Drei Begegnungen
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Drei Begegnungen

Hinweis: Dieser Artikel ist nur in einer Sprache verfügbar. In der Vergangenheit wurden die Jahresbücher nicht übersetzt.

Von Alfred Graber

Der Mann der Tat: Victor de Beauclair ( 1874-1929 ) Gegen Ende Mai des Jahres 1929 strebten wir, ein Trupp Kameraden des Skiklubs Zürich, dem Jungfraujoch entgegen. In Interlaken regnete es, die Wolken hingen tief und versagten uns den klassischen Blick, der dem Kurort einst zum Ruhm verholfen hatte. Auf der Höhe der Wengernalp verwandelte sich der Regen in Schnee, und bereits auf der Kleinen Scheidegg lag eine zusammenhängende weisse Decke über die Hänge hingebreitet. Von unserem abendlichen Standquartier am Eigergletscher versuchten wir einige Trainings-abfahrten durch den Nebel, bis uns die feuchte Kälte ins Haus zurücktrieb. Das Wetter schien unseren hochfliegenden Plänen nicht hold zu sein. Unsichtbar lagen die Nordwände von Eiger, Mönch und Jungfrau über uns, dann und wann glitt fast lautlos ein Zug in den Tunnel, und Dohlen lärmten vor dem Fenster.

Am späten Abend traf der Gründer unseres Klubs, Victor de Beauclair, ein, der uns auf die Ebnefluh und über die Lötschenlücke führen wollte. In seiner Begleitung befanden sich zwei junge Mädchen, welche die Fahrt unter seiner Führung gleichfalls mitmachen wollten.

Der Mann de Beauclair ist wohl am besten mit den Worten Treue und Kameradschaft, Tatkraft und nie erlahmende Begeisterung für alles, was mit den Bergen zusammenhängt, zu umschreiben, ohne dass er deshalb ein Fanatiker oder den Freuden der Welt abgeneigt war. Sein ausdrucksvolles, kantig gehauenes Gesicht zeigte Entschlossenheit, gepaart mit wägender Vorsicht. In seiner spontanen Art nahm er die ihm anvertrauten Leute gleich in seine Obhut, und stets wandte er sich im Gespräch unmittelbar und allein an den Menschen und nie an das, was einer im Leben vor sich und seiner Umwelt darstellen wollte.

Was hatte de Beauclair mit seinen fünfundfünfzig Jahren nicht schon alles gewagt und erreicht! Umfangen von allem Anbeginn vom Glanz und von der Lockung der Berge. Und wie manches Mal hatte er gerade hier oben geweilt vor der Mauer der Viertausender, die sein kühner Geist zu überwinden trachtete.

So ist es wohl zu verstehen, dass an diesem Abend die Rede darauf kam, wie er vor einundzwanzig Jahren als erster mit dem Ballon « Cognac » die Berner und Walliser Alpen überflogen hatte, zusammen mit G.A. Guyer, dessen Braut Marie Löbenberg und dem Dichter Konrad Falke. Falke nennt de Beauclair einen « Freund zu Freunden », und er entwirft das Bild eines Menschen seiner Wesensart mit den Worten: « Darum heisst es ganz einfach seinen Mann stellen und das andere dem überlassen, von dem die Frommen, wo sie wirklich vertrauen sollten, stets das Sprüchlein bereit haben, dass man ihn nicht .versuchen'dürfe. » Ja, de Beauclair wurzelte in der Wirklichkeit und nicht in den Träumen; auch damals im Jahre 1908 verliess er sich auf die wissenschaftlichen Berechnungen der Windrichtung in den verschiedenen Höhenlagen, die er sorgfältig nachprüfte, um darauf das Zeichen zum Start zu geben, kaltblütig und optimistisch zugleich, mit der Devise: « Wir kommen hinüber! » Und wie dann anderntags im frühen Morgen der Ballon bis gegen sechstausend Meter aufsteigt, da fühlen sich die drei Passagiere weltentrückt. Falke schildert den Ewig-keitsschimmer der seltenen Stunde: « Da einem hier oben der Tod so ruhig und selbstverständlich umgibt, wie achtet man da das Dasein gering und die Unsterblichkeit hoch! » Der Ballonführer jedoch schwingt sich fröhlich auf den Korbrand und sendet der Erde in bester Laune seinen Morgengruss zu.

