Geteilte Berge
Unterstütze den SAC Jetzt spenden

Geteilte Berge Zweiter Teil: soziale Netzwerke

Online-Sharing Sites für Wanderer, Kletterer und Alpinisten sind en vogue. Interaktive Topoführer, Tourenberichte, persönliche Ratschläge – die Foren helfen bei der Tourenvorbereitung. Die einen schwören darauf, andere sehen darin eine Gefahr.

«Die Ski müssen bis 1900 Meter getragen werden, dann harter, umgewandelter Schnee. Couloir: im Grossen und Ganzen sehr ebenmässig. Auf dem Plateau des Doms ein paar Zentimeter Neuschnee – ein richtiger Teppich! Das Couloir ist sehr gut zu befahren gegen 13 Uhr. Frühlingsschnee bis zur Wasserfassung. Wiederholt Steinschlag beim Aufstieg durch das Couloir!» Die Verhältnisse waren also frühlingshaft am 7. Mai 2011, als dieser Benutzer der Website camptocamp.org das Nordostcouloir der Tour Sallière im Unterwallis mit Ski anging. Er ist um halb sieben in Champéry zur mit «S–» bewerteten Tour aufgebrochen, hat den Gipfel um elf Uhr erreicht und ist gegen eins in die Abfahrt eingestiegen. Schon am Vortag hatte er sich auf der gleichen Website informiert, danach beschrieb der «Internaut» die Bedingungen. Die Nächsten werden tags darauf davon profitieren.

Am gleichen Tag trugen Dutzende andere Benutzer ihre Erfahrungen ein, Hunderte zogen Nutzen daraus: Gross Grünhorn und Dufourspitze für die Skifahrer, die Sommêtres in den Freibergen und die Calanques bei Marseille für Kletternde. Zustandsberichte für jeden Geschmack. Das gibt es täglich auf den auf Wanderer und Alpinistinnen ausgerichteten «Sharing Sites» im Internet.

 

Eine «Berg-Wikipedia»

Mit 255 233 Besuchern auf der Standardversion im Januar 2012 (16 189 waren es auf der mobilen Version, optimiert für Smartphones und Tablets) verzeichnet camptocamp.org einen unglaublichen Erfolg – wie andere «Sharing Sites» auch. Interaktive Topos aus der ganzen Welt, für Alpinisten, Kletterinnen, Wanderer, Schneeschuhgängerinnen und Skitouristen: Wer in die Berge gehen will, findet hier, was er sucht. Die Basisinformationen über die Touren werden durch Informationen von unterwegs, Ratschläge und Fotos ergänzt. Hinzu kommen Foren, die thematisch geordnet den Austausch über die Berge ermöglichen, sogar Seilschaftspartner kann man hier finden (siehe «Die Alpen» 12/2010). Hinzu kommen aktuelle Artikel über Sicherheit, Material, Umweltschutz und und und. Kurz: Solche Sites sind eine eigentliche «Berg-Wikipedia».

 

Eine geschätzte Dienstleistung

Als Claude Philipona im Oktober 1997 zusammen mit einer Gruppe bergangefressener Kollegen die Site skirando.ch aufschaltete, hätte er nie geahnt, dass sein «Baby» – das ein paar Jahre später zu camptocamp.org werden sollte – diese Ausstrahlung erreichen würde. «Sie entstand zum persönlichen Gebrauch», sagt er, «um die zahlreichen Anrufe zu verringern, die wir machen mussten, wenn wir die Schneeverhältnisse kennen wollten.» Mittlerweile ist die Seite in sieben Sprachen (französisch, deutsch, englisch, italienisch, spanisch, katalanisch und baskisch) zu erreichen, und das Internetwerkzeug hat denn Bann für zahlreiche andere Sites gebrochen, die ebenso leistungsfähig sind und von einem breiten Publikum geschätzt werden.

Das bestätigt Georges Sanga, Autor von Führern. Er schätzt den Austausch, hier findet er Basisdaten über Skitouren. «Das erlaubt mir, mich über unternommene Touren auszutauschen, ich erhalte Informationen über originelle Routenkombinationen und über die aktuellen Verhältnisse.»

