Festbericht
Nicht ohne Sorge saßen am späten Abend des 16, August die Mitglieder des Festcomités noch " beisammen; Alles glaubten sie erwogen, für Alles var-gesorgt zu haben; was aber, wenn der Himmel fortfährt, wie er es diesen Sommer mit den Sectionsausflügen gethan, auch die festlichen Veranstaltungen der Section Uto mit seiner Ungnade za verfolgen? Und diese Befürchtung konnte das Wetter der letzten Tage nur verstärken! Vorsorglich hatten zwar die Väter des Festes noch ein „ Wüstwetter-ErogranMa". im Hintergrunde, zu dem sie aber nur mit Bedauern gegriffen hätten; das Schönste, was sie ihren lieben Gästen 7Ai bieten hatten, konnte Jupiter Plnvius grimme Laune zu Schanden machen.
Doch das genügend bekannte und zum Trost citirte „ Zürcher Festwetter " ist auch kein leerer Wahn, und als der Morgen des ersten Festtages ( 17. August ) anbrach, strahlte Berg und Thal und See in sieghaftem Sonnenglanze, und wenn auch die Limmatstadt chttrí;#r kein äußerliches Prunkgewand ihren Antheil an dem kommenden ver rieth, so sagten sich doch die vergnügten Gesichter der Clubgenossen: Jetzt kann 's nicht mehr fehlen! JstöMit den Mittagszügen trafen die Delegirten ein und versammelten sich um g-.Va Uhr unter dem Vor sitz des Centralpräsidenten im maurischen Saale des Hôtel National. Die Verhandlungen der Delegirten-Versammlung umfaßten 11 verschiedene Tractanden und dauerten bis ca. halb 8 Uhr; daran schloß sich ein Nachtessen, an welchem sich der größere Theil des C. C. und der Delegirten betheiligte.
Mittlerweile war das Empfangscomité in voller Thätigkeit, die Avantgarde der Festgäste auf dem Bahnhofe zu bewillkommnen; bis gegen Abend hatte sich deren eine stattliche Anzahl eingefunden. Um 8 Uhr strahlten die Baumkronen und Uferlinien des Bauschänzli im Schmucke von hundert und aberhun-dert Lampen und Lämpchen, und ihr heller Schein in die dunkle Nacht hinaus bezeichnete weithin den Clubisten den Sammelpunkt für den Vorabend des Festes. Mehr und mehr füllten sich die unter dem grünen Blätterdache aufgeschlagenen Tafeln mit den muntern Schaaren der einheimischen und fremden Gäste, und bald entfaltete sich ein reges Festleben. Es ließ sich aber auch trefflich weilen auf dem lichtstrahlenden kleinen Eiland, das sonst in verschwie-genem Dunkel, von den Bewohnern Zürichs halb vergessen, im Schooße der Limmat ruht. Frohe Begrüßung unter Freunden und Bekannten, Auffrischung clubistischer Reminiscenzen belebten die zwanglos sieh zusammenfindenden Gruppen, unter denen auch verschiedene Koryphäen und Veteranen unseres Alpenclubs nicht fehlten. Eine improvisirte Festwirthschaft sorgte für des Leibes Bedarf, dazwischen ertönten die Klänge eines Musikcorps abwechselnd mit den kunstvollen Jodlern der Brüder Schlegel in die warme Sommernacht hinaus, und erschallten die weniger kunstvollen, aber gut gemeinten Weisen des fröhlichen Murmelthiers aus voller Clubistenkehle. Den Gästen entbot Hr. Stadtrath C. C. Ulrich den Gruß der Section Uto und der Stadt Zürich; mit warmen Worten stattete Hr. Hofmann-Burckhardt von Basel den Dank der eingeladenen Sectionen ab. Angesichts der noch kommenden Festgenüsse lichteten sich mälig die Reihen gegen Mitternacht, Licht auf Licht erlosch und die letzten Zecher mahnte der mächtig durch die Baumwipfel brausende Föhn, daß es Zeit sei zur Heimkehr.
Die ersten Stunden des folgenden Sonntagmorgens verbrachten die meisten der Gäste mit der Besichtigung der mannigfachen natur- und kunsthistorischen Sammlungen und Anstalten Zürichs; vieles Interesse fesselte auch das im Meisensaale ausgestellte Relief des Berner Oberlandes von Ingenieur Simon, welches, zum Theil fertig in Gyps modellirt, zum Theil erst in Cartoncurven und Holzterrassen angedeutet, dem Betrachter ein anschauliches Bild von dem Umfange und dem Entstehen dieser gewaltigen Arbeit vermittelte.
