Klettern auf der Krim. Kann man in der Ukraine wirklich klettern?
T E X T Marion Blanchard, Grenoble/F ( ü )
F O T O S Rapsodia/Laurent Bouvet
D
Priviet! 1
Seit man an Kletterwettkämpfen Kletterern aus Oststaaten begegnet, hat man sich immer wieder gefragt, wo denn dort die schönen Kletterfelsen zunden sind. Patrick weiss, dass es auf der Krim, und zwar am Schwarzen Meer, solche gibt, die er sogar schon einmal besucht hat, als er an einem Kletterwettkampf teilnahm. Nach drei Stunden Flug landen wir in Kiew, wo uns Maxim Pet renko erwartet. Mit diesem Flug hat die An reise erst begonnen, denn noch stehen uns 18 Stunden im Zug und zwei Stunden im Bus bis zum berühmten Badeort Jalta bevor. Zwischen Ankunft und Weiterfahrt bleibt gerade genügend Zeit, um in den Strassen von Kiew ein Bad in der Menge zu nehmen. Wenn die Kirchen mit den eigenartigen
1 Priviet: Hallo
KLETTERN AUF DER KRIM
Kann man in der Ukraine wirklich klettern?
Kuppeln und die Anschriften in kyrillischer Schrift nicht wären, könnte man sich fast in einer italie nischen Stadt wähnen.
Jalta, wir kommen!
« Sag einmal, Maxim, bist du sicher, dass man in der Ukraine klettern kann ?» Drei Stunden vor der Ankunft ist noch nicht die geringste Erhebung in Sicht. Das Gelände ist fl ach wie eine Flunder. Maxim versichert uns spöttisch, dass wir die Frage nicht mehr stellen würden, wenn wir einmal in Jalta wären und das Schwarze Meer und die Felswände gesehen hätten. Leider verhindert dicker Nebel das Schauspiel, und Maxim ist schwer enttäuscht. In Jalta werden wir von Evgeny und Tanja erwartet. Kaum sind wir zehn Minuten in der gemieteten Wohnung, klingelt jemand. Unsere Freunde bitten uns, nicht zu sprechen. Eine Frau tritt ein, macht einen Rundgang durch alle Zimmer und geht wieder. Evgeny amüsiert sich über meine betretene Miene und erklärt uns, dass es in der Ukraine drei Preise gebe: einen für Erwachsene, einen für Kinder und einen für Ausländer. Versteht sich von selbst, dass wir während unseres Aufenthalts noch häufi g den Mund halten mussten.
Hart bewertete Nikita
Erster Klettertag in Nikita. Der Kletterfelsen mitten im gleichnamigen Dorf, fünf Autominuten von Jalta entfernt, sieht mit seinen orangefarbenen und grauen Streifen grossartig aus. Es wurde ein kleiner Anfängersektor eingerichtet, aber selbst dieser mit eher schwierigen Routen.
Die Babuschka ist eine kleine, traditionelle Puppe, die aus drei bis zehn oder noch mehr in einander passenden Teilen besteht. Diese Puppen sind in der Regel aus Lindenholz, einem weichen Holz, das im Alter keine Risse bekommt, hergestellt und von Hand bemalt.
Schloss Schwalbennest, 17 km westlich von Jalta, ist ein kleines Schloss in gotischem Stil. Es liegt zuoberst auf einem senkrechten Felsen und beherbergt heute ein Restaurant.
Blick auf die Felswand von Ai-Petri, 1233 m, einen in der Nähe von Jalta gelegenen Berg Fotos: Rapsodia/Laur ent Bouv et
KLETTERN AUF DER KRIM
Laurent erfährt dies auf schmerzhafte Weise, als er sich ohne Aufwärmen an eine lange 6 c, gespickt mit Boulder-stellen, macht. Er beendet die Route, wütend und mit dicken Unterarmen, aber er kommt wenigstens oben an. Ich meinerseits schneide weniger glorreich ab. Immerhin haben wir den Vorteil, dass wir nun den lokalen Tarif gleich kennen: wenig leichte Routen und strenge Bewertungen. Währenddessen punkten Maxim und Evgeny « Escadron », 8a. Dieser und andere französische Namen gehen auf Franzosen zurück, die anlässlich eines Kletterwettkampfs Anfang der Achtzigerjahre eine Reihe von Routen eröffnet haben. Sie sind gut eingerichtet mit Spits und Abseilringen; ausserdem sind die Abstände zwischen den Sicherungen durchaus vernünftig. Die Einheimischen finden offenbar Gefallen am Klettern, denn sie tauchen im Lauf des Tages immer zahlreicher auf.
