Gletscher und Grenzen
Der Gletscherschwund kann zu einer leichten Verschiebung der Grenzen führen. Eine kürzlich erfolgte Grenzbereinigung beim Matterhorn stiess auf grosses Echo, obwohl es sich um eine normale Nachführung handelte.
Es klang dramatisch: Der Klimawandel ändert Europas Grenzen und die der Welt. So titelte die Zeitschrift «The New Scientist» vor Kurzem. Im Artikel erfuhr man dann, dass Italien und die Schweiz aufgrund des Gletscherschwundes ihre Grenzen neu ziehen würden. «Es handelt sich um eine normale Nachführung», hält Daniel Gutknecht fest. Er ist beim Bundesamt für Landestopografie Swisstopo zuständig für die Koordination der Landesgrenze und etwas erstaunt über den medialen Rummel. Die Grenzkommission der beiden Länder habe sich im letzten Dezember zu einer Sitzung getroffen, wie man sie alle paar Jahre durchführt, und dabei festgestellt, dass sich an einigen Orten mit Gletschern die Grenze verschoben habe.
Der Schwund des nicht ganz ewigen Eises führte auch zu einem neuen Verlauf der Wasserscheide. Diese bildet aber in den Bergen die Grundlage für den Grenzverlauf. Basierend auf dieser Grundlage schlugen die Experten – seitens der Schweiz sind das zwei Vertreter von Swisstopo, eine Person des Eidgenössischen Departements des Äussern und die Kantonsgeometer der drei betroffenen Kantone – einen leicht veränderten Grenzverlauf vor. Gutknecht zu den Ausmassen: «Maximal handelt es sich um 100 bis 150 Meter, wie beim Furgggrat beim Matterhorn, meist sind es aber um die 10 bis 20 Meter.» Bereinigungen wurden gemäss dem Experten auch nötig, da man erst seit Kurzem die Grenze mittels vermessener Fotos, auch Fotogrammetrie genannt, erfasst hat. Vorher gab es nur schriftliche Umschreibungen. Obwohl die neue Methode exakter ist, beinhaltet die Grenzziehung auch einen gewissen Interpretationsspielraum, sodass noch eine gemeinsame Besprechung der Ländervertreter nötig ist. Für das Tessin und Graubünden sei der Prozess eigentlich abgeschlossen. Beim Wallis musste man noch auf die definitive Zusage Italiens warten, die aber diesen Frühling erfolgte.
Doch wie sieht es in Zukunft aus? Gutknecht glaubt, dass momentan kein Bedarf an einer neuen Auswertung vorhanden ist. Würde sich beispielsweise der Gletscher südlich des Piz Palü ändern, könnte sich die Wasserscheide vielleicht einige Hundert Meter verschieben, was später auch zu einer Grenzkorrektur führen würde. «Die Italiener werden dann aber wahrscheinlich unseren Vorschlag übernehmen, da sie kaum Interesse haben, selber alles nochmals zu vermessen», sagt Gutknecht. Den Grund für die ganze Aufregung sieht der Swisstopo-Experte darin, dass eine Grenzbereinigung in Italien vom Parlament abgesegnet werden muss, was wiederum zu einem diplomatischen Notenaustauch führt. Dass die Zeitschrift «The New Scientist» die Brücke von der Grenzbereinigung zwischen Italien und der Schweiz zum Grenzkonflikt zwischen Pakistan und Indien schlägt, kann Gutknecht nicht nachvollziehen. Denn beim Siachen-Gletscher, auf dem sich die beiden zentralasiatischen Länder jahrelang bekriegten, geht es um mehr als um eine Verschiebung der Wasserscheide um einige Hundert Meter.