Um 10 Uhr Vormittags, unter den Klängen des soeben eingeweihten neuen Großmünster-Geläutes, versammelten sich die Clubmitglieder und auswärtigen Gäste zur 24. Generalversammlung auf dem Rathhause im Sitzungssaal des Kantonsrathes unter Vorsitz des Festpräsidenten. Näheres über die Verhandlungen ist aus dem Protokoll zu ersehen; den Abschluß derselben bildete ein Vortrag von Prof. Dr. C. Schröter über „ Oswald Heer als Gebirgsforscher ", der durch lebendige Darstellung und pietätvolle Schilderung derjenigen Seiten des großen Gelehrten, die ihn mit den Zielen des Alpenclubs in Verbindung brachten und zu einem unvergeßlichen Veteranen und Vorbilde desselben stempelten, die Zuhörer mächtig ergriff. Um halb 1 Uhr war die Sitzung beendigt.
Abermals waren im Laufe des Vormittags ansehnliche Verstärkungen zur Clnbistenarmee gestoßen, die sich um 1 Uhr in einer Stärke von über 400 Mann zum Festessen im großen Tonhallesaale besammelte. Aller Augen überrascht zunächst das neue Gewand, in welchem sich diese den meisten schweizerischen Besuchern von andern Anlässen her bekannte Localität präsentirt. Das Musikpodium ist in eine Gebirgslandschaft verwandelt mit dem Schneehaupte des Titlis im Hintergrunde- an die Berghalde lehnt sich eine Clubhütte und durch einen tannen- und arvenbestandenen Vordergrund, zwischen dessen Felsen Bergblumen blühen, ergießt sich ein murmelnder Bach. Die rückwärtige Schmalseite schmückt ein riesiges Züricher Wappen mit dem Schilde des S.A.C. in der Mitte; darunter befindet sich die.Rednerbühne. Die Gallerien sind mit Guirlanden und Tannenreisig bekleidet, von den Säulen hängen zu Trophäen vereinigt die Werkzeuge des Bergsports, als da sind Stöcke, Pickel, Bergschuhe, Tornister, Rucksäcke, Kochgeschirre, Schneereifen, Jagdflinten u. dgl., von den Wänden blicken die Namen verstorbener berühmter Mitglieder des S.A.C.: Simmler, Dufour, Désor, Theobald, Heer, Merian, Agassiz, Zähringer, Studer, Rambert, Freundler, Iwan und Friedrich von Tschudi, Escher v. d. Linth. Eine besondere Freude war es für die Festgenossen, noch einige von den hochbetagten Altmeistern unserer Zunft in beneidens-wertlier Frische unter den Tafelnden zu erblicken, so Hrn. Weilenmann von St. Gallen, Hrn. Raillard von Base ), von Zürchern Hrn. Prof. Melchior Ulrich, der das Ehrenpräsidium des Festes führte, Hrn. Nationalrath Bucher von Regensberg u. A. In trefflicher Weise löste die Küche der Tonhalle ihre nicht leichte Aufgabe, vorzüglicher Festwein und Ehrenwein der âcssai-ï&Lfe; Regierung, dazu die rauschenden Weisen der „ Concordia ", abwechselnd mit Clubistenliedern und den prächtigen Jodlern der Gebrüder Schlegel von der Höbe der Clubèfitte herunter, erzeugten bald das richtige festliche Behagen, nnd die letztern spornten. einigt kehlgewandte Mitglieder der Sectionen Tödi und Sentis zu ähnlichen Productionen an. Schon gingen die Wogen des'Festes ziemlich hoch, als Hr. Pestpräsident Reg.Rath Grob den Reigen der Toaste eröffnete, der nun unaufhaltsam floß. Unter Hinweis auf die ernste Zeit, die uns die politischen Ereignisse der letzten Monate brachte, bringt er sein Hoch dem Vaterlande, der Hochburg der Freiheit in Europa. Der Centralpräsident, Hr. Oberst Gallati, übermittelt die Grüße der befreundeten ausländischen Alpenvereine, des deutschen nnd österreichischen Alpenvereins, des österreichischen Alpenclubs, des Club alpin français, des Tridentinischen Alpenvereins, sowie telegraphische Grüße einiger an der Theilnahme ver hinderter Clubgenossen. Sein Hoch gilt der Begeisterung für unsere Berge und deren Erforschung. Herr Reg.Rath Stößel, als Vertreter der kantonalen Regierung,. toastirt auf den S.A.C.; Herr Stadtrath Ulrich, als Vertreter der Stadt, auf die berechtigte Festfreude, der Vicepräsident des C. C. ,'Hr .Pfarrer Büß, auf die Section Uto und die Feststadt Zürich. In warmen und sympathischen Worten brachte der officielle Vertreter des deutschen und österreichischen Alpenvereins, von welchem 4 Mitglieder erschienen waren, Hr. Dr. Strauß von Constanz, dem S.A.C. den Gruß seines Vereins; Hr. John Syz, Präsident der Section Uto, läßt die fremden Alpenvereine und Gäste, Hr. Briquet von Genf die Gründer des S.'A. C. hochleben. Namens der Section Tessin, die außerdem ein begeistertes Sympathie-Telegramm ihres Präsidenten Curzio Curti gesandt hatte, sprach in italienischer Zunge Hr. Corecco von Bodio. Dieselbe Section bezeugte ihre Anhänglichkeit an den Gesammtclub durch Ueberreichung eines Riesenbouquets, das dann unter allgemeinem Applaus vom Centralpräsidenten dem Jodlerpaar Schlegel übergeben wurde.
