«Ich kann, weil ich will» Noch elf Monate bis zur Sportkletter-WM in Bern, 1.-12. August 2023
Amruta Wyssmann startete 2021 als erste Para-Athletin für das Swiss Climbing Team. An der Sportkletter-WM 2023 in Bern zählt sie zu den Schweizer Hoffnungsträgerinnen. Ein Interview mit einer lebensfrohen und inspirierenden Sportlerin.
Alle nennen Sie Amy, doch Ihr vollständiger Vorname lautet Amruta. Erzählen Sie uns etwas über Ihre Wurzeln?
Amy Wyssmann: Ich stamme aus Indien und bin im Alter von einem Jahr in der Schweiz adoptiert worden. Aufgewachsen bin ich im Kanton Graubünden, und vor einigen Jahren hat es mich, damals der Liebe wegen, nach Düdingen gezogen, wo ich heute in einer WG lebe.
Sie sind mit einem Arm auf die Welt gekommen. Wie kam es, dass Sie vor dreieinhalb Jahren das Sportklettern für sich entdeckt haben?
Wenn wir heute darüber sprechen, sagt meine Mama stets, dass ich schon immer geklettert sei. Am liebsten mit einem Stofftierchen unter dem Arm. Früher habe ich mich einfach weniger getraut, denn es hiess oft, das gehe nicht mit nur einem Arm. Eine meiner besten Freundinnen hat mich dann in die Kletterhalle O’Bloc mitgeschleppt. Wenn es geht, dann gehts, und wenn nicht, dann eben nicht. Das ist sowieso meine Devise: einfach mal probieren.
Und wie haben sich die ersten Kletterversuche angefühlt?
Ich habe mich von Anfang an sehr wohlgefühlt, hatte aber auch noch nie einen so heftigen Muskelkater wie nach diesen ersten Kletterversuchen. Danach trainierte ich dreimal pro Woche und machte entsprechend viele Fortschritte. Am Anfang beschränkte ich mich aufs Bouldern, und erst seit ich letztes Jahr fürs Paraclimbing-Team angefragt wurde, habe ich begonnen, am Seil zu klettern.
Wo liegen Ihre Schwerpunkte im Training?
Dank dem Bouldern hatte ich viel Maximalkraft, doch die Ausdauer fehlte, die für die langen Wettkampfrouten entscheidend ist. Nebst dem Routentraining gehe ich viel bouldern, so kann ich auch schwierigere Züge testen. Ich muss gezwungenermassen viel mit links machen, was ich früher zu vermeiden versucht habe. Dank meiner körperlichen Einschränkung betrachte ich die Routen ganz anders. Ich habe den Anfängerfehler, alles aus den Armen zu machen, nie begangen. Es ging ja schlichtweg nicht.
Wir sind in der Kletterhalle in Fribourg. Wie steht es generell um Kletterangebote für Menschen mit einer körperlichen Einschränkung?
Sie kommen immer mehr auf. In Echandens fand vor Kurzem ein Routenbauworkshop statt, speziell für Pararouten. Das ist auch für Routenbauer eine gute Erfahrung. Und diese Routen sind nicht zwingend einfacher für Menschen ohne Einschränkungen.
PluSport, Behindertensport Schweiz, verfolgt das Ziel, dass Menschen mit Beeinträchtigung ein gleichwertiger und selbstbestimmter Teil unserer Gesellschaft sind. Wo stehen wir diesbezüglich im Sportklettern?
Wir stehen zwar am Anfang, sind aber auf einem guten Weg. Die meisten Erfahrungen, die ich mache, sind extrem positiv. Ab und zu bin ich aber auch mit unangenehmeren Situationen konfrontiert. Etwa wenn jemand sagt: «Wenn die mit nur einem Arm diesen Boulder schafft, dann können wir ihn locker.» Oder wenn Eltern ihre Kinder auffordern, nicht hinzuschauen, nachdem sie entdeckt haben, dass ich nur einen Arm habe.
Die zweite Wettkampfwoche an der Sportkletter-WM ist dem Paraclimbing gewidmet. Was gilt es bis dahin noch zu tun?
Nebst dem Klettertraining muss ich im Kopf noch viel arbeiten. Der Körper kann nur so gut sein, wie der Kopf es zulässt. Ich muss meine Nervosität in den Griff bekommen. Aktuell führe ich ein Trainingstagebuch. Als Nächstes gilt es, zu entscheiden, ob die Zusammenarbeit mit einem Mentalcoach ein Lösungsansatz wäre oder ob ich zum Beispiel mit Meditieren beginne.
Als erste Athletin des Schweizer Paraclimbing-Teams gelten Sie als Pionierin. Was möchten Sie den Menschen vermitteln?
Man kann alles erreichen, wenn man Freude daran hat und es will. In einem Training mussten wir ein Motto bestimmen, das wir uns jeweils vor dem Einstieg in die Route in Erinnerung rufen. Meins lautet: Ich kann, weil ich will. Ich muss einfach darauf achten, dass ich es vor lauter Nervosität nicht vergesse.