Die klassische Überschreitung des Matterhorns
Marcelle Zappelli-Durìeu, Fribourg
( Italienischer Grat und £muttgrat ) Das Matterhorn übte schon immer eine grosse Anziehungskraft und Faszination auf jeden für Grossartigkeit und Schönheit empfänglichen Alpinisten aus. Als ich zum erstenmal den grossen Gipfel über seinen berühmten « freundlichen » Grat erreichte, konnte ich mich seiner magischen Ausstrahlung nicht entziehen, und ich gelobte mir, wiederzukommen und diese packende, fast heilige Atmosphäre noch einmal zu erleben.
Alles wurde an einem einzigen Sommermorgen im Jahre 1956 entschieden. Mein Führer wollte zum Young-Grat ( Breithorn ) aufbrechen, und wir kamen überein, dass er am nächsten Morgen bei der Hörnlihütte direkt zu mir stossen würde.
Als ich meine Ausrüstung und meinen Proviant zusammenpackte, tat ich dies ohne jegliche Hast oder fieberhafte Aufregung, wie ich sie als Neuling gekannt hatte.
Das Wetter war prächtig, geradezu ideal, die Vorhersage gut für die nächsten zwei Tage. Die Sonne brannte unerbittlich, als ich das Chalet am frühen Nachmittag des i 6. August verliess; mein Rucksack war sehr schwer, und als ich die Träger richtete, freute ich mich schon darauf, in guter Form beim Belvedere anzulangen.
Nun ist ja alles eine Gewohnheits- und Gleich-gewichtssache, und dieser einsame Aufstieg zur Hütte, das Herz von Freude und Gewissheit erfüllt, war wie ein einziger innerer Jubelgesang, ein Hochgenuss auch für die Augen, die ständig zum auserwählten Gipfel aufblickten. Was bedeutet da das Gewicht eines Rucksackes, angesichts einer solchen Begeisterung... Natürlich spürt man die letzten Kehren, aber im Geiste bin ich bereits oben angelangt.
In der Hütte werden wir herzlich von meinen Freunden, den Führern, empfangen. Mit dem Feldstecher suchen wir die Moräne ab und entdecken die Silhouette von Gottlieb. Wie ich ihn dann viel später, schon etwas beunruhigt, auf den letzten Wegbiegungen auftauchen sehe, überkommt mich ein Gefühl der Erleichterung: die Seilschaft ist gewährleistet... Am Abend im Esssaal, wo wir alle vereint sind, herrscht wenig Aufregung. Eher eine Art innerer Sammlung vor dem morgigen « Angriff ».
Um 3 Uhr rüttelt mich der alte Hüttenwart am Arm. Sofort wach, erkenne ich an seinem breiten Lachen, dass der Himmel klar ist. Der Kerzenstummel, den er mir gelassen hat, wirft ein spärliches Licht auf meine zwei noch schlafenden La-gergenossinnen. Sorgfältig überprüfe ich meine Ausrüstung. Ich empfinde keinerlei Angst. Es gibt nur reinste Fröhlichkeit am frühen Morgen dieses seit Monaten im voraus intensiv erlebten Tages... In der langen, niedrigen Küche erwartet mich Gottlieb. Ein bescheidenes Frühstück. Dann befestigen wir unsere Steigeisen; der Hüttenwart scheint froh zu sein, das Seil um meine Taille schlingen zu können, welches uns verbindet, sichert und während Stunden Brüderlichkeit, Sicherheit und dadurch auch Freude bedeutet.
