Ein Führer für Saas-Fee
Unterstütze den SAC Jetzt spenden

Ein Führer für Saas-Fee

Hinweis: Dieser Artikel ist nur in einer Sprache verfügbar. In der Vergangenheit wurden die Jahresbücher nicht übersetzt.

Als der Ewige Jude zu Olims Zeiten zum erstenmal das Matterjoch überschritt, fand er, wie die Sage berichtet, auf der Paßhöhe ein großes Dorf, nach anderer Version sogar eine Stadt, in der er gastfreundlich aufgenommen wurde. Als er aber nach tausend Jahren wieder des Weges gezogen kam, war der Ort verschwunden und die Hochebene des Joches tief unter Schnee und Eis begraben.

Ob Ahasver auf seinen Irrfahrten auch über den Monte Moro gegangen und ins Saastal gekommen ist, meldet die Sage nicht. Es ist aber nicht unwahrscheinlich, denn er ist in der Schweiz an vielen Orten gewesen. Noch vor zweihundert Jahren wurden auf der Bibliothek zu Bern seine Schuhe und sein Stecken aufbewahrt, und er ist auch der erste bekannte Tourist, der die Grimsel überschritten hat, und zwar mehrmals: das erstemal fand er auf derselben einen Weinberg, das zweitemal einen Tannenwald und das drittemal eine Fels- und Schneewüste.

Wenn er je im Saastal gewesen ist, so hat er da einst ähnliche Wandlungen wahrnehmen können wie auf der Grimsel und dem Matterjoch; denn die Sage erzählt von Reben im Allalin, die jetzt längst vom Gletscher zugedeckt sind, und von einer Stadt, die hoch über der Visp auf dem Siwiboden an der rechten Talseite gestanden haben soll, jetzt aber ebenso tief unter Schutt und Geröll verborgen liegt, wie diejenige des Theodul unter dem Gletscher.

Käme aber der Ewige Jude heute ins Saastal, den veränderten Zeitumständen angemessen, vielleicht als der Herr Kommerzienrat oder gar als der wirkliche Geheime Rat von Ahasvérus, so könnte er eine Wandlung im umgekehrten Sinne konstatieren. Zwar sind die Reben im Allalin noch nicht wieder gewachsen und die Stadt auf dem Siwiboden liegt immer noch unter dem Bergschutt; aber dafür ist an der linken Talseite auf der Alpterrasse, zu welcher der Feegletscher seine Zunge herabstreckt, eine neue Stadt oder wenigstens der Anfang zu einer solchen entstanden, in der Ahasver gewiß ebenso gastliche Aufnahme fände, wie in grauer Vorzeit in der Stadt auf dem Theodul.

Zu dieser Wandlung ist kein Jahrtausend erforderlich gewesen, und man braucht nicht der Ewige Jude zu sein, um sie erlebt haben zu können.

Als ich 1857 zum erstenmal zur Gletscheralp hinaufstieg, die damals noch als Insel im Feegletscher lag, war Fee noch ein typisches Oberwalliser Bergdorf. Ein paar dutzend Häuser, Ställe und Speicher, alters-schwarze, „ gewettete " Holzbauten auf steinernem Unterbau, scharten sich um die ehrwürdige St. Theoduls Kapelle. Ein Wirtshaus oder gar ein Hotel gab es damals und noch ein Vierteljahrhundert hindurch nicht. Jetzt gibt es ihrer fünf, hohe, nüchterne, halbstädtische Steinbauten, welche die alten Bauernhäuser fast erdrücken und für etwa doppelt soviel Gäste Raum bieten, wie die ganze Gemeinde Fee Einwohner zählt, und an der Stelle der alten Kapelle steht nun eine große neue Kirche.

