© Julien Vallet
Die Kleinen ganz oben Anspruchsvoller Bergsport mit Kindern
Bergerfahrene Eltern nehmen ihre Kinder auch auf anspruchsvollere Bergtouren mit, unternehmen mit ihnen Skitouren oder klettern in Mehrseillängenrouten. Erwachsene und Kinder erzählen, was es braucht, damit solche Touren für alle ein tolles Erlebnis werden.
Ja, das gibt es tatsächlich: Erwachsene werden beim Aufstieg auf einer der Mont-Blanc-Routen mit ihren zehn, acht oder sogar fünf Jahre alten Kindern von Sicherheitskräften gestoppt. Manchmal sogar bei schlechtem Wetter. Die Bestrebung, sich gegenseitig zu überbieten, und die Suche nach Leistung beunruhigen Bergführer Patrick Mesot aus Leysin: «Sie führen dazu, dass Eltern Dinge tun, die zu anspruchsvoll und zu gefährlich sind für ihre Kinder.»
Im Gegensatz zu diesen wenigen Leichtsinnigen gibt es auch verantwortungsbewusste Eltern mit Liebe zum Bergsport, die ihre Kinder auf Ski- oder Bergtouren mitnehmen. Sie unternehmen gut gesicherte Ausflüge, die an die Fähigkeiten ihrer Kinder angepasst sind. Manchmal wenden sich die Eltern auch an einen Bergführer, wenn sie etwas Ungewöhnlicheres unternehmen wollen, sich es aber nicht selbst zutrauen. «Familien kommen zu mir, wenn sie einen ersten Gipfel besteigen, einen Tag abseits der Piste fahren oder Skitouren machen wollen. Sachen, die ein bisschen aussergewöhnlich sind», sagt Patrick Mesot. «Solange die Tour seinem Alter und seinem Niveau angepasst ist und es nicht zu sehr gefährdet, kann ein 10- bis 14-jähriges Kind weit gehen.» Davon sind auch Julien Vallet, Lucie Wiget, Christophe Simeon und Bertrand Semelet überzeugt, die ihre Kinder schon früh auf Bergausflüge mitgenommen haben. Öfter als vor physischen oder psychischen Herausforderungen standen sie dabei vor ganz praktischen Problemen.
Bei den Semelets ging man mit dem begrenzten Material anders um: «Als Cécile und Arnaud sechs Jahre alt waren, montierten wir an ihren Langlaufski Felle. Meine Frau und ich trugen die Pistenausrüstung zum Gipfel. Mit ungefähr neun Jahren hatten sie dann schliesslich ihre eigene Ausrüstung», erinnert sich Bertrand Semelet. Und wenn der Schnee zu hart war, gab es immer noch die Möglichkeit, mit Schneeschuhen aufzusteigen. Heute ist Cécile 18 Jahre alt. Zwischen zwei Klimademos erinnert sie sich an diese Ausflüge: «Der Tag, an dem ich es zum ersten Mal durch den Pulverschnee geschafft habe, ist immer noch eine meiner besten Erinnerungen. Ich finde es toll, dass unsere Eltern uns so früh mit dem Sport vertraut gemacht haben. Ich mache immer noch viele Touren mit ihnen oder gehe alleine mit meinen Freunden.»
Bertrand meint, bei seinem Sohn Arnaud seien die Gefühle hingegen eher gemischt: «Er war ein etwas weniger guter Skifahrer, und manchmal brauchte er für die Abfahrt gleich viel Zeit wie für den Aufstieg. Aber selbst diese schlechten Erinnerungen verwandelten sich am Schluss in gute, und am nächsten Wochenende waren wir wieder unterwegs.» Ausser vielleicht an dem Tag, als sie bei der Abfahrt vom Wildstrubel auf die Engstligenalp ein wenig zu weit gegangen waren. «In einer etwas heiklen Passage musste mein Sohn aus der Bindung steigen und zu Fuss queren. Alle wurden aufgehalten, und es war das einzige Mal, dass ich Kritik am Skitourenfahren mit Kindern gehört habe. Aber ich habe meine Lektion gelernt und war danach doppelt vorsichtig, wenn es um die Schwierigkeiten der Schlüsselpassagen oder die Beurteilung der Lawinensituation ging.»
