Die Solvayhütte am Matterhorn
Von Karlrobert Schäfer
Mit 1 Bild ( 61Basel ) Einsam, am sturmumwitterten Nordostgrat des Matterhorns, in 4000 m Höhe steht die Solvayhütte. Ihr Bau wurde dem S.A.C. nach jahrelangen, bisweilen unerfreulichen Kämpfen durch eine hochherzige Spende des belgischen Industriellen Ernest Solvay ermöglicht.
Am 8. August 1942 ( vom Tage der Einweihung an gerechnet ) blickte das kleine, wettergebräunte Schutzhaus auf sein 25jähriges Bestehen zurück.
DIE SOLVAYHÜTTE AM MATTERHORN Die Öffentlichkeit, und namentlich die alpine Welt, hat von dieser Tatsache kaum Notiz genommen. Unsere heutige chaotische Zeit liebt keine beschaulichen Betrachtungen und Erinnerungen. Eigenartig, wie alles am Matterhorn, ist das Schicksal dieser kleinen Hütte, die, wie kaum ein anderer Schützling des S.A.C., den Namen « Sorgenkind » verdient. Vier C. C.s mussten einen teilweise zähen und verbissenen Kampf um die Baugenehmigung führen und wurden in Atem gehalten durch Schwierigkeiten und Misshelligkeiten, die nur zum kleinsten Teil ihren Widerhall in unseren Delegiertenversammlungen fanden und von denen sich der Aussenstehende und Uneingeweihte kaum einen Begriff machen kann. Wer sich die Mühe nimmt, die vorhandenen Solvayhüttenakten Seite für Seite aufmerksam durchzublättern, findet viel menschliche Schwächen und Unvollkommenheiten; daneben aber doch wieder so viel Erhebendes und Schönes, dass die Arbeit reich belohnt wird. Die vergilbten Schriftstücke erzählen von Standhaftigkeit, Beharrlichkeit und Pflichtbewusstsein, Mannesmut und Gesinnungstreue, dass schon von diesem Gesichtspunkt aus betrachtet ein Rückblick auf die Vergangenheit unseres Horstes oben am Matterhorn gerechtfertigt erscheint, ja dazu verpflichtet, jener Männer uns zu erinnern, die für die Verwirklichung des kleinen Baues jahrelange Kämpfe führten, der kleinen tapferen Schar von Arbeitern zu gedenken, die dieses Refuge an einem unserer herrlichsten Berge in den Alpen schufen.
Es soll hier nicht der Versuch unternommen werden, den Staub von alten, verblichenen Aktenfaszikeln zu blasen und unerfreuliche Kämpfe zu schildern. Die Wogen jener stürmischen Auseinandersetzungen haben sich ja längst geglättet, denn auch die damaligen Gegner des Projektes sind inzwischen durch die Tatsachen belehrt worden, dass die so ausserordentlich gefürchteten und mit Recht berüchtigten Witterungsumschläge am Matterhorn diesen Unterschlupf notwendig machten. Mit all denen, die dem Hüttlein irgendwie verpflichtet si nd: in frohen Bergstunden oder in tiefer Bergnot, werden auch sie sich freuen dass die Kämpfe der C. Mannen und ihrer C. C.s siegreich endeten und uns jenes Asyl geschenkt haben, das wir vielleicht gerade um dieser Kämpfe willen doppelt lieben; legt es doch Zeugnis ab von der Treue zum S.A.C., beweist es doch, wie mit Mut, Klugheit und einem unerschütterlichen Glauben an das Wahre und Rechte sich auch die grössten Hindernisse überwinden lassen.
