«Die gleiche Freude an den Bergen» Handicapierte als Helfer in der SAC-Hütte
Wenn Hüttenwartin Gabi Aschwanden einmal im Jahr Unterstützung von Menschen mit einem Handicap erhält, füllt sich die Fridolinshütte mit Leben. Ein Augenschein.
In der Küche beim Rüsten und Abwaschen, beim Füttern von Gabis Katzen und Seidenhühnern, beim Servieren in der Gaststube, beim Bödenaufnehmen oder Bettenmachen: Überall gehen Simone (21), Annette (29), Matthias (28), Stephan (22) und Ernst (43) der Hüttenwartin Gabi Aschwanden zur Hand. Die fünf haben eines gemeinsam: Sie leben mit einem körperlichen oder geistigen Handicap. Einmal im Jahr führt Gabi auf ihrer Fridolinshütte zusammen mit der Organisation Pro Infirmis Projekttage durch, an denen Handicapierte auf der Hütte mitarbeiten.
Jeder Helfer bringt seinen ganz eigenen Charakter ins Hüttenleben ein. Ernst, der Dienstälteste zum Beispiel. Er arbeitet sonst im Glarner Zigerschlitz unten in der Kantine der Maschinenfabrik in Mollis als Hilfskoch – und war sogar schon mit Gabi auf dem Tödi. Hier auf der Hütte übernimmt er die Rolle des liebevollen Patrons für alle Hilfshüttenwarte, verbreitet gute Laune und verteilt Umarmungen. «Gehts dir gut?», fragt er Annette beim Abendessen. «Gell, wir schauen gut zueinander!» Und sie, geistig stark beeinträchtigt, aber mit nicht weniger Freude am Bergleben, strahlt über das ganze Gesicht.
Matthias, dem man sein Handicap auf den ersten Blick nicht ansieht, versprüht bei den weiblichen Hüttengästen Charme, dass die Funken stieben. Stephan brilliert mit seinem breiten Wissen und viel handwerklichem Geschick. Und Nesthäkchen Simone hält mit ihrer Lebensfreude und ihren Teeny-Allüren alle auf Trab. Auch in der Nacht, wenn sie im Massenlager – den iPod im Ohr – lautstark vor sich hinsingt und Matthias fast in die Flucht schlägt.
Im alten Hüttchen unten beim See habe er übernachtet, erzählt Stephan am nächsten Morgen, sichtlich gut erholt. Während Simones Zimmergenossen einigermassen gerädert dreinschauen. Und Simone ebenfalls, deren private Freinacht sich in ihrem noch nicht ganz anwesenden Gesicht abzeichnet.
Die Hütte als Versuchslabor
Nach dem Frühstück verteilt Gabi dann die Ämter: Die drei Männer werden zum Wegunterhalt abgeordert, die zwei Frauen zum UHU, dem Dienst im und ums Haus herum. Das freut Simone, kann sie sich doch wieder dem Aufstempeln des Hüttenlogos auf die Ansichtskarten von der Fridolinshütte widmen.
Als es abermals Abend ist und Gabi in der Küche steht, meint sie: «Siehst du, so verfliegen hier die Tage!» Das Zusammenarbeiten mit Helfern, die ein bisschen anders sind, hat ihr schon beim ersten Mal so viel Freude gemacht, dass sie ihre Hüttentüren seither jedes Jahr erneut für sie öffnet. «Weisst du, 20 Jahre lang hab ich die Hütte führen müssen, weil ich nichts anderes hatte. Und jetzt darf ich sie führen, weil ich mit meinen Wanderunternehmen ein zweites Standbein habe», sagt Gabi. Darum nehme sie die Hütte jetzt auch mal als Versuchslabor: «Der Bergsteiger, der gesund ist und Bäume ausreissen kann, der hats eh einfach. Aber behinderte Leute haben genau die gleiche Freude an den Bergen.»
Ein Platz für alle
Gabi sagts und strahlt: «Ihnen die Möglichkeit zu geben, die Berge zu erleben, das macht mir Spass. Und sie schätzen es auch. Vielleicht noch mehr als ein Bergsteiger, der schnell auf den Tödi raufspringen kann. Zudem haben sie ja viel mehr Anstand als wir. Einem Gesunden muss ich manchmal sagen: He, hallo?»
Ob so oder ein bisschen anders: Auf der Fridolinshütte hat es Platz für alle, die die Berge lieben. Und Gabi meint mit liebevollem Blick auf ihre besonderen Helfer: «Am Schluss sind alle glücklich. Das ist doch die Hauptsache, gell!»