Wir verlassen diesen Morgen die Hütte als erste. Wie ich mit meinen Kameraden die Schwelle überschreite, erfasst mich ganz behutsam eine tiefe, an Schmerz grenzende Ergriffenheit. Es ist 3.30 Uhr, der Himmel sternenübersät, und wir bewegen uns im Schein der Laterne. Der Schnee ist hart, er trägt uns, und wir kommen regelmässig, beinahe schnell voran. Auf dieser Seite des Matterhorns ist die Gegend ziemlich offen, grandios. Um auf die obere Seite der Eisabbrüche des Zmuttgletschers zu gelangen, erklettern wir eine ausserordentlich abschüssige Eismauer, deren Steilheit mich sofort an das Marinelli-Couloir denken lässt. Sie ist jedoch schnell überwunden, und oben angelangt, beginnen wir eine lange Hangtraverse unterhalb der wilden Nordwand, die sich gigantisch und beeindruckend über uns erhebt. Phantastisch, von einer Schönheit und Perfektion, wie man sie nur noch in diesen Höhen antrifft, wo Menschenhände noch nichts haben verändern können. Wir bewegen uns vorsichtig einem dicken Schneedach entlang, das über einer Eiskluft hängt... Wir konzentrieren uns voll und ganz auf jeden Schritt.
Das Morgengrauen ist da, ganz nah, die Grate beginnen sich abzuzeichnen. Schon seit einer Weile hat mein Gefährte seine Lampe gelöscht. Wie ich sie liebe, diese Momente, in denen man sich, noch von der Nacht umgeben, eins fühlt mit der Dunkelheit, bevor einen der Tag der Umwelt wieder preisgibt -diesen Eismassen, diesen mächtigen Felsen, die Wirklichkeit sind, man braucht nur die Hand auszustrecken! Es ist ein einzigartiger Augenblick, eigentlich unbeschreiblich, in dem man den Eindruck hat, « das Geheimnis » zu durchdringen. Es tut gut, sich diesen Gefühlen voll und ganz hinzugeben, sie werden später wieder verdrängt von den Gefahren der Kletterei, im Tageslicht, in der beissenden Kälte.
Gegen 5 Uhr, während uns die Zauberwelt des Morgengrauens umgibt, erreichen wir den Fuss des Zmuttgrates. Er zeigt sich uns freundlich, dieser erste, sanft geneigte Schneegrat. Von hier aus erscheint der Gipfel des Matterhorns seiner Pracht beraubt: In der Perspektive wirkt er verflacht, deformiert. Dieses Matterhorn, das von Zermatt oder Findein aus so prächtig in die Höhe ragt, ist jetzt im diffusen Licht des Morgengrauens zu einer unförmigen Masse geworden, deren merkwürdig verzerrter Anblick uns beherrscht. In Richtung Italien haben sich die Schatten der Nacht noch nicht ganz zerstreut. Wir wissen es, diesem Grat entlang werden wir die Sonne noch während Stunden nicht spüren...
Auf den Gratzacken von Zmutt ( diese Reihe von kleinen Felszähnen, die dem Grat in der Mitte ein gezähntes Profil verleihen ) überkommt mich wiederum diese urtümliche, fast instinktive Freude, über prachtvolle Felsen zu klettern; die Griffe sind sicher, und ich kann meine Blicke frei über die Abgründe schweifen lassen...
Dann gelangen wir weiter den Berg hinan, dessen Fels hier den gleichen warmen Farbton aufweist wie das Rothorn. Meine Gedanken befassen sich ständig mit den « Galerien ». Wie verschneit werden wir sie antreffen? Dieser Ausdruck « Galerien » richtet meine Vorstellungskraft auf schwierige, mit Schnee überdeckte Passagen, und wie wir zum Einstieg in diese denkwürdige Traverse gelangen, bin ich zunächst überrascht von ihrem Aussehen. Nach einigen Seillängen werden die Griffe spärlicher, die Spannung in uns stärker und fühlbarer — wir haben keine Zeit zum Bewundern mehr, jetzt gilt es sich zu konzentrieren!