Die Solvayhütte ist die Nachfolgerin jener ersten Matterhornhütte auf der Schweizer Seite des Berges, die im Jahre 1868 auf die Initiative des Vaters Seiler in Zermatt mit Unterstützung der Sektion Monte Rosa des S.A.C. in einer Höhe von 3810 m erbaut wurde. Witterungseinflüsse und das Gebaren gewisser Hochgebirgsvandalen, die ja leider auch heute noch in den Asylen unserer Berge ihr Unwesen treiben, trugen Schuld an dem Verfall dieser Hütte, die vom Jahre 1880 ab kaum noch betreten werden konnte. Die im oberen Tei: des Matterhorns zwischen der Schulter und der alten Hütte sich immer wieder ereignenden Unfälle ( Borckhardt 1886, Göhrs 1890, Güdel 1909, um nur einige zu nennen ) liessen es ratsam erscheinen, an der Stelle der alten, verfallenen Hütte oder in deren unmittelbarer Nähe ein neues Schutzhaus zu errichten.
Bereits um die Jahrhundertwende, mit den Verhandlungen um die Vergrösserung der im Jahre 1880 am Fusse des Berges erbauten Hörnlihütte, setzen die Kämpfe für ein oberes Asyl ein. Jahrelang ziehen sich die Verhandlungen um die Baugenehmigung mit den verantwortlichen Instanzen von Zermatt hin; diese erklären, dass seit dem Bestehen der Hörnlihütte und dem von der Gemeinde beabsichtigten Bau eines mehrstöckigen Hotels daneben die Erstellung einer oberen Schutzhütte überflüssig sei!
Jeder C. Geschäftsbericht, jede Delegiertenversammlung muss sich mit der Angelegenheit befassen. Die Notschreie und Hilferufe der in den Wänden des Horns in Bergnot geratenen oder verunglückten Partien mehren sich und mahnen zum Aufhorchen. Die alpinen Blätter der Welt beschäftigen sich mit der Angelegenheit; die Mehrzahl der Artikelschreiber aber hatte jedoch keine Ahnung, mit welch seltener Beharrlichkeit und Hartnäckigkeit die C. C. Mannen den geplanten Hüttenbau zu verwirklichen suchten.
Im Frühjahr 1904 ersteht dem S.A.C. in der Person des Obersten Theodor von Wundt, der seit Jahren durch Vorträge, Artikel und herrliche Aufnahmen die Schönheit, Gewalt und Dämonie des Berges rühmt, ein willkommener Streiter. Er verbindet sich mit einigen Freunden: dem Nationalrat Dr. Alexander Seiler in Zermatt, dem Verlagsbuchhändler Schwartz, dem Bankier Pühn in München und dem Landgerichtsrat Dr. Hummel in Mannheim. Da ein Aufruf an die Öffentlichkeit nicht den gewünschten Erfolg bringt, wendet er sich mit den Genannten in einem Schreiben an den Brüsseler Industriellen und Philanthropen Ernest Solvay, dessen Liebe zum Hochgebirge, insbesondere den Zermatter Bergen, sie kannten und dem sie des öfteren auf ihren Bergfahrten begegnet waren. In der Hoffnung, dass er sich in irgendeiner Form für den Hüttenbau einsetzen werde, schildern sie ihm die unendlichen Schwierigkeiten, die dem Projekt der Erstellung einer oberen Matterhornhütte entgegenstehen, und tragen ihm an, seinen Namen mit der Hütte zu verbinden. Die Antwort, die den Initianten umgehend durch Solvays langjährigen Sekretär und Bergkameraden Professor Lefebure zugeht, verdient es, wenigstens in ihren markantesten Stellen hier festgehalten zu werden: «... Ihr kollektiver Appell mit dem Ziel, am Matterhorn eine neue Hütte zu erstellen, ist Herrn Solvay sehr sympathisch; um so mehr, da er sich bereits mit dem Gedanken befasste, eine alpine Unterkunftsstätte zu gründen aus Dank für die Freuden, welche ihm das Hochgebirge geschenkt hat. Ihr Plan kommt also gerade im rechten Augenblick. Herr Solvay ist geneigt, Ihnen vorläufig Fr. 15 000 zur Verfügung zu stellen, die er gern auf Fr. 20 000 erhöhen wird, falls die Summe zur Durchführung des Bauprojektes nicht genügen sollte. Was die Benennung der Hütte mit seinem Namen betrifft, so ist er der Auffassung, dass die Tat, eine gewisse Summe für ein den Bergsteigern allerdings nützliches Unternehmen zu geben, nicht genügt, um der Bergsteigernachwelt seinen Namen zu hinterlassen. Das Geldgeschenk ist an und für sich nur der Beweis des Alpinisten, seine Dankbarkeit dem Alpinismus gegenüber zu zeigen, welcher ihm bis heute die Möglichkeit gab, in bester geistiger und körperlicher Verfassung DIE SOLVAYHÜTTE AM MATTERHORN zu bleiben, zwei für das tägliche Leben unentbehrliche Sachen. » — Diese Antwort ist bezeichnend für den Mann, für seine ganze Persönlichkeit.
