Ein Edelweißfund
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Ein Edelweißfund

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Von Pfarrer L. Hörner ( Section Wilflhorn ).

Einem späten Nachtrage zu der in Bd. XIX des Jahrbuchs des S.A.C. enthaltenen Beschreibung des „ Stockhornes und der Stockhorn-Gruppe " wird hier der Titel „ Edelweiß-Fund " vorgesetzt. Eine Mittheilung aus dem Gebiete der Botanik könnte dieser Titel erwarten lassen. Doch will er nicht eine solche einführen. Von dem wird im Nachstehenden die Rede sein, was wir im lieblichen Gebilde der Gebirgsflora symbolisirt finden. Der Titel hat also symbolische Bedeutung.

Erklären wir uns gleich noch deutlicher. Edelweiß gilt dem Alpenclubisten nicht nur als schönste Blüthenzier der höhern Felsregion, sondern auch als Symbol der innern unverwelklichen Schönheit, des Hohen und Guten. So wollen wir denn unter diesem Titel das Charakterbild eines längst nicht mehr unter uns Lebenden wiederzugeben versuchen, wie es sich uns in vielem Verkehr in Denkweise und Lebensführung dargestellt und eingeprägt hat und dann, Jahre nach seinem Abscheiden, durch ein handschriftliches Document, dem er von Zeit zu Zeit anvertraute, was sein inneres Leben bewegte, völlig bestätigt worden ist. Unser Mann war ein schlichter Stocken-Aelpler und keineswegs auf Rosen gebettet. Ein schweres Berufsleben hindurch hat er den harten Kampf um 's Dasein reichlich mitzukämpfen gehabt. Bei all dem aber hat er sich eine in seinem Stande seltene Vielseitigkeit der geistigen Interessen gewahrt und eine ideale Sinnes- und Willensrichtung unter allen äußern Lebens-wechseln so unbeirrt gepflegt, daß wir uns wohl berechtigt halten dürfen, davon zu reden, als von einem Edelweiß-Fund, gemacht im Wesensgrund und Leben eines Aelplers. Gehören aber Mittheilungen solcher Art in 's Jahrbuch des S.A.C.? Darf sich neben die Bilder alpenclubischer Koryphäen, wie sie aus den Meldungen ihrer Gebirgs-Großthaten uns entgegentreten, das Charakterbild eines unbekannten, einfachen Sennen stellen, dessen"Fuß kaum je über Stockhornhöhe stand? Wir halten dafür: Zu Berg und Thal sei immer der Mensch das interessanteste, der Beobachtung würdigste und immer neue Probleme, wenn auch oft genug nicht die erfreuendsten Ergebnisse bietende Forschungsobject. Ferner: zu dem vielen Andern, was die Bergwelt dem Auge und Geiste des Bergwanderers vorführt, sei auch das Wesen und Leben der Bergleute,, mit denen er in verschiedensten Situationen sich berührt, des Studiums wohl werth. Zumal dem schweizerischen Clubisten müßte es wohl zum Vorwurfe gereichen, wenn ihm Auge und Herz fehlen sollte für die mit ihm „ aus einem Stamm Ent-stammten ", die da im Bergleben „ pflegen und bauen das Vaterland " in ihrer Weise, wie er in der seinen. Und endlich kann wohl nach 1 der Statuten des S.A.C. die Mittheilung eines Beobachtungsergebnisses auf dem Gebiete des geistigen und ethischen Lebens der Bergleute auch für das Jahrbuch nicht als ausgeschlossen gelten, um so weniger, als solcher Edelweiß-Fund nicht allzu gewöhnlich ist.

Ein „ Nachtrag zu der Stockhorn-Beschreibung des Jahrbuchs, Bd. XIX " wurde ferner die vorliegende Arbeit genannt. Schon insofern möchte sie das sein, als sie das früher nicht zur Berücksichtigung gekommene Leben der Alpleute in den Kreis ihrer Darstellung zieht. Ferner ist auch einiges Topographische nachzutragen, was im Aufsatz des Bd. XIX fehlt und doch für den, der das reizvolle Gebiet des Stockhorns genauer kennen lernen möchte, nicht ganz belanglos ist.

Denken wir uns von Erlenbach her auf gewöhnlichstem bequemstem Wege über Wildenbach ( Moos ), Oberberg, Oberberg-Wald, Aelmeren-Waiden, Haus-Allmend, Stockenwald bei Höhenquote 1741™ auf Vorder-Stocken-Alp mit dem Vorsatze einer Stockhorn-Besteigung angelangt, so wird sich uns nach Betretung des eigentlichen Lägers ungefähr das Bild hier beigefügter Skizze I darbieten.

Von Vorder-Stocken-Alp weiter dem eigentlichen Ziele unseres Berg-ganges zustrebend, gelangen wir in circa 1U Stunde zum höher zwischen Keibhorn ( Westfuß ), Stockenfluh ( Nordabhang ) und „ Matten-Stand " eingebetteten, nur in der Höhe der „ Bergzeit " während einiger Wochen besetzten „ hintern " oder „ Matten-Läger ".

Nahe an der links vom Alpweg nach der „ Matten " auf einem plateauartigen Höhenzug stehenden ältesten Vorder-Stocken-Hütte, der „ Stammhütte " der „ Vorder-Stockner ", kommen wir vorüber. Hier sömmerten früher fast ausschließlich die Vorfahren des Sennen-Geschlechtes, dem der Mann unserer Darstellung blutsverwandt war. Noch vor wenig Jahren befand sich in dieser Sennhütte ein Käsebrett, auf welchem eingeschnitten standen die Namens-Initialen B. U. und die Jahrzahlen 1757 — 1830.

Ein Edekceiss-Fund.

