Die höchstgelegenen Siedlungen des Zentralapennins
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Die höchstgelegenen Siedlungen des Zentralapennins

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Eine geographische Skizze.., „,,.

3 a rVon Karl Suter

Mit 10 Bildern und 1 Kartenskizze.Zürich, Sektion Uto ).

Im Zentralapennin sind die hochgelegenen Dörfer von eigenartigem Reiz. Oft kleben sie wie Schwalbennester hoch oben an einem Berghang, oft schauen sie stolz und trotzig von einem Hügel ins offene Land. Dieses Merkmal ist so hervorstechend, dass die Ortsbezeichnung häufig darauf Bezug nimmt; viele Ortsnamen lauten auf Colle ( Hügel ), Monte ( Berg ), Pietra ( Stein ) oder Rocca ( Fels ), z.B. im Gebiete des Gran Sasso d' Italia Collepietro ( 825 m ), Montereale ( 948 m ), Pietracamela ( 1005 m ), Rocca Calascio ( 1464 m ). Einsam und abgeschieden liegen die höchsten Dörfer auf den wenig fruchtbaren Hochflächen zwischen 1200 und 1500 m, in unmittelbarer Nähe hoher, alpin anmutender Gebirgsketten. Ihre Häuser sind aus dem grauweissen Kalkstein, den die Umgebung liefert, gebaut und erscheinen ganz erd-verwachsen; in Form und Farbe sind Siedlung und Boden so sehr aufeinander abgestimmt, dass eine Art Mimikry entsteht. Bisweilen macht es sogar den Eindruck, als seien die Felshintergründe, die kahlen Hügel und bleichen Kalkklötze nur der entsprechende Rahmen zum Dorf. Dieser völlige Einklang, diese wunderbare Einheit und Geschlossenheit in Material und Aufbau ist eine Wohltat für Auge und Gefühl. Auf den Hügeln und Abhängen stehen die Häuser eng gedrängt. Diese Zusammenballung verleiht den Siedlungen eine eigenwillige Plastik von seltener Eindrücklichkeit. Aus ihrer Mitte strebt ein Kirchturm auf, oft von trotziger Wucht; ebenso häufig sind die Häuser um eine alte Burg oder Festung gruppiert. Dieses Besondere im Aufriss der Dörfer, diese geschichtlich bedingte Eigentümlichkeit, die fast gesetzmässig wiederkehrt, wird in zahlreichen Ortsnamen, die das Wort Castel ( castello = Schloss, Burg, Festung ) aufweisen, festgehalten, z.B. in den Bezeichnungen Castel del Monte ( 1310 m ) und Castelvecchio Calvisio ( 1067 m ) im Gran Sasso oder Castelluccio ( 1453 m ) in den Monti Sibillini.

Die Alpen — 1941 — Les Alpes.30 DIE HÖCHSTGELEGENEN SIEDLUNGEN DES ZENTRALAPENNINS.

Der Mensch hat sich im Apennin in verhältnismässig bescheidenen Höhen niedergelassen. Bis zum Jahre 1935 war mit 1524 m die höchstgelegene Dauersiedlung San Pellegrino in Alpe, ein zur Gemeinde Castiglione di Garfagnana gehörender Kurort im Nordapennin mit 17 Einwohnern. In der Höhenlage ist er nun heute von Pian de Valli in 1625 m und Campoforogna in 1751 m übertroffen, die sich beide im Zentralapennin, am Südabhang des Monte Terminillo ( 2213 m ) befinden. Es sind das zwei in den letzten Jahren ins Leben gerufene Wintersportplätze mit Gasthöfen, Läden und Privathäusern; sie werden aber auch im Sommer zu Erholungszwecken aufgesucht. Sie besitzen keinen bäuerlichen Zuschnitt; landwirtschaftliche Gebäude fehlen ihnen; ihre Versorgung mit Lebensmitteln erfolgt vollständig vom Tale aus. Sie sind nicht organisch und zwangsläufig in langer Entwicklung aus der Umwelt herausgewachsen, sondern vom Menschen für eine ganz bestimmte Aufgabe in kürzester Frist bewusst und mit Willen geplant und erstellt worden. Dieser besondere Charakter unterscheidet sie von den übrigen Bergdörfern, die zum grössten Teil reine, von der Natur allein abhängige Bauernsiedlungen sind. Die Gründung von Pian de Valli und Campoforogna wurde durch ganz andere Naturgegebenheiten bestimmt: Einmal fällt in diesen Höhen im Winter reichlich Schnee, der verhältnismässig lange liegen bleibt. Dann besitzt das Gelände günstige Skihänge, die, wellig und schön abfallend, selbst verwöhnten Ansprüchen zu genügen vermögen. Dazu kommt, dass der Berg im Kraftfeld einer Großstadt liegt, die ihn reichlich mit Gästen zu beschicken vermag. Er ist nur 80 km von Rom entfernt und kann auf breiter, schöner Strasse in zwei Stunden mit dem Auto erreicht werden.

