Jenseits des südlichen Wendekreises
Ruedi Faessler, Walchwil
In der Erinnerung sehe ich sie vor mir, meine schwarzen Freunde, mit denen wir jenseits des südlichen Wendekreises zusammentrafen. Den stämmigen Pondo Lawrence mit seinem breiten Lachen, als wir in strömendem Regen der Wild-Coast ( Transkei ) versuchten, ein Feuer anzufachen, die junge Tembu-Frau, die wortlos einen unserer schweren Rucksäcke auf den Kopf schwang, ihren Rock bis zur Hüfte hochzog und ins Wasser stieg, um uns den durch die Mündungslagune des Mdumbi River zu zeigen. Oder Loyiso, ein Virtuose auf seinem abbruchreifen Combiwa-gen, der uns aus Coffee-Bay, über eine vom Regen in einen Sumpf verwandelte Strasse wohlbehalten in die Zivilisation zurückbrachte. Für ihn eine Selbstverständlichkeit, ohne darnach zu fragen, was wir ihm dafür bezahlen würden. ist Afrikaans und bedeutet . ) Meinen Einwand, dass ich nicht sein sei: ( I'm your friend ), quittiert er lächelnd mit einem
An einem heissen Sommertag anfangs Dezember 1984 treffen meine Frau Ruth und ich mit dem Transkaroo-Express, von Johannesburg herkommend, in Kapstadt ein. Einige Jahre zuvor hatten wir hier einen mehrwöchigen Aufenthalt im südlichen Afrika beendet und uns - um Erfahrungen reicher - vorgenommen, wieder hierhin zurückzukehren. Wir beziehen Quartier bei unserem Sohn Hansruedi, der seit vielen Jahren in diesem Land ansässig ist. Dieser Umstand erleichtert natürlich die Durchführung unserer Pläne ganz wesentlich.
Wer von Johannesburg aus mit der Eisenbahn durch die endlose Halbwüste der Grossen Karoo fährt, ist überrascht, wenn einige Stunden vor seinem Ziel Berge auftauchen, Gipfel an Gipfel unter tiefblauem Himmel, soweit das Auge reicht. In engen Kehren windet sich der Zug wie eine Spielzeugeisenbahn vom Hochplateau ins Tal des Hex River hinab. Weit ausholend folgt er den tief eingeschnittenen Tälern, bis sich irgendwo ein Durchschlupf in die Kap-Ebene bietet.
Kapstadt, wie eh und je ein ausserordentlicher Ort, mit seinen direkt über der City tau- Ein Ausschnitt aus dem der Flora, wie man sie in den Bergen der Kapprovinz antrifft send Meter in den blauen Himmel emporragenden Felswänden. Ein gewaltiger Klettergarten, ein ausgedehntes Wandergebiet für jeden Naturfreund. Aber der Tafelberg ( Table Mountain ) von Kapstadt mit seinen gegen das Kap der Guten Hoffnung hinabstreichenden Bergketten ist nur ein winziger, unbedeutender Ausschnitt, verglichen mit den übrigen Gebirgsregionen des Kaplandes. Die Kapprovinz ist flächenmässig etwa 15 mal grösser als die Schweiz, weist jedoch nur eine Bevölkerungszahl von 5 Millionen Menschen - davon 1,2 Millionen Weisse - auf. Schon daraus ist ersichtlich, dass man auf Bergtouren nur höchst selten jemanden antrifft.
Für den durchschnittlichen Europäer, der sich nicht eingehend mit fremden Ländern befasst, ist Südafrika das Land des Rassismus, der Trennung der Bewohner auf Grund der Hautfarbe, das Land der Apartheid. Viele werden die Nase rümpfen, wenn einer dorthin reisen will.