François Labande, Autor zahlreicher Skitourenführer, findet so Informationen, mit denen er seine Führer aktualisieren kann. «Das gilt besonders für Abfahrten in sehr steilen Couloirs und Hängen», erklärt er. «Ich erwähne sie in den Nachträgen zu den Hauptbeschreibungen, das ergibt eine Art Monografie der befahrbaren Routen.»

Anders Patrick Vuilleumier, Benutzer von camptocamp.org und Steilhangskifahrer. Er will wissen, wie das Wetter andernorts ist und welche Verhältnisse zu erwarten sind. Und er schätzt, «dass ich meinen Bekanntenkreis um Leute erweitern kann, die solche Abenteuer unternehmen. Die Aktualität der Informationen, die Kommentare der Leser und die Bilder vermitteln wertvolle Angaben über die Berge, besser als der reine Text.»

 

Die Qualität von Fast Food

Aber aufgepasst! Es reicht, die Berichte eines Touren-Tages zu überfliegen, um die unterschiedliche Qualität zu erkennen. Die einen machen sich die Mühe, die angetroffenen Verhältnisse ernsthaft und genau zu beschreiben, andere wiederum sprechen gar nicht oder nur sehr knapp davon.

Es gibt auch Leute, die sich dem Trend verweigern. «Nein danke, nicht für mich», sagt zum Beispiel Raphaël Jobin. Der Skifahrer, Kletterer und Alpinist geht in erster Linie in die Berge, um allein zu sein oder seine Erlebnisse mit Freunden zu teilen. «Diese ‹Sharing Sites› machen die Berge zu einem schlüsselfertigen Objekt, es entsteht eine Art Take-away-Bergsteigen», bedauert er. «Die Leute nehmen sich nicht mehr die Mühe, ihre Tour vorzubereiten. Sie wiederholen einfach eine Route, nachdem sie ins Netz gesetzt wurde.» Was dazu führe, dass die Touren überlaufen sind. Vor allem das Risiko, das einige eingehen, steige, sagt Raphaël Jobin, der eine kurz vorher im Internet beschriebene Tour vermeidet. Der junge Waadtländer fügt an: «Hatte camptocamp.org ursprünglich das Ziel, zu informieren, so wird es heute von vielen gebraucht, um sich zur Schau zu stellen. Das ist in meinen Augen ein ungesunder Zugang.»

 

Die Schreiber stehen unter Aufsicht

Moderatoren, die im Bereich der Topoführer und in den Foren intervenieren, setzen zwar Leitplanken. Doch: «Die Selbstmoderation auf der Website funktioniert gut», sagt Alexandre Saunier, der seit dreizehn Jahren auf camptocamp.org aktiv ist und die Beiträge seit rund zehn Jahren moderiert. Die Benutzer können Korrekturen melden, auf gefährliche Passagen hinweisen, den Moderatoren Probleme mitteilen oder auf falsche Aussagen in den Foren hinweisen. Sie können sich via Kommentar einmischen, wenn ihnen die Wahl gewisser Touren gewagt scheint.

Auf die Frage, wie die Sicherheit gewährleistet wird, sagt Alexandre Saunier: «Wie bei Wikipedia werden die Einträge unter einer ‹Creative-Commons-Lizenz› zur Verfügung gestellt. Dank dieser können mit dem Wiki-System die Informationen laufend angepasst werden.»

Doch ist es möglich aus der Distanz zu beurteilen, ob sich Benutzer bei einer Tour Risiken aussetzen? Laut Alexandre Saunier ist dies schwierig; er ist sich bewusst, dass die Verhältnisse im Gelände sehr wechselhaft sein können und nicht mit der allgemeinen Einschätzung übereinstimmen müssen. «Die Moderation ist nicht dafür da, eine risikoreiche Aktivität zu zensurieren oder einen Verhaltenskodex im Gelände festzulegen», erklärt er, «sondern nur, um sich zu vergewissern, dass die durch die Benutzer vermittelten Informationen im Grossen und Ganzen mit der Wirklichkeit im Gelände übereinstimmen und nicht offenkundig falsch sind.»