Klettern mit dem Töffhelm
Zwei Tage später ist das Wetter abscheulich. Wir benutzen die Gelegenheit, die erste Etappe der ukrainischen Klettermeisterschaft, die im Klettergebiet von Laspi stattfindet, zu besuchen. Die Konkurrenten, zu zweien angeseilt, müssen eine Route von zwei Seillängen im 6. Grad klettern und die Sicherungen selber legen. Die Richter platzieren dennoch ein paar Haken, für alle Fälle. Elia Grishchenko, selber Kamerad eines der Konkurrenten und Mitglied des Alpinclubs Odessa, erklärt mir das Prinzip des Wettbewerbs: « Die Wettkampfteilnehmer haben 15 Minuten Zeit, um die Route zu klettern. Bewertet werden die erreichte Höhe, die Zahl der gelegten Sicherungen – ein Minimum ist Bedingung – und die Art und Weise, wie sie diese legen. Am Ende des ersten Tages müssen die Sieger eine lange Route auf der Krim wählen, die Wahl erfolgt nach dem Klassement des ersten Tages. Am nächsten Tag klettern alle ihre Route, während die Richter sie mit Ferngläsern beobachten. Die Teilnehmenden sind
Maxim Petrenko nahm uns bei sich auf, als würden wir zur Familie gehören.
Tanja Nilova und Evgeny erwarten uns in Jalta. Gemeinsam mit Maxim führen sie uns während unseres Aufenthalts buchstäblich an der Hand.
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts, als die Krim zum russischen Reich gehörte, lebten in Jalta etwa 300 Einwohner. Heute zählt die Hafenstadt rund 85 000 Bewohner.
Evgeny Krivosheitsev, ein ausgezeichneter Kletterer aus Odessa, verbringt seine Zeit mit Trainieren und mit Klettern.
Fotos: Rapsodia/Laur ent Bouv et
Amateure, wobei viele von ihnen so viel Zeit in den Bergen verbringen, dass man sie durchaus als Profis bezeichnen könnte. » Was uns überrascht, ist ihre Ausrüstung: mit Gummi umwickelte Schlappen als Kletterfinken, « Stein-zeit»-Klettergurte. Einige haben überhaupt keinen Klettergurt, sondern wickeln alte Schlingen um ihren Körper, der ihnen ein Aussehen eines Rollbratens verleiht. Und in die Routen stürzen sie sich mit einem Töffhelm auf dem Kopf.
Willkomm für die fremden Kletterer!
Elia stellt mir Juri Kruglow vor, Autor eines Topos über die grossen Routen von Morieka. « In zehn Jahren habe ich wohl fast alle der 200 grossen Routen, die es auf der Krim gibt, geklettert. Als ich Ende der Achtzigerjahre mit Klettern begann, richteten viele Leute Routen mit Hilfe staatlicher Unterstützung ein. Mit dem Ende des Kommunismus und den Schwindel erregend gestiegenen Preisen konnten die meisten Kletterer nicht mehr kommen. Heute wächst die Besucherzahl wieder. Mein Lieblingsort ist Morieka: Dort sind die Routen eher lang, und man kann 400 m Kletterei auf kompaktem und steilem Fels geniessen. Ausländische Kletterer sind willkommen, vorausgesetzt, sie respektieren unsere Ethik. Sie können gewisse Routen einrichten, dürfen aber auf gar keinen Fall Haken in bereits bestehenden grossen Routen setzen. Die Krim ist eine sehr ruhige Gegend – kein Krieg, kein übertriebener Nationalismus –, aber sie ist teuer, es gibt sozusagen keine Campingmöglichkeiten. Wenn Leute hierher zum Klettern kommen, ist das für die Region sehr positiv. » Kälte und Wind zwingen mich zu mehreren Schichten Faserpelz und Gore-Tex. Evgeny führt uns deshalb in ein Restaurant, das über dem Meer liegt. Wir sind die ersten Ausländer, die einen Fuss in diese spärlich eingerichtete Hütte setzen. Der Chef schätzt unsern Besuch und investiert seine ganze Liebe und 1 1 / 2 Stunden in die Zubereitung seiner Spezialität Schaschlik, eines in Gewürzen marinierten Fleischspiesses. Einfach göttlich!
Das Klettergebiet Nikita gehört zu den beliebtesten in der Ukraine. Hier klettert Evgeny Krivosheitsev in der Route « Caravane », 7b+.
