Geheimnisvoller Spiegel
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Geheimnisvoller Spiegel Kühnheit und Verschwiegenheit prägte die Geschichte des Miroir de l´Argentine

Vor 100 Jahren bestiegen Lausanner Studenten erstmals die grosse Kalksteinplatte des Miroir de l’Argentine. Zwei Bergführer folgten der Initiative und eröffneten je eine grosse Route am Grand und am Petit Miroir. Doch beide Leistungen blieben geheim.

Seit drei Tagen schleppt der Bergführer Adrien Veillon eine 20 Kilogramm schwere Kamera für einen der ersten Bergsteigerfilme von Emile Gos auf dem Grat des Argentine herum. Als er den Kamm des Grand Miroir überquert, kann er sich wahrscheinlich nicht vorstellen, dass die 450 Meter hohe Wand unter seinen Füssen soeben begangen wurde. Doch wie sollte er auch! Die drei Erstbesteiger André Bugnion, Jean-Pierre Vittoz und Henri Moreillon haben ihre Tat nicht an die grosse Glocke gehängt. Das Vorhaben war zwar nicht extrem, aber doch ziemlich gewagt. Ausgerüstet mit Eispickeln - im oberen Teil und am Fuss der Wand liegt noch viel Schnee -, einem Hanfseil und Nagelschuhen bezwingen die drei Lausanner Studenten am 28. Mai 1922 die Wand, indem sie zuerst einem Couloir auf der linken Seite des Miroir und dann einer Verwerfung darüber folgen. Etwas mehr als drei Monate später geschieht es erneut. Fernand Laurent und Jean Mabillard begehen mehr oder weniger die gleiche Route mit einem 25 Meter langen Seil - aber im Abstieg. Die Orientierung ist schwierig, und ein Steinschlag fegt sie beinahe von der Wand, glücklicherweise geht aber nur eine Flasche Rotwein kaputt. Diese Exploits von Amateuren lassen die Frage aufkommen, wo denn die einheimischen Bergführer bleiben. Immerhin gibt es davon rund ein Dutzend in Plans-sur-Bex, am anderen Ende des Gratkamms Argentine.Die Besteigung des Miroir durch das östliche Couloir an seinem Rand im Jahr 1922 bricht ein Tabu. Eine Rettungsaktion sorgt 1923 dafür, dass der Ort etwas bekannter wird. Das Interesse am Miroir ist geweckt: Kann die Platte, die einem Spiegel gleicht und ihr den Namen gibt, bezwungen werden? Bis zu diesem Zeitpunkt waren die einheimischen Bergführer eher Zuschauer. Auf Anfrage ehrgeiziger Kunden werden sie jetzt selbst aktiv.

Etwas mehr als drei Monate später geschieht es erneut. Fernand Laurent und Jean Mabillard begehen mehr oder weniger die gleiche Route mit einem 25 Meter langen Seil - aber im Abstieg. Die Orientierung ist schwierig, und ein Steinschlag fegt sie beinahe von der Wand, glücklicherweise geht aber nur eine Flasche Rotwein kaputt. Diese Exploits von Amateuren lassen die Frage aufkommen, wo denn die einheimischen Bergführer bleiben. Immerhin gibt es davon rund ein Dutzend in Plans-sur-Bex, am anderen Ende des Gratkamms Argentine.

Die Besteigung des Miroir durch das östliche Couloir an seinem Rand im Jahr 1922 bricht ein Tabu. Eine Rettungsaktion sorgt 1923 dafür, dass der Ort etwas bekannter wird. Das Interesse am Miroir ist geweckt: Kann die Platte, die einem Spiegel gleicht und ihr den Namen gibt, bezwungen werden? Bis zu diesem Zeitpunkt waren die einheimischen Bergführer eher Zuschauer. Auf Anfrage ehrgeiziger Kunden werden sie jetzt selbst aktiv.