1Wir verweisen für die hier vorkommenden Orts-Nomenclaturen auf das hierüber im Jahrbuch XIX, pag. 503 Anm. Gesagte und halten an den landesüblichen Ortsbenennungen fest.

2 ) Zur Skizze I: Richtung des Blickes von Ost nach West. Die Sennhütte, welche auf dem Plateau des Mittelgrundes dem Blicke die volle Langseite bietet, ist die im Text näher erwähnte älteste, „ die Stammhütte der Stocken-Aelpler ". Die große Sennhütte am Fuße des Höhenzuges mit der kleinen Hütte im Vordergrund ( links ) ist neuem Datums. Die ferne kleine Hütte in der Höhe des Hintergrundes ist eine Melkhüttc des „ hinteren " oder „ Matten-Lägers ".

Diese besagen, daß B. U. während vollen 73 Jahren seine Sommer hier zugebracht hat. Er verstarb 76 Jahre alt, blieb also von seinem dritten Lebensjahre an bis an sein Ende seinem „ Berg " treu. Ein kräftiger, frischer und fröhlicher Mann, gastfreundlicher Senne, Wohlthäter der Armen und geachteter Gemeinde-Beamter sei er gewesen.

Gleicher Verwandtschaft gehörte J. T. an, der ebenfalls wohl durch 50 oder mehr Sommer in jener Sennhütte als Stocken-Senn hauste. Noch sechs Monate vor seinem Tode ließ er als silberhaariger Greis selbst trotz Sturm und Blitz und Donner nicht ab von kräftiger Mitbethätigung bei jener Bd. XIX, pag. 508 erwähnten traurigen Leichenfischerei, bis nach viertägiger Arbeit auch der Letzte der fünf am 1. August 1869 im Vorder-Stocken-See Ertrunkenen dem nassen Grabe enthoben war. Ist das „ Mattenläger " in der Richtung Süd-Nord durchschritten, so gelangen wir an dessen nördliche Abgrenzung, den mauerartigen niedrigen Felszug, der vom Mattenstand her zum Keibhorn sich hinanzieht, an 's „ Muri ", wo sich uns der überraschend schöne Blick in den tiefen Bergtrichter, in dessen Schooß der Vorder-Stocken-See liegt, und auf dessen malerische alpine Umgebung, die Spätberg-IIiitten und Waiden, öffnet.Durch's Keibhorn ", wie der richtige Stocken-Aelpler sich auszudrücken pflegt, d.h. entlang der Nordflanke des „ Pizzo Centrale " unseres Gebietes, führt uns nun, in der Richtung SW-NO umbiegend, ein Felssteig in beträchtlicher Höhe über dem Südufer des See's zu Alp und Alphütten von Oberstocken. Wer zur Zeit der Alpenrosenblüthe diesen reizvollen Steig begeht, möchte wohl dem Vorschlag zustimmen, den Namen Keibhorn in „ Rosenhorn " umzutaufen. „ Mit ihrer ewigen Anmuth begleitet „ die Alpenrose den Wanderer oft durch lange Felslabyrinthe und verbündet ihm Leben und volles Genügen in einer Welt von grausenhafter „ Zertrümmerung.. ., sie überzieht die ganze Fläche des Berges, der sich „ mit seinem Purpurteppich im Spiegel des Alpsee's malt.So schreibt Friedr. v. Tschudi im „ Thierleben der Alpenwelt " ( Ausgabe von 1854, pag. 262 ), Zug für Zug den Keibhornpfad mit Worten malend, als hätte dieser ihm vorgeschwebt. Wer sich nicht durch solchen Anblick zu öfterem Stillstehen und ruhigem Beschauen verleiten läßt, legt in längstens einer halben Stunde die Strecke zwischen „ Matten " und „ Oberstocken " zurück.

Hier nun ist der Lieblingsort unseres Stocken-Aelplers, an dem er durch eine lange Reihe der Sommer seine Sennerei betrieb.

Treten wir, um unsern Aelpler kennen zu lernen, „ unter seine Schindeln ". Wir finden da einen Mann von untersetzter Gestalt. Der schwarze Vollbart, der sein Gesicht umrahmt, wie das unter der ledernen Küherkappe hervortretende Haar sind schon stark mit Grau gemischt. Sein Antlitz zeigt scharfe, fast strenge Züge. Wie von Sorgen gefurcht erscheint die Stirne. Die Lider des Auges, das mit raschem Blick den Eintretenden prüfend beschaut, sind vom Hüttenrauch stark geröthet. An seiner Küherhantirung begriffen und im zudienenden Berufsornate, hat der Herr dieses Raumes, von außen besehen, wenig „ Edelweißartiges ". In der Arbeit, die er eben unter Händen hat, läßt er sich durch keinen Besuch unterbrechen. An den rechten Aelpler stellt jeder Augenblick des Tages seine Arbeitsforderung. Diese will erfüllt und richtig erfüllt sein, soll das Geschäft vorwärts und nicht rückwärts gehen. Das hat der Mann nie vergessen, dem es Ehrensache war, genannt zu werden vDer Stockenküher ". Darum hat der ohnehin nicht Wortreiche für den Eintretenden nur einen kurzen Gruß. Immerhin heißt er den Besucher näher treten und bietet ihm von den Schätzen seiner Hütte an, was er begehren mag. Nicht mehr so zugeknöpft ist er, wenn er nach vollbrachtem Tagewerk zu seinem Besuch sich auf den einbeinigen Melkstuhl an die Feuergrube setzt, sein Pfeifchen „ entbrennt " und nun zum Gespräch Zeit gefunden hat. Da kann man bald dazu kommen, sich zu wundern, was für Dinge der eben noch Ein Edelu-eiss-Fu nd.