Victor de Beauclair kam ins Erzählen: « Ja, diese Ballonfahrten von einst, da man als Mittelpunkt der Welt anscheinend bewegungslos in der Luft hing und die Unendlichkeit des Raums erahnte... Ein solches Gefühl kann uns selbst durch das Fliegen nicht vermittelt werden. Und schon allein deshalb haben unsere grossen Abenteuer ihren Sinn gehabt und haben ihn auch heute noch, obwohl Lindbergh inzwischen den Ozean überflogen hat... Ein andermal stürzten wir als Abschluss eines Ballonfluges über die Glarner und Bündner Alpen in den Golf von Genua... Nun, wir hatten Glück, wir wurden aus dem Meer gefischt... » Wir lauschten ihm, der sprühenden Auges unter uns sass und eine Zeit heraufbeschwor, die durch die technische Entwicklung schon wieder überdeckt worden war. Solche Männer wie er sind es, welche die Welt vorantreiben.

Dann aber wischte de Beauclair mit einer unwirschen Handbewegung plötzlich die Vergangenheit weg:

« Heute », sagte er, « sind wir zum Skilaufen zusammengekommen und um die Berge zu erleben. Noch letztes Jahr war ich am Mittellegigrat ( er verschwieg, dass er ihn als Vorangehender bezwungen hatte ), und in diesem Sommer soll 's wieder einmal dem Matterhorn gelten... Meine Schützlinge werden mich begleiten. » Er streifte die beiden Zwillingsschwestern mit einem gütigen Blick. Und sie lächelten ihm vertrauensvoll zu. Dann erhob er sich mit den Worten: « Auf morgen also, meine Freunde. » Über Nacht hatte der Schneefall an Dichtigkeit eher noch zugenommen. Dennoch ordnete de Beauclair den Aufbruch zum Joch an, wo er uns zunächst einmal zwei Stunden zur Gewöhnung an die Höhe ruhen liess. Dann betraten wir durch den fünfhundert Meter langen Sphinxstollen den Jungfraufirn und stiegen ohne Gepäck zum Oberen Mönchjoch. Es gab wie gestern eine Nebelabfahrt, und bald befanden wir uns wiederum im Innern des Jochs. Schon richteten wir uns darauf ein, die Nacht hier oben zu verbringen, als de Beau- clair um halb 4 Uhr nachmittags beim Blitzen einiger Sonnenstrahlen den Aufbruch befahl. Wir fuhren über den Jungfraufirn zum Konkordiaplatz ab, wo der Nebel wiederum auf uns lauerte.

Der Marsch von dort über den Grossen Aletschfirn wurde zum Gang ins Ungewisse. Langsam und schwerfällig reihten sich die Stunden aneinander, besonders als ein neuerliches, hartnäckiges Schneetreiben einsetzte. Unbeirrt jedoch schritt Victor de Beauclair voran mit dem Kompass in der Hand, ohne Zaudern hielt er die Marschrichtung durch das Ungewisse inne. Der schwere Sack drückte auf den Schultern, und das Erreichen des Ziels schien uns in Frage gestellt. Wer weiss, ob wir nicht gar ein Biwak beziehen müssten. Wie gerne hätten wir uns ein geruhsames Ausklingen unseres Wandertags gewünscht.

Und dann war es plötzlich, wie wenn nach einer Ouvertüre der Vorhang hochgezogen wird: von einer Minute zur andern standen die Viertausender um uns, als ob sie schon immer im Sonnenlicht gegleisst hätten. Der Nebel rollte gegen Konkordia zurück, und ein Rückblick über den Gletscher zeigte uns die Zickzacklinie unserer Spur. Als ein Punkt lag die kleine Egon-von-Steiger-Hütte ( die seitdem durch die grosse Hollandia ersetzt wurde ) an der Lötschenlücke oben, und es war noch ein weiter Weg durch die blauen Abendschatten, bis wir in ihr feuchtes und enges Gelass treten konnten. Das Herdfeuer und die vielen Menschen erwärmten den Raum bald. Und draussen über dem Lötschental stand der Mond strahlend zur Seite des schlanken Bietschhorns.

Nach dem Essen sassen wir rauchend und plaudernd um die Tische, während de Beauclair wiederum in seine Erinnerungen zurückgriff, diesmal über dreissig Jahre, als er mit Paulcke, Ehlert, Mönnichs und Lohmüller im Januar die damals unerhörte Durchquerung der Berner Alpen auf Ski von der Grimsel nach Brig durchgeführt hatte, ein Kampf mit noch unzulänglichen Brettern gegen die winterliche Hochgebirgsnatur wie gegen die besserwissenden Zeitgenossen.

