Leb wohl, Mitholz
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Leb wohl, Mitholz Ausstellung über Heimat im Alpinen Museum der Schweiz

Das Alpine Museum der Schweiz widmet seine neue Hauptausstellung dem Bergdorf Mitholz. Dort müssen die Bewohnerinnen und Bewohner wegziehen, weil ein altes Munitionslager der Armee geräumt werden soll. Einige von ihnen sind jetzt zu Ausstellungsmacherinnen und -machern geworden und widmen sich grossen Themen.

«Mier müesse gah, hinder öös lah, Nachbarä, Hüser u Gärtä.»

Es ist ein berührendes Lied, das Berufsmusikerin Kathrin Künzi für die neue Hauptausstellung «Heimat. Auf Spurensuche in Mitholz» im Alpinen Museum der Schweiz komponiert und zusammen mit Arlette Schnyder und Antoine Jaccoud getextet hat.

Mitholz ist ein kleines Dorf entlang der Strasse zwischen Frutigen und Kandersteg, meistens steht es nicht im Zentrum des allgemeinen Interesses. Aber als die Behörden 2018 die Bevölkerung darüber informierten, dass im Fels oberhalb des Dorfs tonnenweise Munition liegt, berichteten alle Medien darüber. 2020 entschied der Bundesrat, dass die Bewohnerinnen und Bewohner den Ort wegen der Räumung in zehn Jahren verlassen müssen. Für mindestens zehn Jahre.

Einige wissen schon, dass sie nicht zurückkehren werden

Blick zurück: Nach dem Zweiten Weltkrieg verstaute die Schweizer Armee Munition im Fels. 1947 explodierte der halbe Stollen, das Dorf wurde zerstört, neun Menschen starben. Danach wurde das Dorf wieder aufgebaut, und die Menschen kehrten zwei Jahre nach dem Unglück zurück.

Es schien vergessen gegangen zu sein, dass sich immer noch über 3000 Tonnen Munition im Fels befinden. In den 1980er-Jahren wurde der geräumte Stollen sogar ausgebaut, es entstanden unter anderem Lagerräume der Armeeapotheke. Man schmiedete auch weitere Ausbaupläne. Erst 2018 kamen die Behörden zum Schluss, dass die verschüttete Munition immer noch eine Gefahr darstellt und dass gehandelt werden muss.

Für die anstehende Räumung müssen die Mitholzerinnen und Mitholzer wegziehen. 150 Menschen leben im Ort. 50 von ihnen im engeren Sicherheitsperimeter. Einige sagen, sie wüssten schon jetzt, dass sie nie mehr zurückkehren würden. 2040 ist weit weg. Wer weiss schon, was bis dahin passiert.

«Läb wohl, Mitholz, du bisch ä Tiil va öös.Rosä blüäh u vergöh.Mitholz, läb wohl, läb wohl.»

Die Ausstellung im Alpinen Museum ist «ein partizipatives Projekt mit Menschen aus dem Bergdorf Mitholz über Heimat, Erinnerung, Risiko und Verantwortung». Über den Dorfbriefträger und den Gemeindeschreiber von Kandergrund, wo Mitholz politisch dazugehört, versuchte Barbara Keller, die Kuratorin der Ausstellung, Mitwirkende für das Projekt zu gewinnen. «Angefangen haben wir mit sechs Leuten», sagt sie. Heute gehören der Projektgruppe zehn freie Mitarbeitende an. In einem weiteren Kreis gibt es nochmals rund 20 Leute, die mitwirken. Dazu kommt der 35-köpfige Chor, der Kathrin Künzis Lied einstudiert und in der Kirche Kandergrund eingespielt hat. Neben Teilen der Ausstellung, an denen professionelle Modellbauerinnen, Historiker und Texterinnen mitgearbeitet haben, gibt es auch Beiträge von Menschen, die aus Mitholz wegziehen müssen. «Wir haben realisiert, dass es für die Leute sehr schwierig ist, ihre Häuser zu verlassen», sagt Barbara Keller. Deshalb hat Marianne Schmid aus Mitholz sieben der betroffenen Personen - inklusive ihrer Häuser - fotografiert, um dem ganzen Dilemma Ausdruck zu verschaffen.Diese Fotos sind ebenso Teil der Ausstellung wie der Wurzelstock eines Baumes aus Mitholz, den Dory Schmid und ihre Familie ausgegraben und fein säuberlich geputzt haben. «Beim Putzen kam zwischen den Wurzeln sogar eine Patrone zum Vorschein», sagt die Kuratorin.