1 ) Vom Standpunkte der Skizze aus hat man den von Ober-Stocken allermeist begangenen Anstiegsweg zum Stockhorngipfel, das „ Stockenfeld " hinan, im Rücken. Richtung des Blickes ist hier von Ost nach West. Im Vordergrund links: die Sennhütte, rechts bei der großen Tanne „ Gädmer " für Vieh und Heu. Ueber den tiefen Bergtrichter mit dem von unserm Standpunkt aus nicht sichtbaren See ( 1670 m ) hinweg reicht der Blick hinüber zu den das Bild westlich abgrenzenden Waiden der „ Spätberg-Alp " und an den über diesen sich hinziehenden „ Pfaffü-Grat* mit dessen zwei höchsten Aufgipfelungen im „ Pfaffli-Horn " ( links ) und „ Sattelhorn " ( rechts; am nördlichen Ende des Zuges ( 1961 m ).

2 ) Nachträglich zu der Stockhornbeschreibung im Band XIX des S.A.C. sei hier empfohlen:

a. Ein Gang über den PfafHigrat, von „ Matten " ansteigend, mit Mitnahme der „ Stockenfluh " sehr lohnend, stellenweise etwas Vorsicht fordernd, über Pfaffli= horn, „ Sattelfurke " auf das „ Sattelhorn ". Dieses sehr besuchenswerth, nicht nur wegen der Rundsicht, sondern auch wegen seiner Auswitterungen ( „ Schaf-kilchli " ) und des hier besonders in die Augen fallenden Contactes zwischen den die Südflanke des Stockhorn-Aufbaues charakterisirenden Jura- und Kreideformationen.

h. Von den Ober-Stocken-Hütten aus nördlich abbiegend, zuerst in der Richtung Ostwest, unter den „ Sträußlifiühen " sanft ansteigend, dann, wo der „ Sträußligrat " schroff nach „ Lucheren " ( Nordende und Ausfluß des Vorder-Stocken-See's)-„Wandels” zu ( Abstieg nach Unter-Wahlalp ) abbricht, mit scharfer Wendung Westost über „ Sträußligrat " und Schafwaiden der „ Sträußlilücke " zu, wo dieser Anstiegsweg mit dem von OberWahlalp auf Stockhorn führenden zusammentrifft. Dieser Weg zum Stockhorngipfel ist zwar beträchtlich länger, aber weit lohnender und abwechslungsreicher, als der meist begangene, das ziemlich monotone „ Stockenfeld " hinan.

c. Ein weit kürzerer Aufstieg auf den Sträußligrat und zur Sträußlilücke läßt sich'auch von Oberstocken machen, den „ Keller ", eine jäh ansteigende, in den Sträußlifelsen eingerissene Rinne, hinan. Ist aber nicht Jedermann anzurathen und, besonders wenn die trichterförmig in dieser Rinne sich fassenden Schafwaiden über ihr besetzt sind, steinschlaggefährlich.

so ganz von seiner Berufsbeschäftigung Erfüllte in 's Gespräch zieht und wie vielseitig seine geistigen Interessen, wie klar und wohlgeordnet seine Gedanken sind und in Gebieten sich bewegen, die weit von seinen beruflichen Interessen abliegen. Zwar freut es ihn sichtlich, wenn ihm Interesse und Verständniß für seine Sennerei begegnet. Doch hüte man sich, ihm darüber in einer Weise zu reden, welcher der ziemlich Kritische leere Flunkerei anmerkt. Für Gerede dieser Art hat er nur Schweigen und ein sarkastisches Lächeln. Aber großer Fachkunde bedarf es nicht, um seiner muntern, wohlgenährten Heerde anzusehen, daß ihr Meister der Regel folgt, welche, je und je von den Alten an die Jungen im Heerden-buch der Familie zur Befolgung überliefert, lautet:

„ Soll dir werden hier viel Segen, „ Muß dir Gott denselben geben, „ Doch auch du mußt selbst viel thun, „ Hier gilt 's: Nimmer, nimmer ruh'n!

„ Immer vorwärts mit der Classe, „ Die dir zeigt die beste Kasse; „ Sie auch immer recht satt halten, „ Nicht mit Stock und Schuhen walton.

„ Schwöre und verwünsche nicht, „ Dieß bringt statt Segen dir Gericht.

„ Und nochmals: ja nimmer ruh'n!

„ Sonst bringt dich rückwärts nur dein Thnn !"

Mit ganzer Kraft und Treue seinem Küherwesen vorzustehen, war aber für „ Vater J. B. ", wie unser Mann fortan bezeichnet werden soll, nicht allein Ehrensache, sondern mindestens ebenso sehr Forderung seiner gesammten Lebensverhältnisse und seiner Hausvaterpflicht.