« Das kann man sich heute gar nicht mehr so recht vorstellen, die schwerfällige Ausrüstung mit dem umfangreichen Gepäck, die wir diese sechs Tage mit uns schleppten. Zudem wollte uns das Wetter nicht wohl. Erst versagte sich uns von der Oberaarjochhütte aus das Finsteraarhorn, zwei Tage darauf gelangten wir bis oberhalb des Rottalsattels an den Jungfraugipfel heran und mussten im Schneesturm umkehren, und zu guter Letzt brachen wir ins Hotel Belalp ein, um nicht erfrieren zu müssen, wobei wir halb verdurstet aus einem Fass Essig tranken, den wir für Wein hielten. Ein wenig sauer war er uns zwar erschienen, doch die übermenschlichen Anstrengungen der letzten Tage hatten uns nicht verwöhnt... » Die Bilder seines Lebens bestürmten ihn:

« Einige Jahre später fanden Mönnichs und Ehlert den Lawinentod am Sustenpass; wir gingen auf die Suche nach ihnen, wir Freunde, und konnten sie nicht finden. Erst einige Monate später kamen ihre Leichen zum Vorschein. Sie können sich denken, was wir, die Skiläufer jener Frühzeit, an Vorwürfen zu hören bekamen! » Da warf ich ein: « Sie sollten ein Buch Ihrer Erlebnisse und Abenteuer schreiben. Wie wichtig und schön wäre das doch für uns Bergsteiger. » « Ein Buch? » Er schaute mich verweisend an. « Ich, ein Buch? Paulcke hat über unsere Berner-Oberländer-Fahrt geschrieben, Konrad Falke unsere Überfliegung der Alpen in dichterischen Worten gepriesen. Beide konnten es sicher viel besser als ich. Und Sie, junger Freund », ein maliziöses Lächeln umspielte seine Lippen, « werden über unsere jetzige Fahrt schreiben - auch besser, als ich es könnte. Ich selbst bin für das Plaudern in einer Runde guter Kameraden wie heute abend etwa. Und obwohl ich nicht sehr viel von der alpinen Schreiberei halte, möchte ich doch einen Mann zu meiner Verteidigung zitieren, den Sie wohl auch kennen werden, und der mich rechtfertigt. » Die Worte stammten von Oskar Erich Meyer: « Des Bergsteigers letztes und bestes Erkennen bleibt die alpine Tat. Die Tat, die nicht fragt, warum sie geboren wurde, noch welchem Zwecke sie dient. Die Tat, die da grünt wie ein Baum in Sonne und Wind. Die in das Leben hineinragt, stark wie ein Fels. » « Ja, wichtiger als jedes Wort ist die Tat, denn sie umschliesst das, was uns als Bestes auf Erden gehört - die Wirklichkeit des Lebens, nicht das Nachzeichnen und nicht das Nachschreiben. Auch Sie werden das einmal erkennen. » Die Wirklichkeit! Ich war nicht seiner Ansicht, und gerade Oskar Erich Meyer widerlegte seine Auffassung, indem er auf die Tat das schenkende Wort folgen liess. Doch ich widersprach ihm nicht.

Und so hat denn de Beauclair, dessen Leben als Bergsteiger, Skiläufer und Ballonführer erfüllt war vom grossen Abenteuer, meines Wissens nichts Gedrucktes hinterlassen als die kleine Schrift einer Anleitung zur Anlage von Sprungschanzen. Ist das nicht ein Jammer?

Am nächsten frühen Morgen erreichten wir unter tiefblauem Himmel die Ebnefluh, die den Rottalabstürzen der Jungfrau gegenüber liegt. Etwas abseits von uns stand hoch aufgerichtet Victor de Beauclair, sein Auge umfasste wieder einmal die Gipfel und Pässe, die das Schönste seiner Jugend bargen, die Taten seines Kampfes um den winterlichen Berg. Jetzt zog er in Gedanken jene Wege aufs neue, und da kein Mensch auf Erden von der Wirklichkeit allein leben kann, gesellte sich zu ihr als verzauberter Nachfahre die Erinnerung, die dem Leben erst die letzte Rundung verleiht. Und so verriet sein Auge das, was sein Mund gestern nicht wahrhaben wollte. Doch niemand von uns ahnte, dass er das Bergland seiner Jugend zum letztenmal sah.

* Immer noch sehe ich den Sommerglanz jenes Augusttages des Jahres 1929 vor mir, als ich über den See hinweg gegen die Glarner Berge blickte und mich doch über das Bild des festlichen Tages nicht freuen konnte, da ich eben die Nachricht gelesen hatte, dass Victor de Beauclair mit einer Begleiterin am Matterhorn zu Tode gestürzt sei. Es war eine der beiden Zwillingsschwestern, welche die Berner-Oberländer-Fahrt mitgemacht hatten.