Skitouren: Die Motivation ist die Abfahrt
Die mangelnde Ausrüstung zum Beispiel ist eines der Haupthindernisse bei Skitouren mit Kindern. «Skitourenschuhe beginnen bei Grösse 36. Davor muss man sich durchschlagen», erklärt Julien Vallet, der seit vier Jahren mit Marine (8) und Alix (10) auf Skitouren unterwegs ist. In weiser Voraussicht hat der Waadtländer vor der Geburt seiner Kinder einige alte, leichte Bindungen behalten, die bis zur Grösse 25 angepasst werden können. «Sie tragen ihre normalen Pistenskischuhe, und die Felle habe ich für ihre kleinen Ski zugeschnitten.» Vom LVS über die Schaufel, die Sonde, die Jacke und die Trinkflasche bis zur Verpflegung tragen die beiden Mädchen alles selbst. «Es geht natürlich nicht darum, sie einer Gefahr auszusetzen. Ich möchte nur, dass sie sich der Sicherheitsvorkehrungen bewusst werden, damit sie später selbstständig sind.» Mit sechs Jahren ging es 300 bis 400 Meter hoch und runter. Die Mädchen haben in der Kondition und im Skifahren inzwischen grosse Fortschritte gemacht. Heute bewältigen sie schon 1000 Meter Höhendifferenz: bis auf den Pic Chaussy oder auf den Toûno, das Nordcouloir hoch, wo der Nachwuchs auf einer kurzen Passage mit einem Seil gesichert werden muss. «Wir zwingen sie nicht, und sie geniessen es wirklich, vor allem die Abfahrt: Wenn sie im Pulverschnee die Hänge hinuntersausen, strahlen sie über das ganze Gesicht. Wenn eine Spitzkehre zu exponiert ist oder sie an einer Stelle Mühe haben, seilen wir sie an, um sie zu beruhigen.»
Mehrseillängenrouten immer mit der Ruhe
Christophe Simeon schenkte seinem Neffen Raphaël zum vierten Geburtstag einen Klettergurt. Drei Jahre später fanden sich die beiden in den zehn Seillängen von Foxie wieder. Seitdem gönnen sie sich jedes Jahr eine grosse Route. «Raphaël klettert mit seinen Eltern in der Halle. Mit mir entdeckt er etwas anderes. Er schätzt den Kontakt zur Natur. Jedes Jahr freut er sich ungeduldig auf diesen Moment und wird immer geschickter.» Der Schwierigkeitsgrad stieg dieses Jahr vom vierten zum fünften. Der Neffe und sein Onkel setzen sich Ziele und erhöhen stetig das Niveau ihrer Routen. «Meine Frau klettert parallel zu uns, um uns zu helfen und zu ermutigen. Nur selten muss ich Raphaël am Seil nachziehen. Er ist motiviert und liebt Herausforderungen. Das hilft natürlich sehr.»
Julien Vallet hat bei seinen beiden Töchtern schon oft festgestellt: «In diesem Alter ist alles nur eine Kopfsache. Wenn man sie anspornt, sind Kinder zu vielen Dingen fähig.» Er und seine Frau Véronique wollen es Marine und Alix jedoch nicht verderben. «Im Moment machen wir oft Plattenkletterei. Die Mädchen haben immer noch Angst, wenn es steiler wird. Bei den Seilmanövern muss man sehr vorsichtig sein. Wir wollen sie nicht frustrieren, indem wir zu technische Klettereien auswählen oder sie zu sehr antreiben.»
Bergsteigen: nicht grössenwahnsinnig werden
Seit mehreren Jahren leiten die SAC-Tourenchefs Lucie Wiget und John Park die Gruppe Familienbergsteigen (FaBe) der SAC-Sektion Neuchâtel. «Mit etwa sechs oder sieben Jahren hat ein Kind wenig Ahnung von Gefahr. Es fehlen ihm auch das Gleichgewicht und die Kraft für allzu anspruchsvolle Bergtouren», glaubt Lucie, Mutter von Alice, Lancelot und Linnéa, mit denen sie schon viele Bergtouren unternommen hat. «Das Alter von acht bis elf Jahren ist hingegen ideal, um sie an interessante Dinge heranzuführen und ihnen zu helfen, sich weiterzuentwickeln. Danach kommt oft eine Phase des Widerstands, und die Kinder wollen nicht mehr unbedingt dasselbe tun wie ihre Eltern. Oder sie schätzen es und machen weiter.»
Lucie hat alle diese Phasen mit ihren Kindern durchlaufen. «Ich erinnere mich an Abmachungen mit den Kindern, um sie zum Weitergehen zu bringen. Auch an Krisenmomente, in denen ich den Kampf verlor, weil ich versprochen hatte, dass es nur noch eine halbe Stunde geht, obwohl es mehr war.» Von ihren Fehlern hat Lucie gelernt. «Vor jeder Tour habe ich ihnen erklärt, was das Ziel ist und was wir tun werden. Ich habe auch darauf geachtet, dass ich die Entfernungen nicht unterschätzte: Wenn es noch 20 Minuten dauerte, dann waren es tatsächlich noch 20 Minuten!» Eine andere Motivationsquelle war das Bergsteigen und Klettern in Gruppen bei FaBe. «Beim Seilklettern war es oft einfacher, meine Kinder anderen Betreuern zu überlassen, mit denen es dann ohne Murren vorwärtsging.» Man kann den Kindern auch die Aufgabe geben, die beste Route auf einem Gletscher oder einem Grat zu finden, ohne dabei die Sicherheitsregeln zu vernachlässigen. Das beschäftigt sie, und sie lernen, Verantwortung zu übernehmen. Schliesslich kann man den Nachwuchs auch gewinnen, indem man eine lange Tour durch eine Nacht in einem Biwak, einem Iglu oder einer Hütte unterteilt. Wenn die Unterkunft neben Essen und Übernachtung auch noch WiFi anbietet, wirkt das Wunder!
