Die Engelhörner und der Klubführer des A.A.C. Bern
( Verlag von G. A. Bäschlin, Bern, 1914. ) Besprochen von Paul Montandon ( Sektionen Bern, Blümlisalp und Altels ).
Tausende und aber Tausende zogen im Laufe der Zeiten über den alten, ewig schönen Weg der Großen Scheidegg und sandten verwunderte Blicke zu den grauen Wänden und spitzigen Zacken hinauf. „ Was mag dort oben, in den Hörnern mit dem eigentümlich anregenden Namen, wohl für eine Schöne Wilde Welt sein ?" Geologen und Gemsenjäger kannten sie ja seit langem. Einzelne Gipfel, wie das Gstellihorn ( Anno 1836 ), das Tennhorn, das große Engelhorn ( 1876 ), der Kingspitz ( 1887 ), die Hohjägiburg ( zirka 1890 ) waren von Touristen bestiegen worden. Und 1898, mit dem Einsetzen der modernen Klettertechnik, fiel der Simelistock, jener hellgraue Drohfinger, der schon von Meiringen aus hoch oben die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Aber den großen Anstoß zur systematischen Erforschung der Gruppe gab eigentlich eine Dame, Miss Gertrude Lowthian Bell. Nach Reisen in der Wüste frönte sie eine Zeitlang mit Leidenschaft dem Alpinismus. Sie bestieg um 1901 mit Ulrich und Heinrich Fuhrer aus Meiringen und anderen Führern eine Reihe der schwierigsten Klettergipfel in verschiedenen Gebieten und verschwand dann meteorartig vom alpinen Sternenhimmel, die übrigbleibenden Gipfel der Engelhörner einer Konkurrentin überlassend. Wenn man überhaupt fremden Namen Zutritt geben will, wäre es daher artig und nicht ungerecht gewesen, jener Serie von sechs Spitzen, welche sie recht eigentlich entdeckt hat, den hübschen Namen „ Bellspitzen " zu geben, statt der etwas farblosen Bezeichnung „ Mittelgruppe ".
Daß ein Gebirge, welches über 30 ausgesprochene Klettergipfel enthält ( NB ., alle ohne ein einziges fixes Seil, heutzutage einen „ Führer " verdient, liegt auf der Hand. Und daß die Kette, wie der Adler fliegt, auch nur etwa 5 km lang ist, also bei ebener Straße in einer Stunde beschritten werden könnte, ändert nichts hieran.
Mit der Ausarbeitung dieses Führers wurde eine Kommission betraut, welche dann ihres Amtes mit aller Gründlichkeit in erschöpfender Weise waltete. Die Liebe zur Sache merkt man auf jeder Seite heraus. A tout Seigneur tout honneur: es waren die Herren Franz Müller, der die erste Anregung gab und nebst seinem anderen großen Anteil auch die geologische Notiz verfaßte, R. Wyß, Paul Simon und Dr. H. Kuhn. Dazu gesellte sich als hauptsächlichster Mitarbeiter Aug. Gysi und dann auch H. Linder und einige Bergführer. Eine sachkundigere Korona hätte sich nicht finden lassen. Die Wegbeschreibungen auf die einzelnen Gipfel und ^ Ein fixes Seil hängt noch jetzt in den Engelhörnern, nämlich in den Felsen südlich des Graspaßcouloirs, an nutzloser Stelle, wo sich einst Engländer abgeseilt haben sollen.
Wenn einmal, beiläufig gesagt, die ausgedehntere, wenn auch weniger hohe Gastlosenkette im weiteren Sinn, also vom Jaunpaß bis nach Château-d'Oex, überall gründlich erforscht ist, erwarten wir gerne auch für jene prächtigen Felsen, welche den grünen Berner- und Frei-burgerweiden entragen, einen ähnlichen Wegweiser. Die jungen Kletterer, welche das Gefühl haben, etwas spät auf die Welt gekommen zu sein, mögen sich beruhigen — sind doch, hier wie dort, noch eine Menge schöner Möglichkeiten vorhanden.
