© Stefan Kürzi
Mit Herzblut und Kalkül Zwei Hüttenwarte im Gespräch
Gabi Aschwanden und Thomas Meier warten beide seit einem Vierteljahrhundert eine Hütte. Sie stehen vielen ähnlichen Herausforderungen gegenüber, sind sich aber längst nicht immer einig. Ein Gespräch über den oft verklärten Traumjob Hüttenwart.
Tommy Dätwyler: Wir treffen uns während der Hochsaison für dieses Gespräch unten im Tal. Wird oben auf der Hütte gefastet?
Gabi: Es kommt tatsächlich ab und zu vor, dass ich während der Hauptsaison im Tal anzutreffen bin. Zum Glück ist dies auch möglich. Im Moment ist die Fridolinshütte im Nebel und bleibt für zwei Tage unbewartet.
Thomas: Ich habe der Läntahütte auch wegen anderer Verpflichtungen drei Tage den Rücken gekehrt. Freunde mit Erfahrung sind während meiner Abwesenheit für den Betrieb verantwortlich. Das passt grad auf beiden Seiten!
Der Hüttenwart, die Hüttenwartin ist die Seele einer Hütte. Wie prägt ihr eure Hütte, was ist euch wichtig?
Gabi: Entscheidend ist und bleibt mein Berglerherz. Das heisst, dort muss es stimmen, dort muss ich zufrieden sein. Ich muss mir bei meiner Arbeit treu bleiben und Freude daran haben, das sollen die Gäste spüren. Mir sind nicht primär Umsatz und Verdienst wichtig. Der Job als Hüttenwartin ist meine Berufung. Meine Gäste sehen keine Chefin! Ich lege Wert auf Normalität, rolle keinen Teppich aus, aber bin mit Herz und Seele Gastgeberin. Deshalb ist die Stimmung auf der Fridolinshütte urchig und eher familiär.
Thomas: Grosses Gastgeberherz und kleine Hütte – das nehme ich für mich in Anspruch. Auch ich bin mit Haut und Haar Gastgeber und will keine Distanz zu den Gästen. Grundsätzlich gilt für mich: Ich kann nichts glaubwürdig anbieten und verkaufen, was ich nicht selbst schätze. Deshalb hat das Essen in angenehmer Ambiance mit Kerzenlicht einen grossen Stellenwert. Die Stimmung auf der Hütte ist mir wichtig, das Zusammensein mit Menschen, die Leidenschaften teilen. Ich würde drei Pärchen nie einzeln platzieren, sondern immer zusammen an einen Tisch. Diese Offenheit und der grosse gemeinsame Tisch sind mir wichtig. Auch die Türe zwischen Hüttenstube und Küche bleibt offen. Ich esse nicht selten zusammen mit den Gästen in der Hüttenstube. Aber: Die sieben privaten Quadratmeter im Hüttenwartzimmer sind mir heilig.
Gabi: Essen mit den Gästen, das mache ich höchstens im Ausnahmefall. Und drei Pärchen, die setze ich getrennt, wenn genügend Platz vorhanden ist. Zusammenrücken können sie immer, wenn sie wollen. Die Küchentüre bleibt aber auch bei mir prinzipiell offen.
Wie haben sich eure Haltung und euer Selbstverständnis nach einem Vierteljahrhundert auf einer Hütte verändert. Seid ihr noch die gleichen?
Gabi: Ich bin primär Berglerin und erst in zweiter Linie Hüttenwartin. Die Hütte ist mein Brotjob, mit dem ich mir meinen Lebensunterhalt verdiene und der mich manchmal auch davon abhält, selbst in die Berge zu gehen. Es ist ein knochenharter, oft unromantischer Job mit bis zu 18 Stunden Arbeit pro Tag. Trotz den Entbehrungen: Hüttenwartin zu werden, war und ist ein Riesenglück und das Beste, was mir in meinem Leben passieren konnte.