Victor de Beauclair, der Vorsichtige und klug Abwägende, ein Vorkämpfer des führerlosen Bergsteigens, war einem ausbrechenden Felsblock zum Opfer gefallen, der Hunderten zuvor als sichere Stütze gedient hatte. Im Bergsteigerfriedhof von Zermatt wurde er zur letzten Ruhe gebettet.

In steiler Kurve nach oben war sein Leben verlaufen, und überreich war ihm vom Schicksal das geschenkt worden, was er als lebenswert erachtet und erstrebt hatte. Und nun hatte ihn der Tod vor dem unvermeidlichen Abstieg zu sich genommen. So blieb ihm erspart, die Mühsal des Alters zu verspüren, zu sehen, wie die Kränze des Erfolgs welken und im eigenen Zweifel ihren Sinn verlieren. Ist er darum nicht glücklich zu preisen?

Der Mann der Berufung: Georg Bilgeri ( 1873-1934 ) Georg Bilgeri ist auf dem Ubungshang anlässlich eines Skikurses auf dem Patscherkofel bei Innsbruck im Dezember des Jahres 1934 vom Tode überrascht worden. Er erlitt eine Lungenblutung, der er innerhalb weniger Minuten erlag. Als ein Ewigjunger und ohne von einer Vorahnung beschwert zu sein, ging er mit seinen 61 Jahren von uns, mitten aus dem heraus, was er zeit seines Lebens als seine Berufung empfunden hatte: den Unterricht des alpinen Skilaufs.

Mit seiner Ausstrahlung von Güte und Hilfsbereitschaft, von hohem militärischem Rang und berufen zu grossen Aufgaben scheute sich Bilgeri nicht, mit nie endender Geduld wie irgendein Skilehrer seine Technik zu lehren, die Gefahren der winterlichen Berge darzulegen, auf sturzfreies Fahren im Hochgebirge zu drängen und darauf hinzuweisen, dass man beim Skilauf « sein Heil nicht in der Luft, sondern am Boden suchen muss ». Kann man ihm ein schöneres Zeugnis ausstellen als dies, dass bei all den von ihm geführten Touren ein einziger Beinbruch vorkam!

Als Systematiker fand Bilgeri in der Frühzeit des Skilaufs die ideale Verbindung zwischen Lilienfelder und Norweger Technik und konstruierte eine damals revolutionär wirkende Skibindung, kurz, er war der eigentliche Bahnbrecher für den alpinen Skilauf.

Die Jahre des ersten Weltkriegs hatten Bilgeri gelehrt, was Lawinen bedeuten, und als er im österreichischen Heer eine verantwortliche Stellung erhielt, griff er mit seinen Erfahrungen durch. Das ist jetzt wohl schon lange her, und die Entwicklung des Skilaufs hat seither manche Wandlung durchgemacht. Dennoch hat sein erstmals 1910 erschienenes Lehrbuch Grundbegriffe aufgestellt, die auch heute noch Geltung haben. Und wenn auch sein System dann und wann angegriffen wurde, so blieb doch er selbst von persönlichen Angriffen verschont, er stand stets über den Parteien. Auch in der heutigen Zeit, da das Abfahren auf der Piste mit grosser Vorlage gelehrt wird, ist es dem meist schwer bepackten Bergwanderer vorbehalten, sich an Bilgeris Ratschläge und Erfahrungen zu halten, die eine weise « Zurückhaltung » für tunlicher und kräftesparender ansehen.

Auch bei uns in der Schweiz, vor allem im Kreise des SAC, war Bilgeri ein stets willkommener Gast, nicht zuletzt bei den welschen Sektionen, die seine Stemmtechnik mit dem harmlos heiteren Verschen besangen:

Stemm à droite - stemm à gauche, Stemm, chérie - vive la méthode Bilgeri!

Bilgeri war bei uns weit herum beliebt, ja, man darf wohl sagen, geliebt. Es war erstaunlich, wie viele Menschen den sonngebräunten, aufrechten Mann mit den silberweissen Haaren grüssten und wie manches Augenpaar ihn anleuchtete, wenn er etwa durch die Strassen Zürichs ging.

Und dennoch war dieser frohe Mann im Grunde seines Herzens ein verschlossener Mensch, der nur sehr selten von sich sprach, persönlichen Vertraulichkeiten aus dem Wege ging - und trotzdem eine bezwingende Herzlichkeit ausstrahlte, der sich niemand entziehen konnte.

Ich selbst hatte das Vergnügen, an einem seiner Kurse im Winter 1931 in Splügen teilzunehmen, wobei ich bei mehreren Fahrten in einsame Gebiete die geradezu geniale Anlage seiner Aufstiegsspuren bewundern konnte, die uns sozusagen spielend und mühelos steigen liess.