Im Klettergebiet Nikita wurden mehrere Routen von Franzosen eröffnet, weshalb viele einen französischen Namen tragen. Hier Serik Kasbekov in der Route « A cheval », 8a Das Klettergebiet Nikita zählt etwa 60 Routen zwischen 6a und 8 c+. Auf dem Bild klettert Serik Kasbekov in « Matador », 8 c+.
Nasdrovie! 2
Das Wetter ist wieder schön. Gottlob, denn gestern war es gar nicht angenehm. Die Einheimischen erklärten uns unaufhörlich, dass es normalerweise zu dieser Jahreszeit schön und warm sei. Überhaupt sei das Klima mit jenem der Côte d' Azur vergleichbar.
2 Nasdrovie: Prost
Parous ist ein enormer Fels mitten in einer Geröllhalde. Ein grosser Teil der Wand blickt aufs Meer und ist vollkommen glatt, und die meisten Routen durchziehen den unteren Teil des Monoliths. Nur zwei Routen, die nicht im Topo verzeichnet sind, führen auf den höchsten Punkt des 120 m hohen Parous, indem sie einem Riss folgen, der buchstäblich den Felsen spaltet. Nachdem Evgeny und Maxim die vier Seillängen – 6 c+, 6b+, 7a, 6babsolviert haben, bestätigen sie, dass es vorteilhaft ist, wenn die Kletterer das geforderte Niveau übertreffen, denn die Hakenabstände seien knackig. Freunde von Evgeny und Tanja laden uns zu einem Tee in ihr im Unterholz verstecktes Camp ein. Wildes Campieren ist verboten, aber die – zahlreichen – Kletterer verfügen nicht über genügend Mittel, um in Hotelzimmern wohnen zu können.
Das Klettergebiet Parous, westlich von Foros, liegt etwa 50 km von Jalta entfernt. Diese Felswand ist 120 m hoch und erinnert in ihrer Form an ein Segel. Sie weist ein Dutzend Routen zwischen 6b und 7 c auf.
Elena Okchinnilova in Aile de Cygne ( Krula Lebedya ). Dieser Sektor des Klettergebiets Simeiz liegt unmittelbar am Ufer des Meers, 21 km westlich von Jalta.
Fotos: Rapsodia/Laur ent Bouv et
« Cabernet » und 7a
In der Zwischenzeit begiessen unsere russischen Freunde unser Kommen würdig mit « Cabernet », bis sie sich entschliessen, wieder klettern zu gehen. An diesem Nachmittag schaue ich ihnen etwas skeptisch zu, denn angesichts ihres beträchtlichen Konsums mute ich ihnen nicht zu, dass sie den ersten Haken erreichen werden. Fehlanzeige! Diese Typen erledigen eine 7a-Route wie im Vorbeigehen, bevor sie sich hinter die schwierigeren Sachen machen. Während ich sie beobachte und über ihre Leichtigkeit staune, bereitet Evgeny seelenruhig ein Seil für eine 7 c-Route vor. Im Gegensatz zu Laurent, der sich an solchen Schwierigkeitsgraden schon versucht hat, ist es für mich eine Premiere. Und zweifellos auch eine Derniere. An
Der Sektor Aile de Cygne ( Krula Lebedya ) im Klettergebiet Simeiz ist zu Fuss in fünf Minuten vom Dorf Kochka erreichbar. Hier finden sich zahlreiche Routen, von denen die meisten in den Schwierigkeitsgraden zwischen 6a und 8a und 20 bis 30 m lang sind.
Unter dem Dutzend Routen im Klettergebiet Parous führen nur zwei auf den höchsten Punkt. Ein Löwe thront vor dem 1848 erbauten Worontsov-Palast. Im Hintergrund erkennt man die Felswände von Ai-Petri, die 15 km von Jalta entfernt liegen.
dieser Westwand gibt es nichts unter einer 7. Der Tag geht zu Ende, die Nacht bricht herein, und wir müssen gehen. Schade, wir fühlten uns wohl am Fusse dieses Kalkdia-manten in der immensen Weite des Schwarzen Meers als Kulisse. In zehn Minuten sind wir beim Auto, was bereits als einer der längeren Zugangswege in der Umgebung von Jalta gilt.