Tipps für verantwortungsbewusste Eltern
Geht es auf den Berg, lieben die Kinder …
... Spass. Dafür müssen der Schwierigkeitsgrad und die konditionellen Anforderungen der Tour angemessen sein. Christophe Simeon investiert viel Zeit in die Vorbereitung der Ausflüge mit Raphaël, seinem zwölfjährigen Neffen. «Ich studiere das Topo jeder grossen Route eingehend, bevor ich mich mit Raphaël hinauswage. Ich wähle gut eingerichtete Routen, und manchmal mache ich eine Testbesteigung, um herauszufinden, wo die heiklen Stellen sind.»
... Abwechslung. Beim Klettern kann ein zu langer Zustieg demotivierend sein. Das Gleiche gilt für zu lange Skitouren. Véronique und Julien Vallet haben mehrere Tricks auf Lager, um dem Jammern zuvorzukommen. «Wir vermeiden endlose Aufstiege und wählen lieber Routen, bei denen sich Aufstiege und Abfahrten abwechseln. Unsere Töchter Marine (8) und Alix (10) können besser zweimal 500 Meter bewältigen als 1000 Meter auf einmal. Und während des Aufstiegs erzählen wir ihnen Geschichten, damit sie sich nicht langweilen.»
... Herausforderung und Wettkampf. «Von Jahr zu Jahr erhöhen wir das Niveau der Mehrseillängenrouten, damit Raphaël immer ein neues Ziel hat. Das motiviert ihn», meint Christophe Simeon. Auch Bertrand Semelet und Julien Vallet haben im Laufe der Skitourensaison Höhenunterschied und Schwierigkeitsgrad der Touren nach und nach gesteigert. Ein guter Trick ist ausserdem, Freunde der Kinder mitzunehmen. «Normalerweise motivieren sie sich gegenseitig und meckern nicht herum.» Aber Achtung, warnt Lucie Wiget, Mutter von Linnéa, Lancelot und Alice: Manchmal gehe der Schuss auch nach hinten los, und keiner möge mehr vorwärtsgehen.
... Spiel. Lawinenkunde, Sicherheitsübungen, Klettern mit Prusik, Flaschenzug, Knoten lernen, Steigeisen montieren und Felle abziehen, all diese nützlichen Dinge können spielerisch gelernt werden.
In den Bergen möchten Kinder nicht …
... zu viel Verantwortung. Für Christophe Simeon «kann ein Kind in einer Mehrseillängenroute nicht vorsteigen, sondern muss im Nachstieg klettern». Dasselbe gilt für Skitouren und das Bergsteigen: «Man kann einem jungen Menschen im Falle eines Lawinenniedergangs oder eines Spaltensturzes nicht die Verantwortung für die Organisation des Rettungsdienstes überlassen», warnt der Bergführer Patrick Mesot aus Leysin. Um bestimmte Bergsportarten mit Kindern auszuüben, sollten deshalb mehrere erwachsene Betreuer beteiligt sein.
... dass man ihre physischen Fähigkeiten überschätzt. Trotz einiger Widerstandskraft haben Kinder nicht die gleiche Stärke wie Erwachsene. «Sie sollten oft trinken und essen. Ratsam ist es auch, alle 30 Minuten eine Pause einzulegen, um sie nicht zu ermüden», meint Patrick Mesot. Ein gutes Basistraining hilft zudem, Kondition und Geschicklichkeit zu verbessern. Deshalb betreiben Marine und Alix auch Leichtathletik und Radsport, und Raphaël klettert das ganze Jahr über in der Halle, bevor es im Sommer auf eine Mehrseillängenroute geht.
... dass man sie schlechten Bedingungen aussetzt. Bei schlechtem Wetter, zu grosser Kälte oder Hitze, hartem Schnee oder hoher Lawinengefahr sind Touren mit Kindern zu unterlassen. Man sollte auch aufpassen, dass man die Rucksäcke der Kinder nicht überlädt.
… gezwungen werden. «Eltern zwingen ihren Kindern manchmal ihre Liebe zu den Bergen auf», bemerkt der Führer Patrick Mesot. Die Übertragung dieser Leidenschaft funktioniert nicht immer. Und das Kind kann sich sogar auflehnen, wenn es gezwungen ist mitzukommen. «Manchmal weigerten sich meine beiden Ältesten weiterzugehen», erinnert sich Lucie Wiget. «Im Nachhinein verstand ich, dass meine Entscheidungen nicht unbedingt die ihren waren und dass wir Herausforderungen auf ihrem Niveau finden mussten.»
… dass man keinen Unterschied macht. Bedenken Sie, dass auch Geschwister völlig unterschiedliche Geschmäcke haben können und nicht alle die gleichen Dinge auf die gleiche Weise schätzen!