Über seine eigenen Taten schwieg sich Bilgeri aus. So stiess ich fast zufällig darauf, dass er als erster auf kombinierten Ski- und Bergfahrten den Gross Venediger, die Aiguille Verte und den Piz Roseg bestiegen hatte, wobei er jeweils die Ski benützte, soweit dies möglich war. Als ich ihn darüber beim abendlichen Zusammensein befragte, meinte er:

« Nun, das waren so meine privaten Ausflüge. Es ist stets eine meiner Leidenschaften gewesen, die Berge zur Unzeit oder von der falschen Seite anzugehen, kurz, Dinge zu tun, die in den Augen der Menschen keinerlei praktische Bedeutung haben und die dennoch, oder vielleicht eben deshalb, so schön sind. » Hier le ciel traînait au sol des sacs de brume bourrés de neige.

Le soir, les nuages étaient vides.

Alors, sur la neige, descendit le gel, son grand recueillement, son étreinte immobile...

Et dans l' ombre fut conçu l' enfant prodige: le MATIN.

E.P.

Lungerngiebel Foto Josef Brun ( Luzern )

m 4 ä.

Grenzgletscher-Monte Rosa Foto Kinette Hurni ( Lausanne ) Doch, als hätte er damit schon zuviel Persönliches gesagt, liess er das Gespräch wieder auf technische Fragen überspringen, so sehr scheute Georg Bilgen, dieser Einsame mit der Herzensgüte, vor irgendwelchen Bekenntnissen zurück. Und so fand ich erst beim Lesen einer alten Zeitschrift einige wegweisende Sätze zu seinem innersten Wesen. Anlässlich der Besteigung des Ankogels auf einer neuen Route schrieb er:

« Wohl war noch einmal von Umkehr die Rede, aber der Optimismus siegte. Oder ist 's die Leidenschaft, die uns die Gefahr vergessen oder doch in zu mildem Lichte erscheinen lässt, oder das bisherige Glück, das uns vertrauensselig macht? Ich weiss es nicht. Das aber weiss ich, dass auch die besonnensten Alpinisten sich in Situationen begeben, in denen sie ihr Leben nicht mehr im gewöhnlichen Sinne in der Hand haben. » In diesen Worten ist Bilgeri als Bergsteiger umschlossen. Was er niemals als Leiter und Verantwortlicher eines alpinen Skikurses hätte gelten lassen, das hatte er für sich selber als Triebkraft erkannt, die ihn das Aussergewöhnliche tun liess im Vertrauen auf eine Führung durch das Schicksal.

Bilgeri hatte die Absicht, seine Erinnerungen zu schreiben, doch er fühlte sich noch zu aktiv und zu jung dazu, und so verschob er diesen Rückblick auf sein reiches Leben stets wieder, bis der Tod ihm zuvorkam und uns eines Werkes beraubte, das uns wohl das Bild vom Denken und Tun des Menschen Bilgeri geschenkt hätte. Dennoch wäre es schade, wenn sein Andenken unter den Nachfahren vergessen würde und nur noch die Bezeichnung Bilgeri-Skistoffe am Leben bliebe.

Der Mann des Worts: Henry Hoek ( 1874-1951 ) Draussen hatte die Winternacht ihre knirschende Kälte über die frosterstarrte Erde gebreitet. Die Sternbilder standen in bedrängender Klarheit am Himmel. Sie liessen mich an Wanderer denken, die zu dieser Stunde noch nach einem Unterschlupf in der verschneiten Unendlichkeit suchten. Ihnen war der Winter in dieser Stunde gewiss fremd und heimatlos, ja ein Feind, vor dem sie sich retten mussten.

Drinnen in der Bar war nichts von dem zu spüren, was sich, nur durch eine dünne Wand getrennt, draussen abspielte. Lässig und sportlich angenehm ermüdet tanzten die Paare, zufrieden mit dem sonnigen Tag, den sie genossen hatten, und auf hohen Barstühlen plauderten und scherzten sonnbraune Menschen. Es ging recht lärmig zu, und der Rauch aus Pfeifen und Zigaretten machte die Luft stickig. Tagsüber war man im Geratter der Lifte fast pausenlos immer wieder an den Start der Abfahrtspisten geführt worden. Und hier in der Bar konnte das vergnügliche Leben bis in die späten Nachtstunden fortgesetzt werden.

