Faulenzer auf Brettern - Stiefkinder der Piste?
Hermann Kornacher, D-Unterpfaffenhofen
Skifahrer sind in der Regel enorm fleissige Leute! Wo auch nur ein halbwegs fahrbares Fleckchen Schnee zum Rutschen einlädt, wimmeln sie in hellen Haufen umher: in und vor den Städten, im Voralpenland und auf den Pisten im Gebirge. Ständig sind sie in Bewegung, ständig im TrabUnd das nicht nur, weil es kalt ist und viel Bewegung bekanntlich warm macht. Für die meisten unter ihnen heisst es vielmehr: Die Winterzeit ist eine kostbare Zeit! Je mehr Abfahrten an einem Tag, desto besser für die körperliche « Form » und Kondition, desto grosser der sogenannte Lustgewinn! So meinen sie wenigstens, diese unermüdlichen « Wusler »!
Wer nun die letzten Jahrzehnte in der Entwicklung der Skitechnik miterlebt hat, der kommt - angesichts des Betriebs auf den Pisten von heute - nicht nur zu der Feststellung, dass der Skilauf wirklich zu einem Volkssport geworden ist; er wird auch zugeben müssen, dass das Durchschnittskönnen der Skifahrer unserer Zeit gegenüber dem der Vorkriegszeit erheblich besser geworden ist: Was einst noch bewundernde Blicke auf sich zog, ist heutzutage nur noch Durchschnitt oder wird gar mit Verachtung als altmodisch abgetan.
Und, wie gesagt: die Schwunghirsche, Pistenti-ger und Wedelstars von heute sind im ganzen auch viel fleissiger, vielleicht, weil es für sie darum geht, jede Lift-Tageskarte bis zum letzten auszunutzen, oder auch nur, weil heutzutage eben Schnelligkeit Trumpf ist. Zwischen all denen jedoch, die da rasant und gewandt von der Bergstation wieder hinunterflitzen zur Talstation, sitzen, stehen oder liegen auch heute noch, wie anno dazumal, die ewigen Anfänger herum, die Nichtskönner - und die Faulenzer. Mit ängstlichen Augen stöpseln diese « Stiefkinder der Piste », unsicher und meist völlig verstört, mitten in den Abfahrten umher. Ständig schauen sie nach hinten, ob da nicht einer kommt, der sie :eventuell über den Haufen fahren könnte. Schon beim Anschnallen der Bretter vor den Bergstationen pumpert ihnen das Herz vor Angst. Und wenn sie dann - wider Erwarten - heil und wohlbehalten drunten angekommen sind, probieren sie es auf der Stelle von neuem!
Denn gerade sie sind es ja, die mit einer Liebe ohnegleichen an den winterlichen, verschneiten Bergen hängen. Sie kommen immer wieder. Ohne Kondition, Bleichgesichter mit Übergewicht, mit schwachen Nerven und ebenso schwachen Beinen, Opfer ihres Grossstadtberufs oder auch ihrer eigenen Schwäche. Und doch bringen sie alle etwas mit, was die andern wohl kaum kennen: ein Herz voll Verlangen nach verschneiten Bergen, nach ein wenig Stille, nach Rauhreif und Tannenduft.
Es ist wirklich eine Schande, dass wir ausgerechnet diese Menschen so gerne zur Zielscheibe unseres Spottes machen. Sie möchten ja so gerne anders sein, wenn sie nur könnten! Aber nein, sie müssen Jahr für Jahr wieder den gleichen Anfängerkurs absolvieren, der für andere mit dem Stemmschwung, für sie aber nur mit einer Unzahl blauer Flecken an allen möglichen und unmöglichen Körperteilen endet. Sie würden auch liebend gerne aufdas rat- und sinnlose Herumstehen in den Abfahrten und Pisten verzichten. Sie sind auch keineswegs darauf versessen, die vereisten Buckel einer steilen Standardstrecke zum soundsovielten Male am Tag hinunterzupurzeln. Sie würden sich viel lieber seitwärts in die Büsche schlagen, wenn es dort nur vernünftig weiterginge und wenn sie ohne Markierung und Wegweiser nicht völlig aufgeschmissen wären.
Man sollte wirklich etwas für diese « Stiefkinder der Pisten » tun! Und glücklicherweise hat sich in den letzten Jahren mancherorts etwas getan: durch Anlagen von markierten Skiwanderwegen, nicht zu lang, ohne grosse Anstiege, mit sanften Schussfahrten - Wege, die ohne grossartige Wedelkünste von jedermann - und von jeder Frauleicht bewältigt werden können. Allein eine gutangelegte Skispur, die bei Neuschnee wieder erneuert wird, reicht vielfach aus. Wenn sich in den vielen Wintersport- und Kurorten entlang des Alpenrandes Leute finden, die es verstehen, solche « Loipen » auszustecken, kommen diese « Langsamfahrer » den Pistenhirschen auch weniger ins Gehege - und damit dürfte sich auch die Zahl der « Verkehrsunfälle » vermindern.
Jedenfalls gibt es doch wohl keinen Zweifel darüber, dass die Natur ihre ganze Schönheit und den Zauber ihrer winterlichen Welt nur dem Skiwanderer offenbart, abseits aller Hast, abseits der vielbefahrenen Pisten. Denn Skiwandern und damit auch Skifaulenzen bedeutet doch vor allem: in Musse das Kleine und Unauffällige erleben und bei dieser Gelegenheit auch Menschen und Gegenden wirklich kennenlernen. Wanderer aber sind nur jene, die ihre Füsse sinnvoll regen, die keine Eile kennen, denen der kürzeste Weg unwichtig ist, die Zeit haben auf ihrer langsameren Reise, die mit offenen Augen unterwegs sind und dabei in ein persönliches Verhältnis kommen zu der Umgebung, in der sie sich bewegen.
Skiwandern ist nur etwas für Faulenzer auf Brettern. Und Faulenzer haben noch immer die besseren Nerven gehabt. Leute mit schlechten Nerven jedoch sollten beim Skiwandern das Faulenzen lernen. Dazu gehört vor allem auch die geruhsame Rast, die einmal einer als « geadeltes Nichtstun » bezeichnet hat. Als glücklich ruhendes Treibgut an den Rand der belebten, wogenden, rasenden Pisten gespült, unter einer harzduftenden Fichte der strahlenden, bräunenden Wintersonne hemmungslos hingegeben, lassen sich diese Faulenzer auf Brettern durch nichts und durch niemanden mehr stören. Denn da ist nie- mand, der sie zwingen könnte, noch irgendeinen Punkt auf der Landkarte anzupeilen, noch einen weiteren Gipfel zu besteigen, eine Abfahrt zum x-tenmal zu absolvieren. Nur für Leute solchen Schlages gelten schliesslich auch Henry Hoecks frohgemute Seligpreisungen:
« Selig sind die schlechten Skifahrer, denn ihrer ist die Landschaft! Selig sind die Nichtskönner, denn ihrer ist die Rast! Selig sind die Ehrgeizlo-sen, denn sie dürfen sich in die Sonne setzen und den Tag geniessen! »