© Yves Brechbühler
Die Lebensader der Hütten Die Wasserversorgung in den Bergen ist eine Herausforderung
Hans Hostettler ist ein wahrer Meister darin, Wasser aufzuspüren. Denn Wasser ist für den Hüttenwart der Blüemlisalphütte ein rares Gut. Und damit ist er nicht alleine. Jede fünfte SAC-Hütte in der Schweiz kämpft mit Versorgungsproblemen.
Der Brunnen vor der Blüemlisalphütte SAC sieht nicht nur schön aus, er ist auch ein guter Gradmesser dafür, wie es um die Lebensader der Hütte steht. Sprudelt das Wasser, läuft es gar über den Holzrand und hinterlässt Pfützen am Boden, dann sind die Tanks randvoll. Versiegt der Strahl, ist das noch kein Grund zur Panik. Ist das Holz im Brunnen aber spröde und ausgetrocknet, bedeutet das nichts Gutes. So wie heute Morgen an einem warmen Spätsommertag. Weit unten breiten sich die Sonnenstrahlen über Kandersteg aus. Der Thunersee glitzert in der Ferne. Die meisten Übernachtungsgäste haben sich bereits verabschiedet, und die ersten Tagesgäste treffen langsam ein.
Ein Herz gespeist aus Schnee
Auf der Terrasse sitzt Hans Hostettler und trinkt einen Kaffee. Seit über elf Jahren bewirtet er mit seiner Frau Hildi hier oben auf 2840 Metern die Gäste. In dieser Zeit ist er ein wahrer Meister geworden, wenn es darum geht, Wasser aufzuspüren, einzufangen und in das System einzuschleusen. «Je länger die Saison dauert, umso erfinderischer müssen wir werden», sagt der 58-Jährige. Im Juni und im Juli sorgt das Schmelzwasser für genügend Nachschub. Doch ab Mitte August sinken die Temperaturen. «Da wird es oft Nachmittag, bis der Schnee schmilzt», sagt er und zeigt auf den Hang hinter der Hütte. Dort oben zwischen Geröll und Felsblöcken pumpt das Herz der Hütte, die weitverzweigte Wasseranlage. Zwei Reservoirs und ein Kugeltank fassen insgesamt 35 000 Liter Wasser. Der wichtigste Zufluss kommt vom Gletscher der Wildi Frau – oder von dem, was davon noch übrig ist. In den Jahren, seit Hans Hostettler hier oben ist, hat sich das Eisfeld zusehends verkleinert. Immer wieder muss er die Rohre verlegen und verlängern, um an das kostbare Nass zu gelangen.
Da das Wasser des Gletschers allein nicht ausreicht, um die Hütte zu versorgen, hat die Sektion vor zehn Jahren eine rund 525 Quadratmeter grosse schwarze Blache auf dem Boden befestigt. Darauf wird Schmelz- und Regenwasser gesammelt und in das Versorgungssystem eingespeist. Wenn gar nichts mehr geht, pumpt Hans Hostettler Wasser von einer etwas weiter entfernten blauen Tonne hoch, die ebenfalls mit Schmelz- und Regenwasser gespeist wird. Der Aufwand für den Hüttenwart ist gross. Aber viel grösser wäre der Schaden, wenn das Wasser versiegen würde. «Dann müssten wir die Hütte schliessen. So einfach ist die Rechnung», sagt Hans Hostettler.
Doppelt so viele Gäste
Diese Rechnung kennt auch Arnold Bünter, der seit acht Jahren Chef der Dammahütte SAC ist. Das Wasser bezieht die kleinste bewartete Hütte der Schweiz oberhalb des Göscheneralpsees aus zwei Reservoirs, die alleine aus Oberflächen-, Regen- und Schmelzwasser gespeist werden. Das eine Reservoir stammt aus dem Jahr 1962, fasst 6000 Liter und liegt etwas unterhalb der Hütte. Bei der Hütte selbst speichert das andere Reservoir nochmals dieselbe Menge Wasser. Obschon mehr schlecht als recht, hat dieser Vorrat lange Zeit gereicht. Doch in den letzten Jahren ist die Hütte immer populärer geworden, die Übernachtungszahlen haben sich von rund 500 Personen auf über 1000 pro Saison verdoppelt. Zudem waren die letzten beiden Sommer einzigartig, was die Anzahl Sonnentage betrifft. Wegen anhaltender Trockenheit entschied sich die Sektion Pilatus im August 2018 gar, Wasser hochfliegen zu lassen. Mithilfe der Armee wurden 2000 Liter in Tanks neben der Hütte deponiert. «Es war eine absolute Ausnahmesituation. Ein prächtiges Wochenende stand an. Wir wollten kein Risiko eingehen», sagt Arnold Bünter. Drei Tage später kam das erlösende Gewitter. «Das konnten wir zum Zeitpunkt der Entscheidung nicht wissen», erinnert sich der Hüttenchef. Nicht zuletzt wegen dieser Situation hat sich die Sektion Pilatus dann entschieden zu handeln. Anfänglich wollte sie die Reservoirs durch zwei Tanks à 10 000 Liter ersetzen. Nun hat aber der Kanton Uri die Auflagen in Sachen Gewässerschutz verschärft, weshalb auch die Toiletten ersetzt werden müssen. «Das hat unsere Planung etwas durcheinandergewirbelt. Aber wir werden die Wassersituation in den nächsten Jahren entschärfen», sagt Arnold Bünter.