Thomas: Das dort oben (zeigt Richtung Alpenhauptkamm) ist nicht mein Job, sondern mein Leben, und das ist für mich das grosse Glück. Arbeitszeit und Freizeit vermischen sich, das ist ideal für mich. Ich bin quasi ein moderner Halbnomade – pendle zwischen Stadt und Hütte, zwischen Grossstadtwildnis und Natur. Ein Teil meines anfänglich schier unendlichen Idealismus hat sich zwar verabschiedet, aber es ist noch viel vorhanden! Die Leidenschaft ist geblieben. Es ist und bleibt so: Man muss fit und gesund sein, sonst hat man da oben nichts verloren. Ich bin auf der Hütte Pächter mit pauschaler Verantwortung und weiss, dass meine Zeit oben ablaufen wird.
Die früheren «buckligen» Hüttenwarte hatten Chefallüren. Sie waren frei, egozentrisch und schwierig im Umgang …
Thomas: Das waren keine leiden Figuren! Hochspannende Persönlichkeiten mit Charisma, viel Wissen und einem grossen Erfahrungsschatz. Sie wussten, was sie wollten, und haben das auch klar und deutlich kommuniziert.
Gabi: Das kann ich mir als Frau so nicht leisten, möchte ich aber auch gar nicht. Obwohl: Manchmal beneide ich äusserst klar auftretende Männer … Als Frau geziemt sich auch heute einiges nicht, und es wäre ab und zu einfacher als Mann. Ich muss halt manchmal etwas zweimal sagen, bis es ankommt. Ich darf aber auch nicht verschweigen, dass mich vor 27 Jahren die damals dominierende Männerwelt des SAC äusserst respektvoll aufgenommen hat.
Die Zeiten haben sich geändert. Welches ist eure grösste Sorge?
Gabi: Es hat sich weniger verändert, als man meint. Früher habe ich telefoniert, heute maile ich – aber sonst ist vieles gleich geblieben. Zuinnerst jedoch stört mich der zunehmende wirtschaftliche Druck, der Zwang, für immer mehr Umsatz besorgt zu sein. Ich bin und werde getrieben, wirtschaftlich erfolgreich zu wirten, obwohl ich eigentlich möchte, dass der Gast so wenig wie möglich bezahlen muss. Die SAC-Hütten sind teuer im Unterhalt, kosten die Sektion viel Geld. Ich habe deshalb Verständnis für die Vorgaben der Sektion, welche die Hütte finanzieren muss. Dieser Druck, diese Abhängigkeit und die Unmöglichkeit, frei zu entscheiden, schmerzen aber schon. Ich bin zur Geschäftsfrau geworden, und die versteht sich nur bedingt mit meinem grosszügigen Herzen. In meinem letzten Hüttenjahr würde es mich reizen, Preise wie damals zu verlangen. Weniger Aufwand zu betreiben, dafür länger bei den Gästen zu sitzen und zu plaudern. Ob ich dann den Mut habe?
Thomas: Ich kenne diesen Druck und suche ständig nach Möglichkeiten, zu widerstehen und deswegen keinen Stress zu haben. Ich habe damals bewusst eine kleine Hütte mit 33 Plätzen übernommen und gehofft, dass das Kommerzielle nicht ausschliesslich im Vordergrund steht. Diese Hoffnung hat sich nicht wirklich erfüllt. Wenn Region und Hütte beliebt sind und plötzlich nicht mehr 900, sondern 2500 Gäste übernachten, stehen Mehrwertsteuer, Buchhaltung und vieles andere an. Die Behörden und ihre Bürokratie haben einen langen Arm, und an Gesetzen und Kontrollen mangelt es nicht. Der Aufwand wird grösser, und Ende Saison muss etwas übrig bleiben, sonst macht es keinen Sinn und noch weniger Spass.
Wie wirken sich Technik und Digitalisierung auf eure Arbeit aus? Sind Internet, Reservationssystem und andere elektronische Helfer ein Segen?