Neben Teilen der Ausstellung, an denen professionelle Modellbauerinnen, Historiker und Texterinnen mitgearbeitet haben, gibt es auch Beiträge von Menschen, die aus Mitholz wegziehen müssen. «Wir haben realisiert, dass es für die Leute sehr schwierig ist, ihre Häuser zu verlassen», sagt Barbara Keller. Deshalb hat Marianne Schmid aus Mitholz sieben der betroffenen Personen - inklusive ihrer Häuser - fotografiert, um dem ganzen Dilemma Ausdruck zu verschaffen.

Diese Fotos sind ebenso Teil der Ausstellung wie der Wurzelstock eines Baumes aus Mitholz, den Dory Schmid und ihre Familie ausgegraben und fein säuberlich geputzt haben. «Beim Putzen kam zwischen den Wurzeln sogar eine Patrone zum Vorschein», sagt die Kuratorin.

«Ich musste mein Haus auch verlassen, deshalb singe ich mit»

In der Ausstellung kann man sich hinsetzen und sich das Lied «Leb wohl, Mitholz» anhören, das das Abschiednehmen thematisiert. Komponistin Kathrin Künzi ist in Frutigen aufgewachsen und hat von ihrem Vater ein Ferienhaus in Mitholz geerbt. «Es ist mitten in der Schusslinie», sagt sie. Das Singen mit dem Chor sei für sie eine emotionale Angelegenheit. «Ich habe keine Angst vor traurigen Themen, man muss Trauer auch zulassen.»

Einfach war es nicht, Leute zu finden, die mitmachen. Einigen Mitholzerinnen und Mitholzern ging das Singen zu nahe. Andere waren dem Projekt gegenüber kritisch eingestellt. Letztendlich beteiligte sich ein grosser Teil des Gemischten Chors Kandergrund am Projekt. Viele sähen dies als Akt der Solidarität. «Ich musste mein Haus auch verlassen, deshalb singe ich mit», habe eine Frau aus dem Chor gesagt, erzählt Kathrin Künzi.

Darum geht es auch in der Ausstellung. «Es sind nicht nur die Mitholzer, die wegmüssen», sagt Kuratorin Barbara Keller. Überall auf der Welt seien Menschen aus verschiedenen Gründen gezwungen, ihr Zuhause zu verlassen. Das Schweizer Bergdorf sei nur ein Beispiel, um sich mit grossen Themen wie Heimat, Erinnerung, Risiko und Verantwortung auseinanderzusetzen.

Und am Ende des Liedes kommt ein bisschen Hoffnung auf:

«S cha guet si, dass mier zrugg wärde cho, irgendwenn va irgendwo …»

Autor / Autorin

Anita Bachmann

Alpines Museum der Schweiz

Die neue Hauptausstellung «Heimat. Auf Spurensuche in Mitholz» im Alpinen Museum der Schweiz in Bern ist ab dem 19. November 2022 zu sehen. Weitere Infos: alpinesmuseum.ch

Antoine Jaccoud, Autor und Dramaturg

«Ich weiss nicht, ob die Unterscheidung zwischen Stadt und Berggebiet noch relevant ist. Viele Bergbewohnerinnen arbeiten heute unter der Woche in der Stadt, viele Städter haben sich mehr oder weniger dauerhaft den Bergen genähert - im Zuge von Corona, aber auch schon vorher. Darüber hinaus, und das ist die letzte Bestätigung, dass dem ‹Kleinen› wie dem ‹Grossen› die gleiche Aufmerksamkeit gilt, zeigt die Klimakrise, die sich täglich schneller zuzuspitzen scheint, dass wir in einem System leben, in dem jeder verursachte Schaden Konsequenzen für alle hat.»

Antoine Jaccoud schrieb für die Ausstellung einen Text über die Zukunft von Mitholz und wohnte dafür drei Tage lang dort.

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