Im Thal drunten lag sein Heimwesen. Er war nicht reich begütert. Wollte er aufrecht und in Ehren bei seiner Sache bleiben, so mußte er ebenso fleißig und einsichtig seine Landwirthschaft betreiben, wie seine Alpwirthschaft. Für ihn galt wirklich auf beiden Arbeitsgebieten: „ nimmer, nimmer ruh'n !" Eine muntere Schaar von 9 Kindern war ihm erwachsen. Diese wollten wohl versorgt und gut erzogen sein, unter guter Erziehung verstand Vater J. B. Erziehung zu redlichem Arbeitsfleiß, tüchtigem Arbeitsgeschick, Ehrlichkeit und Zufriedenheit mit bescheidenem Glücks-loos bei unbefleckter Ehre und reinem Gewissen. Das war für ihn selbst das Ideal des Lebensglückes. Das sollte es nach seinem Sinn auch sein und bleiben für sein Haus, seine Kinder. Hiefür forderte er, daß sein Hausvaterwort feste Geltung habe für seine ganze Familie. Da er selbst vorbildlich den Seinen voranging in dem, was er für ihr Bestes wollte, so war er zur Forderung des Gehorsams auch wohl berechtigt. Und etwas „ altmodisch-patriarchalisch " ging es in seinem Hause allerdings zu. Doch deßwegen war nicht minder wahres Glück dort daheim, in Liebe, Einig- keit und treuem Zusammenhalten der Glieder des Hauses in bösen wie in guten Tagen. Von einer wackeren Hausmutter war Vater J. B. im Streben und Arbeiten für seines Hauses Wohl treu unterstützt, bis die Kinder der besondern mütterlichen Pflege entwachsen und die älteren Söhne schon im Stande waren, dem Vater kräftige Gehülfen zu sein. Da ward nach langer Krankheit der Familie die Mutter durch Tod entrissen. Wie viel sie den Ihrigen gewesen war, spricht in schlichten Worten die Grabschrift aus, welche der trauernde Gatte „ auf der guten Mutter Grab " schrieb: „ Muthig kämpftest du lange wider die Stürme des Schicksals, „ wähntest endlich erreicht zu haben den sichern Port, da entführt unaufhaltsam uns der Engel des Todes dich, noch am letzten Tage besorgt „ um der Deinigen Wohl !"

Wider Stürme des Schicksals kämpfen zu müssen, blieb freilich auch Vater J. B. nicht erspart. Wohl steuerte er das Schiff seines häuslichen Wohlstandes mit klarem Blick und fester Hand an mancher gefährlichen Klippe glücklich vorüber und durch manchen Sturm, wie das Leben sie bringt, unbeschädigt hindurch. In seinem Hause blieb der Friede ungestört. Dem wackeren Bürger und geachteten Berufsmann übertrug das öffentliche Vertrauen Gemeindeämter, Verwaltungen von Pupillarvermögen u. dgl. In jeder Stellung hat er ihm zugewendetes Vertrauen gerechtfertigt. Doch mußte auch er bei aller Friedensliebe mitunter einen Fehdehandschuh aufheben und den Weg zum „ Schloß zu Wimmis " antreten, sich des Rechtes zu wehren. In Sachen des Rechtes und der Ehre verstand der Mann eben keinen Spaß, in dessen Wesen Rechtschaffenheit und Ehrenhaftigkeit Grundzüge waren. Im erwähnten handschriftlichen Documentenbuch seines Nachlasses liegen charakteristische Zeugnisse vor, wie er 's mit solchen Sachen hielt. In dem Streite mit einem Bankinstitute, das ihm unlautere Absichten in seinem Geschäftsverkehr ganz ungerechtfertigter Weise vorgeworfen hatte, begleitete er ein Attest der amtlichen Autoritäten des Bezirks und der Gemeinde, durch welches seine Ehrenhaftigkeit im persönlichen und öffentlichen Leben entschieden bezeugt wird, mit einem Schreiben „ an die Herren, welche auch irren können ", in welchem folgender charakteristischer Passus vorkommt: „ Ich „ habe als junger Mann viele Jahre mit dem Schicksale im Kampfe gelebt. „ Beinahe hatte mein Schicksal mich meiner Existenz beraubt. Aber auch „ damals habe ich die Ungerechtigkeiten verabscheut. Nun ich 65 Jahre „ habe, Gott mir so geholfen hat haushalten, daß ich für mich genug „ habe, soll sich der Geizteufel nicht noch meiner bemächtigen. Lange „ wird es nicht mehr gehen, so wird von mir nicht mehr geredet werden. „ Zur Vollführung großer Thaten hatte ich zu wenig, würde wohl wahrscheinlich auch andernfalls keine verrichtet haben, wie Viele. Ein Denk-„mal wird mir so nicht gesetzt werden. Aber das Laster macht mich „ gottlob auch nicht unvergeßlich. "

Wir meinen, aus solcher ruhiger und fester Zuversicht des guten Gewissens in so würdiger Abwehr unverdienter Antastung eines blanken Ehrenschildes leuchtet doch etwas wie Edelweiß im Wesen des schlichten Stockenkühers. So bewahrt kann er Erlebnisse sogar mit Humor behandeln, die manchen andern in seinem Innern minder Gefestigten in tiefste Muthlosigkeit und jammernde Verzagtheit treiben. Auch hiefür ein Zeugniß aus seinem Memoirenbuch. An eine Schwagerfamilie hat er drei Mißgeschicke zu berichten, die ihn in rascher Aufeinanderfolge binnen wenigen Tagen trafen. Er hat einen Proceß verloren und auf der Alp sind ihm eine der besten Kühe und ein schöner junger Stier zu Grunde gegangen. Das meldet er nun in einem in Versen verfaßten Brief, nota bene an seinem Namenstag. Dieses Schriftstück beginnt also:

„ Euch, meine Lieben, will ich sagen, „ Was sich bei uns hat zugetragen. „ Gewiß, ihr werdet euch nicht freuen; „ Doch ich will 's nicht zu schwer bereuen, „ Das Heulen steht dem Mann nicht an, „ Dem Weib sind Thränen zugcthan. "

Ueber den verlorenen Proceß schreibt er:

„ Nun den Proceß wir aufbeschworen, „ Den haben wir perfect verloren, „ Und hieran sind wir selber Schuld, „ Drum tragen wir 's auch in Geduld. „ Wir hätten es nicht sollen wagen, „ Drum wollen wir nicht nutzlos klagen. "

Vom zu Grunde gegangenen jungen Stier:

„ Dieß Stierkalb sollte Züchter werden, „ Ich hätt'es Niemand auf der Erden, „ War'geblieben es am Leben, „ Um fünf mal hundert Francs gegeben. "

Schluß:

„ Jetzt wißt ihr, was bei uns geschieht, „ Wie all' das zeitlich'Gut entflieht!1'Glücklicher Weise sind nun zwar berufstüchtige und berufseifrige Männer, treu für das Wohl der Ihrigen sorgende Hausväter, gewissenhafte Leute, denen Ehre und Recht als Leitsterne gelten, so wenig im Aelpler- als in jedem anderen Stande, Ausnahmen, die ihrer Seltenheit wegen besonderer Hervorhebung bedürften. Die ethischen Werthe, die wir bisher im Wesen unseres Vaters J. B. zu finden nns freuten, würden diesen also über das Niveau anderer Ehren-Männer seines Berufes auch in unseren Augen noch nicht viel erheben. Doch ein anderes Moment kommt nun in Betracht, das uns wohl berechtigen kann, von einem Edel-weißfund zu reden, der keineswegs so häufig gemacht wird. Die äußere Rechtschaffenheit kann ja, bei aller Peinlichkeit und ohne darum werthlos zu werden, ihren Grundtrieb auch nur in wohlberechneten Nütz-lichkeits-Rücksichten haben; in dem uns von Vater J. B. bekannt gewordenen liegt aber ein Höheres, nämlich, daß er sich durch ein als recht und wahr erkanntes und stets fest gehaltenes sittliches Princip in seinem Verhalten auch zu den practischen Forderungen, Pflichten und Erfahrungen des Lebens leiten ließ. Das Festhalten an einem Ideal, das mit dem eigenen inneren Selbst identisch geworden ist, in unbedingtem Gehorsam gegen sein Gesetz und fester Ueberzeugung, daß Abweichung vom Wege, den es weist, tiefste Selbstschädigung ist, wird kaum Jemand zu den gewöhnlichen Erscheinungen zählen wollen. Hiezn kommt noch ein Anderes. Schon früher bot die Schilderung eines Besuches bei Vater J. B. in seiner Alphütte Anlaß zu der Bemerkung, daß dem Besucher ( es wurde dabei an solche Besucher gedacht, die zu ihm schon im Verhältniß etwas vertrauterer persönlicher Bekanntschaft standen ) an dem nach vollbrachter Tagesarbeit zur Freiheit eines ruhigen „ Dörflens " gelangten die weit über den Kreis seiner nächsten Berufs-Angelegen-heiten hinausgehende Vielseitigkeit der Interessen autfallen mußte. Gegenstände des politischen und socialen Lebens, Weltlage und Gemeindesachen, Fragen des religiösen und kirchlichen Lebens kamen da zur Besprechung. Besonders beschäftigte ihn sehr lebhaft der Streit der theologischen und kirchlichen Parteigruppen, über dessen Stand er immer so ziemlich auf dem Laufenden war. Er war im Ganzen nicht sehr gut über diese Streitigkeiten zu sprechen; noch viel mißfälliger aber äußerte er sich über das Secten-Wesen. Besonders liebte er auch Unterhaltung über das Naturleben der Bergwelt und seine Wahrnehmungen an ihrem Thier- und Pflanzenleben — kurz, das Allerverschiedenste war es, was er mit Interesse und Verständniß in 's Gespräch zog. Ueber Alles zeigte er sich auch mehr oder weniger belesen, und über Gelesenes hatte er ein oft merkwürdig zutreffendes, von selbständigem Denken zeugendes, mitunter mit Salz ziemlich stark gewürztes Urtheil. Man mochte sich wohl oft fragen: wie kommt der Mann dazu, bei seinem Zeit und Kraft so ganz beanspruchenden Beruf, bei dessen genauer Verrichtung er 's an nichts wollte fehlen lassen, sich mit so vielen, anscheinend heterogenen Dingen zu beschäftigen? Es sind ja sonst meist ganz andere Sachen, denen der Sinn täglich und stündlich an schwere Handarbeit Gewiesener für Augenblicke freierer Muße sich zuzuneigen pflegt — oder redete er etwa mit Leuten, die nicht seines Berufes waren, diesen zu gefallen und denkend, von „ seiner Sache " verstehen sie doch nichts, von Dingen, für welche er bei ihnen ein Interesse sich denken konnte, ohne selbst ein solches wirklich zu haben? Diese unhöfliche Höflichkeit kommt ja nicht einzig im Leben des Thaies vor. Eine Widerlegung dieses Zweifels hat er selbst dem Pfarrer seiner Gemeinde zunächst in Betreff kirchlicher und religiöser Fragen einst gegeben. Derselbe erhielt nämlich einst von J. B. einen langen Brief, der eine sehr einläßliche, gründliche und mit scharfer Logik durchgeführte Kritik einer Predigt enthielt, in welcher der Kritiker von seiner dogmatischen Position aus den principiellen Standpunkt der Predigt analysirt und beurtheilt und dann die praktischen Consequenzen zieht, welche solche Behandlung des Predigtthema's für Glauben und Leben der Hörer nach seiner Ueberzeugung haben müsse. Dieser Brief findet sich in J. B.'s handschriftlichem Nachlaß copirt, mit der Nachschrift: „ Nach dieser Predigt habe ich drei Jahre lang keine „ Predigt des Pfarrers N. N. mehr angehört; wie ich aber damals seines „ Irrthums überzeugt war, so bin ich nun überzeugt, daß er auf dem „ rechten Glaubensgrunde steht. " Solches sieht doch in der That nicht nach nur gelegentlichem Reden über Dinge ohne wirkliches Interesse an denselben aus. Schon haben wir einige Vorgriffe in das mehrerwähnte handschriftliche Document aus dem Nachlasse des Vaters J. B. gethan, das uns die aus persönlichem Umgang erwachsene hohe Meinung von dem Charakter des Stocken-Aelplers völlig bestätigt hat. Dasselbe ist auch in anderer Beziehung merkwürdig. Es ist nicht gewöhnlich, daß man im Nachlaß eines Kühers, dessen angestrengter Lebensberuf seine Kräfte weit mehr nach außen hin, als nach innen weist, ein manu propria geführtes Memoiren-Buch findet, dem er in den seltenen müßigen Stunden seines Lebens vertraute, was sein Denken und Fühlen über die verschiedensten Dinge und Vorkommenheiten des Lebens je und je bewegt hat. Noch seltener wird man ein solches Document finden, das so in prosaischer und dichterischer Darstellungsform das Bild des Charakters und ganzen geistigen Wesens und Werthes seines Eigners widerspiegelt. Das Schreibbuch des Vater J. B. ist in Groß-Octav-Format, in Carton gebunden und sauber in Ehren gehalten, ein Band von 90 Blattseiten, von denen aber nur 83 beschrieben sind. Im Ganzen enthält das Schreibbuch nur 39 Eintragungen von größerem und kleinerem Umfang. Fünfzehn derselben sind Aufsätze über verschiedene Gegenstände.Vierundzwanzig enthalten Betrachtungen und Darstellungen verschiedensten Inhaltes in Versen. Bei vier Aufsätzen und zwei Poesien ist bemerkt, daß und wo sie durch die Presse zur Publication gelangten. Also: ein schriftstellernder und dichtender StoekenküherDem Einen oder Anderen dürfte vielleicht die Vereinigung so verschiedener Bethätigungen in der gleichen Person wunderlich vorkommen. Besonders da zu bemerken ist, daß Vater J. B. unverbrüchlich an dem Grundsatze festhielt: „ vor Allem und über alles Andere pünktliche Erfüllung der nächsten praktischen Berufsanforde- rungen. " Und deren waren ja so viele und so strenge für jeden Arbeitstag, daß zu Schriftstellerei wenig Muße bleiben konnte. Sehen wir uns die Data der einzelnen Einschreibungen näher an, und ebenso das Verhältniß des Lebens-Zeitraums J. B.'s, auf welchen diese Schriftstücke sich vertheilen, zu dem anderen, aus welchem uns nichts Derartiges aufbehalten ist, und halten wir mit dem sich so Ergebenden zusammen, was uns der Einblick in J. B.'s Lebensgang lehrt, so werden wir von dem Schriftstellern und Dichten unseres Aelplers eine diese Thätigkeiten in 's richtige Licht setzende Vorstellung gewinnen. Die frühesten Daten weisen auf das Jahr 1845 zurück, das jüngste auf 1882. Auf einen Zeitraum von 37 Jahren vertheilen sich also die 39 Eintragungen. Wir brauchen diese Bezeichnung, weil verschiedene Differenzen vorhandener Daten mit der Reihenfolge der Stücke im Buch annehmen lassen, daß wir in demselben eine Sammlung von Copien vorher lose auseinanderliegender Originalien haben. Das läßt auch die Annahme zu, daß das im Schreibbuch Eingetragene eine Auswahl aus Anderem, uns nicht Bekanntem, nicht Eingetragenem sein könnte.Vater B. erreichte ein Lebensalter von 72 Jahren. Fällt nun das älteste der eingetragenen Stücke in 's Jahr 1845, so muß er bei dessen Niederschrift 37 bis 38 Jahre alt gewesen sein. Erst von diesem Zeitpunkte an hätte er, nach dem Vorhandenen zu schließen, Schriftliches zu verfassen begonnen. Weiter: aus den Jahren 1845 und 1847 datiren zwei Aufsätze und aus dem Jahre 1848 eine Poesie.Von da an Aufhören der schriftlichen Production bis 1861 — dreizehn Jahre. Wenn nämlich nicht von einer ziemlichen Anzahl datum-loser Stücke ein Theil in die fünfziger und sechziger Jahre gehört, so weisen die fünfziger gar nichts, die sechziger 1861, 1863, 1868, 1869 sechs Productionen auf: 3 publicirte Aufsätze, 1 publicirtes Gedicht und 2 nicht publicirte. Der übrige Rest und weitaus die meisten poetischen Versuche fallen, so weit Data nicht fehlen, in die siebziger, 2 noch in die achtziger Jahre. Erinnern wir uns zu diesen Zeitangaben und dem aus ihnen sich ergebenden Verhältniß der Menge der Schriftstücke zu der Zeit, innerhalb welcher sie geschrieben sind, an jenes in Vater J. B.'s 65. Lebensjahr an die Bankverwaltung geschriebene Wort, in welchem er zwei verschiedene Zeiträume seines Lebens bestimmt unterscheidet: einen, in welchem er als junger Mann „ mit dem Schicksal, das seine Existenz bedrohte, zu kämpfen hatte ", und den andern, den jetzigen, in welchem er sich einer redlich erkämpften befriedigenden Existenz zu erfreuen hat. Aus diesem Allem zusammengehalten ergeben sich uns folgende Schlüsse:

1 ) Im Jahre 1845 und wohl noch durch die fünfziger Jahre war J. B. noch der junge Mann, der mitten im schweren Kampfe um 's Dasein stand, auf dem materielle Sorgen schwer lasteten und ihm weder Zeit noch freien Geist zur Beschäftigung mit schriftlicher Objec- tivirung ihn innerlich bewegender Dinge ließen. Die Unverletztheit seines sittlichen Selbstbewußtseins, seinen inneren Frieden und damit die Treue gegen sein Ideal von wahrem Glück hat er sich bei allen Versuchungen zu Abweichungen vom rechten Weg, die ihm sich da mögen nahe gelegt haben, gewahrt. Die Gegenstände der Aufsätze ans dieser Lebensperiode unterstützen unseren Schluß. „ Der Freischaarenzug " ( von 1845 oder 44 ?), die „ Worte eines Landmannes ", der „ arme Soldat ", über „ Vieh-Versicherung " betreffen sein damals ganz freischärlerisches politisches Denken, die durch Geldwucher der reichen Zinsherren und Geldinstitute gedrückte Lage des Landmannes, die übertriebenen finan-ciellen Opferforderungen des Militärdienstes an den armen Eekruten, die ökonomische Notwendigkeit der Vieh-Versicherung für den Landmann; also meist in den Beruf und die Berufsverhältnisse einschlagende Dinge. Die poetischen Versuche dieser Zeit: „ Auf unserer guten Mutter Grab ", „ Unglück auf dem Stockensee ", drücken die Gefühle aus, welche angreifende persönliche Erlebnisse und das erschütternde Ereigniß des 1. August 1869 ( .erwähnt Jahrb. XIX, pag. 508 ) in ihm erweckten. Die allermeisten poetischen Ergüsse sind beträchtlich späteren Datums, als die erwähnten Aufsätze. 2 ) In der späteren Lebensperiode, in welche jener Brief an die Bankdirection fällt, hat sich für Vater J. B. die Existenz in befriedigender, ängstlichen Sorgens, nicht aber des „ nimmer, nimmer Ruhens " enthebender Weise gestaltet. Es ist für ihn nun darum zu thun, eine mit ehrlichem Fleiß errungene Position zu behaupten, Erstrittenes zu halten und zu mehren. Nichtnachlassen in strengster Berufstreue bleibt selbstverständliche Lebensregel. Aber die Arbeit, bei der ihn jetzt mehrere Söhne kräftig unterstützen, wird leichter, der Blick in 's Leben, bei unveränderten Grundsätzen und Weltanschauung, freudiger und heiterer. Wohl bleibt auch da noch fortbestehend der Ernst des Lebens mit seinen Forderungen; aber es ist nicht mehr der drohende, eher der freundliche Ernst, neben dem nun auch ein heiterer Humor Platz hat. Zu einer schriftlichen Fixirung der Gedanken und Gefühle, welche das Innenleben bewegen, läßt das äußere Leben jetzt mehr Zeit und freien Schwung des Geistes. ( Eine Probe dafür gab uns schon der poetische Brief über den verlorenen Proceß und die Unfälle im Viehstand. ) In der That überwiegt in dieser Periode, den circa 15 letzten Lebensjahren, die Zahl der poetischen Stücke des Schreibbuches ziemlich stark die der Aufsätze in Prosa, als hätte das Leben unseres Mannes ihn selbst nun poetischer und weniger prosaisch angemuthet.

