«Es ist eine unglaubliche Erfahrung» Laurent Mayoraz, Skiguide für sehbehinderte Menschen
Der Walliser Laurent Mayoraz verbringt jeden Winter 20 bis 30 Tage auf den Ski mit blinden und sehbehinderten Menschen. Wir haben ihn in den Bergen über Sion getroffen.
«Treffen wir uns in Sion, das ist einfacher», schlägt er vor, als wir einen Termin vereinbaren. Damit wir nicht zu ihm nach Hérémence hochfahren müssen, nimmt uns Laurent Mayoraz in die Hänge über Savièse mit. Zwar liegt das auf der anderen Seite der Rhone, aber mit bestem Blick auf das Val d’Hérens. Dort ist er geboren, und für dieses Tal am Fuss der Dent Blanche schlägt sein Herz.
Aber heute erzählt er uns von einer anderen Leidenschaft: Der frisch pensionierte Architekt engagiert sich seit zehn Jahren bei der Westschweizer Vereinigung blinder und sehbehinderter Skifahrer (Groupement Romand de Skieurs Aveugles et Malvoyants) als Skiguide. Die grösstenteils ehrenamtliche Arbeit habe dem Skifahren für ihn einen neuen Sinn gegeben.
Man erkennt ihn auf der Skipiste an seiner roten Jacke mit schwarzem Balken und daran, dass ihm stets eine andere Skifahrerin oder ein anderer Skifahrer mit einer gelben Jacke mit schwarzem Balken folgt oder vorausfährt. Eine gelbe Jacke vorne bedeutet, die Person ist blind. Eine gelbe Jacke hinten heisst, die Person ist sehbehindert und kann dem Guide in einer gewissen Entfernung folgen. Beide werden mit der Stimme geführt.
Wenn die Chemie stimmt
Laurent Mayoraz erzählt ausführlich über seine Tätigkeit. Im Gegensatz dazu stehen die vier Worte, auf der die Instruktionen basieren: «Vorwärts», «links», «rechts» und «stopp» - das reicht. Und wenn eine Kurve enger gefahren werden soll? «Ich ändere meine Stimmlage entsprechend.» Wenn unmittelbar eine Gefahr droht? «Dann rufe ich laut ‹Stopp›, auch wenn ich instinktiv eher ‹Vorsicht› rufen würde.»
Vor jeder Saison frischt Laurent Mayoraz sein Wissen auf. Draussen geht es dann darum, gegenseitiges Vertrauen herzustellen. Man muss sich einander anpassen, nicht nur auf der Piste, sondern auch bei alltäglichen Sachen. «Am Vormittag habe ich vor Anspannung ein mulmiges Gefühl im Bauch, aber wenn die Chemie stimmt, ist es einfach grossartig.»
Der Skiguide muss sehr nah am blinden Skifahrer bleiben, um zu verhindern, dass andere Skifahrer dazwischenfahren, und er muss stets alles im Blick haben. «Nach einem solchen Tag bist du ausgepumpt, aber so glücklich, dass du die Müdigkeit vergisst. Es ist eine unglaubliche Erfahrung», sagt Laurent Mayoraz. Kurz lässt sich die majestätische Dent Blanche auf der anderen Talseite blicken, bevor sie wieder hinter einem Wolkenschleier verschwindet.
Denkwürdiger Tag auf der Piste
Angefangen hat für Laurent Mayoraz alles mit einem Skitag mit seinem sehbehinderten Schwager Hervé Richoz. «Hervé kam mit einem Skiguide und schlug mir vor, sie zu begleiten. Ich dachte, wir würden uns auf einfache Pisten beschränken, aber am Abend waren wir völlig geschafft. Den ganzen Tag über sind wir nur rote Pisten gerast.» Laurent Mayoraz beschloss, selbst die Ausbildung zum Skiguide zu machen. «Ich musste einen speziellen Antrag stellen, weil ich die Altersgrenze von 55 Jahren bereits überschritten hatte.» Zwei Jahre später war er unter den 6 Absolventen seines Jahrgangs von ursprünglich 16 Kandidaten.
Seitdem verbringt er jeden Winter rund 20 bis 30 Tage als Skiguide. Manchmal geht er auch mit seinem Schwager Hervé auf Skitouren. «Hervé wollte meinen Sohn bei der Patrouille des Glaciers auf der Rosablanche anfeuern. Ich lieh ihm für einen ersten Aufstieg auf den Grossen Sankt Bernhard ein Paar Ski, dann fingen wir an zu trainieren.» Gemeinsam stiegen sie zur Cabane des Vignettes CAS und zur Cabane de Bertol CAS auf. Bei der Abfahrt im Pulverschnee jubelte sein Schwager vor Freude.
Skitouren bleiben für Laurent Mayoraz aber eine private Sache. «Sonst ist die Verantwortung zu gross.» Die besten Chancen, ihn in seiner charakteristischen roten Jacke anzutreffen, hat man deshalb auf Skipisten. Inkognito trifft man ihn aber vielleicht auch am Fuss der Dent Blanche, die gerade in der Abendsonne aufgetaucht ist.