Die höchstgelegene Dauersiedlung von rein bäuerlichem Charakter ist im Apennin mit 1464 m Rocca Calascio, ein armes, weltverlorenes Nest an der Südabdachung des Gran Sasso, in rauher, steiniger Öde auf dem nackten Südhang eines Hügels gelegen. Hier ducken sich im Schutze einer alten, heute verfallenen Burg einige graue Häuser. Durch ihre innige Verbindung mit dem Fels erwecken sie den Eindruck natürlicher Gewachsenheit. Wie eine Drohung schaut Rocca Calascio ins Land! In diesem Dorf ist der Daseinskampf unendlich hart. Das verraten die vielen, aus Not verlassenen, ruinen-haft aussehenden Heimstätten. Die wenigen Äckerchen vermögen den Menschen kaum zu ernähren, und der lange, harte, grabesstille Winter lastet schwer auf ihm. Die Mehrzahl der Einwohner ist nach und nach abgewandert. Im Jahre 1663 war der Ort, wie C. Merlo* ) berichtet, von ungefähr 500 Menschen bewohnt; heute fristen hier noch 51 ihr armseliges Leben.

Im Zentralapennin finden sich alle bäuerlichen Siedlungen unterhalb der oberen Grenze des Getreidebaues, die in 1600-1700 m verläuft. Aber auch innerhalb dieser anbaufähigen Zone besteht im Auftreten der Bergdörfer eine gewisse Gesetzmässigkeit. Sie können nur da vorkommen, wo das Gebirge dem Menschen eine genügend grosse Bodenfläche zur Bewirtschaftung überlässt. Diese Hauptforderung wird dort erfüllt, wo sich die 1 für den Zentralapennin überaus bezeichnenden, rings von Hügeln und Berghängen umschlossenen Hochflächen ausdehnen. Sie sind im allgemeinen 4-7 km lang und 1-3 km breit; die meisten liegen zwischen 1250 und 1350 m ü. M. In Aussehen und Grosse gleichen sie den Karsthochflächen des Schweizer Jura, z.B. jener von La Sagne-Les Ponts oder jener des Val de Ruz. In engster Beziehung zu ihnen steht, wie C. Merlorichtig bemerkt, die obere Grenze der Dauersiedlungen. Eine grössere Hochfläche besitzt im Piano di Rocca di Mezzo das Velino-Gebirge. Sie bildet mit ihren Wiesen und Äckern die wirtschaftliche Grundlage für die folgenden vier Dörfer: Rocca di Cambio, ungefähr 150 m über ihr, am Abhang des Monte Cagno gelegen, Terranera, Rocca di Mezzo und Rovere. An sie schliesst sich der Piano di Ovindoli, an dessen südlichem Ende sich auf einem Felsknauf Ovindoli erhebt. Zwischen dem Monte Greco ( 2283 m ) und der Majella ( 2795 m ) dehnen sich die folgenden Altipiani aus: Cinquemiglia, il Prato und der dreiteilige Quarto del Barone-Quarto Grande-Quarto Santa Chiara, die Anlass zur Gründung der drei Randsiedlungen Roccaraso, Riuisondoli und Pescocostanzo gegeben haben. Wirtschaftliche Abhängigkeit von Hochflächen ist auch für die höchstgelegenen Wohnstätten innerhalb des Laga-Gebirges ( 2455 m ) zu erkennen, nämlich für Campotosto, Poggio Cancelli und Mascioni, die alle drei am Muldenrande der Regione Torbifera liegen; und ferner für den zu Lucoli gehörenden Weiler Casamaina im Monte Velino ( 2487 m ), wenig unterhalb des Piano di Campo Felice.

