Flaschenpost in die Zukunft Wasserszenarien im Alpinen Museum
Noch leben wir im Wasserschloss Europas. Allzu gerne verdrängen wir aber, dass sich schneearme Winter mehren und die Gletscher schmelzen. Unsere Enkel werden sich 2051 die Augen reiben, denn das kostbare Nass wird knapp sein.
«Wasser unser» heisst die neue Sonderausstellung im Alpinen Museum. Der Titel erinnert an das «Vater unser» der Christen. «Unser tägliches Brot gib uns heute», heisst es dort. Werden wir im «Wasserschloss» Europas dereinst für die tägliche Ration Trinkwasser beten müssen? Für zwei Drittel der Menschheit ist die Knappheit an sauberem und verfügbarem Trinkwasser jedenfalls bereits heute Realität.
«Über schwindende Gletscher als Folge des Klimawandels haben wir schon viel hören müssen. Das wirkt lähmend», sagte Ausstellungskuratorin Barbara Keller bei der Medienpräsentation am 25. Oktober. Darum habe man bewusst einen anderen Zugang für das Thema gewählt – den Ausblick ins Jahr 2051: «Als Museum schauen wir für einmal in die Zukunft und nicht in die Vergangenheit.»
Der Weg dazu ist originell: Die Ausstellung schlägt eine Brücke zwischen aktuellen Forschungserkenntnissen und literarischer Fiktion. Die Kuratorin holte dazu den Klimaforscher Rolf Weingartner als wissenschaftlichen Berater und die Schriftstellerin Ruth Schweikert als literarische und konzeptionelle Mitarbeiterin an Bord.
Schweikerts «Wasserpartitur» stimmt den Besucher gleich am Anfang der Ausstellung akustisch und visuell auf das Thema Wasser ein. Dieser witzige Einstieg macht bewusst, wie stark das Wasser in unserer Alltagssprache verankert ist, in Redewendungen wie etwa «Das geht den Bach runter», «Das Wasser steht ihm bis zum Hals» oder «Niemand kann ihr das Wasser reichen».
Illegaler Wasserhändler
Schweikert und drei junge Autorinnen haben sechs begehbare «Wasser-Zukünfte» ausgearbeitet. Sie laden den Betrachter ein, in mögliche Wasserrealitäten einzutauchen. Der Tenor: nicht in Resignation verfallen, sondern Alternativen zu den Katastrophenszenarien entwickeln.
Im Alpinen Museum können die Besucher deshalb die unterschiedlichsten Orte besuchen: ein Trinkwasserreservoir, ein Kraftwerk oder ein Hallenbad. An verschiedenen Stationen erzählen Menschen aus ihrem Alltag im Jahr 2051 – es sind Stimmen aus der Zukunft. So etwa der Wasserhändler, der 2051 illegal Wasser sammelt und verkauft.
An einer anderen Station hören die Besucher vom «gläsernen Verbraucher», der künftig seinen Wasserkonsum über einen implantierten Chip kontrolliert. Und einen Raum weiter berichtet ein «Alpine Security Manager», wie er unter Lebensgefahr die Geländebewegungen der bröckelnden Gipfel beobachtet, weil der Permafrost längst aufgetaut ist.
Schnee nur noch im Museum
Besucherinnen und Besucher können an einer virtuellen Gemeindeversammlung per iPad aktiv mitbestimmen, ob sie ein Mehrzweckreservoir in den Bergen lieber für Trinkwasser- oder für Bewässerungszwecke in der Landwirtschaft nutzen möchten. So werden künftige Nutzungskonflikte nachvollziehbar gemacht.
Die Zukunft der knapper werdenden Ressource Wasser sei der Dreh- und Angelpunkt der Ausstellung, sagt Kuratorin Barbara Keller. Eine witzige Idee der Ausstellung ist das «Schneeresort»: In den Vitrinen eines fiktiven Wintermuseums kann besichtigt werden, was früher einmal war – Schneekanonen, Tellerliftbügel und geschmolzener Schnee in Konservengläsern, beschriftet mit Etiketten vom Herkunftsort. Sie sollen an die Zeiten erinnern, als in Lagen unter 2000 Metern noch Schnee fiel.
«Die Fakten der Klimaveränderung liegen schon länger auf dem Tisch», sagt Rolf Weingartner vom Oeschger-Zentrum für Klimaforschung der Universität Bern. Das Nichthandeln von Politik und Gesellschaft bedrücke ihn persönlich, sagt er. Wir hätten es in der Hand, mit angemessenen Massnahmen zu reagieren, wobei die Reduktion der Treibhausgasemissionen zweifellos zu den wichtigeren gehöre, so Weingartner. Zuwarten sei die schlechteste Option: «Das rasante Schwinden der Gletscher wird unter Experten als das Umkippen eines Dominosteins im Wassersystem gewertet. Versiegen diese Quellen, haben wir ein ganz grosses Problem», sagt Klimaforscher Weingärtner.
Eine Installation im Eingang zur Ausstellung «Wasser unser» trifft den Nagel auf den Kopf: Aus zwei riesigen Wasserbidons, die wie eine Sanduhr konstruiert sind, fliesst das Wasser in Windeseile ab – so rasch kann sich in absehbarer Zeit der Traum vom «Wasserschloss Schweiz» verflüchtigen.
Boje im Gotthardsee
Am Schluss der Ausstellung werden die Besucher gebeten, Wünsche, Ängste und Hoffnungen an die Nachgeborenen auf Papier zu formulieren und in die riesige rote Boje zu legen. Zusammen mit den Botschaften wird sie nach Abschluss der Ausstellung im Lago della Piazza auf dem Gotthardpass vertäut. Im Jahr 2051 soll der Inhalt an die nächste Generation übergeben werden. Diese kann dann prüfen, ob die Wünsche und Forderungen von 2017 in den vergangenen 35 Jahren umgesetzt wurden. Man darf hoffen, dass der See bis dann nicht ausgetrocknet ist.
Für Ruth Schweikert steht schon jetzt fest, dass sie die Ausstellung im Alpinen Museum mit ihren drei zwischen 9 und 18 Jahren alten Söhnen – der kommenden Generation also – besuchen wird. «Auf ihre Reaktionen bin ich gespannt», sagt sie. «Von ihnen und ihrem Verhalten hängt es ab, wie sich die Wasserwelt 2051 präsentiert.»