Wohl behandelt er in den Aufsätzen auch dieser Zeit ebenfalls noch berufliche Interessen, wie z.B. die „ Heerdebuchangelegenheit ", die Nothwendigkeit des Räumens der Felder von Steinen und den Schaden der Unterlassung dieser Arbeit, „ Ueber die Veredlung der Simmenthaler Viehrace " ( wirkliche Veredlung und wirkliche Verpfuschung durch verkehrte Veredlungsversuche ). Aber auch über ganz andere als berufliche und materielle Interessen verbreiten sich diese Aufsätze. So fällt in diese Periode der oben berührte Brief an seinen Pfarrer mit der Predigtkritik. Dahin gehören Aufsätze und Correspondenzen mit einem Lehrer über das Schulwesen und die Jugenderziehung fürs praktische Leben durch die Schule, Aufsätze über Stockhorn und Niesen, Vergleichungen ( an einen ihn als Bergfreund ansprechenden, bezüglichen veröffentlichten Vortrag sich eng anschließend ), über das, was Freiburg und Bern gemeinsam vorkehren sollten zum Schütze der Gemsen vor gänzlicher Ausrottung. Aus diesen Andeutungen ist zu ersehen, wie vielseitige Interessen das Denken unseres Mannes beschäftigten. Ueberwiegend ist aber, wie schon bemerkt, die Zahl der poetischen Stücke dieser Periode und charakteristisch, daß, soweit vorhandene Data es erkennen lassen, gegen den Schluß des Lebens J. B.'s das in Prosa abhandelnde Element mehr und mehr hinter die Darstellungsform in Versen zurücktritt. Auch liegt der Inhalt dieser Poesien vorwiegend auf dem Gebiete des Idealen und bezeugt durchweg die gleiche Sinnesrichtung und Lebensanschauung, wie wir sie im Ernste der Praxis festgehalten fanden. Schlichte praktische Verkommenheiten des Sennenlebens werden in poetischer Zuschrift an Geschäftsfreunde gemtith-lich, launig behandelt. So eine „ Allmendrechnung ", „ Abrechnung mit Freund C. H. ", „ Brief an W. " ( Anzeige, daß am bestimmten Tage seine Heerde zum Aufätzen von ihm gekauften Heues bei W. anrücken werde ), „ Gruß mit Uebersendung eines Geißkäsleins von der Alp an Zw. " u. s. w. Allein auch an scharfen satyrischen Geißelungen der Gewissenlosigkeit im Geldverkehr ( „ Geldgesuch " ), der Schwindelpreise im Viehhandel ( „ Prophezeiung " ), des Lotterieschwindels ( „ mein Lotteriefieber " ), des sich blähenden und überall vordrängenden Großthuns ( „ Standesunterschied " ), der Modeäfferei ( „ mein Erlebniß in Bern " ) fehlt es nicht. Man sieht: in diesen angeführten Poesien ist ethischer Gehalt als Polemik wider die seinen Idealen entgegenstehenden Erscheinungen gemeiner Sinnes- und Handlungsweise nach Weltbrauch und -Lauf, eine Polemik, aus seiner ethischen Grundrichtung naturwahr hervorgegangen. Auch seiner Liebe zur Bergwelt und dem Wappenthier unseres S.A.C. muß sein Pegasus dienen. Ein recht sinniges Gedicht besingt „ meinen liebsten Aufenthaltsort ", den Stockhorngipfel und den Sonnenaufgang nebst der Rundsicht von dort nach allen vier Himmelsgegenden. Der Schreiber bemerkt zwar in einer Anmerkung, er wolle nicht als Verfasser angesehen sein mit den Worten: „ Ich weiß mich so hoher Gedanken, wie das Gedicht sie „ ausspricht, nicht mächtig. " Sei's aber auch Copie eines Productes von anderer Hand, so ist 's doch nach seinem Sinn und Herzen. Im Gedicht „ Die Gemsen " widmet er diesen seinen Lieblingen und der schonungs-losen Verfolgung derselben durch den Menschen eine tief empfundene, aus seinem Innersten quellende Klage. Eine Gemsmutter erzählt ihren Zicklein die traurige Geschichte der fast völligen Ausrottung des Wildes, das einst unverfolgt die Bergwelt bevölkerte, und schließt: „ auch uns „ steht dieses Schicksal bevor".Mutter, laßt uns zu den Göttern „ flehen, daß sie uns schützen ", ruft eines der erschrockenen Zicklein. „ Zu was für Göttern ?" fragt die Mutter. „ Zu den Menschen, die sich untereinander hassen, verfolgen, belügen, betrügen, morden? Von diesen „ sollten wir Erbarmen für uns hoffen? Nein, zu solchen Gräueln fleh'„ ich nichtDieses Gedicht, publicirt, brachte ihm eine schmeichelhafte Kritik von Seiten eines Freundes Z. ein, mit dem er in einer Art von poetischem Briefwechsel stand. Z. war ein alter Junggeselle, der, einsam auf einem abgelegenen Gütchen wohnend, dort sich viel mit Leetüre verschiedenen Gehalts und mit Bienenzucht beschäftigte, über die er auch ein Büchlein geschrieben hat. Wie J. B., so war auch Z., wenn auch vielleicht aus nicht ganz gleichen Gründen, einer etwas pessimistischen Anschauung der Welt und der Erscheinungen der Gegenwart zugeneigt. Dieser schrieb nun an J. B. über „ die Gemsen ": „ Deine Dichtung legt „ Zeugniß ab, daß auch unter dem Hirtenstab der Menschengeist sich kann „ erheben und Zeugniß geben von edlem Streben ", und weiter: „ Daß für 's „ verfolgte Thiergeschlecht das Wort du führst, ist schön und recht und „ zeugt, daß mit der Dichtergabe Humanität sich vereinigt habe. Daß das „ entartete Menschengeschlecht du geißelst, finde ich ebenfalls recht. Das „ sollte „ die Krone der Schöpfung " mir sein, was da lebt mit dem garstigen Thiere gemeinJ. B. bemerkt zur Abschrift dieser Kritik: „ Von Freund Z. empfing ich dieses „ mir doch etwas zu schmeichelhafte " „ Gedicht, nehme es aber wegen seiner Possirlichkeit doch auf. " Diese Bemerkung, zusammengehalten mit der zum Gedicht über den Stockhorngipfel hervorgehobenen und mit der am Schluß des Briefes an die Bankverwaltung, macht uns auf einen neuen, im Blümlein Edelweiß ebenfalls symbolisirten Zug im Charakter des Vaters J. B. aufmerksam, und zwar auf den nicht am wenigsten liebenswürdigen. Wir meinen mit diesem die Bescheidenheit dessen, der, obwohl seines innern Werthes bewußt, doch weder selbst viel Wesens von sich macht, noch von Andern gemacht sehen will.