Bergführer treten auf den Plan

Als Erster macht sich Armand Moreillon, Bergführer in Les Plans, ans Werk. Als Jugendlicher hat er bereits zwei Zugangsrouten zum Lion d’Argentine in der Südwestflanke eröffnet. Er ist bärenstark, dazu ein vielseitiger Sportler, und eine ruhige Kraft geht von ihm aus. Sein Rufname «le dzou» («le doux», der Sanfte) passt perfekt zu ihm. Zwei Alpinisten aus Lausanne, F. Delisle und Charles Rathgeb, beauftragen ihn 1926, den Grand Miroir mit ihnen zu bezwingen. Von Solalex aus studieren sie einen ganzen Tag lang die Wand, am 1. September schreiten sie zur Tat. Die Route folgt einer Bruchlinie und nutzt ein Y-förmiges System von Rinnen und Spalten. So gelingt es ihnen, bis zur oberen grossen Platte vorzustossen. Ein feiner Riss, von unten kaum zu erkennen, führt quer über die Platte bis in die Nähe der Gipfellücke. Der Weg ist gefunden, jetzt muss man ihn noch begehen, denn am Fuss des Y ist es ungemütlich.

Auf dem feuchten und heiklen Kamin, der den Namen des Bergführers tragen wird, folgt eine Passage, die an den fünften Schwierigkeitsgrad reicht und die Schlüsselstelle der ursprünglichen Route darstellt, die seither diverse Änderungen erfahren hat. Die Seilschaft ist fest entschlossen, sie klettert zwar mit leichten Schuhen, aber ohne Hammer und Schlaghaken. Nach drei Stunden stehen die drei auf dem Gipfel und haben einen der schönsten Klassiker aus der Taufe gehoben, dessen Erfolg ungebrochen bleibt. Und obwohl Moreillon fast zwei Dutzend Mal Kunden auf diesem Weg zum Gipfel führen wird, macht auch er kein grosses Aufheben davon.Die Geschichte wiederholt sich mit Adrien Veillon, als ihn sein englischer Kunde Bobby Hudson am 5. September 1930 bittet, mit ihm den Petit Miroir zu besteigen, eine glatte Platte in der Mitte des Argentine-Grates. Die Seilschaft gelangt über eine gewagte, aber nicht zu schwierige Route bis zum Fuss der Platte, die sie dann auf der Flanke über einen langen Kamin bezwingt, der ebenfalls den Namen seines Erstbesteigers tragen wird. Für diese Leistung erhält Veillon 100 Franken, ein kleines Vermögen, das ihm erlaubt, bei sich zu Hause ein Telefon zu installieren und für seine Kunden besser erreichbar zu sein. Auch hier wird kein Schlaghaken verwendet, die Leistung bleibt ebenfalls unbekannt und wird nicht einmal im Führerbuch Veillons erwähnt.

Die Geschichte wiederholt sich mit Adrien Veillon, als ihn sein englischer Kunde Bobby Hudson am 5. September 1930 bittet, mit ihm den Petit Miroir zu besteigen, eine glatte Platte in der Mitte des Argentine-Grates. Die Seilschaft gelangt über eine gewagte, aber nicht zu schwierige Route bis zum Fuss der Platte, die sie dann auf der Flanke über einen langen Kamin bezwingt, der ebenfalls den Namen seines Erstbesteigers tragen wird. Für diese Leistung erhält Veillon 100 Franken, ein kleines Vermögen, das ihm erlaubt, bei sich zu Hause ein Telefon zu installieren und für seine Kunden besser erreichbar zu sein. Auch hier wird kein Schlaghaken verwendet, die Leistung bleibt ebenfalls unbekannt und wird nicht einmal im Führerbuch Veillons erwähnt.

Risikobeherrschung als Verkaufsargument

Das Führerbuch von Adrien Veillon, der zwischen 1915 und 1962 aktiv war, könnte eine Hypothese zur Verschwiegenheit liefern, die diese Erstbesteigungen umgibt. Auch wenn Veillon in anderen Bergen tätig war, hat er in den Waadtländer Alpen den Hauptteil seiner Karriere verbracht. Wo auch immer er seine Kunden hinführt, die Kommentare in seinem Führerbuch zeugen von seinem Können, seiner Ruhe, seiner Effizienz, vom Gefühl der Sicherheit, das er ausstrahlt, und von seiner freundlichen Art. Wenn solche Beurteilungen als Visitenkarten für wohlhabende Kunden dienten, dann darf man annehmen, dass Berichte über gewagte und riskante Touren den einen oder anderen von ihnen abgeschreckt hätte. Es ist auch möglich, dass er Kunden, die nicht das nötige Können hatten, nicht zu solchen Touren verleiten wollte und diese Routen nur mit denjenigen begehen wollte, denen er vertrauen konnte. Wie dem auch sei, es bleibt ein Rätsel.