Lückeneine schwierige Aufgabe für so kompliziertes Terrain — sind ganz ausgezeichnet. Dies nicht bloß für die etwa 20 Gipfel und Lücken, welche der Berichterstatter aus eigener Anschauung kennt — auch bei den andern hat er das Gefühl, daß die Routenangaben an Klarheit und Zuverlässigkeit, am Hervorheben des Wichtigen und Charakteristischen nichts zu wünschen übrig lassen. Die beigegebenen fünf Lichtbilder Gysis, von Henzi & Co. in vollkommener Weise reproduziert, sind von prachtvoller Plastik und man bedauert nur eines, nämlich daß deren nicht viel mehr sind. Die Photographie des heimeligen Schutzhäuschens des akademischen Alpenklubs im Ochsental, von Dr. Kuhn, hätte noch gewonnen, wenn es möglich gewesen wäre, die unheimlich grandiose Umgebung miteinzubeziehen, wodurch das Hüttchen ins richtige Verhältnis zu derselben gerückt und in lebendiger Weise gezeigt worden wäre, wie klein des Menschen Werk ist. Fast senkrecht erhebt sich ja die 600 m hohe, graue Wand des Kingspitz über dieselbe.
An weiteren Beigaben finden wir im Engelhornführer: Einen schematischen Grundriß der Kette, den man vielleicht etwas größer haben möchte, damit die Namen etwas mehr Raum hätten, sechs feine Routenskizzen, ein großes Panorama der ganzen Gruppe und endlich eine Zeichnung der Kingspitzkette. Dem Panorama, von der Mettlenalp aus aufgenommen, würde etwas mehr Plastik noch größeren Wert verleihen. Die Zeichnung, auf der Schwarzwald-Alp aufgenommen und zuerst in Kupferstich ausgeführt, ist in ihrer Kraft und Feinheit ein kleines Kunstwerk. Für alle diese famosen Beigaben sind wir Herrn Simon verpflichtet.
Eine Menge guter Benennungen sind aus dem Volksmund herübergenommen und zu Ehren gezogen worden. Ohne uns in viele Einzelheiten einzulassen, möchten wir hier bemerken, daß die Stockerskehle, wie der Engelhornführer richtig vermutet, zwischen Hohjägiburg und Vorderspitze und nicht beim Gemsensattel auf den Hauptgrat führt, indem Stocker — das Geschlecht sei vor kurzem ausgestorben — in jener Kehle herunterfiel. Schönbidemli sollte richtiger Schonbidemli geschrieben werden: ein ebenes Plätzchen, wo die Gemsen geschont werden.
Gegen die über 20 unvermeidlichen Neutaufen, welche nach und nach entstanden sind, ist aus praktischen Gründen nichts einzuwenden. Die Namen „ Karr " und „ Jägiburg " wurden fallen gelassen und durch Tenn und Tennhorn ersetzt. Daß „ Kingspeak " nun endlich offiziell der Bezeichnung „ Kingspitz " Platz machen muß, nachdem ersterer Name lange genug in den Zeitungen herumspukte, ist sehr zu begrüßen. Schon „ King " ist störend2 ) und paßt nicht in unser Bernerland, sowenig übrigens als Kastor und Pollux.
Sehr verdienstvoll sind die zahlreichen neuen Höhenangaben, welche ohne Zweifel möglichst genau mit dem Aneroid bestimmt wurden. Das große Engelhorn wird mit zirka 2783 m angeführt, während der Top. Atlas genau so viel angibt. Ergaben die Instrumente der Akademiker eine Divergenz?
Bezüglich der Einschätzung der Schwierigkeiten muß auch an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, daß für die Engelhörner nicht der gewöhnliche Maßstab angelegt wurde. Der „ Führer " stellt durchaus auf gewandte und furchtlose Kletterer über Mittelgüte ab, beurteilt die Touren vom Standpunkt der Ganz Guten, man könnte sagen vom „ Kletterschuhstandpunkt " aus. Schreiber dies fand z.B. die unterste Stelle am Kastor ( gleich über dem Sattel, siehe Photographie im Alpine Journal 1915, Seite 261 ) recht unangenehm, während man, gemäß Engelhornführer, „ dem Grat unschwer zum Gipfel folgt ". Ebenso zum Teil den Aufstieg zum Gemsensattel, der „ keine besonderen Schwierigkeiten biete ". ( Legen wir immerhin eine sanfte Betonung auf das Wort „ besonderenDoch dies beweist nur eines, nämlich, daß die im Alter zunehmende alpine und sonstige Weisheit im umgekehrten Verhältnis zur Leistungsfähigkeit steht, und daß für gewisse schwatzhafte Leute die Mittelgüte schon in der schönen Vergangenheit ruht. Doch hie und da legt auch ein blindes Huhn ein Ei, wenn ihm Ammendienste geleistet werden. So kletterte ein mir gut bekannter und älterer Bergsteiger vor kurzem mit Melchior Kohler vom Sattel in 24 Minuten auf den Simelistock, während die mittlere Aufstiegszeit im Engelhornführer zu 3/^ bis 1 Stunde angegeben wird. Nun, hoffen wir, daß in 20 bis 30 Jahren noch recht viele der jetzigen Akademiker, wenn auch einige vielleicht trotz grauer Haare, in jenen grauen Platten herumklettern werden!