Es ist unmöglich, in wenigen Sätzen etwas über diese Verhältnisse zu sagen, das nur annähernd der Realität entspricht. Mit einer gewissen Erleichterung musste ich jedoch feststellen, dass seit unserem letzten Besuch entscheidende Veränderungen im Gang sind. So gibt es nun die freie Berufswahl für Schwarze und eigene Gewerkschaften, Beteiligung der Farbigen an der Regierung, Abschaffung des Mischehe-Verbotes. Aber viele scheinbar nebensächliche Dinge sind auffälliger. Vielerorts sind die Schilder, die den Nichtweissen den Zutritt verwehren, verschwunden. In Restaurants sitzt man gemeinsam mit Leuten aller Rassen bei einem kühlen Bier. An ( unserem ) Strand von St. James tummelt sich nun ein Völkergemisch aller Rassen. Aber Veränderungen brauchen Zeit - bei uns haben sie Jahrhunderte gedauert - und sie werden wohl vorerst nur für städtische Schwarze und Farbige spürbar. Auf dem Land und in den Homelands geht es bei Veränderungen eigentlich nur um die Verbesserung der Lebensbedingungen - oder, wie wir sagen, der Lebensqualität. Leider gehen diese Bestrebungen oft einher mit der Landflucht. Etwas ähnliches und ihre Folgen kennen wir bei uns ja auch.
Südafrika ist ein Land der Gegensätze. Ein unscheinbares Erlebnis ist mir in diesem Zusammenhang in Erinnerung geblieben: Wir ka- men eines abends, auf dem Weg in die Transkei, in Peddie an, einem kleinen Ort im unabhängigen Homeland Ciskei. Als wir uns nach dem Hotel erkundigten, wurde uns gesagt, dass Weisse hier nicht übernachten dürften.
Doch nicht von unseren Wanderungen in den Homelands noch über Bergtouren in den bekannteren Gebieten des Kaplandes soll hier die Rede sein. Vielmehr möchte ich den Leser in die Wildnis der Cedarberge führen, die auch bei den Einheimischen wenig bekannt sind. Diese Gebirgskette liegt 1000 Kilometer südlich des Wendekreises des Steinbocks, ungefähr 200 Kilometer nördlich von Kapstadt und weist eine Längenausdehnung von etwa 100 Kilometer auf. Geologisch gehört das Gebiet zur sogenannten Peninsula-Formation, das sind relativ junge, grobkörnige Sedimente, wie sie auch am Tafelberg von Kapstadt zu finden sind. Was hier jedoch den einzigartigen Charakter der Landschaft prägt, ist die vorherrschende rote Färbung und die extreme Verwitterung der Felsen. Die Winderosion hat in Jahrtausenden wahre Wunderwerke geschaffen, die durchaus in eine Kunstgalerie hineinpassen würden. Es sind diese bizarren Formen vor einem tiefblauen Himmel, die dieser Bergwelt ihre besondere Atmosphäre verleihen. Vor dieser Kulisse steht eine ausserordentlich artenreiche Flora, der sogenannte , eine Augenweide für jeden Botaniker.
Die Cedarberge - oder in Afrikaans ( Seder-bergerhielten ihren Namen von der Zeder, die früher hier massenhaft heimisch war. Heute ist der Baum fast ausgestorben, und erst in jüngerer Zeit ging man daran, durch Schutzmassnahmen und Aufforstungen den Bestand wieder zu erhöhen.
Etwas mehr als die Hälfte der Cedarberge ist Naturschutzgebiet ( Wilderness Area ) und unterliegt für den Besucher ziemlich strengen Vorschriften. Der Wanderer ( Hiker ) kann viele Tage lang unterwegs sein und findet nach jeder Tagesetappe eine einfache Hütte. Die Cedarberge sind im Massstab 1:50000 kartiert und auf zwei Kartenblättern, die etwa vier Normalkarten unserer Landestopographie entsprechen, dargestellt. Auf mehrtägigen Touren sollte man diese Karte unbedingt mitnehmen, ebenso wie auch der Schlafsack und ein Butangaskocher mitzuführen sind. Offenes Feuer ist aus naheliegenden Gründen strikte verboten. Ein Serumset gegen Schlangenbisse gehört ebenfalls zur Ausrüstung, wie bei allen Touren im südlichen Afrika, die weitab führen. Das im Format einer Taschenapotheke ist überall im Land erhältlich.