Gabi: Ich habe kein Internet auf der Hütte, und das wird auch so bleiben, solange ich noch oben bin. Das Einzige, was ich habe, ist eine Steckdose mit Solarstrom. Die stelle ich den Smartphonesüchtigen gerne zur Verfügung. Darum streiten können sie sich selbst. Es ist besser, wenn sich die Gäste telefonisch anmelden. So kann ich in ein paar Sekunden die aktuellen Verhältnisse erklären. Mailen ist zeitraubend – ich trinke lieber an der Sonne einen Milchkaffee mit den Gästen.
Thomas: Die Technik hilft. Aber das unverbindliche Verhalten einzelner Gäste macht zunehmend Bauchweh, und übersteigerte Forderungshaltungen sorgen immer mal wieder für einen dicken Hals. Ganz allgemein: Ein guter Gast ist einer, der auch kommt. Wenn ich das Essen in der Pfanne habe und mit fadenscheinigen Gründen oder zu kurzfristig abgesagt wird, werde ich deutlich. Da bin ich um die Allgemeinen Geschäftsbedingungen und die Möglichkeit, bei zu später oder unterlassener Abmeldung trotzdem Rechnung zu stellen, sehr froh. Willkommen sind alle, aber bitte fair und anständig. Wir haben Gastgeberpflichten, und Pflichten gibt es auch auf der anderen Seite.
Gabi: Ich sehe das ganz anders! Die Rechnungsstellung bei Nichterscheinen oder zu später Abmeldung ist für mich ein No-Go! Ich habe noch nie einen Franken verlangt von jemandem, der nicht auf der Hütte erschienen ist. Das ist wieder das gleiche Thema: Hüttenwart oder Unternehmer? Ich bin Berglerin, wenn das Wetter schlecht ist oder sonst was plötzlich nicht passt, darf man auch absagen, auch am Morgen noch. Die kommen doch dann ein anderes Mal. Ich finde: Wenn jemand hier ist, kostets, wenn er nicht hier ist, nicht. Natürlich sage ich bei der Anmeldung, dass eine möglichst frühe Abmeldung gewünscht ist.
Thomas: Da müsstest du dir wichtiger sein! Es darf nicht sein, dass diejenigen, die sich unfair oder unachtsam verhalten, noch bestätigt und belohnt werden. Deshalb habe ich engagiert für die AGB gekämpft. Ich ärgere mich über die Hüttenwarte, die sie nicht umsetzen.
Gabi: Ich kann das nicht – und ich will das nicht. Das stört mein Berglerherz, sorry. Du hast doch gesagt, man soll als Hüttenwart authentisch bleiben. Das bin ich, auch in dieser Frage. Ich ärgere mich auch nicht, wenn jemand absagt. Aber ich habe wohl mit vielen Bergsteigern robustere Gäste …
Thomas: Wir können uns heute perfekt informieren, sind gut ausgerüstet, haben viel Freizeit. Da geht es nicht an, klein beizugeben und in der Komfortzone zu verharren. Eine Reservation löst einen Service und eine Dienstleistung aus. Das hat seinen Preis, und das ist richtig so. Man kann nicht konsumieren wollen und dafür nicht geradestehen.
Wie wichtig ist die Psychologie, das Fingerspitzengefühl beim Umgang mit den Gästen?
Gabi: Ich mache mir da nicht so viele Gedanken, bin spontan und höre auf mein Bauchgefühl. Wenn sich Junge zum Beispiel offensichtlich am gutmütigen Tödi überfordern, dann sage ich: «Probierts doch, und sonst kehrt ihr um, vertraut eurem Gschpüri.» Auch wir haben so am Berg gelernt.
Thomas: Menschenfreund: unbedingt! Aber ich spüre auch Grenzen. Fingerspitzengefühl ist sicher gut – aber auch ich will nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen. Menschen, die mit dem Allradauto so weit, wie es nur irgendwie geht, in die Berge flüchten und oben den Gletscherschwund beklagen, die nerven mich schon.
