicht dieser niedrigen und verkommenen Rasse, desto unmöglicher wurde es für mich, mein Gefühl zu unterdrücken, dass sie [die Afroamerikaner, Anm. d. Red.] nicht aus demselben Blut gemacht sind wie wir.»1

Galt Agassiz in der Schweiz noch als Anhänger der Mono­genese-­Theorie, so zeigt sich spätestens nach diesem Brief, dass er in den USA schnell zum Vertreter der Polygenese wurde. Diese Theorie besagt, dass die Menschen in verschiedenen Teilen der Welt unabhängig voneinander entstanden sind. Auch die Evolutionstheorie von Charles Darwin konnte die Meinung des Schweizers nicht ändern. Besonders bei Sklaventreibern geniesst Agassiz grosse Sympathie, da seine Aussagen über den unterschiedlichen Ursprung der Menschen in ihren Augen die Sklaverei legitimiert. Bei einer Reise in den Süden der USA betont Agassiz denn auch, dass Afroamerikaner und weisse Menschen «anatomisch sehr wahrscheinlich zwei unterschiedliche Arten» seien.

Briefe an Howe

Während Agassiz in den USA lebt, wird das Land vom Sezessionskrieg (1861–1865) erschüttert, als dessen Folgen die Sklaverei abgeschafft werden sollte. Um Vorschläge für den Umgang mit den schon bald frei werdenden Sklaven zu erarbeiten, ruft die Regierung 1863 die «Freedman’s Inquiry Commission» ins Leben. Der Kommission gehört unter anderem der Sklavereigegner Samuel Gridley Howe an. Dieser unterhält einen Briefwechsel mit Agassiz, um dessen Meinung als angesehener Wissenschaftler über Afroamerikaner in Erfahrung zu bringen. In den Briefen kommt auch das Thema Mischlinge zur Sprache. Agassiz hat eine klare Haltung: «Von einem hohen moralischen Standpunkt aus gesehen, ist die Erzeugung von Mischlingen eine ebensolche Sünde wider die Natur, wie der Inzest in einer zivilisierten Gemeinschaft eine Sünde wider die Reinheit des Charakters ist. Und ich hege keinen Zweifel daran, dass der Abscheu vor der Sklaverei, der zu der Unruhe geführt hat, die in unserem Bürgerkrieg ihren Höhepunkt erreicht hat, in erster Linie und unbewusst dadurch gefördert wurde, dass wir in denjenigen Nachkommen von Herren aus dem Süden, die sich unter uns als Neger bewegen, obwohl sie keine sind, unser eigenes Wesen wiedererkennen.» Weiter schreibt Agassiz in einem seiner Briefe: «Von einem physiologischen Standpunkt aus gesehen tut man gut daran, der Rassenmischung und der Zunahme von Mischlingen jedes nur mögliche Hindernis in den Weg zu legen.»

Nach dem Sezessionskrieg begibt sich Agassiz auf eine Forschungsreise nach Brasilien. Hier sammelt er Exponate für das von ihm gegründete Naturkundemuseum, das 1859 in Cambridge eröffnet worden ist. Ab 1871 beginnt er, sich für Tiefseeuntersuchungen zu interessieren, ehe er 1873 in den USA stirbt.

Historischer Kontext

Aus heutiger Sicht ist klar: Louis Agassiz war nicht nur ein herausragender Wissenschaftler. Er war auch ein Rassist. Gilt dies aber auch, wenn man den historischen Kontext berücksichtigt? «Ja», sagt Bernhard Schär, Historiker an der ETH Zürich, «die Haltung des Schweizer Wissenschaftlers war schon für damalige Verhältnisse radikal und krud.» Im 19. Jahrhundert seien zwar viele Wissenschaftler davon überzeugt gewesen, dass eine Unterteilung der Menschheit in Rassen möglich sei, so Schär, aber nicht alle hätten auch an eine Hierarchisierung der Rassen geglaubt, wie es Agassiz getan habe. Dieser Meinung ist auch Historiker Hans Fässler. «Trotzdem wird Agassiz in der Schweiz bis heute nur als Wissenschaftler wahrgenommen.» Dabei, so Fässlers Ansicht, habe er sich mit der Ablehnung des Darwinismus bereits zu Lebzeiten ins Abseits gefördert, was die Wissenschaft angehe.

Weiterlesen

Edward Lurie, Louis Agassiz: A life in science, John Hopkins Paperbacks edition, 1988

Hans Barth, Louis Agassiz, ein Rassist als Regierungsberater, PDF-Datei, 2009–2012

Hans Barth, Louis Agassiz und die Nazi-Connection, PDF-Datei, 2012

Peter Stettler, Louis Agassiz 1807–1873. Ein Pionier der ­Gletscherforschung, «Die Alpen» 05/2007

Der Fall Louis Agassiz

Manche halten Louis Agassiz für den Begründer der Eiszeittheorie und damit für einen genialen Wissenschaftler. Andere bringen ihn mit den Rassentheorien der ­Nationalsozialisten in Verbindung und wollen ihn unter anderem aus der Landkarte löschen. So gab es Be­strebungen, das Agassizhorn in den Berner Alpen umzubenennen. Und im Frühling forderte ein Mitglied der Sek­tion Sankt Gallen die Aberkennung der SAC-Ehrenmitgliedschaft von Louis Agassiz (siehe vorangehender Artikel).

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