Ernest Solvay, der Erfinder des industriellen Verfahrens zur Sodagewinnung ( eine Erfindung, die ihm Weltruf eingetragen hat ), ist auch im Schweizerland kein Unbekannter. In Zurzach befinden sich die Werke, die nach seiner Methode Soda herstellen. Sein in rastloser Arbeit gewonnenes Vermögen machte er in grosszügiger Weise durch wissenschaftliche und soziale Stiftungen seinen Mitmenschen dienstbar. In der Schweiz z.B. erinnert eine von ihm reich beschenkte Tuberkulosestation des Kantons Waadt an seine Menschenfreundlichkeit.
Unvergessen auch bleiben dem belgischen Volke die Wohltaten, die er ihm während des letzten Weltkrieges erwies! Einer der ersten, der die längere Dauer dieses Völkermordens voraussah, fürchtete er für das kleine Land eine Hungersnot. Innerha.b weniger Tage gründete er das Nationalkomitee für Unterstützung und Ernährung und dotierte dasselbe für den Anfang mit einer Million Franken. Seine von grossem sozialen Verständnis zeugenden Ideen finden sich heute zum Teil in dem viel diskutierten Beveridgeplan wieder. Es würde den diesem Artikel zur Verfügung stehenden Raum weit überschreiten, wollte man Solvays Persönlichkeit einer verdienten Würdigung unterziehen. Den Alpinisten dürfte hier noch interessieren, dass Ernest Solvay mit 57Jahren seine erste und als 81jähriger, drei Jahre vor seinem Tode ( I 26. Mai 1922 ) seine letzte Bergfahrt unternahm. Oft ist er zum Matterhorn hinaufgestiegen, geriet dort selbst einmal in schwere Bergnot und war ein andermal am Teleskop des Hotels Riffelalp Zeuge, wie eine vom Gipfel absteigende Partie in einem furchtbaren Schneesturm um ihr Leben kämpfte. Diese Erlebnisse haben wohl auch mit dazu beigetragen, sein Herz und seine Hände für den Bau der Hütte zu öffnen.
Wer sich nach seiner Antwort auf den Brief der Initianten im Juli 1904 der Hoffnung hingab, dass die Angelegenheit der oberen Matterhornhütte einer schnellen Erledigung entgegentreiben würde, sollte sich in der Folge bitter getäuscht sehen.
