«Mich interessiert die mentale Grenze»
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«Mich interessiert die mentale Grenze» Spitzenalpinist Dani Arnold über den Sinn des Bergsteigens

Er hat in den letzten Jahren wie kaum ein Zweiter im Schweizer ­Alpinismus von sich reden gemacht: Dani Arnold aus Bürglen/UR erklärt, weshalb er trotz allen Erfolgen gerne als Bergführer unterwegs ist und weshalb Speed für ihn nicht alles ist.

Neben der Küchentür in Dani Arnolds Wohnung hängt ein Foto einer auf­fällig gesprenkelten Felswand. Zwischen den verschneiten Stellen kommt schrumpliger Fels zum Vorschein, der aussieht wie Elefantenhaut. An einer Säule turnt mit zwei Eisgeräten ein kleines Männchen in roter Jacke und blauen Hosen. «Schottland», sagt Arnold und deutet auf die Person, «da bin ich sehr gerne.»

Er fühlt sich im Element beim Klettern im Schnee, in Eis und Kälte, in winterlichen Wänden, die kaum Ritzen oder Spälte aufweisen, um Sicherungen anzubringen.

«In Schottland findet man teilweise auf nur gerade 30 Metern extreme Schwierigkeiten. Das liegt mir.» Der Ehrenkodex schreibt vor, dass man an solchen Orten keine Bohrhaken anbringt und nur mit Eisgeräten klettert, wenn der Fels schneebedeckt ist. Diejenige Route, die Arnold als beste Leistung seiner Karriere betrachtet, befindet sich ebenfalls in Schottland. 2010 kletterte er als erster Nicht-Local The hurting XI 11, eine schwere Mixed-Kletterroute.

Mit der Seilbahn zur Schule

Dani Arnold nimmt auf dem Sofa in der gut aufgeräumten Stube Platz, stellt die Espressomaschine vor sich aufs Tischchen. Der 31-jährige Urner mag das Unterwegssein, fremde Länder, wilde Trips und Biwaknächte in luftiger Höhe. Dafür brauche er aber eine solide Basis, betont er. Die Basis zu Hause ist seine Frau Denise, mit der er die Wohnung in Bürglen teilt.

Nicht weit davon entfernt, an der Klausenpassstrasse, steht die Station der winzigen Seilbahn, mit der er jeweils von seinem Elternhaus hoch über dem Tal zur Schule fuhr. Einer seiner liebsten Kletterpartner ist Bruder Mario, der demnächst ebenfalls die Ausbildung zum Bergführer abschliesst. Als Kind begann Dani, ohne Seil in den Eisfällen im Brunnital herumzuklettern, und fühlte sich pudelwohl. «Ich hatte keine Sekunde Angst, dass ich fallen würde», erzählt er. «Daraus ist viel entstanden. Dieses Gefühl kann ich auch in schwierige Passagen mitnehmen. Ich weiss, es funktioniert.»

Bescheiden und unaufgeregt

Er glaubt, dass er auch deswegen Routen schafft, die höchste Anforderungen an die Psyche stellen. «Man kommt immer an die Grenze», versucht er zu erklären, «aber gerade das interessiert mich am Bergsteigen am meisten: dass ich in offensichtlich gefährlichen Situationen noch klar denken kann. Dieses Gefühl suche ich stets von Neuem.» Um extreme Schwierigkeiten zu meistern, müssen allerdings auch die Grundvoraussetzungen stimmen: die Kraft, die Ausdauer, das Material, die Kletterpartner. Mängel in diesen Bereichen sind schwer mit der Psyche zu kompensieren.

Wie er da sitzt und redet, mit der Kaffeetasse in der Hand, wirkt Arnold bescheiden und unaufgeregt. Der Mann weiss, was er kann, er weiss, was er will, und er äussert sich klar. Dabei sei ihm anfänglich gerade dies schwergefallen, zu sagen, dass er etwas besonders gut könne.

«Man beginnt schnell zu spinnen»

«Die Aufmerksamkeit kam überraschend», erinnert er sich an den Aufruhr in den Medien, nachdem er 2011 Ueli Stecks Speedrekord in der Eigernordwand um 20 Minuten unterboten hatte. In der Szene hatte der junge Urner schon 2010 mit einer spektakulären Solobegehung von sich reden gemacht. Er kletterte die 36 Seillängen des Salbit Westgrates in unfassbar schnellen eineinhalb Stunden. Auch wenn Arnold kein Newcomer mehr ist, grübelt er noch heute darüber, wie er mit den Me­dien, dem Marketing in ­eige­ner Sache und der PR-Arbeit verfahren soll. «Es ist ein interessantes und abwechslungsreiches Leben, aber man beginnt schnell zu spinnen, alles dreht sich um die eigene Person. Man fragt sich nur noch: Was mache ich als Nächstes? Wie kann ich mich noch besser verkaufen?»

Um auf Kurs zu bleiben und sich zwischendurch zu erden, hält der Spitzenalpinist deshalb gerne an seiner Arbeit als Bergführer fest. «Auf diesen Touren stehen meine Gäste im Zentrum. Es geht überhaupt nicht um mich, sondern ich helfe nur, das Ziel zu er­reichen. Das ist sehr heilsam.» Im Grunde wolle er nämlich nur eines, «cool bergsteigen» und besser werden. Dazu müsse man rausgehen und sich in Situationen begeben, die kritisch sind, mehr nicht.

«Nicht unbedingt Bergsteigen»

Ob sich Dani Arnold nochmals an den Eiger begibt, um Stecks Herausforderung zu einem neuen Wettlauf zu beantworten, ist für ihn im Augenblick zweitrangig. «Natürlich ist Speed eine Herausforderung, und ich mache es auch gerne», sagt Arnold, «aber die Schwierigkeit ergibt sich einzig aus der Geschwindigkeit.» Das sei nicht unbedingt Bergsteigen, sondern eher Trailrunning.

Er finde, man könne sich heutzutage nicht mit Routen profilieren, die vor 75 Jahren geklettert worden seien. Trotzdem sei er extrem nervös gewesen im letzten Herbst. Die Verhältnisse in der Wand waren perfekt, und Arnold ging davon aus, dass Steck versuchen würde, den Rekord zurückzugewinnen. «Die Ungewissheit, ob er es schafft oder nicht, hat mich sehr belastet. Ich war nervös und unzufrieden. Anscheinend war mir das doch wichtiger, als ich mir eingestehen wollte.»

Als der Rekord dann gefallen war, fand er es gar nicht mehr so schlimm. «Ich weiss wirklich nicht, ob ich zurückgehe. Im Moment ist es nicht mein Ziel, aber ich kann auch nicht sagen, dass ich es nie mehr versuchen werde.» Arnolds Fokus liegt aktuell auf schwierigem Eis- und Mixed-Gelände. Deshalb hämmert er sich wenn immer möglich mit seinen Eisgeräten durch Höhlen und Wände. In einer ersten Phase geht es darum, die Geräte möglichst lange halten zu können, später wird er sein Feingefühl weiter trainieren, um zu spüren, ob eine bestimmte kleine Leiste oder ein Minirisschen hält oder nicht. Bis im Frühling will er ein Projekt in Schottland und eines in Kanada realisieren – logisch, in Wind, Kälte, Schnee und Eis.

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