Im Westen der Monti Sibillini, unter dem einförmigen, kahlen und grauen Hang des Monte Vettore ( 2478 m ), des höchsten Gipfels der Gebirgskette, befindet sich die tief eingesenkte Wanne des Piano Grande. Sie wird im Norden von einer Reihe von Hügeln, den Collacci, abgeschlossen; auf einem von ihnen thront in 1453 m das weltabgeschiedene Castelluccio ( 549 Einwohner ), das höchste Dorf Umbriens. Vom Vorland aus entzieht es sich vollständig den Blicken. Seine wirtschaftliche Bedeutung ist sehr gering; sie reicht kaum über seine Grenzen in den Bezirk der nächsten Gemeinden. Das liegt am wenig fruchtbaren, feuchten Piano Grande, der selbst im Sommer häufig Nebelbildung zeigt; er kann nur vom Kleinvieh als Weideland benützt werden. Die schmalen Ackerriemen sind zwischen die das Dorf umgebenden Hügel eingestreut; einige wenige bedecken den Grund des im Norden anschliessenden Piano Perduto.

Auf der Südabdachung des Gran Sasso breitet sich, bis hinunter zum Tal des Aterno, eine der grössten Karstlandschaften des Apennins aus. In ihren leicht löslichen und durchlässigen Kalksteinen hat das Wasser im Laufe langer Zeiträume unzählige rundliche oder elliptische, schüsselartige Vertiefungen von wenigen bis einigen hundert Meter im Durchmesser geschaffen; es sind Dolinen. Sie wechseln mit länglichen, breitsohligen Einsenkungen, den talähnlichen Uvalas, und mit Mulden von grösserem Ausmass, den Poljen. Diese Wannenlandschaft bietet nirgends, trotz der steten Wiederkehr von Mulden und Hügeln, das Bild ermüdender Einförmigkeit, ist doch die Vielheit an Formen und Konturen gross. Den Grund dieser DIE HÖCHSTGELEGENEN SIEDLUNGEN DES ZENTRALAPENNINS.

Felsschalen erfüllen die Verwitterungsprodukte des Kalksteins, die den Anbau von Feldfrüchten ermöglichen; nur gelegentlich ist der Boden torfig und sumpfig. Die vielen von Karren durchzogenen Felskuppen indessen machen den Eindruck äusserster Kargheit. In dieser grauen Öde sitzt in 1251 m auf einem Hügel, der zwei fruchtbare Wannen voneinander scheidet, Santo Stefano di Sessanio, ein Dorf ohne das geringste Anzeichen von Wohlhabenheit. Ansehnlicher und viel grösser ist das noch einige Kilometer weiter gebirgseinwärts befindliche Castel del Monte in 1310 m. Es ist bienenkorb-artig auf einer ziemlich schroff abfallenden Bastion erbaut, die fast um 250 m den fruchtbaren Piano San Marco ( 1077 m ), der von den Leuten, wie so oft, einfach il Campo ( das Feld ) geheissen wird, überragt. Angesichts des beschränkten Wirtschaftsraumes ist man überrascht, hier eine ländliche Gross-siedlung anzutreffen. Ihr Vorkommen in dieser Höhe erklärt sich damit, dass ihre wirtschaftliche Grundlage eben nicht allein durch den Ackerbau gebildet wird; mindestens ebenso wichtig ist die Schafzucht, für die im Sommer die Höhen des Gran Sasso, insbesondere der weite Campo Imperatore ( 29 km lang, bis 10 km breit; 1450-2100 m u. M. ), reiche Weidegründe bieten.