Literatur

Mathieu Narindal, Les Plans-sur-Bex. De la découverte des Alpes aux mutations du XXe siècle, Association d’intérêt public des Plans-sur-Bex, Montreux, 2009Eugène Rambert, Bex et ses environs, Bureau de la bibliothèque universelle, Lausanne, 1871Claude et Yves Remy, Les Miroirs de l’Argentine, Association Morcles, Diablerets, Muverans, September 2022 (überarbeitete Neuauflage des Buches aus dem Jahr 1997)Adrien Veillon, Livret de guide, archives VeillonVincent Veillon, Adrien Veillon (1892

Eugène Rambert, Bex et ses environs, Bureau de la bibliothèque universelle, Lausanne, 1871

Claude et Yves Remy, Les Miroirs de l’Argentine, Association Morcles, Diablerets, Muverans, September 2022 (überarbeitete Neuauflage des Buches aus dem Jahr 1997)

Adrien Veillon, Livret de guide, archives Veillon

Vincent Veillon, Adrien Veillon (1892-1990). Guide de montagne [unveröffentlichte Arbeit]: Gymnasium von Burier, 2005

Wo die europäische Prominenz einst Halt machte

Heute ist es ruhig und beschaulich im kleinen Weiler von Les Plans-sur-Bex. Aber der unscheinbare Ort hat während einiger Jahrzehnte eine aufregende Zeit erlebt. Das Tal von Les Plans, das unter Botanikern ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts bekannt war, gewann rund 100 Jahre später an Attraktivität. Im Jahr 1857 erreichte die Simplon-Eisenbahnlinie Bex, und die Tourismusbranche nutzte die Gelegenheit, um den Ort bekannt zu machen.

Das aus den Salzminen gewonnene Thermal- und Heilwasser verhalf dem kleinen Dorf zu internationaler Bekanntheit als Touristenort. Europäische Prominenz machte hier Halt und nutzte die Nähe der Waadtländer Alpen für Ausflüge in die Berge. Vor der imposanten Kulisse des Grand Muveran wurde Les Plans jeden Sommer zu einem beliebten Ausflugsziel. Eugène Rambert, ein grosser Alpendichter und ehemaliger Zentralpräsident des SAC, berichtete 1871 von dieser Entwicklung: «Noch vor 20 Jahren traf man hier nur auf sehr bescheidene Alphütten und auf eine Gastfreundschaft sehr rustikaler Art. Heute wimmelt es in Les Plans während der ganzen Saison von Fremden, und jedes Jahr werden einige neue Chalets gebaut. Die Pensionen können mit der immer stärker zunehmenden Nachfrage nicht Schritt halten.» So ist es nicht verwunderlich, dass sich zahlreiche Einheimische als Bergführer betätigten und Gäste auf die umliegenden Gipfel führten. Auf ihre Initiative ging auch der Bau der ersten Rambert-Hütte im Jahr 1895 zurück, die als Ausgangspunkt für Touren auf den Muveran diente. Die Touristen interessierten sich nicht zuletzt für Les Plans, weil der Ort seine authentische Ausstrahlung bewahrt hatte. Hier wurde keine mondäne Welt zur Schau gestellt. Und auch jene, die im Sog der Ideologien des ausgehenden 19. Jahrhunderts ein nationales Ideal suchten, wurden hier fündig. Der Erste Weltkrieg brach den Schwung des Massentourismus in der Schweiz, das Ende der regionalen Entwicklung brachte aber erst der Konkurs der Bank von Bex im Jahr 1935.

Auf ihre Initiative ging auch der Bau der ersten Rambert-Hütte im Jahr 1895 zurück, die als Ausgangspunkt für Touren auf den Muveran diente. Die Touristen interessierten sich nicht zuletzt für Les Plans, weil der Ort seine authentische Ausstrahlung bewahrt hatte. Hier wurde keine mondäne Welt zur Schau gestellt. Und auch jene, die im Sog der Ideologien des ausgehenden 19. Jahrhunderts ein nationales Ideal suchten, wurden hier fündig. Der Erste Weltkrieg brach den Schwung des Massentourismus in der Schweiz, das Ende der regionalen Entwicklung brachte aber erst der Konkurs der Bank von Bex im Jahr 1935.

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