Einige Wünsche und Anregungen werden mir die geschätzten Verfasser und Mitarbeiter des schönen Buches hier schon erlauben anzuführen; sie sollen ja in keiner Weise Aussetzungen sein. Die Gruppe interessiert auch den Rezensenten in hohem Maße und er wird nicht der letzte sein, von eventuellen Vervollständigungen Vorteil zu ziehen und daran Freude zu haben.
An den neuen deutschen Montblanc- und Dauphineführern des Ö. A. K. fällt sehr angenehm auf das verhältnismäßig kleine Volumen und Gewicht, eine Folge des dünnen, wenn auch guten, verwendeten Papiers. Es ist fabelhaft, was diese zwei leichten Büchlein alles enthalten. Kuriositätshalber möge hier eine Gegenüberstellung folgen:
Montblancführer ( inkl. Zeichnungen ) 250 Seiten, 110 gr, 1012 X 16 « m Dauphineführer ( keine350 „, 140 gr, 11 X 17 cm Engelhornführer ( inkl.104 „, 185 gr, 12y2X 18 Va cm Der Engelhornführer ist also per Textseite zirka dreimal schwerer als seine zwei Konkurrenten, und obgleich das Büchlein effektiv weder voluminös noch gewichtig ist, könnte doch bei einer zweiten Auflage eine gewisse Gewichtsreduktion erzielt werden — wie übrigens auch bei vielen anderen in den letzten Jahren publizierten Führern, die man manchmal lieber auftrennt, als sie ganz mitzunehmen. Man hat sonst noch Sachen genug mitzuschleppen und ist für jede Verminderung dankbar. Die Wahl eines dünneren Papiers und Deckels würde, ohne erhebliche Gewichtsvermehrung, auch erlauben, noch mehr Bilder und Routenzeichnungen einzuschalten, eventuell sogar, als Neuerung, einen Abdruck der top. Karte, womöglich in größerem Maßstab, mit allen Namen und den nötigen Berichtigungen.
An weiteren Photographien oder Zeichnungen wären sehr willkommen je ein gutes, allgemeines Bild der ganzen Kette, von Nordwest ( z.B. der Grindelfeldalp oder dem Tschingelhorn 2324'aus ) und von Südost ( z.B. vom Bettlerhorn 2133 m ) gesehen, mit allen Namen der Gipfel, Bänder und Kehlen. Auch eine Speziai - Darstellung der kleinen verwickelten Gruppe Rosenlauistock, Tannenspitze, Sattelspitze, Engelburg von Südwesten, wäre von Nutzen. Deren Pa-rallelogramm-Grundriß wurde dem Schreiber, den ein s. Z. publiziertes Diagramm irreleitete, nun erst durch den Engelhornführer klar. Apropos, wo steckt denn eigentlich der im Rosenlaui Climbing Book erwähnte, am 23. Juni 1902 ( Tag der Rosenlauistock-Besteigung ) von Frl. Kuntze und Hrn. Hasler mit Ulrich Fuhrer be- stiegene „ Breitbodenturm "? Auch ein geheimnisvoller „ Dragoner " spukt irgendwo in dieser Gegend herum, dem wir aber glücklicherweise nie begegnet sind.