Es war ein jahrelanger, zäher Kampf notwendig, bis das C. C. St. Gallen im Endspurt um die Solvayhütte den Sieg davontragen konnte, den ihm die C. C.s Weissenstein ( Solottiurn ), Rätia ( Chur ) und Moléson ( Fribourg ) mit unermüdlicher Tatkraft und Energie vorbereitet hatten. Zweimal musste an die Pforten des hohen Walliser Staatsrates geklopft werden, der unter der Bedingung, dass die zu erstellende Hütte den Bergsteigern nur in Not-und Unglücksfällen als Zufluchtsort dienen dürfe 1, am 21. Februar 1912 die Expropriation des Baugrundes verfügte und damit den Bau der Hütte sicherte, deren Konstruktion und Bauleitung dem Sittener Architekten Alphonse de Kalbermatten übertragen wurde. Die äusserst ungünstigen Wetterverhältnisse der Sommer 1912 und 1913 und der im Hochsommer 1914 ausgebrochene Weltkrieg verhinderten indessen die Inangriffnahme des Baues. Erst im Juli 1915 war es dem unermüdlichen Alphonse de Kalbermatten möglich, in Saas-Fee die für den Bau notwendige Arbeiterschar zusammenzustellen: Oskar 1 Zuwiderhandlungen werden heute mit Fr. 10 gebüsst.
Supersaxo als Bauführer, Gustav Imseng als Arbeiterchef, Roman Anthamatten ( der Nestor der kleinen Schar ), Cyrill Supersaxo, Hieronymus und Alois Lohmatter, Emanuel Burgener, Iten und endlich der getreue Bumann, der Postillon der Equipe und Führer der braven Muli, die täglich zwischen Zermatt und dem Hörnli hin- und herpendeln, um Material, Lebensmittel und Post zu bringen.
Selbstverständlich konnte der Materialtransport zur Baustelle in 4000 m Höhe nur um den Preis ungeheurer Schwierigkeiten und Strapazen ( die sowohl von den Verhältnissen am Berg wie den Launen der Witterung herrührten ) durchgeführt werden. Von Visp aus, wo das Bauholz zugeschnitten und gerichtet wurde, waren bis zum Standort der Hütte 3340 m Höhendifferenz zu überwinden. Davon entfielen 960 m auf das Bähnli, das damals noch mit der alten, heimeligen Dampflokiromantik das Nikolaital hinauf-prustete und welches den Transport des gesamten Baumaterials kostenlos bis Zermatt durchführte. Hier von den Muli übernommen, landete es nach 1273 m Steigung bei der Hörnlihütte ( 2893 m ) und gelangte auf den Rücken der Arbeiter etwa 60 m höher ( 2950 m ) zum ersten Ablageplatz in den Felsen des Matterhorns. Eine Seilwinde, welche einen kleinen Transportwagen in Bewegung setzte, bewältigte die restlichen 1050 m zum Bauplatz. Supersaxo, der ursprünglich die Absicht hatte, den Transport mittels Seilen und den kräftigen Armen der Arbeiter durchführen zu lassen, sah ein, dass hierfür der Bergsommer zu kurz gewesen wäre. Er setzte sich mit Rudolf Maag, damals Depotchef der Gornergratbahn in Verbindung wegen der Beschaffung eines geeigneten, leicht transportablen Seilaufzuges. Maag fand bei seinen Vettern, die in Zürich eine Maschinenfabrik besitzen, tatkräftige Unterstützung. In kurzer Zeit wurde die ganze Konstruktion besprochen, entworfen und in Form einer Seilbahn ausgeführt. An einem Standseil hing in vier Laufrollen eine Transportschiene, an deren Schlaufen das Baumaterial befestigt und mit einer Seilwinde hochgezogen werden konnte. Als Standseil diente ein 6 mm starkes, etwa 300 m langes Drahtseil, dessen oberes Ende mit einem Haken im Felsen verankert und dessen unteres Ende ( da die Transportsektionen verschiedene Länge aufwiesen ) mit einer Hakenklemme befestigt und einem Spannschloss straff gespannt wurde. Durch eine Handbremse war die Ablaufgeschwindigkeit der Seilwinde und des Wagens zu regulieren. Bei jedem Transport konnten 200-250 kg angehängt, von einem Mann in 50 Minuten hochgewunden und der leere Wagen innerhalb fünf Minuten der Ausgangsstelle zur neuerlichen Belastung wieder zugeführt werden. Die Transportstrecke von der ersten Ablage in den Felsen bis zur Baustelle wurde in sieben Etappen eingeteilt, von denen jede im Durchschnitt 140-200 m von der anderen entfernt lag und bisweilen eine Neigung von 43° aufwies.