Rot, schwarz, blau
Wir kehren nach Red Stone zurück. Der Name stammt von der Farbe, die der Fels in der untergehenden Sonne annimmt. Einige Kühe weiden friedlich. Uns gegenüber stürzt der Montagne de l' Ours – Klettern verboten – ins Schwarze Meer, das unzweifelhaft blau ist. Die im Allgemeinen langen Routen sind auch hier sehr technisch. Diese Felswand wird schon seit langem von Kletterern begangen, die zuoberst Ringe montiert haben, damit sie Top Rope klettern können. Heute ist die Qualität der Einrichtung sehr gut, aber die Tradition ist geblieben: Viele klettern Top Rope. Bereits zur Tradition geworden ist der abendliche Gang auf den Markt. Und auch der Vergleich von Qualität und Preis und das Verhandeln vor dem Kauf. Manchmal probiert Evgeny die Ware an einem Stand und kauft sie gegenüber. Man stelle sich die Reaktion vor, wenn das bei uns gemacht würde!
Evgeny und Tanja sind nach Odessa zurückgekehrt, um den Start in die Wettkampfsaison vorzubereiten. Wir machen noch eine Tour zur Aile de Cygne und nach Chat, etwa zwanzig Minuten im Auto von Jalta entfernt. Klettern in Aile de Cygne ist wirklich angenehm. Neben einem idyllischen Rahmen gibt es einen Kalkfels, der griffiger ist als jener in anderen Wänden. Die Routen sind ebenfalls etwas leichter, denn es hat eine Reihe von 6er-Routen – und sogar einige 5er. Fast ein Wunder!
Paka! 3
Zwei Tage vor unserer Abreise haben wir noch in Odessa Evgeny und Tanja besucht. Wir haben uns im Alpinclub an einer ausgesprochen gut eingerichteten Boulderwand vergnügt. Fast hätten wir einen Artikel über die Kletterhallen in der Ukraine verfassen können, waren wir doch am Vorabend noch mit Maxim an der Kletterwand von Kiew. Im Flugzeug, das uns nach Lyon zurückbringt, wälzen wir bereits neue Pläne und die Frage: « Und in Russland, gibt es da auch interessante Kletterfelsen ?» a
3 Paka: Auf Wiedersehen Praktische Informationen Formalitäten: Ein Visum ist notwendig. Dazu benötigt man eine offizielle Unterkunftsbestätigung vom gebuchten Hotel oder vom Alpenclub von Odessa, falls man mit diesem als Vermittler reist. Eine Krankenversicherung muss bei Ankunft am Flughafen abgeschlossen werden. Transport: Man kann mit dem Zug auf die Krim reisen, das Flugzeug ist praktischer. Für die Automiete benötigt man einen internationalen Fahrausweis. Die meisten Klettergebiete sind mit öV erreichbar. Unterkunft: Man kann ein Appartement mieten oder privat unterkommen wie bei Tamara am Fuss vom Red Stone. Allgemeines: Die beste Zeit für die Krim ist der Frühling oder der Herbst. Wer nicht fliessend Russisch spricht, sollte nicht allein reisen. Führer vermittelt der Alpinclub Odessa, Kontakt über Evgeny Krivosheitsev, Fax 0038 04 82 25 69 13, E-Mail alp@alpclub.tenet.odessa.ua. Auskünfte und Topos sind erhältlich auf der Website des russischen Magazins Risk www.risk.ru, E-Mail lvd@risk.ru. Juri Kruglow, der Autor eines Topos von Morieka, hilft bei der Organisation des Aufenthalts weiter, Tel./Fax 0038 06 92 72 84 02, E-Mail asta-no-rd@geocities.com. Führer: Beschränkte Auswahl! Der Führer Eastern Europe in der Edition Lonely Planet ist sehr ausführlich, aber nur auf Englisch erhältlich. Die Karte IGN in der Serie « Les spéciales de l' IGN » ist vor Ort erhältlich. Material: Neben dem üblichen Material ein 60-m- oder zum Abseilen ein 80-m-Seil mitnehmen, denn die Routen sind oft lang.
Blick auf Kap Kuchkaya auf halbem Weg zwischen Jalta und Sewastopol Krasny Kamen oder Red Stone ist 25 Autominuten von Jalta entfernt. Das Klettergebiet bietet rund 50 Routen zwischen 5a und 8b+. Tanja Nilova in « Mir », 6 c In der Nähe des Klettergebiets Krasny Kamen oder Red Stone gibt es keine Hotels, aber man findet Fremdenzimmer bei den Tataren in Krasnokamenka. Maxim Petrenko in « Catapulta », 7b Fotos: Rapsodia/Laur ent Bouv et
Jugend-Infos,Berichte,Aktivitäten
Attività dei giovani