Die genannten Beispiele zeigen deutlich, dass die obere Grenze der ständig bewohnten Dörfer innerhalb der klimatisch anbau- und siedlungs-fähigen Zone durch das Relief bestimmt wird. Es sind in erster Linie die Hochflächen, die es dem Menschen gestattet haben, überhaupt bis auf 1450 m emporzusteigen. Unter den 16 Siedlungen des Zentralapennins, die Höhen von über 1300 m erreichen, gibt es neben Rocca di Calascio nur noch deren drei, für die keine derart bindende Abhängigkeit von einem Altipiano besteht. Sie heissen Pietransieri und Gamberale, beide im Valle del Sangro gelegen, und Capracotta ( 3510 Einwohner ), mit 1421 m der höchste Ort des Molise.

Früher zählten die Abruzzen noch zwei weitere hochgelegene Orte, nämlich Gioia Vecchio in 1435 m im Hochtal des Sangro und Castiglione in 1360 m, ein einst zu Tornimparte gehörender Weiler am Rande einer kleinen Ebene. Gioia Vecchio ist durch das Erdbeben vom 13. Januar 1915 gänzlich zerstört und nicht wieder aufgebaut worden. Die gewaltige Anstrengung, ein neues Dorf aus den Trümmern zu heben, hat sich des rauhen, unwirtlichen Klimas wegen nicht gelohnt. Die schwere Katastrophe war den Leuten Grund genug, den am Rande des menschlichen Wohnraums liegenden Ort aufzugeben. Dafür haben sie in bedeutend tieferer Lage eine neue Wohnstätte erstellt; es ist Gioia dei Marsi in 735 m ( 1777 Einwohner ). Der begreiflicherweise mächtige Drang, von der kargen Höhe in die klimatisch günstigeren Wirtschaftsräume hinabzusteigen und sich dort niederzulassen, besonders nach schweren Heimsuchungen durch Naturereignisse, offenbart sich im Zentralapennin noch in einer Anzahl anderer Fälle.Viele Siedlungen, die die Doppelbezeichnung Vecchio ( alt ) und Nuovo ( neu ) führen, bezeugen das. Als Beispiele seien erwähnt: das heute fast ganz verlassene Canistro Vecchio in 831 m im Val Liri, das beim Erdbeben des Jahres 1915 in einen Trümmerhaufen verwandelt wurde; an seiner Stelle ist in ungefähr 600 m Canistro Nuovo entstanden. Es zeigt noch heute das für Erdbeben-gebiete bezeichnende Bild eintönig dahinziehender Reihen von Notbaracken.

Karstlandschaft bei Castel del Monte, Gran Sasso. In den Mulden kleine, von Steinen gesäu-berte Getreideäcker 111 - Foto Karl Suter Valle Solagne, Gran Sasso. Kare im M. Corvo ( links ) und in der Cima delle Malecoste ( rechts ). Im Talkessel Weideland118 - Foto Karl Suter Irunner & Cie. A. G. Zürich Die Alpen - 1941 - Les Alpes. ;.... Ein Opfer der gleichen Naturkatastrophe ist im Norden von Avezzano in 1016 m Albe geworden; seinen Bewohnern blieb nichts anderes übrig, als aus dem verschütteten Dorf auszuziehen und am Fusse des alten Wohnhügels auf dem Piano della Civita in etwa 900 m Nuova Albe ( 178 Einwohner ) zu gründen.

Nicht immer hat es für die Umsiedlung von der Höhe nach der Tiefe schwerwiegender Naturereignisse bedurft. So hat das alte Lecce nei Marsi in 1250 m, das sich einst am Südrande einer kleinen Ebene, des Campo, erhob, im Jahre 1816 allein schon infolge des rauhen Klimas aufgegeben werden müssen; 500 m tiefer ist Nuova Lecce ( 745 m ü. M., 1868 Einwohner ) erbaut worden. Aus dem gleichen Grunde ist Cerasuolo Vecchio, das an der Strecke Colli al Volturno-San Biagio liegt, verlassen und durch das kleine Dorf Cerasuolo ( 650 m ü. M., 489 Einwohner ) bei Filignano ersetzt worden.

Bekanntlich nimmt in den Gebirgen mit wachsender Höhe die Bevölkerungszahl ab. Diesem Gesetze untersteht auch der Zentralapennin. Nur erfolgt hier, insbesondere im Abschnitt der Abruzzen, diese Abnahme nicht stetig; im Gegenteil, von 1250 m an aufwärts steigt die Bevölkerungszahl sogar an, um erst oberhalb 1350 m wieder kleiner zu werden. Das mag die auf S. 382 folgende Tabelle 1 ), die die höchstgelegenen Siedlungen der Abruzzen verzeichnet, veranschaulichen.