Oskar Supersaxo hat während der Baudauer ein kleines Tagebuch geführt, das uns in anschaulicher Weise ein Bild vom Leben und Treiben der kleinen Arbeitskameradschaft gibt. Mit Erstaunen stellt man die für diese Höhe ausserordentlich lange Arbeitszeit ( oft 10-12 Stunden täglich ) fest. Es strömt aus den schlichten, mit Bleistift hingeworfenen Zeilen viel Freude am Werk. Mit Hochachtung vor den Männern durchblättert man das kleine Baujournal. Während sich auf den blutgetränken Schlachtfeldern Europas DIE SOLVAYHÜTTE AM MATTERHORN Hunderttausende von Menschen gegenüberstehen, bekämpfen und töten, kämpft in den Felsen des Matterhorns gegen alle Wetterlaunen eine kleine, tapfere Schar von Männern für ein Werk, das berufen sein sollte, Menschen zu helfen und zu retten. Wie blüht die Freude auf in den Herzen dieser Männer an den Tagen, da ihr Blick dort oben die ganze Schönheit der Heimat streift, die inmitten des Weltenbrandes unversehrt von Krieg und Not vor ihren Augen liegt. An solchen Tagen werden die Einträge in dem Büchlein Supersaxos fast zum Gedicht: « Herrliches Schweizerland — Walliser Land — Grenzmark des Vaterlandes — Du Bergwall mit deinen Höhen und silberglänzenden Gipfeln — Schutzwall der Eidgenossenschaft! » Nachdem vom 5.7. Juli der Weg von Schwarzsee zur Hörnlihütte geöffnet worden war, setzte am B. Juli der Transport des Baumaterials zum ersten Relais ein. Wer die Verhältnisse am Matterhorn kennt, kann sich einen Begriff machen, mit welchem Kraftaufwa id die Männer in allen Witterungsverhältnissen ihre schwere und verantwortungsvolle Arbeit durchführten. Die Gefahr lauerte immer am Rande des Abgrundes. Eine Ungeschicklichkeit, ein Fehltritt, und der sichere Tod wäre die Folge gewesen. Nichts blieb ihnen erspart. Bei schneidender Kälte mussten sie stundenlang Stufen schlagen und den Materialtransport durchführen. Alle Mächte der Hölle schienen sich bisweilen in furchtbaren Unwettern iuszutoben. Oft finden wir nach schweren Arbeitstagen den Eintrag: « Mild — müd — müd, aber alle froh. » — Mit der zunehmenden Höhe wird die Luft dünner und die Arbeitskräfte nehmen ab. ...«be-sonders bei den Verheirateten... », wie Supersaxo launig vermerkt; aber unentwegt, mit der diesen Berglern eigenen Hartnäckigkeit, Zähigkeit und Fröhlichkeit geht es weiter, ob es regnet, stürmt, schneit und wettert, ob die Sonne scheint oder ob dicke Nebel um die Bergflanken ziehen.
Bis zum 31. Juli vollzog sich der Transport ohne jede Störung. An diesem Tag aber läuft der kleine Transportwagen einmal unabgebremst zu Tal und reisst aus dem Zahnrad der Winde sieben Zähne. Da kein Ersatzstück in nützlicher Frist beschafft werden kann, eilen Imseng und Cyrill Supersaxo nach Zermatt, wo Maag selbst, da keine geeigneten Werkzeug-maschinen zur Verfügung standen, ein Teilstück hart einlötet und in vierzehnstündiger Arbeit die Zähne herausfeilt. Fünf Stunden später befindet sich das reparierte Rad bereits wieder am Horn, und die Arbeit nimmt ihren Fortgang.