Apropos Gletscher und Klima: Wohin geht die Reise auf den Hütten bei Ressourcen und Nachhaltigkeit?
Thomas: Das Ziel ist für mich klar: der klimaneutrale Hüttenbetrieb – wenn nötig über eine schlaue CO2-Kompensation. Auch die Einführung eines Klimafrankens für die Hüttengäste würde ich begrüssen. Als SAC und Hüttenbetreiber sind wir in der Verantwortung, haben eine Vorbildfunktion. Achtsamkeit steht uns gut an, denn wir sind Botschafter, und es darf uns nicht egal sein, was mit dem Klima passiert. Ich bin kein Radikaler, aber als Bergsteiger weiss ich, dass wir mit unserem Mobilitätsverhalten grossspuriger unterwegs sind als viele Sportler, die ihre Freizeit zu Hause im urbanen Raum verbringen.
Gabi: Auf der Fridolinshütte haben wir Wasserkraft und Solarstrom, aber kein weiteres technisches Glump! Wir sind klimaneutral. So nehmen wir unsere Verantwortung wahr. Ich masse mir aber nicht an, andere zu kritisieren und Tipps zu geben.
Wie haben sich die Bedürfnisse der Gäste in den letzten 20 Jahren verändert?
Gabi: Den Wunsch nach kleineren Zimmern kann ich nachvollziehen. Ich schlafe selbst nicht gerne wie ein Löffeli neben dem anderen. Zur Not helfen schon Bretter zwischen den einzelnen Betten. Ich bin aber gegen zusätzliche Technik, sowohl beim Hüttenbetrieb als auch in der Küche. Lieber «einfach, gut und genug». Ich brauche keinen Gastroklimbim und zu Wellensittichen geschnitzte Rüebli. Meine Gäste reklamieren auch nicht, dass das WC und der Brunnen draussen sind. So mancher hat so den Sternenhimmel etwas länger angeschaut.
Thomas: Ich sehe das auch so. Bei einem Um- oder Ausbau begrüsse ich eine Reduktion der Gesamtzahl der Betten und kleinere Zimmer. Technischen Luxus braucht es nicht. Autsch, wenn man eine Luxusküche hat und das Brot trotzdem mit dem Heli eingeflogen wird. In der Küche ist mir der regionale Bezug besonders wichtig.
Ein Wunsch an eure Gäste?
Gabi: Bleibt, wie ihr seid! Offen und interessiert. Es freut mich, dass wieder so viele Junge in die Berge kommen und den Wert der Bergwelt entdecken.
Thomas: Stimmt! Lebt den Moment, bleibt authentisch und euch treu! Und: Nehmt eure Geniesserseele mit!
Was dürfen Hüttenwarte und solche, die es werden wollen, nicht vergessen?
Gabi: Es ist enorm wichtig, dass man in «toten Zeiten» alleine mit sich etwas anfangen kann. Dass man sich selbst genügt an solchen Tagen. Das Leben auf der Hütte ist nicht ganztägig bespasst wie das unten im Tal. Wer das aushält, hat eine grosse Voraussetzung schon erfüllt. Und: Es gibt für Unerfahrene «unglückliche» Hüttengrössen. Wenn dann das Wetter schlecht ist, steigt auch der wirtschaftliche Druck.
Thomas: Wir sind «Rundumbetreuer»! Sind sie einmal auf der Hütte, wünsche ich allen den Mut, Auszeiten zu nehmen und auch selbst die Schuhe zu schnüren. Man braucht zudem Allrounderfähigkeiten, ohne alles schon können zu müssen. Und man muss sich bewusst sein, dass sich der Alltag oben vom normalen Leben unterscheidet und vieles beherzter, mutiger und kreativer angepackt werden muss. Auch Freundschaften und Beziehungen. Aber: Wir sind begehrter denn je und haben die besten Voraussetzungen an den schönsten Orten! Je digitaler die Welt, desto analoger die Fluchten – zum Glück! Und manchmal wäre ich gern ein wenig mehr wie Gabi (lacht).