Als mir Hansruedi schon bald am Ende unseres dreimonatigen Aufenthaltes vorschlägt, über das Wochenende in die Cedarberge zu ziehen, bin ich sofort dabei. Der Rest unserer Angehörigen ist nicht zum Mitkommen zu überreden, weil gewisse ( Insider> offenbar über die dort zu erwartenden Schwierigkeiten berichtet haben. Dabei geht es um das von uns anvisierte Ziel: die . Was bedeutet, merkt man auch, ohne im Wörterbuch nachzuschlagen.
Die Wolfberg-Cracks und der Wolfberg-Ta-felberg ( zur Unterscheidung vom Kapstädter Tafelberg ) sind für den Touristen, der nicht nur wandern will, die interessantesten Gebiete der Cedarberge. Sie liegen zum Teil ausserhalb des Naturschutzgebietes, was die sonst übliche Voranmeldung ( booking ) überflüssig macht.
Um 4 Uhr früh sind wir mit unserem Combi unterwegs auf der Hauptstrasse, die nach Südwestafrika ( Namibia ) hinaufführt. Nach der Durchquerung des Swartlandes gelangen wir über den Greys-Pass ins Tal des Olifant-River hinab. 30 Kilometer hinter der Siedlung Citrusdaal zweigt die Naturstrasse in die zentralen Cedarberge ab und führt über den Nieu-woudts-Pass nach der ( Forestry Station Algeria ), der Basis für die ( Wilderness Area>. Hier befindet sich ein schöner Campingplatz inmitten einer faszinierenden Bergwelt.
Von jetzt an folgt unser Weg, der praktisch in eine Art ( Jeep-Track> übergeht, dem Tal des Rondegat-River und steigt dann in atemberaubenden Kehren zum Sederberg-Pass hinauf. Nun liegt das Ziel vor uns. Leicht fallend geht es etwa 20 Kilometer dem Lauf des Driehoek-River entlang - immer eine riesige Staubwolke hinter uns lassend.
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Wolfberg-Arch. Ihre Besteigung bietet eine kurze, luftige Kletterei Wir befinden uns nun auf privatem Farmge-biet und melden uns im Vorbeigehen auf der Farm Dwarsrivier — eine Formsache, um die Erlaubnis zu erhalten, uns hier aufzuhalten und zu kampieren. Um 8 Uhr sind wir in Sanddrift ( 850 m ), wo der Aufstieg zu den Cracks beginnt. Wir lassen den Combi stehen, wo es nicht mehr weiter geht, und sind bald unterwegs auf Pfadspuren, die steil gegen die im Morgenlicht rot leuchtenden Felsen hinaufführen. Eine Stunde später stehen wir - den Kopf im Nacken - vor den Wolfberg-Cracks. Drei mächtige Scharten durchziehen hier die vom Plateau senkrecht abfallende Wand, wie mit einem Beil in den Fels gehauen. Ganz -> fluedi Faessier links, so stelle ich mir vor, werden wir wohl aufsteigen, doch Hansruedi hält sich nach rechts, wo ein Durchkommen unmöglich erscheint. Die Kletterausrüstung haben wir zu Hause gelassen, um nicht in Versuchung zu kommen, etwas Grösseres in Angriff zu nehmen.
Über ein gutgriffiges Wändchen geht mein Vordermann rechts hinauf auf ein schmales, horizontales Felsband, das die vorgelagerte Bastion elegant umgeht. Dann leiten einige Felsen gerade hinauf auf ein zweites Band. Von hier queren wir über gewaltige Blöcke nach links und gelangen so in eine aus rotem Stein erbaute Kathedrale. Sogar die Fenster sind vorhanden, durch die man weit hinabblickt ins Tal. Oben scheinen sich die Wände zu berühren, nur das Licht des Himmels fällt stellenweise durch die herab. Ein ungewöhnliches Bauwerk der Natur. Ver- ständlich, dass die Leute in Kapstadt mit einem Unterton von Ehrfurcht von den sprechen.
Ich bin immer noch damit beschäftigt, einige Aufnahmen zu machen, als mein Begleiter bereits im äussersten Spalt rechterhand verschwindet. Dieser Kamin ist etwa 30 Meter tief, und das Tageslicht dringt nur noch gedämpft auf seinen Grund. Es gibt hier viele grosse Blöcke, so dass das Vorwärtskommen einfach ist. Nochmals öffnet sich der Spalt zu einem ( Tanzsaal>, und weiter oben sieht man bereits wieder ein Stück blauen Himmels.