Einen sinnigen Festgruß bereitete auch, in Begleitung eines launigen Gedichtes, die Spende einer Flasche 1871er Pestweins, der letzten ad hoc aufgesparten, seitens eines unbekannten Gebers Da sie nicht für Alle reichte, wurde sie, dem Willen des Testators gemäß, von den Präsidenten symbolisch geleert. Noch verlas Hr. Frick-Lochmann ein die Schönheit der Alpen feierndes, dem- S.A.C. gewidmetes Gedicht, dann aber ging des Einzelnen Stimme unter im brausenden Festjubel.
Der Abend nahte und nach den Genüssen der Tafel erschien ein kleiner Spaziergang den Meisten angemessen. In dem aussichtsreichen Garten des Sonnenberges am Abhänge des Zürichbergs sammelte sich eine große Zahl, um einen bewundernden Ausblick auf See und Gebirge zu thun, der trotz des mehr und mehr mit Wolken bedeckten Himmels durch die Schärfe, mit der sich in der klaren Föhnluft die Stöcke der Glarner, Schwyzer und Urner Gebirge von einander abhoben, selbst für den Einheimischen von ungewöhnlicher Schönheit war.
Allmälig dunkelte die Nacht herein, eine Nacht, so dunkel und so schwarz, daß das Festcomité manchen besorgten und prüfenden Blick gen Himmel warf, ob derselbe nicht trotz des bisher bewiesenen Wohlwollens noch Böses im Schilde führe. In der Nähe der festlich illuminirten Tonhalle lag der Salondampfer „ Helvetia " bereit, die Clubisten mit ihren Damen und Freunden aufzunehmen und ihnen von einem günstigeren Standpunkte aus, als dies vom Ufer her möglich, den Anblick der Seebeleuchtung zu vermitteln. Einige kleine, kurz dauernde Spritzregen wurden mit Humor aufgenommen, und damit ließ es der Himmel zum Glück bewenden. Und so schnitt denn das mit einer bewundernden Menge gefüllte Schiff dahin durch die dunkeln Fluthen, geleitet von Musik und unzähligen lampiongeschmückten Gondeln, während vom Ufer her die feurigen Bogen der Quaibrücke sich wirksam vom dunkeln Hintergrunde abhoben. Auf den Höhen loderten Feuer, die vom Uetli über den Albis bis auf die Hohe Rhone und sogar den fernen Mythen sich hinzogen, letzteres ein Gruß der Freunde von Schwyz. Abwechselnd leuchteten am Gestade Villen und andere hervorragende Gebäude im farbigen bengalischen Lichte, während sprühende Raketen den dunkeln Nachthimmel durchschnitten. Nach Beendigung des schönen Schauspiels nahmen die festlich erleuchteten Räume der Tonhalle noch einen Theil der Gäste mit ihren Damen auf, wo jetzt zu Füßen des verwunderten Titlis die tanzenden Paare dahinschwebten; Mancher auch legte sein festmüdes Haupt bei Zeiten zur Ruhe, um die Excursion nicht zu verschlafen; denn zu morgen gab 's frühe Tagwache.
