Die Sherpas vom Zwinglipass
Unterstütze den SAC Jetzt spenden

Die Sherpas vom Zwinglipass Seit 1971 gibt es die traditionelle «Hötteträgete»

Einmal im Jahr tragen die Mitglieder der Sektion Toggenburg mehrere Tonnen Material in die Zwinglipasshütte. Der Anlass hat Tradition und dient dem Zusammenhalt. Mit der Diskussion über den CO2-Ausstoss hat die «Hötteträgete» aber auch eine ganz aktuelle Berechtigung.

Es ist einmal mehr aufgegangen mit dem Wetter. Am Vortag regnete es ab dem Mittag immer wieder, gegen Abend zog ein Gewitter über den Alpstein. Jetzt aber ist der Himmel klar, die letzten Sterne und ein schmaler Mond sind sichtbar. «Seit elf Jahren bin ich Hüttenchef. In dieser Zeit habe ich nur eine ‹Hötteträgete› verpasst, und dann hat es geregnet», wird Hans Egli am Mittag augenzwinkernd zur grossen Schar von Helferinnen und Helfern sagen, nachdem diese rund neun Tonnen Material in die Hütte getragen haben: 14 Ster Brennholz, 500 Liter Bier, 300 Liter Panaché, Wein, Schnaps, Teigwaren, Reis, Käse und vieles mehr, was während der Sommersaison auf der Hütte benötigt wird.

Jetzt aber ist der Tag noch gar nicht richtig angebrochen, und Hüttenchef Hans Egli steigt bereits in flottem Tempo von der Zwinglipasshütte ab. Dort haben er und rund 30 weitere Helferinnen und Helfer übernachtet, nachdem sie alles für die bevorstehende «Hötteträgete» vorbereitet hatten. Er will der Helferschar, die in aller Frühe in Wildhaus eintrifft, entgegengehen. So viele wie noch nie werden es sein: 151 Helferinnen und Helfer werden insgesamt an diesem Samstag gezählt. Die ersten sind bereits um 5.30 Uhr da. Hans Egli begrüsst alle persönlich.

Ein Anlass mit langer Tradition

Die «Hötteträgete» ist fast so alt wie die Zwinglipasshütte selbst. Diese wurde 1970 eingeweiht, ein Jahr später begann die Tradition, weil die Seilbahn rückgebaut werden musste. «Nach dem Abschluss des Hüttenbaus musste die Versorgung neu organisiert werden», heisst es in der Festschrift 150 Jahre SAC-Sektion Toggenburg aus dem Jahr 2020. Zwischen der Teselalp, die mit einer Alpstrasse erschlossen ist, und der Chreialp gibt es eine kleine Materialseilbahn. Ab der Chreialp kommen dann die Trägerinnen und Träger zum Einsatz. Die Helferaktion findet immer am letzten Samstag im Juni statt, nur in den beiden vergangenen Pandemiejahren ist sie ausgefallen. Unten bei der Materialseilbahn auf der Teselalp ist unter anderen Sandro Jenni dafür verantwortlich, die Getränke und die Esswaren auf die Holzkiste der Mate

Unten bei der Materialseilbahn auf der Teselalp ist unter anderen Sandro Jenni dafür verantwortlich, die Getränke und die Esswaren auf die Holzkiste der Materialseilbahn zu verladen. «Ich habe schon während des Baus der Hütte beim Materialtransport geholfen», sagt er. Einmal hätten sie Sand geladen, der sei aber so trocken gewesen, dass es während der Fahrt eine riesige Staubwolke gegeben habe. «Nur die Hälfte des Sands ist oben angekommen», erzählt Sandro Jenni. Vielleicht ist dies mit ein Grund für den reibungslosen Ablauf jedes Jahr: An allen wichtigen Posten auf dem Weg zur Hütte stehen seit Jahren die gleichen Leute im Einsatz. Sie wissen genau, wie es läuft.

Alles läuft wie von selbst

Auch die Trägerinnen und Träger sind sehr treu, sie nehmen seit vielen Jahren immer wieder teil. Etwa zum zehnten Mal dabei ist Vali Burri. Er sitzt im ersten Bus, der die Gruppe von Wildhaus auf die Teselalp bringt: «Es ist ein schöner Anlass, weil ich da viele Bekannte einmal im Jahr wiedersehe», sagt er. Ab der Teselalp geht es für die Trägerinnen und Träger zu Fuss auf die Chreialp. Und dort läuft alles wie von selbst: Die Leute öffnen ihre Rucksäcke und stopfen rein, was Platz hat. Auch Familien sind gekommen. Gerade füllt ein kleines Mädchen seinen rosaroten Rucksack mit grossen Dosen Schlagrahm.

Die kräftigsten Männer nehmen statt Rucksäcke ein Räf, eine Rückentrage aus Holz. Spätestens jetzt wird klar, warum man die Träger auch die «Sherpas vom Zwinglipass» nennt. Ganze Säcke voll Holz, Kisten und Pakete binden sie auf. Nicht selten thront obendrauf noch ein Multipack Toilettenpapier. «Ein Sack Hartholz wiegt bis zu 25 Kilogramm», sagt Pius. Er hat schon als Elfjähriger mitgemacht, seither kommt er immer wieder. «Nur in der Pubertät habe ich für ein paar Jahre gefehlt», sagt er lachend und stapft nach einer kurzen Verschnaufpause weiter.

Mehrere Stunden gehen die Frauen und Männer, junge und ältere, hoch und runter wie die Ameisen. Manche steigen die knapp 200 Höhenmeter bis zu zehnmal auf. Abwärts scheint es, als würden sie rennen. Und trotz dem Einsatz, der jede und jeden viel Kraft kostet, leidet die Stimmung den ganzen Tag nie: Hier ein Scherz, da ein freundliches Hallo. Und als alles oben ist, tauschen sich die Leute auf der Hüttenterrasse zufrieden aus.

Der Umweltgedanke zählt

Trotz der schönen Tradition gab es auch schon Misstöne in der Sektion: Soll man die «Hötteträgete» noch durchführen, wenn es den Helikopter trotzdem braucht? Denn seit man im Jahr 2013 in der Hütte Halbpension anbiete, brauche es zum Saisonauftakt ohnehin einen Helikoptertransport, sagt Hans Egli. Und wenn die Saison gut laufe, sei im September noch einmal Nachschub aus der Luft nötig.

Anlass zur Skepsis gibt es im Grunde nicht. Selbst mit der Berücksichtigung der Autokilometer, die die Helfenden für die Reise nach Wildhaus zurücklegten, sei die CO2-Bilanz rund ein Drittel besser als bei Hütten, die mit dem Helikopter versorgt würden. Man werde sich bemühen, den ökologischen Fussabdruck beim Betrieb der Hütte weiter zu senken, verspricht Hüttenchef Hans Egli, dem der Umweltgedanke am Herzen liegt. «Das sind wir, ganz besonders als SAC-Mitglieder, unserer Umwelt schuldig.»

Feedback