Nun verengt sich unser Weg zusehends, und es beginnt ein Abschnitt, der etwas Mühe bereitet. Mit dem Rücken an der Kaminwand -den Rucksack auf der Brust - die Fusse an der gegenüberliegenden Wand, arbeiten wir uns stemmend höher. Der Fels ist griffig wie Sandpapier, für derartige Stemmereien wie geschaffen. Der Nachteil besteht in der leichten Kleidung, mit der man hier in die Berge geht: in Shorts und einem möglichst leichten T-Shirt - oder gar toben ohne>. an Armen und Beinen sind deshalb selten zu vermeiden.
Die letzte Übung besteht in der Überkletterung eines eingeklemmten Blockes, der sozusagen die Schlüsselstelle darstellt. Schnaufend wie ein Ackergaul komme ich oben an, um mir erklären zu lassen, dass diese Stelle durch ein Loch hinter dem Block umgangen werden könnte. Die nähere Untersuchung dieses Loches liess in mir allerdings Zweifel aufkommen, ob ich da durchgekommen wäre.
Durch eine enge Schlucht verlassen wir nun den und stehen bald auf dem südöstlichen Ende des ausgedehnten Plateaus ( 1404 m ). Damit wäre eigentlich die hauptsächlichste Arbeit getan. Aber der Wolfberg hat noch eine andere Sehenswürdigkeit parat: die Arch, oder Wolfbergbogen, wie man ihn in Deutsch nennen würde. Das ist ein triumphbogenähnliches Gebilde, ein Werk der Erosion, geformt in unvorstellbaren Zeiträumen.
Ein 6 Kilometer langer Marsch über das in der Gluthitze flimmernde Plateau bringt uns ans jenseitige Ende des Wolfbergs. Schon von weitem sehen wir das kuriose Bauwerk vor uns, das sich einer Fata Morgana ähnlich gegen den Himmel abzeichnet. Dann verschwindet es wieder und steht plötzlich zum Greifen nah in der Landschaft. Es dauert noch eine Weile, bis wir unter dem Bogen stehen und uns in seinem Schatten niederlassen.
Die Cedarberge sind im Sommer ein trockenes und sehr heisses Gebiet. Temperaturen von 40 Grad im Schatten sind keine Seltenheit. Nie habe ich einige Züge warmes, bracki-ges Wasser mehr geschätzt als in diesen Brei- ten. Wasser, das besser schmeckt als ein kühler Fendant nach einer Tour im Wallis.
Geflissentlich überhöre ich die Aufforderung meines Begleiters, noch
Schliesslich nehmen wir den langen und heissen Rückmarsch über das Wolfberg-Pla-teau unter die Füsse. Nach einigem Hin und Her finden wir auch das richtige Couloir für den Abstieg, dasjenige nämlich, das ich am Morgen für den Normalaufstieg hielt. Um 6 Uhr abends sind wir wieder bei unserem Fahrzeug und begeben uns hinab zum Drie-hoek-River, wo wir unter schattigen Eichen einen schönen Platz zum kampieren finden.
Den nächsten Tag verbringen wir mit be-langlosem ( scrambling ) ( wie die Südafrikaner Klettereien bis zum zweiten Schwierigkeitsgrad nennen ) an einem namenlosen Berg am Nieuwoudts-Pass. Dann wird es Zeit, die Cedarberge zu verlassen und die Rückfahrt nach Kapstadt anzutreten.
Auf derselben Strasse sind wir dann eine Woche später auf unserer Heimreise in die Schweiz wieder unterwegs. Durch das sagenhafte Namaqualand mit seinen schwarzen Bergen und später durch die Gluthitze der Na-maland-Steppen in Südwestafrika. Am 25. Februar kündet eine Tafel am Strassenrand an, dass wir im Begriff stehen, den südlichen Wendekreis zu überqueren:
Schwer bepackt mit Eindrücken stehen wir dann zwei Tage später am Airport von Windhoek, klopfen unserem getreuen Mietwagen aufs staubige Dach und befinden uns kurz darnach auf dem Flug in die winterliche Schweiz.