 

Ein kritisches Auge behalten

Angesichts der Flut von online gestellten Informationen sind die Benutzer angehalten, kritisch zu bleiben. Bruno Hasler, Fachleiter Ausbildung beim SAC, sieht in den Websites eine fast unerschöpfliche und bedeutende Informationsquelle. Er rät aber zur Vorsicht: «Es ist wichtig, dass jeder seine Tour sorgfältig studiert und evaluiert, man darf sich nicht blind auf die von anderen Internetbenutzern gelieferten Daten verlassen.» Das weiss auch Georges Sanga; er sucht sich die vertrauenswürdigen Kommentare aus: «Ich spüre sofort, ob die Verfasser die Berge kennen oder nicht. Ich weiss, auf welche ich mich verlassen kann.» Patrick Vuilleumier hingegen verlässt sich, einmal im Gelände, nur auf sein eigenes Urteil: «Ich steige immer zu Fuss über den Hang auf, den ich befahren möchte, weil ich wissen muss, ob alle Faktoren für eine sichere Abfahrt gegeben sind.»

Sowenig wie ein GPS einen davon befreit, Karte und Kompass mitzunehmen (siehe «Die Alpen» 2/2012), ersparen die interaktiven Internetsites die kritische Lektüre. Wie bei einem GPS muss man lernen, wie mit solchen Internetseiten – so grossartig sie auch sind – umzugehen ist. Darum sollen trotz allem auch weitere Quellen angegangen werden: Hüttenwarte und lokale Bergführer bleiben unter anderem nach wie vor Anlaufstellen bei der Vorbereitung einer Bergtour.

Beliebte Sharing-Seiten

www.bergportal.ch

Im Jahr 2000 als www.skitouren.ch aufgeschaltet durch Reto Baur und Philippe Meyenhofer, damals Studenten; diese Internetseite umfasst heute skitouren.ch, bergtour.ch, gipfelbuch.ch und snowboardtouren.net. Die Plattform ist nur auf Deutsch gehalten, deckt den ganzen Alpenraum ab und ist, was ihren Inhalt angeht, den anderen ziemlich ähnlich.

 

www.camptocamp.org

Online seit 1997, ist die Seite mittlerweile in sieben Sprachen verfügbar. Einträge über Ski- und Schneeschuhtouren, Hochtouren und Klettereien, aber auch Wanderungen und Gleitschirmflüge.

www.gulliver.it

Auf Italienisch. Touren auf italienischem Gebiet mit Schwerpunkt Piemont und Aostatal; zusätzlich werden auch immer wieder Routen in Frankreich, Österreich und der Schweiz eingetragen. Auch hier existiert eine Rubrik für die, die einen Seilschaftsgefährten suchen (Forum – Compagno cercasi).

www.montagneinfo.net

Auf dieser Website der französischen Bergführergewerkschaft gibt es kein Blabla, sondern die Verhältnisse im Detail auf von Profis unternommenen Touren.

 

www.on-ice.it

Eine weitere Website auf Italienisch mit wunderschöner grafischer Aufmachung und einem sehr gut lesbaren Layout.

 

www.skitour.fr

Eine bemerkenswert gemachte Website, die vor allem dem Skitourengehen gewidmet ist: Berichte von Touren, Foren, aktuelle Schneelage, Rubrik Ausrüstung mit der Beschreibung von Produkten und Marktplatz.

 

www.ohm-chamonix.com

Die sehr informative Website des «Office de Haute Montagne Chamonix» (französisch, italienisch und englisch) mit allgemeinen Informationen über die Verhältnisse im Montblanc-Gebiet und in den Bergen des Aostatals («Conditions montagne») und seriösen Toureneinträgen im «Cahier de courses».

 

www.kletterportal.ch

Auf die Deutschschweiz ausgerichtete Website für Klettern und Bergsport mit Marktplatz, Foren und für die Suche von Seilpartnern.

Feedback