Am B. Juli hatte der Transport begonnen; am 21. August ( für die vorliegenden Verhältnisse in Anbetracht der zu leistenden Arbeit ein Zeit-minimum ), war das gesamte Baumaterial am Standort der Hütte. Mittags um 2 Uhr schwebt der kle ne Aufzug mit Material beladen und der Schweizer Flagge geschmückt zum etztenmal in die Höhe. Im Baujournal der Vermerk: « Schön weht unsere Fahne. Arbeiter alle kaput, aber froh, dass kein Unglück passiert ist. » — Ein solches wäre im letzten Moment fast noch eingetreten. Bei einem der Aufzüge lösen sich vier Bretter und gleiten ein Couloir hinunter. Bis dahin war nicht das geringste Material verloren gegangen. Imseng und Lohmatter seilen sich an und steigen ab, werden im Couloir von schwerem Steinschlag überrascht und können sich gerade noch unter einen kaum 60 cm breiten Felsvorsprung retten, keinen Augenblick sicher, nicht mit in die Tiefe gerissen zu werden. Bange Minuten — endlich Stille. Wortlos steigen sie aus der gefährlichen Rinne nach oben — ohne Bretter.
In den folgenden Tagen werden am Bauplatz Maurer- und Sprengarbeiten durchgeführt und die Aufzugswinde mit der Transportschiene über Eis und Schnee auf felsigen, ausgesetzten und gewundenen Wegen zur Hörnlihütte hinuntergeschaf ft. 8000 kg Baumaterial hat diese sinnreiche Vorrichtung in die Höhe befördert; nicht nur die Transportarbeiten ungemein beschleunigt und erleichtert, sondern auch wesentlich zur Verbilligung des Hüttenbaues beigetragen, der mit rund Fr. 16 500 unter dem Kostenvoranschlag blieb und damit — als weisser Rabe — in die Hüttenbauchronik des S.A.C. eingehen konnte.
Am 27. August beginnt das Aufrichten der Hütte, und am 31. konnte A. de Kalbermatten dem C. C. in St. Gallen die Fertigstellung des Refuge Solvay melden. Mit 5 m Länge, 3,5 m Breite und ca. 4,5 m Höhe bietet es 12-15 Personen sicheren Unterschlupf. Wetterfest und stolz stand es dort oben am letzten Gendarm des Nordostgrates. Was übrig blieb, waren Zim-merer- und Schreinerarbeiten innerhalb der Hütte. Mitte September kehrte die Bauequipe ins heimatliche Saastal zurück. Dankbar wird sich der Alpinist erinnern, dass ihm ihre Berglerkraft und Schaffensfreude in 4000 m Höhe ein Schutzhaus erstellte, von dem C. C. Vizepräsident Hartmann, St. Gallen, mit Recht in seinem Abgesang sagen konnte: « Trutzig, am schwindligen Grate, steht es dort als höchster Wachtposten des Schweizerlandes, des S.A.C., über die eisgekrönten Häupter weit in die Lande hinausschauend. Bereit, den Mutlosen aufzurichten, den vom Unwetter Überraschten zu schützen und den Verunfallten zu retten. » ( « Alpina », Dezember 1916. ) Eine sofortige Einweihung war nicht möglich, da der Schnee in diesem und auch im nächsten Jahre schon frühzeitig das Horn blockierte. Erst am B. August 1917 konnte die offizielle Weihe vorgenommen werden. Ernest Solvay war leider durch Paßschwierigkeiten verhindert, an der schlichten Feier teilzunehmen; die Hütte, deren Bau er in so hochherziger Weise gefördert, hat er nie gesehen. Der S.A.C. hielt es für seine Pflicht, dem kleinen Schutzhaus Solvays Namen zu geben.
Am 10. August 1937 wurde von einer Delegation des belgischen Alpenclubs zu Ehren Solvays in der Hütte eine Gedenktafel angebracht.
