Die Nordwand des Mittaghorns. Erste Durchsteigung
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Die Nordwand des Mittaghorns. Erste Durchsteigung

Hinweis: Dieser Artikel ist nur in einer Sprache verfügbar. In der Vergangenheit wurden die Jahresbücher nicht übersetzt.

Erste Durchsteigung.Von Kurt Dahlem.

Im vergangenen Winter lernte ich in Mürren den bekannten Skifahrer Ernst Feuz kennen und erfuhr von ihm, dass sich ausser Weizenbach und Merk! noch andere gute Bergsteiger für das Problem dieser Wand interessierten, wohl sogar schon Versuche zur Lösung unternommen worden waren. Es hiess also handeln! So forderte ich Feuz auf, mit mir bei erster Gelegenheit die Wand anzugehen. Anfang Juni 1934 machten wir einen Versuch. Wir hofften, dass nach der langen Schönwetterperiode des Mai als Abschluss der Föhn uns unbedingt noch zwei Tage schönen Wetters schenken müsse. Der unzuverlässige Geselle liess uns aber schnöde im Stich. So kehrten wir in ca. 2600 m Höhe um und liessen uns vom strömenden Regen über die Oberhornbergalp in die gemütlichen Räume des Hotels Obersteinberg hinunter schwemmen.

Erst der Juli brachte wieder zuverlässiges Wetter und günstige Verhältnisse für unsere Pläne. Wir trafen in Trachsellauenen zusammen und stiegen am 3. Juli wieder einmal gegen die Tanzhubelalp hinan. Dieses Mal bei schönstem Wetter und voller Zuversicht. Von der Tanzhubelalp wandten wir uns zunächst südwestlich gegen den Schmadrirücken, um dann östlich dem Punkt 2206 zuzustreben. Dort hatten Weizenbach, Merkl und ich im vergangenen Jahre biwakiert. Wir fanden nur noch eine Tube Milch, auch einige Packungen Meta, die zu meinem Erstaunen noch sehr gut brannten. Wir lagerten lange dort, denn wir hatten ja Zeit an diesem Tage: zu unserem vorgefassten Biwak hatten wir höchstens noch drei Stunden zu steigen, und es war gerade erst Mittag. Wir verfolgten dann die Rippe weiter in leichter Kletterei, bis sie im Eise eines wilden Bruches untertaucht. Dieser Bruch drängte uns nach rechts, und so querten wir den südlichen Arm des Breitlaui-gletschers bis dicht unter den Schmadrirücken, wo es gelang, wieder Höhe gewinnend, einen Weg durch die zahlreichen Spalten zu finden. Hier waren wir nun im Gletscherkessel, in dessen Hintergrund die imposante Nordwand des Mittaghorns aufsteigt. Links von uns der Grat, der fast horizontal, zunächst scharf und felsig, weiter hinten als breiter Firnrücken bis zum obersten der drei Bergschründe der Wand führt. Rechts der Schmadrirück, der sich hier bereits aufzubäumen beginnt und dessen Flanke steil in das Gletscherbecken abfällt, und hinter uns die Wildnis des steilen Gletscherbruches: fürwahr ein einzigartiger Zirkus wilder Bergromantik!

Wir querten den Gletscher nach links in Richtung auf den ersten markanten Turm des Grates zu. Bald entdeckten wir in seiner Flanke eine überdachte Stelle. Dieser strebten wir zu; sie erwies sich auch bei näherer Besichtigung als brauchbar und wurde durch einige Bauerei zu einem sehr angenehmen Biwakplatz gestaltet. « Gleich um die Ecke » fanden sich Schnee und Schmelzwasser. Was wollten wir noch mehr?