So städtisch wie Zermatt ist Saas-Fee freilich noch nicht; dafür sind die Saaser zu zähe Bergbauern und ist der Ort als Touristenstation und Sommerfrische noch zu jung: der erste Gasthof ist erst 1882 eröffnet worden. Wenn aber einmal die projektierte Zweiglinie Stalden-Fee der Zermatt-Bahn erstellt sein wird, dann wird das ehemals so stille und schlichte Walliser Bauerndorf sich wohl ebenso vollständig in einen eleganten kosmopolitischen Modekurort umwandeln, wie etwa Murren oder Pontresina. Einstweilen aber befindet sich der Ort noch in einem glücklichen Zwischenstadium: er liegt nahe am Verkehr, aber doch etwas abseits und ist nicht leicht genug zugänglich, um von der großen Horde der Modetouristen überlaufen zu werden; es ist im Gasthofwesen, Führerwesen u. s. w. für den Fremdenverkehr gut eingerichtet; aber es ist in Fee noch nicht alles so scharf auf die Fremdenindustrie zugespitzt wie in den großen Touristenzentren.

Dies Zwischenstadium ist auch gerade die richtige Zeit für das Erscheinen eines Führers, wie ihn Heinrich Dübi für die Freunde von Saas-Fee — und solche, die es werden wollen — geschrieben hat, eines Führers, der einerseits dem Bergsteiger in dem reichen und mannigfaltigen Exkursionsgebiet der Saaser Berge Weg und Steg weisen soll, anderseits aber auch dazu bestimmt ist, denjenigen, die sich nicht bloß um Gipfel und Pässe, sondern auch um die Leute der Landschaft, ihre Schicksale und Lebensbedingungen interessieren, Einblick in die Geschichte und Naturchronik und namentlich auch in das Volksleben der Saaser zu geben, bevor deren Eigenart vom Fremdenstrom völlig ausgewaschen und abgeschliffen ist.

Zur Lösung dieser doppelten Aufgabe konnte kaum jemand besser berufen sein als Dr. Dübi. Bei wiederholten Besuchen und längeren Aufenthalten in Fee hat er das Saastal nach allen Richtungen durchwandert und in den Bergen, die es umrahmen, mehr als ein Dutzend Hochgipfel erstiegen und Hochpässe überschritten, ohne aber über den großen Bergfahrten in den Mischabelhörnern, Fletschhörnern u. s. w. die kleinen und mittleren in ihren Vorbergen außer acht zu lassen.

Auch als Historiker hat er sich mit dem Saastal und seinen Pässen befaßt, und wenn er seinerzeit auf der Sarazenenjagd in Mattmark eine falsche Fährte verfolgt und einen Bock geschossen hat, was übrigens auch andern passiert ist, so hat ihm doch gerade dieser erfolglose Streifzug Gelegenheit geboten, sich mit dem Saastal und seiner Geschichte eingehend zu beschäftigen und den Grund zu der genauen Kenntnis von Land und Leuten gelegt, die sich in dem Führer für Saas-Fee und Umgebung kund gibt.

. Abgesehen vom Vorwort, dem ein Literaturverzeichnis beigegeben ist, und vom Anhang, der die Liste und den offiziellen Tarif der Saaser Führer enthält, gliedert sich das Büchlein in sieben Abschnitte: nach einer kurzen Einleitung folgt die allgemeine Beschreibung des Tals, die eine sehr hübsch geschriebene Schilderung des Weges von Visp herauf und einige wertvolle topographische Details enthält, aber doch, der Brauchbarkeit des Führers unbeschadet, füglich hätte kürzer gehalten werden können, da die Übersetzung einer Karte in Worte immer nur ein dürftiger Lückenbüsser für eine fehlende Karte ist, und durchaus überflüssig, wenn, wie hier, die Karte selbst beigegeben werden kann.

Für die vier folgenden Abschnitte, welche die Geschichte und die Volkskunde der Saastals betreffen, konnte der Verfasser zum Teil aus bis dahin nicht gefaßten Quellen schöpfen: aus mündlichen Mitteilungen der Talbewohner, denen Dübi als Stammgast von Fee längst kein Fremder mehr ist; aus den Urkunden des Gemeindearchivs von Saas im Grund, und der handschriftlichen Chronik, die der hochwürdige Herr Peter Josef Zurbriggen bis auf das Jahr 1809 geführt hat, und namentlich auch aus den reichen Kollektaneen Rev. W. A. B. Coolidges über die politischen, kirchlichen und verkehrsgeschichtlichen Verhältnisse des Saastals.