Wie ich selber, ein dunkler Fleck auf dem weiten, sehr steilen Schneehang, so erscheint mir auch der Felszacken, an den ich mich wartend klammere... Minuten, die mir endlos erscheinen. Mein Gefährte hat sich sehr langsam aufgerichtet, jeder Schritt untermalt vom knirschenden Geräusch des Pickels beim Aufbrechen der Eisdecke. Er ist rechts um den Vorsprung herumgegangen, und schon sehe ich ihn nicht mehr. Ein Finger der linken Hand in einer Spalte, ruhig auf meinen Steigeisen stehend, beobachte ich das Seil, das langsam durch meine rechte Hand läuft. Kein Ton, ausser dem immer schwächer werdenden Widerhall des brechenden Eises... Ich stelle mir vor, wie er sich einen Weg durch die mir von den Felsen verdeckte Wand bahnt, und ich warte... Ich warte auf sein Signal, das er mir durch einen Ruck mit dem Seil zukommen lassen will. Als dieses Signal kommt, überrumpelt es mich - von meinem Felsen beschützt, stehe ich ziemlich verloren da. Dann setze ich mich in Bewegung, unter meinen Füssen fällt der Schneehang schwindelerregend ab, er scheint sich in der Unendlichkeit des Morgennebels zu verlieren. Ich fühle mich rettungslos allein, demütig, von den mich umgebenden Gewalten völlig beherrscht. Mein Gefährte ist unsichtbar, weit weg über dem Hang, an der Grenze dieser langen, heiklen Passage, wo es keine einzige Felsnase, keinen Block gibt, an dem man sich sichern könnte. Das Seil, als einziges, bedeutet Sicherheit. Es ist da, es lebt. Ich lasse es nicht aus den Augen, ich halte es fest umklammert, während ich langsam um den Vorsprung herum-gehe. Nach einer abrupten und glatten Passage gelange ich zu einer sehr exponierten, mit Eis und wenig Schnee bedeckten Wand, wo Gottlieb kaum wahrnehmbare Stufen geschlagen hat. Ich bin ergriffen von der Grosse, von der Einsamkeit und der strengen Schönheit, die hier oben herrschen. Während ich versuche, nicht einen Millimeter aus den Stufen zu rutschen, konzentriere ich mich voll und ganz auf mein Vorwärtskommen: die Steigung ist gross, der Atem kurz. Mit einem tiefen Gefühl der Befreiung stosse ich zu meinem Führer. Es tut gut, einen kurzen Moment anzuhalten! Dann nähern wir uns gemeinsam dem oberen Teil der Nordwand und endlich auch der Sonne.
Nun überrascht mich auf dem Nordgrat plötz- lich anfallartig die Reaktion auf die grosse Höhe, dazu bläst mit einem mal ein ausserordentlich heftiger Wind — ich werde vom Fels gerissen und hänge im leeren Raum. Mit ausgezeichneter Reaktionsfähigkeit hält mich mein Gefährte durch Anziehen des Seils fest; aber der Wind drückt mich nieder, peitscht mein Gesicht, macht mich blind, erstickt mich. Ich klammere mich an, mobilisiere all meine Kräfte und benütze kurze Windflauten, um tief zu atmen. Wenn der Wind ohrenbetäubend ist, so ist die Sonne dafür strahlend... Wir sind ja schon sehr hoch oben, nur einige hundert Meter vom Gipfel entfernt.
Um 10.30 Uhr verlassen wir das oberste Gratstück, und plötzlich stehe ich vor dem Kreuz -zwar ziemlich mitgenommen, aber erfüllt von einer tiefen Bewegung... Die Situation ist keineswegs sehr angenehm, der Wind bläst in heftigen Böen. Wir krümmen uns zusammen, um so weit wie möglich mit dem Fels eins zu werden und dem Sturm so die geringste Angriffsfläche zu bieten. Die Mächte hier oben sind gegen uns. Die Wolken, die um uns herumtanzen, der Wind, der Nebel, sie alle scheinen uns in dieses Tal zurückstos-sen zu wollen, von dem wir von weitem hier und dort einen grünen Flecken wahrnehmen... Kurz befragt mich mein Gefährte über meine körperliche Form und über unsere Abstiegsabsichten.
