Die Major-Route am Mont Blanc
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Die Major-Route am Mont Blanc

Hinweis: Dieser Artikel ist nur in einer Sprache verfügbar. In der Vergangenheit wurden die Jahresbücher nicht übersetzt.

Robert Bosch, Wallisellen

Blick aus der Brenvaflanke ( Major ) Richtung Mont Blanc du Tacul mit Teufelsgrat. Im Hintergrund die Gipfel der Aiguille Verte und Les Droites. ( Wir befinden uns quasi im Wolkensandwich.> 158Ich werde das Gefühl nicht los, dass wir uns genau in einer der üblichen Sturzbahnen abbrechender Serac-Stücke befinden.

Doch jetzt, in der Dunkelheit, umgeben von schemenhaften Felsaufschwüngen, Schneecouloirs, Rippen und Bändern, ohne jegliche Orientierungsmöglichkeiten, werden meine Zweifel immer stärker. Bewegen wir uns noch in der richtigen Richtung? Immer häufiger bleiben wir stehen, beraten, versuchen uns irgendwie im Gelände zurecht zu finden, doch erfolglos: die Wand bietet keine Anhaltspunkte. Sollen wir nun umkehren oder nicht? Meine Angst kann sich vergleichen lassen mit der Grösse dieser Mont Blanc-Wand. Wir hocken doch genau in so einer Eis- und Steinschlagrinne! Wieso ist Umkehren so schwierig? Lassen wir doch diesen Mist!

Gerrit will noch den nächsten Absatz erklettern - vielleicht sehe er dann weiter. Ich bin einverstanden: wenn schon Rückzug, dann wenigstens mit der Gewissheit, alles versucht zu haben. Es ist wie bei einem Langstrecken-rennen: unweigerlich kommt der Moment, wo man nichts sehnlicher wünscht, als sich ins Gras zu legen - die andern sollen doch weiterlaufen. Und man würde es auch tun, wenn nicht die Angst aufkäme, beim nächsten Rennen wieder aufzugeben.

Gerrit hat die nächste Stufe erklommen und ich steige nach. Allmählich wird es heller, so dass wir uns endlich etwas besser orientieren können.

Unterhalb dieser letzten Felsbarriere müssen wir uns deshalb entscheiden. Wir wählen die rechte Variante. Dies in der Hoffnung, die Steigeisen nicht ablegen zu müssen. Tatsächlich können wir sie auch an den Schuhen behalten, denn hier auf der Nordseite des Aufschwungs ist alles mit Schnee bedeckt, Risse und Rinnen mit Eis gefüllt. Anstelle einer schönen Kletterei auf trockenem Granit erwartet uns aber ein äusserst unangenehmes Teilstück, wo wir uns über Fels, Eis und Schnee höher würgen und schwindeln müssen... bis es dann einfach nicht mehr weitergeht. Zurück? Das dürfte uns sicher zwei Stunden kosten. Zudem sind inzwischen auch die andern Varianten verschneit und nass geworden. Wir Vollidioten - hätten wir doch nur die direkte Variante genommen! Gerrit versucht eine Rechtstraverse über verschneite Platten - und kommt durch. Ich folge ihm und wühle mich in der nächsten Seillänge durch eine mit grundlosem Pulverschnee gefüllte Rinne, bis zum Stand unter der riesigen Séracmauer. Ein Haken dringt singend in die Ritze eines Felsblockes und verleiht mir ein gewisses Sicherheitsgefühl.

Der Weiterweg ist klar: Gerrit schlägt eine Schraube in die Eiswand und geht dann die heikle, etwa vier Meter lange Querung über eine abschüssige, eis- und schneeüberzogene Platte an. Wie bin ich froh, als ich später an derselben Stelle stehe, und meine Steigeisen mit giftigen Lauten über den Fels kratzen, dass das Seil nach oben zeigt. Nun endlich sind wir auf diesem verflixten Felsaufschwung angelangt, wo der schwierigste Abschnitt hinter uns liegen sollte. Mit dem immer dichter werdenden Nebel und dem Schneetreiben steigt allerdings die Gefahr, dass wir uns verirren. Trotzdem überwiegt die Erleichterung. Sogar lachen können wir wieder, als ich, beim Versuch einen zwei Meter hohen Eiswulst zu überklettern, plötzlich den Boden unter den Füssen verliere und alles um mich herum völlig haltlos in sich zusammenzusinken scheint. Gut gesichert und mit Hilfe des Seilzuges kann ich mich, mehr schwimmend als gehend, bald aus dieser hinterhältigen Spalte befreien. Bis zum Gipfel erstrecken sich jetzt bloss noch problemlose Firnhänge. Immerhin dürfte die folgende Spurarbeit, auf über 4500 Metern Höhe durch den etwa einen halben Meter tiefen Neuschnee, recht anstrengend werden. Bereits nach einigen Schritten ruft Gerrit, er müsse eine Pause machen.

Irgendwann müssen wir auf diesen Grat gelangen! Oder sind wir durch das Umgehen von Spalten doch zu weit nach rechts geraten? Plötzlich sagt mir mein Gefühl, dass wir uns auf einem schwach ausgeprägten Rücken befinden. Sogar zugewehte Spuren glaube ich zu erkennen; oder bilde ich mir auch dies nur ein? Verläuft

Als ich daraufhin meinen Höhenmesser, den ich um den Hals trage, für den Abstieg justieren will, hält ihn Gerrit für den vorhin nicht auffindbaren Kompass und beginnt mich zu beschimpfen; bloss um ihn zu ärgern, hätte ich ihn den Rucksack durchsuchen lassen. Mir wird 's immer unheimlicher. Wenn wir den Abstieg nicht auf Anhieb finden und uns wieder hochquälen müssen, befürchte ich, dass Gerrit dies nicht mehr schafft.

Unschlüssig stehen wir auf dem Gipfel, eingehüllt im gleichbleibend dichten Nebel. Da sehe ich völlig unvermittelt drei Gestalten aus dem Weiss auf uns zuschreiten. Mensch, welch ein Glück! Da kommt tatsächlich jemand um vier Uhr nachmittags über die Normalroute auf den Mont Blanc. Wir schliessen uns ihnen an und gelangen, ihren Spuren folgend, zur Vallothütte. Nach einem aufgewärmten Fruchtsalat in dieser höchst gelegenen Latrine Europas, steigen wir rasch weiter ab. Gerrit geht es zunehmend besser. Als wir endlich in der Gouterhütte ankommen, fühlt er sich sogar schon so wohl, dass wir die völlig überfüllte Hütte sozusagen links liegen lassen und gleich bis zur Tete-Rousse-Hütte absteigen. Diese zusätzlichen zwei Stunden Abstieg zahlen sich aus, kommen wir doch so in den unvorstellbaren Genuss, in zwei, eigens für uns vom Goüter-Hüttenwart telefonisch reservierten Betten zu schlafen. Ein aussergewöhnlicher Luxus im Mont-Blanc-Gebiet.

Überflüssig zu sagen, dass wir auch ohne die Flasche Wein bestens geschlafen hätten.

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