Die auffallende Tatsache, dass oberhalb 1250 m die Zahl für die Bevölkerung trotz der Verschlechterung der klimatischen Bedingungen mit steigender Höhe zunimmt, hängt mit dem Wechsel der Reliefformen zusammen; der Einfluss der vor allem zwischen 1250 und 1350 m liegenden Altipiani als landwirtschaftlicher Nutzungsfläche macht sich geltend, sogar über die eigene Stufe hinaus bis auf 1450 m.

Bedeutend höher als im Apennin steigen die Siedlungen in den Alpen empor. Die oberste Stufe in den Schweizer Alpen umfasst Lü ( 1918 m ) im bündnerischen Münstertal mit 57 Einwohnern; Chandolin ( 1936 m ) im Val d' Anniviers im Wallis mit 159 Einwohnern und Avers ( zwischen 1956 und 2133 m ) im Einzugsgebiet des Hinterrheins mit 185 Einwohnern. Es wohnen also im ganzen noch 401 Einwohner über 1900 m. Avers mit seinem Weiler Juf in 2133 m ist bekanntlich die höchste ständig bewohnte Gemeinde nicht nur der Schweiz, sondern von ganz Europa 2 ). In den Westalpen, z.B. im DIE HÖCHSTGELEGENEN SIEDLUNGEN DES ZENTRALAPENNINS.

TTnlipnstiif p Höhenlage Zahl der Einwohner- riuiiciio Lille in lVTpfpTTi Siedlung in Metern Einwohner im zahl der XXX 1IJ.L LK, 1 XX über Meer Jahre 1936 Höhenslufe 1200—1249 Verrico 1200 111 Calaselo 1200 931 Bisegna 1210 452 2800 Fontavigiione 1220 281 Roccaraso 1236 1025 1250—1299 Opi 1250 799 Pizzoferrato 1251 845 S. Stefano di Sessanio 1251 979 3680 Frattura 1260 443 Terranera 1278 426 Sperone 1285 188 1300—1349 Rivisondoli 1310 1582 Castel del Monte 1310 2714 Poggio Cancelli 1314 382 6952 Rocca di Mezzo 1329 1756 Gamberale 1343 518 1350—1399 Rovere 1353 703 Pietransieri 1359 485 Ovindoli 1375 1508 6279 Pescocostanzo 1395 2041 Casamaina 1398 298 Mascioni 1399 1244 1400—1449 Campotosto 1425 1440 l O9Ö7 Rocca di Cambio 1434 847 1450—1499 Rocca di Calascio 1464 51 51 Queyras und Briançonnais, kommen sogar mehrere Dörfer in über 2000 m Höhe vor. Das höchstgelegene ist hier Saint-Veran in 2050 m mit 451 Einwohnern ( Zählung 1924 ).

