Ein Wintertag
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Ein Wintertag

Hinweis: Dieser Artikel ist nur in einer Sprache verfügbar. In der Vergangenheit wurden die Jahresbücher nicht übersetzt.

Von Franz Wagner.

Schneearme Wintermonate waren verstrichen. Die Flügel der Begeisterung hingen lahm an der eingeschrumpften Freude, an der Sehnsucht nach den weissen, unberührten Feldern der dämmerstillen Jahreszeit. Das leise Ahnen des Frühlings frass schon wie lauer Maienwind an den wundersamen Traumstunden, in die ich mich eingesponnen hatte und die mir den silberhellen Zauber des Winters ersetzen sollten.

Da erwachte ein Märztag ohne Licht und Schatten. Finstere Wolkenballen warf der Wind an die Bergkämme, dass sie sich aufbäumten wie brandende Meereswogen. Müde und schwer sanken sie dann in die Täler, und der Sturm heulte mit heiserer Stimme ein Lied neuer Verheissung, ein Wiegenlied.

Als anderntags das graue Gewölk wieder von der Sonne durchbrochen und federleichte Kristalle ihre Strahlen zu einem unermesslichen Glitzern und Funkeln wandelten, gleissende Lichtbänder die Berge umschlangen, stieg ein grenzenloser Jubel von den reinen Höhen zu mir nieder. Das dumpfe Zweifeln kroch in stumme Winkel und blich dahin.

Schön ist der Winter! Schön das Empfinden, das er zu einem mächtigen Gebot formt, zu einem Gesetz erhebt, das die junge Kraft spontan, urplötzlich entfaltet und zu einer Leistung zwingt — der Seele aber die Schönheit zu tiefem Erleben gestaltet.

Langsam gleiten meine Ski durch den pulverigen Schnee. Schmal ist die Spur und tief wie eine Ackerfurche; endlos scheinen mir die weiten Flächen, verschmolzen mit dem frühen Lenzblau des Himmels. Grell beleuchtet die Sonne meinen Weg, den einzelne Wetterbäume mit hängenden Ästen säumen. Tiefverschneite Almhütten sinken zurück.

Während der Hang immer steiler und mühsamer wird, erwacht plötzlich eine Stimme in mir, die, zag zuerst, dann strenger und herrischer mich fragt: Wohin gehst du, Wanderer, dein Ziel möchte ich wissen? Doch etwas Geheimnisvolles, eine stille Ahnung ist 's vielleicht, die sich über meinen Drang zur Höhe ausgebreitet hat und der Stimme zur Antwort gibt:

Irgendwo und irgendwann wird das Fernweh schweigen, wird die Unrast Ruhe werden! Noch gehe ich immerzu; was liegt daran, wenn am Ende die Sorge steht. Noch fühle ich, dass mich gütige Hände führen, starke Schultern tragen — weit hinaus über die Gipfel in einen Raum, darin mein Ich zur eigenen Sonnenwelt wird, dem Höhenpfad des Geistes bedingungslos folgt.

Es ist eine stark bewegte Feierstunde, durch die ich schreite.

Am Gratrücken stürzt mein Schatten jäh in die Tiefe. Weit ist 's noch über den zackigen Kamm bis zum letzten Gipfel — doch lustig verspricht das kurze Auf- und Niedergleiten im Wellenzug dieses Berges zu werden. Fröhliches Schwingen hebt an, zum Rhythmus einer tonmalenden Musik wird das Spitzengewirr der Berge rings umher. Immerzu hätte ich so gleiten mögen...

Aber die Kraft lässt mehr und mehr nach. Ich will die Müdigkeit nicht spüren, will mit keiner Rast den herrlichen Schwung unterbrechen, der mich wie ein himmelhochjauchzendes Glücksempfinden beherrscht. Etwas springt dagegen in mir auf, glühend, zwingend: der Kampf! Alles Hohe will erkämpft sein, verlangt den Einsatz der ganzen Persönlichkeit!

Warum willst du jetzt plötzlich ausweichen, Wanderer?

Steil steht die Flanke des letzten Gipfels vor mir. Mühsam lege ich die kurzen Serpentinen an, im Treppenschritt beginne ich zu arbeiten; ja, ich arbeite mich zur Höhe, zäh und verbissen. Das Blut hämmert in den Adern, Schweisstropfen perlen auf der Stirne, neue Kraft treibt mich vorwärts. Mit einem tiefen Aufatmen betrete ich die kleine Plattform der Bergspitze und setze mich auf die kantigen Felsbrocken des Steinmannes zur ersten Rast nieder. Noch bin ich nicht fähig, die Schönheit der Fernsicht ruhig aufzunehmen. Das stolze Gefühl der Selbstüberwindung ist zu mächtig und verlangt einen Rückblick auf die Leistung — als ob ich mich wegen der Leistung zur lichtumflossenen Berghöhe bemüht hätte— !?

Seltsam, wie die Gedanken plötzlich wirr zu kreisen beginnen und allmählich von wohliger Müdigkeit aufgesaugt werden. Wesenlos wird die Höhe und Weite, wird die Unendlichkeit des Raumes über mir.

Still erhebt sich eine Freude, bescheiden greift sie um sich und formt sich ein Bild, in dem die Linien und Farben der Berggestalten so ineinander-fliessen, dass der Träumer seine Erfüllung sieht und die Tatkraft neuen Impuls empfängt. Und das rote Abendlicht überhaucht die Dunstschleier der Sonnenwärme, kühn und plastisch ragen die Berge in den Himmel. Mich dünkt, die Natur nimmt mich mildtätig in ihre Arme — und den Wanderer höre ich ganz leise: Ich suchte nichts als die Natur.

Mit vielen Schwüngen tauche ich dann wieder hinab in die Mulden und Arvenwaldungen des dämmerigen Tales. Bald darauf wies mir matter Sternenschimmer meinen Weg.

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