Einem Freunde und Schulcameraden, Chr. R der nach 18jähriger Abwesenheit als Begleiter eines die Welt bereisenden Herrn zum Besuche seiner Heimat gekommen war, mit dem Entschlüsse, nach kurzem Aufenthalt sich mit seinem Herrn wieder auf Reisen zu begeben, schrieb J. B., der ihn zum Daheimbleiben und Seßhaftwerden vergeblich zu bestimmen versucht hatte, unter Anderem folgende Verse:

„ Sieh ', mein Freund es sind schon viele Tage „ Von dem Dasein unsers Leben hin.

„ Eh'wir's merken, sind wir reif zum Grabe; „ Drum, so lenke endlich deinen Sinn „ Zu der Heimat deiner Väter hin, „ Wo du lagst an deiner Mutter Brust.

„ Suche nicht dein Glück im SichselbstlebenKinder, wenn sie Vatertreue segnen, „ Dieses nenn'ich höchste Wonn'und Lust.Sei ein Schweizer auch in fernen Welten, vSei des Namens, der dich zieret, werth.Bleibe redlich, treu dem braven Herren, „ Sei in Noth sein Retter sein Schwert.Mit Hinzufügung der aus diesen Worten an den Freund leuchtenden Züge zu den andern, die wir kennen lernten, sei nun das Charakterbild unseres Stockenälplers abgeschlossen. Nochmals lassen sie uns das Ideal wahren Glückes erkennen, dem er nachstrebte, und dazu, was für die im Bunde des S.A.C. Stehenden zur Krönung des Charakters eines Bergmanns nach ihrem Herzen gehört: Die warme Liebe zur theuren Heimat und das Bewußtsein der hohen Verpflichtung gegen sie, allenthalben dem Namen, der uns zieret, Ehre zu machen.

Sollte unser Fund ächten Edelweißes da und dort ermuntern, auf dem Gebiet, auf welchem wir ihn machten, auch nach solchen Werthen zu forschen, so sind wir guten Vertrauens, daß auch von solchem Zweig der Erforschung der Bergwelt gilt: Wer suchet, der findet.

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