Am B. August 1942 hatte das kleine Refuge 25 Jahre « Hochgebirgs-dienst » geleistet.
Man darf wohl sagen, dass die Hütte, die so viel Mühe und Kämpfe erforderte, wirklich ihren Zweck erfüllt hat. Wenn die von Regen und Sonnenschein, Sturm und grimmiger Kälte gebräunten Balken des kleinen Asyls reden könnten, sie würden von manchem Bergsteiger berichten, der sich Schutz suchend vor dem Toben der entfesselten Elemente über die Schwelle dieses Unterschlupfes flüchten konnte; reden würden sie von den Augenblicken, wo die vor Kälte klammen Hände mit wunden Fingerbeeren nach stundenlangem Klettern und Kämpfen in den vereisten Felsen das Holz der kleinen Hütte wie eine warme, gütige Menschenhand umfassten, wo die müden Glieder sich zur Ruhe niederlegen konnten, Kraft sammelnd für den Abstieg ins Tal, DIE SOLVAYHÜTTE AM MATTERHORN der im wahren Sinne des Wortes oft Rückkehr ins Leben bedeutete, mit dem man im rasenden Unwetter oft schon abgeschlossen hatte.
Reden würde die Hütte auch von jenen Glückseligen, denen es vergönnt war, an einem leuchtenden Sommertag auf ihrem Weg zum Gipfel dort oben hineinzuschauen in die « Gute Stube » des Schweizerlandes, ins gesegnete Wallis mit seinen schnee- und eisgekrönten Gipfeln.
Die Nützlichkeit und Notwendigkeit des Asyls erwies sich auch für die Eroberer der Süd-, Nord- und der Ostwand des Hornes, und restlos wurde dies auch immer in ihrer Fahrtberichten anerkannt.
Denken wir an die Sieger der Südwand: Benedetti-Bich-Louis CarrelAm Abend des 15. Oktober 1931 nach schwerem Kampf in der Wand stehen sie in einem letzten Rest von kaltem Licht auf dem italienischen Gipfel, von wo man sie zum Schweizer Signal wandern und in einem schweren Sturm mühsam am Nordostgrat absteigen sieht. Wo bleibt die gesegnete HütteDa unten! Nein! EinbildungMan sieht ein schwarzes Loch, eine unergründliche Tiefe, deren Dunkel kein Auge durchdringt. Absteigen, absteigen, absteigen. Die ermüdete: l Sinne sehen bereits phosphoreszierende Streifen. Wo bleibt die HütteEndlich! Nach stundenlangem Klettern erfassen die Hände etwas Hartes — und dieses « Etwas » ist kein Fels, kein Eis, kein Schnee, ist... HolzDas Holz der Hütte, in deren Wänden sie dann sicher und geborgen um den kleinen Tisch im Scheine einer Kerze sitzen. Draussen heult der Sturm. Ruhe und Frieden liegen auf den Gesichtern der müden Männer, dank dieser kleinen, schützenden Hütte!
Und die prächtigen Gebrüder Schmidt? Am 31. Juli/l. August 1932 durchstiegen sie, nachdem sie auf einem kleinen Felsvorsprung biwakiert, in einem unerhörten Ansturm die Nordwand und erreichten den Gipfel beim italienischen Kreuz während eines Hochgewitters von seltener Heftigkeit. Im Toben des Unwetters kämpfen sie sich zur Solvayhütte durch. Dort schlafen sie tief bis zum folgenden Mittag. Weiter wütet der Sturm, eine ganze Nacht, einen ganzen Tag. Die durchnässten und eisbedeckten Kleider trocknen aufrechtstehend wie Rüstungen in einer Ecke des Raumes. Was tut 's. Die Sieger sind geborgen. Sie segnen die kleine Hütte, die sie schützt und ihre Spannkraft aufrecht erhält, die zur Vollendung ihres Sieges notwendig ist. Am Morgen des 3. August befreit sie die Sonne, die Welt ist wieder schön. Hinab ins Tal! Um 2 Uhr empfängt sie das Hörnli, am Abend Zermatt.