Ich kann nun meine Frage selber beantworten: Wie ich mich jüngst an Ort und Stelle überzeugte, ist der Breitbodenturm eine von oben in keiner Weise auffallende Schulter im W. W. Grat der Engelburg, unterhalb der Stelle, wo jener Grat „ grasig " wird. Dem etwas abfallenden, kurzen, aber zerrissenen Grat folgend, kann man ihn von dort in 5—10 Min. erklettern. Oben Reste eines Steinmännchens. Unten, von der Kingspitz-Route aus, stellt er sich dar als hohe, schroffe Nadel.
Der „ Dragoner " aber hält Wache im westlichen Ochsensattel-Couloir, südsüdwestlich des Gipfels der Engelburg. Es ist ein steil abfallender, unbedeutender Felsrücken, etwas oberhalb des gewöhnlichen Kingspitzweges, 10 Min. unter dem Ochsensattel, und lehnt sich an die Hänge der Engelburg. Letztere wurde vom Couloir zwischen Dragoner und Engelburg, also von Südwesten, am 10. Juli 1915 von der Partie des Berichterstatters erklettert.
Ob nicht auch dem ganz nahen Kleinen Wellhorn, das eine den Engelhörnern ganz analoge Kletterei bietet, die Ehre der Einbeziehung in diesen Führer hätte zuteil werden sollen, diese Frage werden sich die Verfasser wohl selber vorgelegt und offenbar in verneinendem Sinne beantwortet haben. Es gehört nicht zur Gruppe, aber vom bergsteigerischen Standpunkt aus wäre dessen Berücksichtigung, etwa als Anhang, einigermaßen gerechtfertigt gewesen.
Den sogenannten „ Vorgipfel " des Urbach-Engelhorns hätte man vielleicht besser „ Westgipfel " oder sogar „ Mittleres Engelhorn " benannt. Der Führer erwähnt den „ Südgipfel " des Großen Engelhorns. Man könnte daher analogerweise den auf Seite 91 angeführten großen Gratturm nordöstlich des Großen Engelhorns „ Nordostgipfel " nennen.
„ Sagizähne ", 2742 m, wird man, obwohl oben bei der Gaulihütte ( und auch anderwärts ) schon solche fletschen, stehen lassen, um so mehr, als der Name ein guter und keine Neubezeichnung ist.
Interessant wäre, zu vernehmen, woher der Name „ Karr " stammt und ob nicht das „ Tenn " von Anfang an so hieß. Der top. Atlas nennt das Ochsental „ im Tenn ", was also korrekturbedürftig wäre. „ Karr " wäre dann fallen gelassen worden, damit das Tennhorn sich über der Felsblockmulde des „ Tenus " erhebe. Dem kann man nur beipflichten, wenn es auch um den nun hier verschwindenden Ausdruck schade ist. Für den Gipfel südwestlich der Tennlücke und oberhalb von „ In der Benne " dürfte der Name „ Bennenspitz ", traversiert am 4. Mai 1914 von A. Briggen und H. Leuthold, Meiringen, oder etwas Ahnliches passend sein. Er verdient einen Namen, da er dem Tennhorn an Höhe nicht sehr viel nachsteht und auffällt. Westlich unter dem Großen Engelhorn befindet sich das „ Hintere Hohjägi " und südwestlich unter dem Kingspitz das Vordere, was den Gemsen allerdings längst bekannt ist, und an der Kilchfluh, einem gegen die Engelhornkette auslaufenden Felskopf der Burg, verunglückte s. Z. der Engländer Williamson. Diese ( unwichtigen ) Namen sind, Irrtum vorbehalten, im Führer nicht erwähnt und ebenso nicht das „ Schnürli ", das eine Fortsetzung von „ In der Benne " sei und südlich der Hohjägiburg auf den Grat münde. Dort liegt auch die Stockerskehle; vielleicht stehen sie in Verbindung zueinander. Die Bezirksgrenze folgt merkwürdigerweise nicht der Wasserscheide, sondern geht vom Gipfel des Tennhorn« östlich abwärts und folgt hierauf dem obersten Bande, das im top. Atlas wohl fälschlich „ In der Benne " statt „ Röhreni " benannt ist. Bezüglich der Wildheuermatte des „ Lindi " sagte mir Melchior Kohler, sie sei auch schon direkt vom Ürbachtal aus, und zwar „ rechts des tiefen Grabens rechts des Lindi ", in zum Teil schwierigem Aufstieg erreicht worden. Wenn der Engelhornführer Seite 8 sagt, das Lindi liege unmittelbar nördlich des Tieflauitobels, so ist dies wohl ein Druckfehler und soll heißen südlich. Die genaue Lage des im T. A. fehlenden, übrigens unwichtigen Schwendlau igrabens „ unter " dem Burg- alpeli hätte vielleicht angegeben werden dürfen. Weitere interessante Angaben wären ohne Zweifel bei Heinrich Anderegg, Wildhüter in Unterstock, einem der besten Kenner dieses Gebietes, erhältlich.