Schafzucht und Ackerbau sind die wichtigsten Beschäftigungen der Bewohner des Zentralapennins. In all seinen Höhen stösst man im Sommer auf Schafherden. Die grössten zählen bis 3000 Tiere. Spätestens Ende September werden sie zur Überwinterung in die meernahen und wärmeren Gegenden Apuliens, der Campagna Romana und der Maremma Romana geführt, wo sie bis anfangs Juni verbleiben. Mit der Alpabfahrt erstarrt oberhalb 1500 m fast alles Leben. Das Schaf liefert dem Abruzzesen Milch, Wolle und Fleisch. Täglich muss es zweimal, und zwar am Morgen und am Abend, gemolken werden. Auf den Weideplätzen sieht man im Sommer den Hirten mit seiner Herde vor Einbruch der Nacht zum Stazzo, seiner einfachen Unterschlupfstätte, ziehen. Im danebenstehenden Pferch verbringen die Tiere, von bissigen Hunden bewacht, die Nacht. Aus ihrer Milch wird am Abend und Morgen Käse hergestellt. Die Mengen sind so gross, dass sie alle paar Tage, meistens zur kühlen Nachtzeit, auf Maultieren ins Tal befördert werden können. Jede Bauernfamilie besitzt mehrere, gewöhnlich 10—20 Schafe; sie werden im allgemeinen zu Herden von mindestens 200—300 Stück vereint, die ein Hirte gegen ein bescheidenes Entgelt betreut. Die grösste Weidefläche ist der Campo Imperatore im Gran Sasso. Er wird alljährlich allein von der Gemeinde Castel del Monte mit ungefähr 40,000 Schafen beschickt. Jede ansässige Familie hat gegen eine kleine Entschädigung, deren Höhe sich nach der Anzahl der weidenden Tiere richtet, das Recht, auf dem Gemeindeareal dieser Hochfläche ihre Schafe zu sommern. Falls diese Allmende nicht dem ganzen Tierbestand zu genügen vermag, so hat der reiche Bauer für einen Teil seiner besonders grossen Herde in anderen Gemeinden Weideland zu mieten. In den höchstgelegenen Dörfern sind die meisten Männer als Hirten tätig, in Castel del Monte ungefähr zwei Drittel. Es sind ganz unverbildete und in den Lebensansprüchen bescheidene Menschen, die sich mit Selbstverständlichkeit in ihren vom Schicksal gegebenen Beruf fügen.

Neben dem Schaf werden vom Bauern andere Tiere nur in geringer Zahl gehalten, so einige Hühner, ein bis zwei Schweine und höchstens zwei bis drei Kühe, die immer im Dorf bleiben. Pferde besitzt er meist nicht; indessen verfügt er über einige Esel und Maultiere zur Arbeitsleistung. Die dürftigen Alpweiden, die nicht genügend Heu für den langen Winter hervorbringen, erlauben keine Grossviehzucht. Nur in der Umgebung von Roccaraso ist der Bestand an Grossvieh etwas bedeutender.

In den höheren Teilen des Zentralapennins werden vor allem Kartoffeln, Weizen und Gerste angepflanzt. Überall zieht sich um die Bergdörfer ein breiter Gürtel von Ackerland, der bis auf 1600-1650 m hinaufreicht. Diese Grenze ist nicht mit Sicherheit klimatisch bedingt 1der Anbau von Getreide könnte vielleicht in noch etwas grössere Höhen, stellenweise bis ca. 1800 m, vorgetragen werden. Jedoch ist zu bemerken, dass schon zwischen 1300 und 1600 m die eigentliche Vegetationszeit, die nur ungefähr fünf Monate dauert, für die Feldfrüchte knapp ist. Das Korn braucht in dieser Höhenstufe von der Saat bis zur Reife fast ein volles Jahr; es wird z.B. in Castelluccio in den Monaten August oder September gesät und erst in den Monaten Juli oder August des folgenden Jahres geerntet.

In den Alpen reicht die Getreidegrenze höher als im Zentralapennin hinauf, z.B. im Lötschental bis auf 1700 m; im bündnerischen Münstertal oberhalb Lü bis auf 1900 m ( Roggen und Gerste ); ihre absolut höchste Lage erlangt sie mit 2100 m bei Findelen oberhalb Zermatt ( Gerste ). In bedeutender Höhe, nämlich in über 2000 m, kommt das Korn dank künstlicher Bewässerung in den Westalpen vor, besonders im Queyras und Briançonnais. In Saint-Véran ( 2050 m ), ihrem höchstgelegenen Ort, dauert es allerdings volle 13 Monate, bis das Getreide erntereif ist; allein dann noch muss es zum Trocknen auf die luftigen, sonngebräunten Balkone der Häuser verbracht werden.