Über Italien wird das Wetter unsicher, ein leichter Nebel steigt auf- wir zögern jedoch nicht im geringsten. Wir sind beide für den italienischen Grat. Ohne auf dem Gipfel noch länger zu verweilen, beginnen wir den Abstieg. Von Anfang an ist es steil, sogar sehr steil, die Sicherungsseile sind dermassen angespannt, dass sie an den Wänden angeklebt scheinen; um mit Frauenhänden so bequem wie möglich an diesen Strängen entlang zu gleiten, braucht es eine besondere Technik und viel Muskelkraft, über die ich nicht verfüge. Mein aufmerksamer Blick sucht den Felsen ab, irgendwo da oben — die Überhänge verbergen jedoch bis zum letzten Moment den kleinen rettenden Absatz, wo ich den Fuss absetzen kann. Der Nebel um uns verstärkt dieses Gefühl, in einen bo- 49 Sonnenaufgang in der Matterhorn-Nordwand 50 In der Matterhorn-Nordwand Photos René Arnold f, Zermatl 51Rochers de Leschaux: « Voie des Collégiens ». Die sich nach aussen neigende Einstiegsverschneidung Photo: Kurt Schnider, Münsingen BE 52 Rochers de Leschaux: Pilier sud-ouest. « Schon engagiert sich Kurt in der leicht abdrängenden Verschneidung... » Photo: Etienne Gross, Bern denlosen Abgrund zu gleiten, das ich empfinde, wenn ich eins ums andere nach diesen Seilen greife, die mich ins Unbekannte führen. Beim Übergang zur « Echelle », den ich schlecht anpacke, scheint sich die Wand in sich selber auszuhöhlen, es ist, als ob mich der Abgrund unvermittelt herunterziehen wollte, und ich klammere mich mit aller Kraft an, werfe meine Arme in diese Seilschlingen, während ich mit langen, tiefen Atemzügen versuche, meine stetig schwindende Ruhe und Energie zurückzugewinnen...
Wir sind auf dem Tyndall-Horn angelangt. Der italienische Grat ist von glorreichen Erinnerungen gesäumt — es sind allerdings auch traurige dabei, ergreifende Kreuze, Totentafeln. Es ist die lange Geschichte der Eroberung des Matterhorns durch die Italiener, die da an mir vorbeizieht. Wir begegnen einer Seilschaft, die sich keuchend abmüht, den Sieg noch in weiter Ferne; weiter unten dann überholen wir zwei junge Alpinisten, die von ihrem Begleiter regelrecht abgekanzelt werden; er glaubt vermutlich, ihnen das Entsetzen, von dem sie erfüllt scheinen, austreiben zu können, bevor sie in den « Linceul»-Durchgang einstiegen. Gewiss ist sie nicht sehr beruhigend, diese grosse graue Schnee- und Eisdecke, die in eine ausserordentlich enge Passage mündet, einer abschüssigen, glatten Felswand entlang, die nur wenige, winzige Griffe aufweist. Ich gehe meinem Gefährten voran, der mich sichert und überquere sie so schnell als möglich in gespannter Aufmerksamkeit. Noch ein paar Meter Seil, und einige hundert Meter unter uns ahne ich schon die alte Louis-de-Savoie-Hütte, die im Geröll eingebettet, eins geworden zu sein scheint mit den Felsen und dem umgebenden Gesteinsbrocken. Jetzt ergreift mich eine tiefe Bewegung, ein starkes Gefühl von Dankbarkeit und Beruhigung. Im Innern dieser morschen, verfallenen Hütte, Relikt einer vergangener Zeit, erwartet uns brüderliche Kameradschaft: drei Alpinisten, die sich vorgenommen haben, das Matterhorn morgen zu überqueren. Wir sind am Verdursten, alles in uns ist vertrocknet -der Wind, die Spannung haben uns ausgebrannt.