Die urkundliche Geschichte des Tals beginnt erst um die Mitte des 13. Jahrhunderts. Die Spuren einer früheren Besiedlung durch Sarazenen, die man in den Namen Allalin, Almagell, Monte Moro u. s. w. zu erkennen geglaubt hatte, haben sich, wie oben angedeutet, als trügerisch erwiesen. Die erste Urkunde, die Saas nennt, datiert von 1256; die ersten Herren des Tals waren die Meyer von Visp aus den Häusern Castello und Biandrate; aber schon 1300 und 1317 kauften sich die Saaser von der Majorie Visp los und nahmen in der Folge lebhaften Anteil an der tatkräftigen Politik der Oberwalliser, die das Land sowohl von der Herrschaft der einheimischen Dynasten, wie von den Ansprüchen Savoyens freimachte. In der Schlacht bei Visp 1388 sollen sich die Saaser ausgezeichnet haben, und Thomas Venetz aus Saas war einer der ersten Landeshauptmänner, die nach der Niederwerfung des Adels aus der Mitte des Volks genommen wurden, allerdings nicht, wie es im Text, pag. 43 heißt, zur Zeit des Baronenkriegs, sondern erst ein paar Jahre später, 1428 1 ).

Von den weitern politischen Schicksalen des Saastales ist nicht viel besonderes zu sagen; abgesehen von kleinen lokalen Episoden fällt seine Geschichte mit derjenigen des Wallis zusammen. Mindestens ebenso wichtig, wie die politischen Ereignisse, waren für das enge, von hohen Gletscherbergen eingeschlossene Hochtal die Naturereignisse, die Verheerungen des Tals durch Wildbäche und Ausbrüche des Mattmarksees, durch Rufen und Lawinen, zeitweise auch durch Seuchen.

An die politische Geschichte und die Naturchronik schließt sich als vierter Abschnitt die kirchliche Geschichte des Tales an, das zuerst zur i Pfarrei Visp gehörte, um 1400 aber zu einer besonderen Kirchgemeinde erhoben wurde, von der sich 1896 Fee und 1899 Almagell als eigene Pfarreien abspalteten. Eine Kapelle im Grund gab es schon am Ende des 13. eine solche in Almagell am Ende des 15. Jahrhunderts; von den jetzigen kirchlichen Bauten reicht aber keine über das 17. Jahrhundert hinauf.

Der fünfte Abschnitt befaßt sich mit Sagen und volkstümlichen Reden und Gebräuchen. In den ersteren spielt der Bozo ( Kobold ) die Hauptrolle, aber es treten, wie in andern Wallisergegenden, auch die Gotwergi ( Zwerge, Bergmännlein ), der Schlangenbanner, die Totenprozession u. s. w. auf, und daß die Blümlisalpsage sich hier, wenn auch in anderer Form, ebenfalls lokalisiert hat, versteht sich in einem so stark vergletscherten Tal von selbst. In den beigegebenen Dialektproben findet sich ( pag. 101 ) eine irrige Etymologie des Wortes „ kapitieren " ( sich ereignen ), von capire, statt von capitare, was in einer späteren Auflage zu berichtigen sein wird.

Für den sechsten Abschnitt: ,,Alp- und Landwirtschaft, Handel und Gewerbe, Verkehr und Fremdenindustrie " wurde als Quelle hauptsächlich die erste gedruckte „ Chronik des Tales Saas " von P. J. Ruppen, Benefiziateli zum H. Antonius von Padua in Tamatten, Sitten 1851, benutzt. An anderen Orten ginge es nicht wohl an, der Schilderung der heutigen Verhältnisse eine Schrift zu Grunde zu legen, die vor einem halben Jahrhundert erschienen ist. Im Saastal hat das nichts auf sich; abgesehen von der Fremdenindustrie, die neueren Datums ist, haben sich die Erwerbsquellen und Lebensbedingungen seit 1850 nicht wesentlich geändert. Alp- und Landwirtschaft sind immer noch die Hauptbeschäftigungen; Handel und Gewerbe sind eher etwas zurückgeblieben, seitdem der Export von Saasertuch nach Italien aufgehört hat; der Verkehr ist ein sehr alter, denn die Pässe, die aus dem Saastal nach Val Anzasca und Val Antrona führen, der Monte Moro-, der Mondelli- und der Antronapaß, sind als Pilger- und Handelswege schon seit dem 13. Jahrhundert bekannt. Seit der Eröffnung der Simplonstraße 1806 hat allerdings der Warenverkehr über dieselben aufgehört; dafür hat sich aber seit der ersten touristischen Überschreitung des Monte Moro durch Kaspar Hirzel-Escher von Zürich 1822 allmählich der Fremdenverkehr eingestellt, der schon vor siebzig Jahren zur Errichtung eines Wirtshauses zu Saas im Grund geführt hat und sich nun, seitdem Saas-Fee 1882 in die Reihe A. Wäber.

