Matthias Zurbriggen 1856–1917. Walliser Bergführerlegende aus Macugnaga (It)
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Matthias Zurbriggen 1856–1917. Walliser Bergführerlegende aus Macugnaga (It)

Walliser Bergführerlegende aus Macugnaga ( It )

Matthias Zurbriggen 1856–1917

Geboren in Saas Fee, aufgewachsen in Macugnaga, unterwegs mit den Vornehmen und Berühmten, erfolgreich auf den höchsten Bergen seiner Zeit: das war « Mattia » Zurbriggen, einer der berühmtesten Bergführer aus dem Wallis im zu Ende gehenden 19. Jahrhundert. Sein kürzlich aufge-tauchtes Führerbuch ist eine wahre Fundgrube. 1

Vor einiger Zeit überreichte ein amerikanischer Tourist dem Schweizerischen Alpinen Museum in Bern ein besonderes Geschenk: das Bergführerbuch seines Urgrossvaters Matthias Zurbriggen aus den Jahren 1894–1906. 2 Der Urenkel Tom Zurbriggen aus Onalaska/Wisconsin hatte es im Estrich seiner Eltern in Iowa gefunden, die es ihrerseits von Toms Grossvater, dem nach Amerika ausgewanderten Sohn von Matthias Zurbriggen, erhalten hatten. Eine wahre Odyssee fand unerwartet ein gutes Ende! Dieses zweite « Libretto di Guida » ergänzt die bisherigen Kenntnisse über Zurbriggens bergsteigerische Höhenflüge und seine beruflichen und charakterlichen Eigenschaften.

Vom Ziegenhirt zum Bergführer Matthias wurde 1856 in Saas Fee geboren, wo er aber nur die ersten zwei Jahre seines Lebens verbrachte. Denn bereits 1858 zog die kinderreiche Familie über den Monte-Moro-Pass nach Pestarena, wo sich dem Vater in den Goldminen bessere Verdienstmöglichkeiten boten. Bereits sechs Jahre später entriss ein Unfall der Walser-Familie den Ernährer, und der junge Matthias musste wie seine Geschwister als Schaf- und Ziegenhirt, später als Gelegenheitsarbeiter im Wallis und in der Westschweiz den Lebensunterhalt mitverdienen. Gegen Ende der Achtzigerjahre reifte in ihm der Entschluss, Bergführer zu werden. Eine offizielle Ausbildung gab es damals noch nicht, und auch die Ausrüstung musste jeder selber zusammentragen. Mit seinen ersten Gästen bestieg er von Macugnaga aus über das Marinelli-Couloir die Dufourspitze, dann auch den Montblanc und – unter dramatischen Umständen zusammen mit dem Engländer Fison – 1889 das Matterhorn. Matthias Zurbriggen wurde nun rasch zu einem begehrten Begleiter. Zu seinen Gästen zählten bekannte Alpinisten und Forscher wie Matterhorn-Erstbesteiger Edward Whymper, Lord Conway of Allington, das Ehepaar de Fonblanque, das Ehepaar Bullock Workman, Fürst Scipione Borghese und der Hutfabrikant Giuseppe Borsalino.

1892 engagierte ihn Lord Conway für eine achtmonatige Forschungsreise in den Karakorum. Die Besteigung des Pioneer Peak, 6890 m, vom Baltorogletscher aus bedeutete für die damalige Zeit Höhenrekord! « Ich fühlte mich dem Himmel näher. All die Schönheit sah ich vor mir ausgebreitet, mit der ein gütiger Gott unsere Welt beschenkt hat. »

Highlights aus dem Führerbuch 1895 kam Zurbriggen dank seines neuen Brotgebers E. A. Fitzgerald nach Neuseeland. Fitzgerald berichtete darüber im « New Zealand Alpine Journal », insbesondere über seine dramatische Rettung durch Zurbriggen am Mount Sefton. 3

Macugnaga mit dem Monte-Rosa-Massiv im Hintergrund zur Zeit, als die Familie Zurbriggen dorthin auswanderte Fo to: z vg DIE ALPEN 1/2004