53 Die Nord-(Ost- ) Wand des Schreckhorns Photo Markus Liechti, Bern 54 Der Italienische Grat am Matterhorn ( Luftaufnahme ) 55 Der Gaurisankar. Sein Nordgipfel erhebt sich auf eine Höhe von 7145 Meter, sein Südgipfel erreicht eine Höhe von yoio Meter. In der Westwand verläuft die sehr schwierige Route der Amerikaner ( igyg ) Über den Westgrat des Südgipfels führt die Route der Engländer ( 197g ) Luftaufnahme von Erwin Schneider Ein wenig kühles Wasser mit einigen Tropfen Absinth und Zucker stellt uns wieder etwas her. Mein Gefährte schaut auf seine Uhr. Wir sind durch die Abfahrtszeiten des Förderbähnchens eingeschränkt, das uns von Plan-Maison zum Furgg-Grat bringen soll. Mein Bergführer will nämlich morgen schon zu einer neuen Tour aufbrechen.
Draussen sind die Felsen, der Schotter, die Geröllhalden vom Nebel schüpfrig geworden. Meine Knie beginnen zu ziehen, und mir ist etwas schwindlig. Indessen steigen wir immer noch rasch bergab, wobei wir, noch weit unter uns, die Riondohütte auszumachen versuchen, wo wir anhalten möchten. Kaum sind wir dort angelangt, erkundigt sich mein Gefährte nach der letzten Abfahrtszeit der Förderbahn.
Von einem überwältigenden Gefühl erfüllt, in dem sich alle seit heute morgen erlebten Emotionen vermischen, erhebe ich die Augen zu den Stätten, die wir zurückgelassen haben, zu den Felsmassen, deren kahler, zerklüfteter Anblick so total verschieden ist vom glatten, reinen Angesicht, den das Matterhorn vom Zermattertal aus zeigt. Um die Vorderseite so perfekt zu gestalten -wie es diese schmalen, wie vom Schöpfer polierten Linien sind —, brauchte es eine mächtige, noch in den tausendjährigen Schlacken steckengebliebene Rückseite. Aber ich muss mich bald einmal von dieser Vision lösen...
Ein wenig frisches Wasser, um unseren Durst zu stillen — und schon galoppieren wir buchstäblich auf dem Weg nach Plan-Maison, über eine endlose Moräne, voller Windungen, sanfter Abhänge oder mühsamer und unvermittelter Absätze. Es bleibt uns so wenig Zeit. Lebhaften Schrittes hinter meinem Gefährten hertrabend, sammle ich, was mir an Willen, Ausdauer und physischer Kraft noch geblieben ist, um hinter ihm zu bleiben und zur beabsichtigten Zeit Plan-Maison zu erreichen. Ich fühle sehr gut, dass ich, ohne meine Energie auf ein bestimmtes Ziel zu konzentrieren, am Wegrand niedersinken würde und die Müdigkeit dieses langen Tages sich ihr Recht zu ver- 56 Der K 2 ( 8610 m ), von Westen gesehen. Links gegen den Horizont sich abhebend der Nordwestgrat, welcher igy von den Amerikanern versucht worden ist. Rechts der Südwestgrat, den igyg die Franzosen versuchten. Der die Wand ganz links begrenzende Westgrat wurde igj8 und igSo von den Engländern zu besteigen versucht PhnliuTnii; Rite ) 57 Der Gaurisankar von Südwesten. Rechts der Südgrat. In der Mitte der besonnte Westgrat. Daneben die im Schatten liegende WestwandPholo: Peter Boardman schaffen begänne. Indessen, Plan-Maison ist in Sicht... mein Gefährte eilt voraus, und ich kämpfe eine letzte Schlacht gegen aufsteigende Tränen, dagegen, mich meiner armen Knochen zu erbarmen, von einem Gefühl übermannt, das ich in mir aufsteigen verspüre und das mich überfluten wird.
