«Meine Liebe zu den Bergen habe ich nicht verloren»
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«Meine Liebe zu den Bergen habe ich nicht verloren» Hubert Blanchards Leben nach der Amputation

Durch eine Lawine verlor der Waadtländer Hubert Blanchard im Januar 2016 sein Bein. Heute fährt der ehemalige SAC-Tourenleiter wieder im Pulverschnee.

Unsere Verabredung fällt auf die Apérozeit in einem Lausanner Café. Mit einer leichten Verspätung trifft Hubert Blanchard ein. Der rund Vierzigjährige lebt in St-Saphorin (Lavaux). Sein sicherer Gang, sein Verhalten und das offene Lächeln auf seinem Gesicht lassen in keinster Weise erahnen, welch beschwerlichen Weg er hinter sich hat. Im Januar 2016 kam der ausgebildete Ingenieur in eine Lawine und verlor dabei sein rechtes Bein. Seine positive Einstellung und seine Lebensfreude sind ihm jedoch geblieben.

Das Leben gegen ein Bein

Vom Unfall erzählt er gelassen: «Der 22. Januar 2016 war ein strahlender Wintertag, die Lawinengefahr lag bei Stufe 2 von 5. Ich hatte mich mit einem Freund verabredet, um die tollen Verhältnisse in der Region des Col des ­Pauvres auszunutzen.» Doch die Tour nimmt für den Familienvater, der seit über 20 Jahren in die Berge geht und als Tourenleiter in der SAC-Sektion Jaman tätig ist, eine unvorhergesehene Wendung.

Sein Freund fährt als Erster ein Stück weit die Abfahrt hinunter. Nach ein paar Schwüngen landet er auf einem Grat und wartet dort. Trotz Vorsichtsmassnahmen löst sich bei Hubert Blanchard ein Schneebrett und reisst ihn 800 Meter mit in die Tiefe. «Ich hatte gerade noch Zeit, meinen Airbag zu öffnen, dann kam ich in die Waschmaschine», erzählt er. Als es zu Ende war, merkte er, dass sein Bein ein Stück weit abgerissen war.

«Ich verdanke dem Airbag mein Leben. Aber er hat mich wahrscheinlich mein Bein gekostet: In der Lawine spürte ich einen enormen Zug, der mich nach unten ziehen wollte, während der Airbag mich an der Oberfläche hielt.» Hubert Blanchard erwacht einige Stunden später im Lausanner Universitätsspital (CHUV). Die Diagnose ist nur schwer verdaulich: multiple Frakturen am Bein, unterhalb des Knies muss amputiert werden. Nach diesem bösen Erwachen entschliesst sich Blanchard, den Kampf aufzunehmen und optimistisch zu bleiben. «Viele, die mich im Spital besuchten, waren verstörter als ich. Das ging so weit, dass ich dachte, die Ärzte hätten mir Antidepressiva in meine Infusion gegeben!»

Sohn als Motivation

Der Vater des kleinen Thibault durchlief ein regelrechtes Trainingslager, um seine Kapazitäten wiederzuerlangen: Nach einigen Wochen in der Traumatologie des CHUV verbrachte er drei Monate im orthopädischen Krankenhaus, gefolgt von zwei Monaten in der Rehabilitationsklinik von Sion. «Mein Ziel war es, mich so bald wie möglich selbstständig um meinen Sohn kümmern und wieder Sport treiben zu können», erinnert er sich.

Dank seinen Liebsten zeigte Hubert Blanchard starken Durchhaltewillen: «Oft sagt man den Menschen mit Amputationen, dass sie von nun an ein anderes Leben führen werden. In meinem Fall war es nicht so.» Blanchard hatte das Glück, von seiner Familie unterstützt zu werden. «Und das Privileg, die Hilfe eines befreundeten Sportlers zu bekommen, der ebenfalls amputiert ist», fügt er hinzu. «Das hat mir einen enormen mentalen Rückhalt geboten.» Dank dem medizinischen Fortschritt könne man sich heutzutage viel schneller von einer Amputation erholen und mit den neusten Prothesen eine bessere Lebensqualität erlangen.

Der Preis der Mobilität

Fakt ist, dass die Versicherungen die Kosten nicht für alle Arten von Prothesen übernehmen. Dass sie bei Hubert Blanchard bereit waren, für eine elektronische Prothese 40 000 Franken zu bezahlen, liegt wohl daran, dass er ein sehr aktiver Familienvater ist. Dennoch fehlte dem Sportler am Ende das Geld für spezielle Ski-, Wasser- und Laufprothesen. Um die nötige Summe zusammenzubringen, gründete der ehemalige Tourenleiter mithilfe einiger Freunde eine Crowdfundingplattform. mit dem Namen Hubert.care. «Wir haben 45 000 Franken gesammelt», freut sich Blanchard: «So konnte ich meine Prothesen kaufen.»

Wiedersehen mit dem Schnee

Mit den geeigneten Prothesen ausgerüstet, konnte er seine Wünsche in die Tat umsetzen und mit seinem Sohn im Wasser spielen sowie Wandertouren mit bis zu 900 Höhenmetern absolvieren. Aber das absolute Sahnehäubchen war für ihn die erste Pulverschneeabfahrt, letzten Winter in Zermatt. «In diesem Moment realisierte ich, dass meine Leidenschaft für den Schnee und die Berge immer noch intakt war», erzählt er mit leuchtenden Augen und strahlendem Lächeln. «Das Schlimmste habe ich hinter mir. Auch wenn ich es nicht mehr schaffe, mein altes ­Niveau zu erreichen, erwarten mich trotzdem noch unzählige Abenteuer auf den Gipfeln.»

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