Gegen Abend stieg ich noch zum Grat hinüber, um Ausschau nach unserem Weg des kommenden Tages zu halten. Lange sass ich dort und studierte die Wand, die von hier aus auch im Gipfelaufbau viele Einzelheiten preisgibt. Da zeigte es sich, dass der gewaltige Pfeiler, der von unten immer so abweisend ausgesehen hatte, ein System von Rippen und Bändern aufweist, das wohl eine direkte Ersteigung dicht an seiner rechten Kante ermöglichen sollte.Voll Eifer und Freude suchten meine Augen die Wand ab, und bald hatte ich die Gewissheit, dass unser Weg morgen direkt über den Pfeiler führen würde.

Eine wundervolle Nacht senkte sich über die Berge. Blutrot leuchteten die Firnwände des Grosshorns und Breithorns im letzten Licht des Abends, und schwarz standen die Zacken des Tschingelgrates gegen den langsam verblassenden Abendhimmel. Tief, tief unten rauschten die Wasser des Schmadrifalles, und nur ab und zu stürzte zu unseren Füssen ein Serak donnernd in sich zusammen, dem wohl des Tages Sonne zu sehr zugesetzt hatte. Ein unendlicher Friede lag in dieser ruhigen Bergnacht, und in mir war eine stille Freude, nun endlich am Vorabend der so lang ersehnten Fahrt zu stehen. Feuz schlief schon lange, als auch ich endlich in den Zeltsack kroch.

Um 330 Uhr rasselte der Taschenwecker. Rasch waren wir munter, und um 420 Uhr verliessen wir unser Biwak. Die nun beginnende Kletterei über den scharfen Grat war ganz dazu angetan, etwelche müde oder krumm-gelegene Knochen wieder in Schwung zu bringen! Bald erreichten wir den firnigen Teil des Grates, wo wir bei zunehmender Steilheit bald die Steigeisen anlegten. Kurz nach 6 Uhr langten wir am Bergschrund an, der über einen Lawinenkegel ohne Schwierigkeiten überschritten wurde. Und nun standen wir am Fuss der steilen Firnwand. Sie war in ausgezeichneter Verfassung. Eine ziemlich gleichmässige, harte Firnschicht bedeckte das Eis und versprach uns ein rasches Vorwärtskommen. Die Wand lag in tiefem Schatten, alles war ruhig, kein Stein fiel, nur ein böiger Wind fegte ab und zu einen Hagel von Eiskörnern über uns her. Ohne Seil und ohne Stufen zu schlagen, uns nur auf unsere « Eckensteiner » verlassend, die in dem harten Firn prächtig griffen, stiegen wir in kurzen steilen Kehren gegen ein kleines Felsbollwerk an, wo wir unseren Fussgelenken, denen wir allerhand zumuten mussten, zehn Minuten Erholung gönnten. Ein gutes Stück oberhalb dieser Felsnase teilt eine Zone eisdurchsetzten Felses die Eiswand in eine untere und eine obere Hälfte. Diese Zone wurde durch Eisrinnen erstiegen, indem wir die vereisten Felsen nach Möglichkeit vermieden. Oberhalb der felsigen Zone nimmt die Steilheit der Wand noch um einige Grade zu, doch war auch hier, wenn auch dünner, eine ausgezeichnete Firnschicht vorhanden, die uns auch fernerhin gestattete, ohne Stufen zu gehen, obwohl die Steilheit hier wohl über 50 Grad beträgt.

Um 830 Uhr langten wir am Fusse des Pfeilerabsturzes an. Auf kleinstem Stand legten wir die Steigeisen ab und freuten uns, den Fussgelenken eine Abwechslung in der Beanspruchung bieten zu können. Wenig links von der Kante packten wir die sehr steilen Felsen an und gelangten über eine schwach ausgeprägte Rippe bis dicht an die Kante hinaus, wo sich die Rippe verliert. Ein kurzer Quergang nach links brachte uns zu einer neuen Rippe, die wieder steil nach rechts oben führt. Das war überhaupt das Charakteristische der Erkletterung dieses Pfeilers: steile Rippen, die von links nach rechts hinauf gegen die Kante führten, und kurze, horizontale Quergänge nach links, die den Zugang zu einer neuen Rippe vermittelten. Die Kletterei war wohl sehr exponiert, der Fels kleingriffig und teilweise stark vereist, aber von prächtiger Festigkeit und durchwegs sehr günstiger Schichtung, so dass das Klettern einen wirklichen Genuss bedeutete.