In einer Ecke des Raums sass ein hagerer, hochgewachsener Mann mit einem wettergegerbten Gesicht, angelsächsischem Profil und leicht angegrauten Haaren: Henry Hoek, von allen Seiten begrüsst und befragt. Unermüdlich und mit einem weltgewohnten Lächeln gab er Auskunft und Ratschläge, versuchte auch dann und wann einige dieser jungen, trainierten Leute zu einer Wanderung abseits der Piste zu ermuntern, vielleicht auch - wenn ihm einer oder eine gerade besonders gefiel - sie aufzufordern, am nächsten Tag mit ihm zu kommen.

Auf seine Einladung setzte ich mich zu ihm.

« Nun », fragte er, « was haben Sie heute unternommen? Ich war am Pischahorn, hatte immerhin sechs Leute dazu gefunden, von denen nur die Hälfte fluchte, dass da keinerlei Seilbahn existierte... Was, am Flüela Weisshorn waren Sie? Ich hätte Sie für vorsichtiger gehalten, das ist eine Fahrt für den Frühling, nicht für den Hochwinter. Hauptsache, dass alles gut abgelaufen ist! » Die Alpen - 1955 - Les Alpes25 Er griff nach den in prächtigen Farben belegten Brötchen, die vor ihm auf dem Tisch standen, und sog am Strohhalm, der in eine ebenso farbenfreudige Flüssigkeit getaucht war. « Sehen Sie sich das an », sagte er dann und blickte rundum. « Eine prächtige Jugend, nur hat sie keine Ahnung mehr, was Skilaufen sein soll. Stellen Sie sich diese Leute bei hohem Schnee und Sturm etwa am Piz Kesch vor. Ich glaube, wir hätten grosse Mühe, sie heil zu Tal zu bringen. » Er lächelte etwas melancholisch und fügte hinzu: « Wir haben es weitgebracht auf dem langen Weg von den Pioniertagen bis heute, weit, aber nicht ganz dorthin, wo wir es wollten. Unsere Schüler sind uns entglitten, sie haben aus dem heiligen Tempel einen Jahrmarkt der Eitelkeiten gemacht, einen amüsanten Rummelplatz, den viele nur besuchen, weil es eben Mode ist. Können Sie sich die Zeit um die Jahrhundertwende vorstellen? Als man sich über uns lustig machte, uns fragte, ob die Bretter, die wir mitführten, zum Heizen des Hüttenherds bestimmt seien, und was dergleichen fade Witze waren. Damals gingen wir in das winterliche Schweigen der Hochberge so allein wie in die Ewigkeit. Alles war für uns Neuland und musste erobert werden. Ich war mit den ersten am Finsteraarhorn, Mönch, Dammastock, Wetterhorn, wobei wir die Ski als Mittel zum Zweck benutzten. Jetzt sind sie längst zum Selbstzweck geworden. Doch wie schön war dieser Kampf gegen den winterlichen Berg, gegen die Vorurteile der Mitmenschen und gegen die unzulängliche Skiausrüstung. Heute ist beinahe alles vollkommen, auf der Piste werden uns sogar die Schwünge vorgeschrieben - was für eine organisierte Langeweile! » « Es gibt Menschen, die das Ende des Sommers nicht erwarten können, weil der Skilauf ihr einziger Lebenszweck ist », warf ich ein.

« Ach », meinte er ironisch, « Skilaufen kann man das ganze Jahr, es braucht ja nur Schnee dazu. Aber die, von denen Sie da reden, sind gar keine Skiläufer - es sind Skifahrer, genauer gesagt: Skiabfahrer, denn sie kennen das beseligende Steigen und Ausschreiten gar nicht. » Hoek sah auf das immer dichter und lauter werdende Gewühl, dann wandte er sich wieder zu mir und sagte:

« Ich möchte die heutige Situation so umschreiben: Wenn Sie irgendeinen der hier versammelten Skimenschen fragen, wie er seinen Tag verbracht hat, dann wird er Ihnen nicht antworten: .Heute? Da lag ich zwei volle Stunden bei der Alp Duranna auf dem Rücken und blinzelte in die Sonne. Es war so schön und friedlich, dass ich erst weiterfuhr, als es schon zu dämmern begann, und so war es nicht zu vermeiden, dass ich im Halbdunkel einige Purzelbäume schlug. O ja, ich bin mit meinem Tag zufrieden! ' Nein, so wird unser Freund nicht sprechen, sondern: .Heute habe ich Parsenn gleich dreimal gemacht, das eine Mal unter zwanzig Minuten. Sie müssen doch zugeben, eine respektable Leistung, denn schliesslich bin ich ja kein Skilehrer und kann auch nicht das halbe Leben auf den Brettern zubringen. Leider. Das Steilstück über dem Wald habe ich mit zwei Schwüngen gemeistert, morgen versuch ich 's mit einem und übermorgen wag ich 's im Schuss. ' Und während so die körperliche Leistung auf die Spitze getrieben wird, löst sich die Bindung mit der Natur immer mehr, weil es ganz einfach unmöglich ist, dass Schnelligkeit und Stoppuhr zur Vertiefung eines seelischen Erlebnisses führen. Ich weiss, dass Sie mich nicht falsch verstehen: ich bin für einen sportgerechten Skilauf und nicht für Stümperei. Aber die grosse Seligkeit einer Abfahrt darf nie im Gedanken untergehen, man könnte diesmal mit einer .schlechten'Zeit, unten ankommen. Die Schönheit der winterlichen Berge soll nicht in Abfahrtsprobleme zerlegt werden, wir gewinnen ihren Segen nur, wenn wir dem zu lauschen wissen, was die grosse Stille uns zu sagen hat... » Er brach plötzlich ab und machte eine Geste, als ob er andeuten wollte, wie wenig einer doch den Lauf der Dinge zu ändern vermöge. Henry Hoek war ein geistreicher, gut formulierender Gesprächspartner, ironisch und illusionslos. Seine Augen konnten uns forschend, ja durchdringend ansehen, um mit einem Male durch uns hindurch in die Ferne der Welt und seiner Träume zu blicken, mit der er so innig verbunden war.

Nach einer Weile des Schweigens nahm er seinen Gedankengang wieder auf: « Es sind zwei Welten, die sich nicht berühren und nicht verstehen. Für mich ist der Skilauf kein Sport, sondern ein Lebensgefühl, ich kenne die Berge in ihrer Schönheit wie in ihrer Gefahr. Heute aber lockt man viele Unberufene in die winterlichen Berge, indem man ihnen weis-macht, dass es ungefährlich sei. Und tut dann sehr verwundert, wenn eine Lawine auf einer harmlos gepriesenen Tour ebenso harmlose Skifahrer verschüttet. Mir missfällt diese Verniedlichung der Berge aus tiefstem Herzen, besonders wenn sie aus wirtschaftlichen Gründen erfolgt. », An jenen Abend in Davos Schloss sich noch manches weitere Zusammentreffen mit Henry Hoek. Doch ebenso fruchtbar wie die persönlichen wurden mir die literarischen Begegnungen mit ihm. Denn Hoek war ein weltweiter, kritischer und schöpferischer Geist, zu vielseitig, um sich nur als Bergsteiger oder Skiläufer zu betätigen. Wir rinden ihn zur Pionierzeit auf grossen Fahrten im Automobil wie bei den ersten Fliegern, als Ballonfahrer wie auf Jagden im Hohen Norden. Und er war unersättlich darin, dem Leben in all seinen Erscheinungsformen nachzuspüren und das grosse Abenteuer zu bestehen, das jedem von uns hienieden dargeboten wird, wenn er es zu erkennen vermag. Hoek war ein Weltmann im wahren Sinne des Wortes, überall zu Hause, im Abendanzug wie in der elendesten Hütte oder im Biwak unter freiem Himmel.

Im Jahre 1920 bekam ich sein erstes Buch in die Hand, « Wege und Weggenossen ». Es wurde für mich damals zu einem Brevier, in dem ich viel weltanschauliche Wesensgleichheit fand. Und dass mich in dem schmalen Band heute nach über dreissig Jahren noch immer manches unmittelbar anrührt, beweist wohl, wie gut die Worte auf das Herz eines Wanderers gezielt sind. Doch Hoeks Aussagen verweilen nicht einseitig bei seinen Wandererlebnissen, er verwebt sie mit dem gesamthaften Leben, mit Heimat und Frau, Sesshaftigkeit und Fernendrang, und er sagt manches, das den geruhsamen Bürger in seiner Geborgenheit aufscheucht. Auch bei den Bergsteigern entstand einst einige Aufregung durch seine etwas lapidare Feststellung: « Alles Streben in die Ferne, alles Wandern in die Fremde ist unerlöste Sehnsucht nach dem Weibe. » Den erregten Auseinandersetzungen für und wider Hoek setzte Hans Morgenthaler in der « Alpina » mit einem wohlbegründeten Artikel ein Ende, in dem er für Hoek ( der selber nie in die Diskussion eingriff ) eintrat. Seitdem haben sich die Gemüter längst wieder beruhigt, und die Dinge sind im Lauf der Jahre an den Platz gestellt worden, an den sie gehören. Hoek aber hatte in « Wege und Weggenossen » zum ersten Male sein Weltanschauungs- und Wanderbekenntnis abgelegt, von seinen Reisen und Begegnungen in aller Welt erzählt, uns vom Matterhorn auf die Kordillere, von Norwegen nach Konstantinopel, aus seinem Garten hinauf ins Luftmeer geführt, durchwoben mit mancherlei zum Nachdenken zwingender Weisheit, welche ihn das Leben gelehrt hatte und die er nun ausstreute, damit sie bei Gleichgesinnten Wurzel schlage. Denn auch das wusste Hoek: dass man sich nur denen mitteilen und eröffnen kann, die unsere Freunde im Geistigen sind. Sein Grundsatz lautet, dass der Weg, die Wanderschaft an sich, erstre-benswerter und erlebnisvoller ist als das Ziel, das doch nie endgültig sein kann und stets eine Illusion bleiben muss.