Im Zentralapennin hemmt, abgesehen vom Klima, der steinige, harte Kalkboden, der sehr häufig nur von einer dünnen Humusschicht überzogen ist, den Ackerbau. Jahr für Jahr muss der Boden in mühseliger Kleinarbeit, die die ganze Zähigkeit und Unverdrossenheit der Leute erfordert, von den Steinen gesäubert werden; davon künden überall Steinhaufen, die sogenannten Macerine ( la maceria = der Steinhaufe ), die sich am Ackerrand hinziehen. Immer noch wird mit dem primitiven Handpflug die Erde gelockert und gefurcht. Das Getreide vermag die Bevölkerung nur notdürftig zu ernähren, obwohl jedes nur einigermassen brauchbare Geländestück, selbst auf steinigen, steilen Hügeln, für den Anbau ausgenützt wird. In diesen Höhen müssen viel grössere Flächen bebaut werden als in den tiefergelegenen fruchtbaren Tälern und Ebenen, um den gleichen Ertrag zu erzielen. Selbst in den Dolinen und Poljen trifft man kein sattes Ackerland mit ernteschweren, goldenen Getreidefeldern. Dagegen bringt der Boden im allgemeinen genügend Kartoffeln hervor.

Im Sommer nimmt die Feldarbeit die Leute ganz in Anspruch. Zur Erntezeit reiten sie morgens früh auf den Maultieren auf die Felder hinaus, um das Korn einzubringen. Vor dem Dorf befinden sich die Ställe mit den gepflasterten Dreschplätzen; da werden die Garben zu Haufen aufgetürmt und in den folgenden Tagen ausgebreitet und gedroschen. Stundenlang im Kreise herumgetriebene Esel oder Kühe haben aus ihnen die Frucht zu schlagen und zu stampfen. Diese altvaterische und jahrhundertelang geübte Dreschweise verschwindet indessen zusehends; sie wird von der modernen Dreschmaschine abgelöst. Sogar das arme Castelluccio hat sich eine Dreschmaschine angeschafft, die gegen eine kleine Entschädigung jedem Bauern dient.

Neben Korn und Kartoffeln werden in besondern kleinen Gemüsegärten, die bei den Häusern liegen, Salat, Erbsen und Linsen gezogen. Linsen-gerichte gelten als gastronomische Besonderheit, z.B. in Castelluccio. Obstbäume sind im Umkreise der höchstgelegenen Siedlungen nicht mehr vorhanden, ausgenommen etwa der Mandelbaum, der, wie z.B. in den Dolinen um Castel del Monte, bis auf 1300 m hinaufgeht. An verschiedenen Orten, auch in Castelluccio, konnte ich beobachten, dass der Acker nach Art der Dreifelderwirtschaft bestellt wird. Im ersten Jahr pflanzt man auf ihm Korn und im zweiten Linsen an und im dritten folgt die Brache. Wie manchenorts in den Alpen setzt sich der Grundbesitz eines Bauern aus einer Vielzahl von kleinen Parzellen zusammen, die innerhalb des Gemeindeareals weitherum zerstreut liegen. Der Weg zu den entferntesten Ackerriemen ist oft über zwei Stunden weit.

Seit jeher führen die Hirten und Bauern im Sommer einen schweren Kampf ums Wasser. Es mangelt in den Kalkgebirgen des Zentralapennins zu dieser Jahreszeit fast vollständig. Diesen Eindruck empfängt der Wanderer in den zahlreichen Hochgebirgstälern und Hochflächen, durch die nicht die kleinste Wasserader zieht, immer wieder. Einige Gebirge, wie Velino, Majella, Terminino, besitzen überhaupt keinen einzigen ständig fliessenden Bach; als völlig ausgetrocknete, bleiche Geröllstreifen treten die Flussbetten aus diesen Gebirgstälern ins Vorland hinaus. Nur selten stösst man in der Hochregion auf eine Quelle. Ein solcher Glücksfall bedeutet nach stundenlangem Wandern in lähmender Hitze Befreiung von körperlichem DIE HÖCHSTGELEGENEN SIEDLUNGEN DES ZENTRALAPENNINS.

Unbehagen und verleiht ein Gefühl der Geborgenheit. Mit wachsender Ehrfurcht wird einem da bewusst, wie lebenswichtig in diesen Regionen die Quelle für Mensch und Tier, für Hirte und Herde ist. Zu den grossen Quellen führen aus allen Richtungen die Pfade hin; Hirten und Köhler kommen auf