Mit der stattlichen Zahl von gegen 300 Clubisten bemannt, stieß am Montag 5 Uhr früh die „ Helvetia " wieder vom Lande und trug sie seeaufwärts gen Wädensweil. Der Himmel war grau und stellenweise regnete es; doch das that der guten Laune keinen Abbruch, und siehe da, als die beiden Züge der Wädensweil-Einsiedeln-Bahn uns ans dem festlich prangenden Wädensweil, wo liebe Freunde des Alpenclubs wohnen, das grüne Berggelände hinauftrugen, da brach auch schon die Sonne durch und erglänzte Thal, See und Gebirge in den Farben des schönsten Sommertages. Auf Station Schindellegi stieg das Gros der Armee aus, um in langer Colonne über die Gen-tianen-geschmückten Weiden auf steilerem Wege erst den Dreiländerstein auf dem Rücken der Hohen Rhone zu erklimmen, von wo es sich dann leicht hinüber wandert nach den Höhen des Gottschalkenberges ( 1152 01 ), während der weniger mobile Theil auf ebenerem Wege von Station Biberbrücke aus zu gleicher Zeit ungefähr das Ziel gewann. In heller Wanderlust, singend und jodelnd, traf Trupp um Trupp, am Kurhause vorbei und vom Waldrande her durch die Alphornklänge des aus dem Mnottathal verschriebe-nen berühmten Bläsers Augustin Föhn begrüßt, auf dem nördlichen Aussichtspunkte, dem sog. „ Bellevue ", ein. Dort lagerte sich Alles zum Piknik auf grünem Rasen; selten wohl hat es ein Clubist so gut auf mühsam erklommenem Gipfel, wie es hier den Festgästen durch das vorsorgliche Walten des Wirth-schaftscomités im Verein mit den Wädensweiler Clubgenossen bereitet war; sogar ein Trunk eiskalten Biers frisch vom Faß war zu haben. Und wie herrlich blickten dazu die nahen Gebirge herüber, deren Panorama von Ingenieur Simon's kundiger Hand, eine Beigabe zur Festkarte, in Aller Hand war! Ein frohes und ungebundenes Treiben entwickelte sich bald; den Gefühlen, die Aller Herz bewegten, gab Hr. Pfarrer Büß beredten Ausdruck; dann wurde hinübergewandert zu dem Aussichtsthurm „ Belvedere ", der ins Aegerithal hinunterschaut und eine zum Theil neue Gebirgsansicht erschließt. Allerlei Scherz und Kurzweil wurde dort noch getrieben, bis die Stunde zum Aufbruch mahnte. Mit Ausnahme einiger Veteranen, die den Weg zu Wagen nach Biberbrücke zurücklegten; stieg das Gros nach Hütten und Samstagern hinunter, zuerst durch würzigen Bergwald und feuchte Weiden, später, nach Ueberschreitung der Sihl, auf heißer Landstraße, welche den kaum gelöschten Clubistendurst wiederum auf eine respectable Höhe brachte. Nach kurzer Erfrischung auf der Station brachte der Zug die von dem Ausfluge hoch-befriedigte Gesellschaft nach Wädensweil hinunt'r, wo in den gastlichen Räumen des altrenomno'i 42 „ Engel " das Schlußbankett ihrer wartete und eine große Anzahl von Gasten, welche die Excursion nicht mitgemacht, darunter die beiden Herren Präsidenten, sich wieder anschlössen. Heiter und animirt verlief das vortreffliche Diner; die Wädensweiler spendeten dazu den Ehrenwein, auf der Terrasse am See spielte eine Musikkapelle und lockte Manchen hinaus, den der schwüle Sommertag aus der Temperatur des Bankettsaales die Flucht ins Freie ergreifen ließ. AI* Vertreter der Gemeinde Wädensweil sprach Herr Präsident Meier kernige Worte, die in einem Hoch auf das Vaterland gipfelten, in launiger Weise toastirte Herr Walther Treichler auf das „ fröhliche Murmelthier ", Herr Pfarrer Büß auf die künftige Section Wädensweil, der aber Herrn Syz zum Widerspruch ins Feld rief, Herr Hofmann-Merian auf das Festcomité, Herr Prof. Rössel auf Prof. Schröter, den würdigen Nachfolger Oswald Heer's. Selbstverständlich fehlten auch humoristische Productionen nicht, wo der Clubpoet der Section TJto unter den Tafelnden weilte; mehr und mehr aber nahm der Festjubel derart überhand, daß des Einzelnen Stimme dagegen nicht mehr aufkommen konnte. Um 5 Uhr führte das Extraboot die Mehrzahl der frohen Zecher heim gen Zürich, wo sie sieh bald nach allen Richtungen zerstreuten, Keiner wohl, ohne ein freundliches Andenken an das Clubfest von 1889 mit heimzutragen..
Der Festsecretär: Dr. Lüning.