Als nützliche Unterkunft ist die Balm oberhalb Augstgumm und ob den „ Leiteren ", am Weg zur Engellücke, speziell empfehlenswert. Sie ist, wie auch eine noch höher oben befindliche Höhle, wunderbar schön gelegen. Sollten die Touren in den Engelhörnern, bei besserer Bahnverbindung, etwa noch zunehmen, so könnten z.B. im Lindi, am Westhang der Groß-Engelhornkette und anderswo, geeignete Stellen etwas hergerichtet werden, um vor einer langen Tour als Biwakplatz dienen zu können oder bei Wettersturz Schutz zu gewähren. Manch einer könnte in den Fall kommen, dafür dankbar zu sein. Es hat im ganzen Gebiet eine ziemlich beträchtliche Anzahl Balmen und Höhlen.
Die Reichenbachalp soll schon vom 10.15. Juni an bezogen sein.
Daß in einem so felsenreichen Gebiete, trotz allem Eifer der zum Teil in der Nähe wohnenden Spezialisten, noch eine Anzahl schöner Probleme übrigblieben, wissen die betreffenden Kandidaten selber am besten. Von Nordwest oder West aufs Gstellihorn, von West aufs Große Engelhorn, ebenso von Westen auf den Rosenlauistock, vom Ochsental direkt auf eine der Bellspitzen ( pardon, auf einen der Gipfel der „ Mittelgruppe " ), z.B. die Vorderspitze, vom gleichen Ausgangspunkt auf den Kastorsattel und von dort direkt auf den Kingspitz ( Prosit !), auf den Pollux und die Tannenspitze von Norden, auf die Tennlücke vom Tenn aus — dies sind, mit andern mehr, so einige Nüsse, die zum Teil wohl unaufbeißbar sind, auch für junge Zähne.
Schließlich wage ich, meinen ganzen Mut zusammennehmend, noch die Anfrage, ob die Akademiker in Zukunft in den Führern die vielen, etwas ermüdenden Buchstaben nach jedem ihrer Namen — A.A.C.B., A.A.C.Z. Ich kenne einen alten Lästerer, der stets A. B. C. D. sagt, es sei weniger anstrengendnicht weglassen und durch eine allgemeine Bemerkung- im Vorwort ersetzen könnten? Der Ruf unserer akademischen Alpenklubs ist durch die glänzenden Leistungen ihrer Mitglieder — auch in alpin-literarischer Beziehunglängst so fest begründet, daß sie diese Bezeichnungen ( denen eigentlich in den meisten Fällen auch S.A.C. beigefügt werden sollte ) vielleicht nun unterdrücken dürften? Der Mann wäre ja eigentlich die Hauptsache, nicht die Zugehörigkeit zu einem Verein Nut fer unguet!
Seit den Zeiten, wo der etwas sagenhafte Chleck Hans selig — welch reizender Name mit echt bernischem Lokalkoloritin den Engelhörnern schwer beschuht, aber leichten Fußes, dem Grattier folgte, und damals, wer weiß, auf mehr als einem, seitdem zum „ ersten " Male bestiegenen Gipfel auf dem Bauche lag und nach Gemsen „ spiegelteund auch seit die Brüder Wäfler von Frutigen, lange Zeit die besten Jäger des Berner Oberlandes, auch dort ihre unübertroffene Jagdkunst ausübten, sind Jahre verflossen. Zurzeit mag das Revier der Engelhörner etwa noch hundert Gemsen beherbergen. Beim „ Lecki ", im Wald ob Geißholz, sind schon bei 40 Stück beisammen beobachtet worden. Oft sah man sie an ganz schauerlichen Stellen, deren es in den Engelhörnern genug hat, in wilder Flucht dahinrasen. Daß sie über den fast senkrechten Riß mit kleinem Sperrblock in der Südwand des westlichen Urbach Engelhorns herabkommen, spricht Bände. Noch jetzt gehen erlaubter und, noch mehr, verbotenerweise Jäger in jene wilden Gebiete; seit dem verunglückten Stocker fand mehr als einer dort den Tod. Kletterschuhe kennen die Jäger nicht, sie sind auch nicht absolut notwendig. Wurden ja doch fast alle bekannteren Touren in den Engelhörnern und die schwierigsten Kamine, allerdings von Führern, schon in Nagelschuhen gemacht.