Und die Sieger der Ostwand? Benedetti-Mazzotti-zwei Carrels-Bich und Gaspard? Nach einem Biwak in der Wand gelangen sie am frühen Morgen des 18. September 1932 im leuchtenden Sonnenschein, aber von einem starken Sturm empfangen auf den Gipfel. Auf der Hörnliroute steigen sie ab. Die Solvayhütte beherbergt sie und schenkt ihnen Stunden der Ruhe. Dann geht es hinunter und heimwärts über das Breuiljoch, das Herz voll Glück und Bergfreude ob der gelungenen Fahrt.
Bergsteiger! Wenn du vom Gipfel des Hornes niedersteigst und in der kleinen Hütte verweilst, dann gedenke dankbar des Stifters, gedenke dankbar der Männer, die jahrelang für dieses Asyl des Hochgebirges kämpften, gedenke dankbar der Arbeiter, die es schufen, und neige dich tief vor den Männern der
Eiskristalle
Korngrenzen an der Luft geätzt. Foto in Durchsicht 1. Firnkörner Dünne Eisschicht auf Glasplatte, Lagerungstemperatur — 4° C Man beachte die Kornvergröberung, z.B. bei X 3. Kurz nach dem Gefrieren4. Einige Stunden später
Unter Zugbeanspruchung deformierte Eisplatte
Siehe Diagramm Fig. 5. Aufnahme im durchscheinenden polarisierten Licht N 5. Korngrenzen scharf 6. Korngrenzen z.T. gezackt Auftretende Striemungen ( Translationsstreifung ) 7. Eiskörner stark deformiert, vereinzelt Neubildungen; Zwillingsbildungen, starke Einschnürung am Rande Art. Institut Orell Füssli A. G. Zürich 62 - Fotos R. U. Winterhalter, Zürich Die Alpen - 1944 - Les Alpes
Eiskristalluntersuchung im Gletscher
9. Profilgrabung im Jungfraufirn s 8. Blick ins Eislabor Jungfraujoch E = Eislamellen S = Schmutzschicht Fotoapparat Zugeinrichtung Fester Pol Polaroide Eisplatte Beweglicher Pol Messuhr Gewichte 10. Zugapparat. Vorrichtung zum Untersuchen des Verformungsvorganges an Eisplatten. Beobachtung im durchscheinenden polarisierten Licht Art. Institut Orell Füssli A. G. Zürich 63 - Fotos E. U. Winterhalter, Zürich Die Alpen - 1944 - Les.
Tat. Und wenn du gesund und heil zurückkehrst über die Wiesen von Schwarzsee und Staffelalp durch duftende Kräuter und Alpenrosen und im letzten Leuchten dir der Gipfel des Horns entgegenwinkt, dann neige dich tief vor der Schönheit des Hochgebirges mit deinem Herzen voll Erinnern an die Stunden an diesem stolzen Berg!
Und du, Freund und Wanderer in Zermatts schönem Talgrund, wenn dir ein im kleinen Hüttenfenster aufleuchtender Sonnenstrahl den Standort des Schutzhauses zeigt, das sich mit seinem Dach an die Felsen schmiegt, dann gedenke auch du all jener, die mithalfen, eine schöne, grosse Idee zu verwirklichen.
Siebenundzwanzig Jahre schon horstet die kleine Hütte dort oben. Dem Chaos der Elemente hat sie Trotz geboten und standgehalten. Möge sie es weiter tun. Möge sie in einer chaotischen, von Lieblosigkeit und Grausamkeit zerrissenen Welt uns erinnern an wahres und gütiges Menschentum. Mögen in baldigen Friedenstagen die Bergler der Welt wieder ihre Schwelle überschreiten und in ihrem gastlichen Räume Einkehr halten.