Nach den gemeinsamen Erstbesteigungen von Mt. Sealy, Mt. Tasman, Silberhorn und Mt. Haidinger gelang Zurbriggen am 14. März 1895 im Alleingang die Zweitbesteigung des Mt. Cook, 3754 m, des höchsten Gipfels Neuseelands. Knapp drei Monate zuvor war er von einer neuseeländischen Seilschaft erstbestiegen worden. 4 Zurbriggen erreichte aber den Gipfel erstmals über den Nordostgrat. Eine zweite Reise nach Neuseeland im folgenden Jahr, diesmal mit Giuseppe Borsalino, verlief wegen der misslichen Wetterverhältnisse weniger erfolgreich. Die Erstbesteigung des Aconcagua, 6959 m, des höchsten Bergs in Südamerika, am 14. Januar 1897 – im Alleingang, weil Fitzgerald zu erschöpft war – markierte zweifellos Höhepunkt und Krönung von Zurbriggens Bergführerkarriere, denn noch nie hatte ein Mensch diese Höhe erreicht. Am 12. April stand er mit Stuart Vines im vierten Versuch auch auf dem Gipfel des Tupungato, 6550 m.

Im Führerbuch gut dokumentiert ist die erstmalige, erst im dritten Versuch erfolgreiche Traversierung des Jochs zwi-

1 Frühere Werke zu Matthias Zurbriggen: The Alpine Journal Vol. xxxii 1918/19 ( Lord Conway ). Rivista Alpina Italiana 1900 ( Carlo Toesca di Castellazzo ). Benuzzi Felice: Mattia Zurbriggen Guida Alpina. Le sue imprese, i suoi uomini, i suoi monti, Torino 1987. Kalbermatten Walter, Zurbriggen André: Matthias Zurbriggen. Der berühmteste Aus-landsbergführer des 19. Jahrhunderts, Naters 1997. Eine frühere Würdigung findet sich auch bei Egger Carl: Pioniere der Alpen. 30 Lebensbilder der grossen Schweizer Bergführer, Zürich 1946 2 Das erste Führerbuch befindet sich seit 1984 im Alpinen Museum in Turin. 3 Mai/Oktober 1895 unter dem Titel Climbs in the NZ Alps in Buchform erschienen, London 1896 4 Wilson Jim: Aorangi.. " " .The Story of Mount Cook, Christchurch 1968. Haynes John: Piercing the Clouds. Fyfe Tom: First to Climb Mount Cook, Christchurch 1994 Matthias Zurbriggen in Neuseeland Gipfelfoto auf dem Mt. Haidinger mit Zurbriggen ( l. ) und Clark, fotografiert von Fitzgerald, anlässlich der Erstbesteigung vom 8. Februar 1895 Matthias Zurbriggen ( r. ) mit Harper, Tuckett und Fitzgerald 1895 am Mt. Cook in Neuseeland Fo to: z vg /Ca nt er bury M us eu m Ch rist ch ur ch DIE ALPEN 1/2004

schen Schwarzhorn und Ludwigshöhe im Monte-Rosa-Massiv, der nachmaligen « Colle Zurbriggen », 4250 m, am 1O. September 1898. Die Gebrüder Gugliermina waren des Lobes voll, hatte Zurbriggen doch bereits am Tag zuvor Tritte ins Eis des Piodegletschers geschlagen, um ihnen den Aufstieg zu erleichtern. 5

In den Jahren 1899 und 1902 reiste Zurbriggen wiederum in den Himalaya, beide Male auf Einladung des amerikanischen Forscherehepaars Bullock Workman. Die Besteigung eines bisher unbekannten Gipfels mit Fanny – man nannte ihn in der Folge Mount Bullock Workman, 6400 m – veranlasste Zurbriggen später zur Bemerkung, er habe sich sehr glücklich gefühlt, zum ersten Mal eine Dame auf einen so hohen Punkt geführt zu haben, … « denn ich bin überzeugt, dass eine gute Bergsteigerin weit grössere Höhen erreichen kann, und habe nur die eine Hoffnung, dass man mich dann als Führer wählt ». 6

Zwischen diesen beiden Himalaya-Expeditionen reiste Zurbriggen mit Scipione Borghese im Jahre 1900 über Moskau und Taschkent ins Tien-Schan-Ge-birge, wo es zu ein paar Erstbegehungen kam. Das Hauptziel, die Besteigung des Khan Tengri, 6995 m, wurde aber verfehlt.