der modernen Luftkurorte eingerückt ist, immer mehr zur Fremdenindustrie entwickelt.

Für den bergfreudigen Kurgast im Saastal — und andere kommen wohl nicht leicht hierher — ist der siebente Abschnitt „ Touristisches " der wichtigste, in dem Dr. Dübi auf Grund seiner eigenen Erfahrung und seiner genauen Kenntnis der alpinen Literatur, die vielen Spaziergänge, Exkursionen und Besteigungen bespricht, die das Saastal und seine Berge bieten, nicht nur für den Hochclubisten, der hier im Saasgrat und der Fletschhornkette die Wahl zwischen elf Gipfeln von 4000 Meter und darüber hat, sondern auch für den Alpenspaziergänger, der sich in der Regel mit der Gletscheralp, dem Plattje, dem Mellig u. s. w. begnügt und sich höchstens zum Mittaghorn, St. Joderhorn, Latelhorn versteigt, die geringe Mühe und Fährlichkeit mit großartigen Rundsichten lohnen. Der Stoff ist übersichtlich nach den Ausgangspunkten geordnet. Daß dabei die Station Fee am reichlichsten bedacht wird, kann nicht verwundern, denn sie hat das reichste Exkursionsgebiet und ist namentlich Hauptquartier für die Hochgipfel und Pässe des Saasgrates vom Allalinhorn bis zum Balfrin; aber auch die Talstationen Huteggen, Saas im Grund, Almagell und Mattmark sind eingehend behandelt und ebenso das kleine Hotel Weißmies auf der rechten Talseite, das dank seiner Höhenlage von über 2700 Meter für Besteigungen in der Fletschhornkette ein noch geeigneterer Ausgangspunkt ist, als das 1000 Meter niedriger gelegene Fee für solche im Saasgrat.

Die Ausstattung des Buches ist gut, die Illustration reich und, was mehr sagen will und seltener vorkommt, verständnisreich gewählt. M. Pierre Odier in Céligny, unser Clubgenosse von der Sektion Genf, dem die photographischen Aufnahmen zu den 51 Textbildern zu verdanken sind, ist ein Amateur von künstlerischem Geschmack und scharfem Blick für das Charakteristische sowohl in der Landschaft, wie in der Architektur und der Staffage; auch das beigegebene Panorama vom Plattje beruht auf seinen Aufnahmen.

Die Karte, die den Stempel des eidgenössischen topographischen Bureaus trägt, ist ein Überdruck aus den Blättern Zermatt, Mischabel, St. Niklaus, Monte Moro, Saas, Simplon ( 1: 50,000 ) des Siegfried-Atlas mit Nachträgen und Korrekturen, namentlich in der Nomenklatur und den Weglinien, und wird als Exkursionskarte gute Dienste leisten. Schade, daß sie nicht auf zähem, japanischem Papier gedruckt ist! Dem läßt sich aber bei einer Neuauflage leicht abhelfen, und eine solche wird wohl in nicht allzu ferner Zeit notwendig werden, denn der Fremdenverkehr im Saastal und insbesondere in Saas-Fee nimmt rasch zu, und der „ Führer durch Geschichte, Volk und Landschaft des Saastals " ist ganz dazu angetan, dem Tale immer neue Freunde zu werben, denen er als zuverlässiger Begleiter und Ratgeber lieb werden wird.

A. Wäber.

Feedback