Für die Bergsteiger im besonderen schreibt Hoek sodann das Buch seiner « Wanderungen und Wandlungen », worin die erkenntnishaften Sätze stehen: « Die Schönheit der Berge... Ein für allemal bleibt sie unerklärlich dem, der sie nicht selbst erlebt hat. Du kennst sie? So bist du begnadet. Und spotten kannst du des Mannes, der darüber redet oder schreibt. » Einige Jahre später setzt sich Henry Hoek von neuem mit dem Problem der Wanderschaft in den zwei Büchern « Wanderbriefe an eine Frau » und « Weg und Umweg einer Liebe » auseinander ( ein Werk, das unter dem Titel « Der Weg war mein Ziel » in einem Buch neu aufgelegt werden soll ). Er legt darin seinen Diesseitsglauben dar von der Einmaligkeit des uns beschiedenen Lebens. Und das Wissen um die stete Nähe des Todes begleitet ihn auf allen seinen Wegen, aber nicht als eine lähmende Bedrohung, nein, es weckt im Gegenteil das wahrhaft Schöpferische in ihm: « Man sollte sein Leben nicht allzusehr lieben, aber ihm die Treue halten. Das ist ein einfacher Grundsatz - und eine grosse Kunst, die erst durch viel Übung in langer Zeit erlernt werden kann. Und wenn wir sie gelernt haben, dann merken wir, dass unsere Jugend vorbei ist. » Diese zwei Bücher begründeten Hoeks Erfolg als Schriftsteller, und ihm folgten noch viele weitere ( « Mit Schuh und Ski », « Schussfahrt und Schwung » ); manche davon wandelten die Probleme ins Spielerische und Ironische ab ( wie etwa « Am Hüttenfeuer » ), andere waren Lehrbücher über den Skilauf oder Führer durch Gegenden, die ihm besonders ans Herz gewachsen waren wie « Parsenn », « Davos », « Ma bella Engiadina », « Zermatt ». In « Wetter, Wolken, Wind » philosophiert er über Wetterkunde, und in seinem Buch über Bolivien weist er sich als Forschungsreisender aus. In den Anden bestieg er denn auch im Alleingang als erster den Cerro Tacora, knapp über sechstausend Meter hoch, von dem er, sich selbst belächelnd, schrieb, dass er sehr traurig wäre, wenn es sich zu seinen Lebzeiten herausstellte, dass er doch nur 5990 Meter hoch gewesen wäre.

In allen seinen Büchern aber, wie immer sie auch heissen mögen, spricht Henry Hoek manchen Gedanken klar und eindringlich aus, der den Wanderer unmittelbar berührt und jenen ungestümen Drang zu erklären sucht, der ihn dazu zwingt, den innern Frieden nicht am eigenen Herd, sondern in der Weite des Heimatlosen zu suchen. Hoek hat seine Erkenntnisse als Schriftsteller ebenso unerschütterlich durchgefochten, wie er als Mensch gelebt hat: skeptisch und offenen Auges als ein hochgemuter Pessimist. Weltnahe und nicht weltfremd, Tatmensch und philosophischer Geist zugleich, war er ein Ritter und Aristokrat der Wanderung, einsam und doch allen Menschen gleichen Dranges verbunden.

Und dann kam das Alter, und damit wurde ihm die Wanderschaft zur Beschwer. Da wandte er sich ohne Groll dem Nahen zu, seinem Garten, den er betreute. Denn eines war bei ihm geblieben: die Leuchtkraft der Erinnerung an jene Fahrten, da er über sich selbst hinausgewachsen war. Und das Bewusstsein, dass er denen etwas Unverlierbares gegeben, die ihre eigenen Wege suchen, den echten Wanderern also, die es geben wird, solange die Erde sich dreht, und deren Reich der Einsamkeit trotz aller Lifte und Bergbahnen niemals untergehen wird.

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