Im Urteil seiner Zeitgenossen Unter den damaligen Bergführern war Matthias Zurbriggen eine Ausnahmeerscheinung. Er verkörperte all die Eigenschaften und Fähigkeiten, die er selber in seinen Erinnerungen für die Eignung zum Führerberuf für unabdingbar hielt. Im Führerbuch liest man immer wieder von der umsichtigen Vorbereitung jeder Tour, seinem fast blinden Zurechtfinden im schwierigsten Gelände, seinem sicheren Instinkt, seiner Geistesgegenwart und seinem raschen Entscheidungsver-mögen. Auch in heiklen Situationen soll er stets seine Ruhe bewahrt haben.

Und Matthias Zurbriggen als Mensch? Wer mit ihm zu tun hatte, spürte seine grosse Liebe zu den Bergen. Man schätzte sein zuvorkommendes, hilfsbereites Wesen, seine Geduld, das Vertrauen, das er verbreitete. Rosemary de Fonblanque und Fanny Bullock Workman lobten seinen geschickten Umgang mit dem weiblichen Geschlecht: « He is certainly most strongly to be recommended as a lady's guide. »

Für andere war Zurbriggen emotional, ja aufbrausend, kompromisslos, streitsüchtig. Ehrgeiz? « Es gibt noch einen Riesenberg, den ich gern besteigen möchte », gesteht er am Schluss seiner Erinnerungen. 7 « Das ist der Mount Everest! Zum Gipfel eines jeden Berges führt ein gangbarer Weg. Ich glaube sicher, dass es auch einen auf den Mount Everest, den Allerhöchsten, gibt. »

Tragisches Ende Dank seiner Führerbücher und anderer Aufzeichnungen ist vieles über diesen « glamourösen » Bergführer bekannt, einiges bleibt im Dunkeln. So weiss man zum Beispiel bis heute nicht, weshalb Matthias Zurbriggen ab 1907 seinem so geliebten Bergführerberuf plötzlich den Rücken kehrte. Die letzten zehn Jahre verbrachte dieser Mann der Berge in Genf, wo er am 21. Juni 1917 in einem Spital, von Geldnöten geplagt und dem Alkohol verfallen, angeblich Selbstmord beging. Überdauert haben ihn – neben all den Erinnerungen – die « Zurbriggen Ridge » in Neuseeland, die « Colle Zurbriggen » im Monte-Rosa-Massiv und der « Cerro Zurbriggen » in Südamerika. a

Peter Stettler, SAM 5 Darüber schrieben sie ins Führerbuch: « In questa ascensione ebbimo campo di apprezzare al massimo grado l' alta conoscenza che il Zurbiggen ha della montagna, avendo egli saputo cioè una grande rapidità ed un indirizzo veramente superiore, guidarsi attraverso alla grande parete senza la minima esitazione. » 6 Zurbriggen Matthias: Von den Alpen zu den Anden, S.157/158 7 Zurbriggen Matthias: From the Alps to the Andes. Being the Autobiography of a Mountain Guide, London 1899. Zurbriggen Matthias: Von den Alpen zu den Anden. Lebenserinnerungen eines Bergführers, Berlin 1937. Zurbriggen Mattia: Dalle Alpi alle Ande. Memorie di una guida alpina, Torino 2001 ( Rückübersetzung aus dem Englischen, da das italienische Originalmanuskript in London offenbar verloren ging ) Der legendäre Bergführer Matthias Zurbriggen: geboren in Saas Fee, aufgewachsen in Macugnaga und erfolgreich unterwegs an den höchsten, noch nicht bestiegenen Bergen seiner Zeit Matthias Zurbriggens Geburts- und Heimatort Saas Fee mit Allalin, Alphubel und Feegletscher Foto: zvg/Archiv André Zurbriggen Foto: zvg/Walter Kalbermatten DIE ALPEN 1/2004

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