Nasstoiletten sind Wasserfresser
In der Blüemlisalphütte hat sich mittlerweile die Terrasse gefüllt. Aus allen Richtungen sind die Wanderer wie Ameisen die Wege hochgekrabbelt. Das Hohtürli ist ein populärer Punkt auf der Wanderkarte, hier führen die Via Alpina und die Hintere Gasse durch. «Wir können uns nicht über zu wenig Arbeit beklagen», sagt Hans Hostettler. 120 Gäste haben maximal in der Hütte Platz. Jeder einzelne von ihnen verbraucht im Schnitt 50 Liter Wasser. Das sind bei einer vollen Hütte rund 6000 Liter täglich.
In einem Schweizer Haushalt wird mit 140 Litern pro Person und Tag fast das Dreifache an Wasser verbraucht. Im Vergleich dazu ist der Verbrauch in der Blüemlisalphütte tief, aber dennoch zu hoch. «Vor allem die Nasstoiletten sind richtige Wasserfresser», sagt Hans Hostettler. Mit jeder Spülung fliessen sieben Liter den Berg hinunter. Wenn jeder Gast viermal auf die Toilette geht, macht dies 30 Liter pro Person. Deshalb hat der Hüttenwart die Sanitäranlage in der Hütte an diesem Morgen abgeschlossen. Wie so oft in den letzten Tagen hat er eine Tafel vor die Tür gestellt. «Bitte WC draussen benützen. Wassermangel!» Mit den WC draussen sind die alten Plumpsklos gemeint, deren Geruch die Besucher auf ihren letzten Metern zur Hütte begleitet. «Es ist keine ideale Lösung. Aber uns bleibt im Spätsommer keine andere Wahl», sagt Hans Hostettler. Zusammen mit der Sektion und dem SAC-Zentralverband ist er daran, die Toiletten durch ein neues System zu ersetzen. Spätestens 2025 sollen die neuen Sanitäranlagen bereitstehen. «Mit Trockentoiletten wäre unser Wasserproblem weitgehend behoben. Damit reduziert sich der Wasserverbrauch auf rund 20 Liter pro Gast und Tag.»
Wenn der Gletscher weg ist: «Was dann?»
In der Chamonna Lischana CAS hat man längst auf Trockentoiletten umgestellt. Trotzdem schmilzt der Hütte ihr ganzer Wasservorrat weg. Der Lischanagletscher, von dem die Hütte ab August jeweils das Wasser bezieht, ist noch rund 350 Quadratmeter gross. Es ist daher keine Frage mehr, ob er verschwindet, sondern nur noch wann: in drei, vier oder fünf Jahren? «Was dann?», fragt Hüttenwartin Ursula Hofer. Bereits heute ist die Versorgung nicht ideal. Das Gletscherwasser ist in den letzten Jahren immer sandiger aus dem Hahn geflossen. Vor dem Kochen muss die Hüttenwartin das Wasser abkochen, damit sich der feine Sand setzt. Nach einer Stunde kann sie dann das kostbare Nass abschütten. Ursula Hofer umschreibt es so: «Ich bin froh, irgendeine Art von Wasser zu haben.»
Im letzten Sommer hat eine Gruppe Studierende der ETH ein Teil des Eises mit Vlies abgedeckt. Ende August war die Eisdecke unter dem Vlies 180 Zentimeter höher als dort, wo sie nicht abgedeckt war. «Vielleicht ist das eine Möglichkeit, wenigstens etwas Zeit zu gewinnen», sagt Ursula Hofer. Bis dahin will sie das tun, was sie bisher getan hat: sparen. Jeden Abend vor dem Essen bittet sie die Gäste um Nachsicht wegen des sandigen Wassers und regt diese an, vorsichtig mit der Ressource Wasser umzugehen: den Hahn beim Zähneputzen abzustellen und nur eine kleine Katzenwäsche zu machen. Ihre Worte würden zuerst häufig Erstaunen auslösen und dann auf Verständnis stossen. Ursula Hofer sagt: «Oft sind sich die Gäste gar nicht bewusst, dass Wasser hier oben keine Selbstverständlichkeit ist.»
Klimawandel und alte Infrastruktur
Die Schweiz gilt als Wasserschloss Europas: Sie verfügt über sechs Prozent der Süsswasserreserven des Kontinents, obwohl sie nur 0,6 Prozent seiner Fläche einnimmt. Dennoch kämpfen gemäss einer Schätzung des SAC 30 bis 40 der 153 SAC-Hütten mit Wasserproblemen. Die Gründe dafür sind so unterschiedlich wie die Hütten selbst. Wegen des Klimawandels schmelzen Gletscher, Bäche versiegen, und Rohre müssen verlängert werden, um an Quellen zu stossen. Auch der Bedarf hat sich verändert: Viergangmenüs, Waschmaschinen und mancherorts sogar Duschen gehören heute zum Standard. Zudem sei in vielen Hütten die Infrastruktur in die Jahre gekommen, sagt Hans-Rudolf Keusen, Geologe und Co-Präsident der Kommission Hütten und Infrastruktur des SAC. Alte Speicher, provisorische Leitungen und Basteleien: Lösungen, die vor 50 Jahren funktioniert haben, entsprechen nicht mehr dem Standard. In manchen Hütten muss beispielsweise das Wasser von einem tieferen Reservoir mit einem Dieselmotor hochgepumpt werden. «Das ist nicht im Sinne unserer Umweltpolitik», sagt Hans-Rudolf Keusen. Er setzt sich für möglichst nachhaltige, effiziente Lösungen ein. Dafür müsse jede Hütte individuell nach Bedarf, Umfeld und Möglichkeiten angeschaut werden: «Die eine richtige Lösung gibt es nicht. Doch es ist wichtig, in jeder Hütte einen Weg zu finden. Schliesslich ist das Wasser die Lebensader der Hütten.»