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Roma

lecce0 „ G/o/'o l/ccchfo Roccaroso / GsrarSc/o/o X> Co///a//o/Zurno Maultieren heran, um hier in kleinen Fässchen Wasser zu holen. Solch bedeutende Treffpunkte sind z.B. in der weiten Hochfläche des Campo Imperatore ( Gran Sasso ) die Fonte Marcella ( 1636 m ) am Fusse der Vetica; im Velino die Fonte delle Scodelle ( 1414 m ) im Valle della Giumenta; im Matese der Capo d' Acqua ( 1400 m ) im Hintergrund des Piano di Campitello. Von welch grosser Wichtigkeit die Quellen in diesen wasserarmen Gebirgen sind, zeigen auch die topographischen Karten, die sie sorgfältig, mit Angabe von Namen Die Alpen — 1941 — Les Alpes.31 DIE HÖCHSTGELEGENEN SIEDLUNGEN DES ZENTRALAPENNINS.

und Höhenzahl, verzeichnen. Der ausgesprochene Mangel an Wasser zur Sommerszeit hängt mit dem Klima und dem Gesteinsuntergrund zusammen Im Zentralapennin sickert es, ähnlich wie im Jura, in die Kalksteinfelsen ein und fliesst unterirdisch, in Klüften und Gängen, ab, um erst am Fusse der Gebirge in zahlreichen Quellen wieder hervorzutreten. Dazu kommt, dass die sommerliche Niederschlagsmenge im Mittelmeergebiet gering ist. Grosse Kahlheit kennzeichnet darum die zentralapenninische Hochregion. Auf diesen Charakter deuten auch Namen von Hochtälern und Hochflächen hin, wie Valle di Femmina Morta ( Tal zur toten Frau ) in der Majella und in den Monti Simbruini; Camposecco ( trockenes Feld ) in den Monti Simbruini, im Norden des Gran Sasso und im Hochtal des Sangro oberhalb Pescasseroli in 1671 m; Campovano ( unnützes Feld ) in den Monti Simbruini; Piano Perduto ( verlorenes Feld ) in den Monti Sibillini; Regione Papa Morto ( Gegend zum toten Papst ) im Gran Sasso; Piano dei Morti ( Ebene der Toten ) im Osten der Laga; oder Campo della Pietra ( steiniges Feld ) und Abwandlungen dieses Namens in verschiedenen Erhebungen. Also schon jene frühen Geschlechter, die diese einprägsamen, charakteristischen Namen schufen, müssen diese Gebirge als rauh und unwirtlich empfunden haben.

Da und dort erfolgt die Wasserversorgung einer Bergregion vom nächsten Dorfe aus. Das gilt für viele abgelegene Waldstellen, in denen Köhler arbeiten. Tag für Tag oft müssen sie kleine Karawanen von Maultieren, die mit Säcken voller Holzkohle beladen sind, talwärts treiben, um im nächsten Dorf die Fracht an die Verkehrsmittel der Strasse abzugeben. Die zu den Meilern zurückkehrenden Karawanen schaffen in kleinen Fässern das Wasser herauf. So konnte ich häufig im Velinogebirge am Brunnen von Rocca di Cambio, der etwas ausserhalb des Dorfes liegt, Maultiere antreffen, die von hier aus schwere Wasserlast zu den entfernten Wäldern oberhalb des Campo Felice trugen. Kleine Köhlereien, die nicht täglich Holzkohle ins Tal zu führen haben, beschaffen sich das nötige Trink- und Brauchwasser aus auf-gespeichertem Schnee.Vor Einzug des Frühlings wird, wie ich im Waldtal la Canala des abruzzesischen Nationalparkes ( Monte Palombo ) sehen konnte, eine stattliche Schneemasse in einer Rinne angehäuft und zum Schutz gegen vorzeitiges Abschmelzen mit Laub und Stroh zugedeckt. Während des Sommers wird sie nach und nach freigelegt, um Wasser zu liefern. Im Nordhang der Majelletta, in ungefähr 2000 m Höhe, hat sogar alljährlich ein solcher Vorrat dem gewerbsmässigen Vertriebe zu dienen. Im Sommer steigen wiederholt Männer zu dieser Stelle empor, stechen und sägen aus dem hartgefrorenen Schneekörper Schollen heraus, verpacken sie in Säcke und befördern sie auf Maultieren ins Tal. Dort werden sie in Dorfschenken und Gemeindespitälern abgesetzt.

( Schluss folgt. )

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