So gelangten wir schliesslich unter einen mächtigen Überhang, der den Ausstieg auf einen auch von unten deutlich erkennbaren Absatz im obersten Teil des Pfeilers versperrte. Bis hierher waren wir ohne Seil gegangen. Unter dem Überhang führte ein sehr luftiger, brüchig aussehender Sims nach rechts hinaus an die Kante des Pfeilers. Eng zusammengedrängt unter dem Überhang legten wir das Seil an, und dann trat ich den etwa 5 m langen, heiklen Quergang an, der auf einer kleinen Kanzel direkt an der Kante endet. Ein Blick um die Ecke der Kante gab die Gewissheit, dass wir durch einen unschweren Quergang an der Innenseite des Pfeilers an den letzten Aufschwung heran und über diesen hinaufkommen würden.

Von der Kanzel aus hat man einen guten Einblick in das Couloir, von dem weiter oben die Rede war. Es ist ohne Zweifel gangbar. Aber ein Genuss ist die Kletterei sicher nicht, und zudem kann dieser Graben unter Umständen stark durch Steinschlag gefährdet sein. Da das Couloir auch als Route nicht voll befriedigt hätte, freute ich mich doppelt der herrlichen Kletterei über den Pfeiler.

Die nächste Seillänge führte Feuz, und dann standen wir am Fuss des letzten, dafür aber ganz ausserordentlich steilen Aufschwunges des Pfeilers. Ich musste meinen Rucksack ablegen, da die Felsen hier sehr stark nach aussen drängen, aber dann wurde auch diese Seillänge überwunden. Feuz folgte nach mit beiden Säcken auf dem Rücken: trotz Seilhilfe allerhand Leistung! Endlich standen wir auf dem Gipfel des Pfeilers und damit am Ende der Schwierigkeiten. Das Seil verschwand im Rucksack, und wir stürmten über eine leichte Firnrippe der sich hier stark zurücklegenden Wand und die letzten Felsen, die aus der Firnhaube hervorlugen, zum Gipfel, 3895 m. Es war 11 Uhr geworden. Froh des Sieges und erfüllt von Freude über die prächtige Fahrt drückten wir uns die Hand.

Die mühselige Waterei durch den knietiefen, aufgeweichten Schnee hinab zur Lötschenhütte vermochte unsere frohe Laune nicht zu erschüttern.

Während ich den Artikel schreibe, trifft die furchtbare Nachricht ein, dass Merkl, Weizenbach und Wieland am Nanga Parbat in äusserste Gefahr geraten sind durch Stürme von unvorstellbarer Gewalt. Doch durfte man noch Hoffnung haben; denn das Können und die Energie von Merkl und Weizenbach hatten ihnen schon mehr als einmal aus fast hoffnungslosen Situationen den Weg gewiesen. Aber die Berge des Himalaya und ihre Verhältnisse sind wohl ungleich härter, und so wird soeben die Nachricht vom Tode der drei grossen Bergsteiger und prächtigen Menschen bestätigt.

So war also unser Versuch an der Mittaghornnordwand im Herbst 1933 die letzte Westalpenfahrt von Merkl und Weizenbach geworden. Diese Tage, wenn ihnen ein Erfolg auch nicht beschieden war, bedeuteten für mich eine ganz besondere Freude, weil ich sie in Gesellschaft dieser beiden hervorragenden Bergsteiger und lieben Kameraden verbringen durfte. Noch kann ich den Gedanken nicht fassen, dass diese zwei so erfolgreichen Alpinisten ihre Liebe zu den Bergen mit dem Leben bezahlen mussten und nun zusammen mit meinem Freund Alfred Drexel, dem treuen Seilgenossen mancher frohen Fahrt, im ewigen Eise des Nanga Parbat ruhen.

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