© Bernd Jung
Kinder wollen etwas erleben Familien in den Bergen
Der Grat zwischen Frust und Lust ist manchmal schmal: Ein Ausflug in die Natur, eine Hüttenübernachtung oder eine Kraxelei kann für Kinder ein Highlight sein, doch Langeweile, fehlende Zeit zum Spielen oder gar gefährliche Situationen verderben allen den Spass. Tipps von Fachleuten.
Der Aufenthaltsraum der SAC-Hütte ist bis auf den letzten Platz besetzt. Es wird Suppe geschöpft. Weit mehr als die Hälfte der Gäste sind Kinder mit ihren Familien. Die grösste Gruppe ist im Rahmen des Familienbergsteigens ihrer Sektion für mehrere Tage in die Hütte gekommen. Die vielen Kinderaugen leuchten.
Aber es gibt auch andere Szenen: quengelnde Kinder, die nicht weiterwollen, weil der Weg langweilig ist; weinende Kinder, denen eine Situation Angst macht; oder müde Kinder, die nach einem langen Hüttenzustieg auch noch den Rückweg antreten müssen, weil keine Übernachtung eingeplant wurde. Mit Kindern in die Berge zu gehen, kann ein Highlight sein. Man kann ihnen aber auch die Lust daran verderben, und im schlimmsten Fall kann es sogar gefährlich werden.
Deshalb sollte man bei der Planung und Umsetzung einiges beachten. «Das Erlebnis steht im Vordergrund», sagt Christoph Berger, Fachleiter Jugend beim SAC. Um zu verstehen, was Kindern Freude bereitet, muss man zuerst einen Perspektivenwechsel machen. «Kinder interessieren sich für Dinge, die Erwachsenen oft nicht mehr auffallen», schreibt Heidi Schwaiger im Buch Familienausflüge zu SAC-Hütten, das im SAC Verlag erschienen ist. Wandern sei für Kinder kein Sport, sondern ein Ausflug in die Natur, bei dem möglichst viel erlebt und entdeckt werden wolle. Und Christoph Berger sagt, man müsse sich fragen: «Für wen plane ich die Tour?»
Geschichten, Spiele, Kletterstellen
Idealerweise werden die Kinder bei der Planung miteinbezogen und ihre Ideen und Wünsche berücksichtigt. Zudem sollte man sich genug Zeit nehmen. «Das Dreimaldrei der Planung und Durchführung ist auch für Familien wichtig», sagt Christoph Berger. Zusätzlich empfiehlt Heidi Schwaiger, die Tour in Abschnitte zu unterteilen: «Wo gibt es etwas zu entdecken? Wo sind spannende Rastplätze?» Zu weit suchen muss man allerdings nicht. Kinder finden an vielem Interesse: an einem Bach zum Stauen, einem Tümpel zum Kaulquappenbeobachten oder einem Fels zum Kraxeln.
Aber auch während des Wanderns braucht es spielerische Motivation. Kleinere Kinder etwa lieben Geschichten. Man kann gemeinsam Lieder singen und einfache Spiele spielen. Es gibt viele Familienwanderführer mit zahlreichen Ideen dazu. Grössere Kinder freuen sich oft über abenteuerliche Wegabschnitte mit Drahtseilen, Leitern und Kletterstellen. Eine Hüttenübernachtung ist für Kinder ebenfalls ein besonderes Erlebnis.
Auch Kopfrechnen hilft bei einer guten Planung. «Für den Zeitbedarf gilt die Faustregel: Normalgehzeit für Erwachsene mal 1,5 ergibt die ungefähre Gehzeit für Kinder», steht im Merkblatt Sicher unterwegs des SAC. Den eigenen Rucksack packen und tragen ist toll, aber er darf nicht zu schwer sein. Gemäss SAC-Merkblatt sollte ein Kind nicht mehr als 10% des eigenen Körpergewichts tragen.
Schwierige Passagen: Sichern am kurzen Seil
Unterwegs gilt es, die gute Planung umzusetzen. «Wann macht es keinen Spass?», fragt Christoph Berger rhetorisch. «Wenn die Kinder Hunger haben, wenn sie frieren oder sich langweilen.» Deshalb sollte idealerweise jede Stunde eine Pause eingelegt werden, in der die Kinder trinken und die Umgebung erkunden. «Kinder erholen sich beim Spielen, sie müssen sich nicht wie die Erwachsenen hinsetzen und ausruhen», schreibt Heidi Schwaiger. Mindestens alle zwei Stunden sollte zudem eine Zwischenmahlzeit eingenommen werden.
Viele Wandervorschläge für Familien gehen nicht über ein T2 hinaus. Doch in den Bergen kommt man rasch in den Bereich T3. Gemäss SAC-Skala kommen hier auch Geröllfelder und ausgesetzte Stellen vor, die mit Drahtseilen gesichert sind, und zum Teil besteht Absturzgefahr. Auf einfacheren Wanderungen stellen allfällige Reste von Schneefeldern oder angeschwollene Bergbäche Gefahren dar. Um solche Passagen sicher zu meistern, können Kinder am kurzen Seil gesichert werden. «Das Gehen am kurzen Seil dient im einfachen Gelände zur psychischen Unterstützung und um lebhafte Kinder unter Kontrolle zu halten», sagt Christoph Berger.
Haben sie einmal die Lust an Abenteuern in den Bergen entdeckt, interessieren sich besonders unternehmungslustige Familien vielleicht auch einmal für einen Klettersteig oder ein Gletschertrekking. Solche Unternehmungen sind aber Familien mit grösseren Kindern vorbehalten und setzen fundierte Kenntnisse voraus. Nur spaltenlose, apere und wenig steile Gletscherabschnitte können gefahrlos mit Kindern begangen werden.
Beim Klettersteig gilt es zu beachten, dass herkömmliche Klettersteigsets, die es oft auch zum Mieten gibt, nicht für Kinder geeignet sind. Sie funktionieren erst ab 40 Kilogramm Körpergewicht. Deshalb werden Kinder im Klettersteig zusätzlich mit dem Seil gesichert.
Übrigens: Gute Einstiegsmöglichkeiten für Familien mit wenig Erfahrung in den Bergen bietet das Familienbergsteigen, das in vielen SAC-Sektionen angeboten wird. Ab 10 Jahren sind die Kinder ohne Eltern im Rahmen des Kinderbergsteigens und ab 13 Jahren in den Jugendorganisationen unterwegs. «In diesem Alter ist das Interesse an Gleichaltrigen gross, die Eltern sind hingegen nicht mehr so wichtig», sagt Christoph Berger.