Willkommener, wunderbarer Moment der Entspannung, vor der letzten Fahrt der Seilbahn. Es tut gut, sich niederzulassen, endlich die schweren Beine auszustrecken, die gar nicht mehr richtig zu uns zu gehören scheinen.
Ich fühle mich grau vor Staub und Müdigkeit; aber gerade aus dieser übermässigen physischen Anstrengung schöpfe ich die Hoffnung, alle Ängste besiegen zu können. Dieses Über-sich-selbst-Hinauswachsen, das viele verzweifelt mit Ausschweifungen, mit Alkohol und Drogen zu erreichen suchen, findet man letztlich nur in der Bewältigung schwieriger Unterfangen, die grosse physische Anstrengungen und höchste Konzentration erfordern. Und so gelangt man durch ein bestimmtes Mass an Müdigkeit, aber auch Freude am Erfolg, innerer Bereicherung und unendlicher Fröhlichkeit zu jener Art von « Überzu-stand », der uns die kosmischen Kräfte und unsere eigene Vergänglichkeit bewusst werden lässt.
Wir tauschen bereits einige Erinnerungen zum heutigen Tag aus; noch viel lieber schweigen wir jedoch. Wir sind im Grunde jetzt nicht gesprächig, denn wir sind glücklich, unser ganzes Wesen immer noch erfüllt vom Nachempfinden der grossen Höhen, der Felsen, des Eises und des Schwindelgefühls...
Die Bahn ist da, mit ihr der Sonnenuntergang; das Wetter wird richtig schlecht und verhängt. Wir hatten tatsächlich Glück heute!
Furggrat... Endstation. Wir steigen den Gletscher hinab, der Schnee ist nicht zu weich, und ich scheine ein wenig Energie zurückgewonnen zu haben. Das ist notwendig, denn um zur Hörnlihütte zurückzugelangen, müssen wir den Furgg-Grat überqueren und uns wieder mit den Freuden und Tücken des Felsgrundes auseinandersetzen.
58 Der Kangchenjunga ( 8jg8 m ) von Norden. Diese Photo zeigt den oberen Teil der Anstiege: Die englische Route über den Nordpass ( igjg ) sowie die japanische Route ( ig8o ) über die Nordwand Links im Bild der Nordgrat. Beim Gipjel ganz rechts handelt es sich um den Kangbachen ( jgos m ) Piloto: Peter Boardman Auf dem Gletscher, der uns noch von der Hütte trennt, beginnt der Regen einzusetzen. Was macht das jetzt noch - mein Traum hat sich erfüllt! Mein Herz ist so leicht wie beim Aufbruch. Grosse Berghöhen geben mir ein derartiges Gefühl der Irrealität, dass ich mich nach einer längeren Bergtour oft noch im Grenzbereich zwischen Wachen und Träumen befinde.
Dann der Sprung in die reale Welt: wir betreten die Küche, die wir vor bald 16 Stunden verlassen haben ( es ist jetzt fast ig.30 Uhr ). Seit gestern sind neue Gesichter hier, und es sind ihrer viele. Bevor ich mich auf der letzten freien Matte ausstrecke, teile ich in der raucherfüllten Küche mit den Führern die Suppe. Ihr Schweigen wird nur ab und zu von knappen, einzelnen Worten unterbrochen. Es ist die einzige Art Stimmung, die ich heute abend ertragen kann - diejenige der Aufrichtigkeit und Echtheit. Noch für diese Nacht möchte ich dieses Einssein mit dem Berg verlängern, bevor ich den unvermeidlichen Rückweg in die reale Welt, wie wir sie nennen, antrete.
Aus dem Französischen übersetzt von E. Blaser, Bern