Am Simelisattel fand ich einst in einer Flasche die Notiz des bekannten früheren Führers und Jägers X. Y. Z., daß er am... hier gewesen sei. Sie war auf einer Vorladung wegen Jagdfrevels geschrieben und daneben lag ein Futteral aus Sackleinwand, das die Länge einer Flinte hatte... Aber an schönen Sommer- und Herbsttagen trifft man in den Engelhörnern nun gewöhnlich Leute mit friedlicheren Absichten. Ein „ Akademiker ':, als moderner Liebhaber, führt seine Braut auf den königlichen Spitz und jauchzt dort einem Ehepaar zu, das am Großen Engelhorn herumsteigt und dem der Tag dann lang genug wurde. Oder einige junge Männer überturnen die sechs Gipfel der Mittelgruppe in scharfer Kletterei und es verlautet, daß hierbei dem einen oder anderen das Familienvatergewissen zeitweise zu pochen begann. Sonderbare Momente, in denen es sich anmeldetOder zwei Junge und ein Älterer übernachteten unten in der Kaltbrunnen Sage, ausgerüstet mit 100 m Seil und großen Plänen, um tags darauf, mit Hülfe von großen Regenschirmen, den bösen Weg zum Rosenlauibad und der Weißenbachschlucht zu „ forcieren ". Oder endlich, ein letztes, schon fernes Erinnern: An die Pioniere Martin und Kempf, denen — es sind nun 17 Jahre — nach wie vielen Forschungen und Versuchen es endlich gelingt, den Simelistock über die Kante zu erobern. Wie drei Jahre später Albert Webers Erstbesteigung des Ürbachtal Engelhorns über die nach ihm benannte Trace, so war diese frühe Simelistockbesteigung in der Kühnheit des Gedankens und Furchtlosigkeit der Ausführung eine Tat und ewig schade ist es, daß England den zwei Kämpen auf anderem Weg einen Tag zuvor die Palme raubte. Auf weichen Sohlen, den Berg nicht zu verletzen, der ihnen so viel Freude verspricht, gehen alle diese wackeren, jungen Männer in jene Felsen hinauf. Wenn sie abends heimkehren oder ihr Häuschen im Ochsental aufsuchen, sind ihre Hände aufgerissen und abgenützt, ihre Knie zerbeult, ihre Arme matt. Heiß aber strömt das Blut nach überstandenen Fährlichkeiten in den Adern und mehr wild als sanft ist ihr Blick. Haben sie, trotzig fragend, dem Tode ins geheimnisvolle Auge geschaut "?... Ist es der stolze Blick des jungen Siegers?... Nachts führen ihre Träume sie dann nochmals auf die grauen Platten, über turmhohe Wände, längs der kleinen, so sicheren Bändchen. Dann aber löst sich die Erinnerung an Kampf und Gefahr, und an ihre Stelle tritt sachte das Bild, welches sie auf all jenen schwindligen Pfaden begleitete: Der ferne, glanzvoll weiße Gipfel des Wetterhorns über dem blauen Eisfall des Rosenlauigletschers — während allem Ringen ein Ausblick in wunderbares Land. Schönheit und Frieden gewinnen ihre sieghafte Macht über die Schlafenden, und weiche Ruhe senkt sich über die müden Glieder und die erregten Seelen.
Dem Geschick, das uns Bernern diese kraftvollen Felsen in die Nähe gab, wollen wir danken und auch den Männern vom jungen Schwesterverein, welche sie in so guter Weise erforscht, durch den Bau eines Häuschens zugänglicher gemacht und nun in so trefflicher Weise beschrieben haben.
Im Sommer 1914.Paul Montandon.