Die Achttausender
Von G. O. Dyhrenfurth ( St.. Gallen, Sektion Uto )
Aber die beiden Österreicher hatten von der Expeditionsleitung Befehl, mit der Gipfelbesteigung auf das Gros zu warten, und das bezog an diesem Tage Camp 8 ( 7480 m ) dicht hinter dem Silbersattel. « Befehl ist Befehl! »... ganz besonders im Dritten Reich. Widerwillig gingen die beiden Tiroler zum Lager 8 zurück. Am 7. Juli sollte dann alles gemeinsam zum Hauptgipfel. Doch auch hier galt das schon einmal zitierte Dichterwort: « Was man von der Minute ausgeschlagen... » Denn genau in diesem Augenblick, in der Nacht vom 6. zum 7. Juli, setzte auch hier oben gewaltiger Monsun-schneesturm ein. Ein böser Tag, eine noch bösere zweite Nacht, und am 8. Juli morgens wird der Rückzug beschlossen. Der Sieg ist aus der Hand gerissen. Jetzt geht es nur noch darum, das Leben zu retten.
1 Waeber M., « Observations faites au glacier de Tré-la-Tête à l' occasion de l' aménage d' une prise d' eau sousglaciaire. » Revue de Géographie Alpine, Tome XXXI, Grenoble 1943.
Im tobenden Schneesturm sieht man kaum mehr von einem Seilende zum anderen, die Spur ist tief verweht. Schneider und Aschenbrenner übernehmen wieder einmal die Hauptarbeit; sie gehen beim Abstieg voraus, um die Route in dem tiefen Schnee aufzubrechen. Die anderen sollen möglichst dicht aufgeschlossen folgen. Über die Steilwand unter dem Silbersattel bringen die beiden Tiroler ihre drei Sherpas gut herunter, dann auf leichterem Terrain binden sie sich vom Seil los, um beim mühsamen Wegsuchen mit vielen Irrgängen durch die langsameren Träger nicht behindert zu sein. Und sie schaffen es tatsächlich: Um 7 Uhr abends sind sie in Lager 4, im festen Glauben, die ganze Kolonne — 3 Sahibs und 11 « Tiger » — dicht hinter sich zu haben. Sehen konnte man nichts, Warten war in dem rasenden Schneesturm ebenfalls unmöglich gewesen. Aber nur fünf Tiger konnten sich retten — auch sie mit schweren Erfrierungen. Die drei Sahibs und sechs tapfere Sherpa-Träger starben den weissen Tod.
Es war eine beispiellose Katastrophe. Beispiellos nicht wegen der Zahl der Opfer — es hat grössere alpine Unglücksfälle gegeben; ich brauche bloss an die Tausende von Lawinentoten an der Tiroler Front im ersten Weltkrieg zu erinnern1. Aber diese Nanga-Parbat-Katastrophe dauerte neun Tagelang; es war ein langes, schweres Sterben durch Kälte und Hunger. W. Merkl, der Expeditionsleiter, hat in einer Schneehöhle zwischen Camp 7 und 6 noch am 16. Juli gelebt und um Hilfe gerufen, und alle Rettungsversuche von Lager 4 aus erstickten in grundlosem Neuschnee. In der ganzen alpinen Literatur ist diese Tragödie seinerzeit in allen Einzelheiten besprochen worden ( vgl. z.B. « Alpen » X, S. 429—433 ), so dass ich darauf nicht näher einzugehen brauche. Nur eines sei gesagt: Es ist fast unbegreiflich, dass drei so erprobte Bergsteiger, wie Weizenbach, Merkl und Wieland, am 8. Juli der kleinen Spurermannschaft im Abstieg nicht folgen konnten. An einem ganzen, langen Tage, an dem Schneider und Aschenbrenner den Weg von Camp 8 bis Camp 4 öffneten, konnten sie nicht einmal von Lager 8 nach 7 gelangen, sondern mussten halbwegs ein furchtbares Biwak durchmachen. Sie müssen also in sehr schlechter körperlicher Verfassung gewesen sein, so dass sie nur im Schneckentempo vorwärts kamen. Es wäre offenbar sehr viel richtiger gewesen, wenn sie sich nicht unter Aufbietung aller Energie bis Camp 8 hinaufgequält, sondern ihren in guter Form befindlichen österreichischen Kameraden rechtzeitig den Weg zum Sieg freigegeben hätten.
Die grosse Schneesturm-Periode hatte sich von langer Hand vorbereitet; kein aufmerksamer Beobachter konnte davon überrascht werden. Zur gleichen Zeit brach der Monsun auch im Karakoram mit ungeheurer Wucht ein. Auch die « I. H. E. 1934 » hatte mit diesen riesigen Neuschneemassen, Lawinen und Abreissen der Nachschubverbindungen schwer zu kämpfen ( vgl. « Baltoro », S. 149 ff.glücklicherweise ohne Menschenverluste.
1937 trat eine neue deutsche Nanga-Parbat-Expedition auf den Plan, diesmal unter Leitung von Karl Wien, der den berühmten Siniolchu ( 6891 m ) in Sikkim bestiegen hatte und am Ostsporn des Kangchendzönga bis 7700 m 1 Vgl. G. Dyhrenfurth: In den Ortlerbergen. Bilder aus Krieg und Frieden. Zeitschr. d. D. u. Oe. A. V. 1928 ( 59. Bd. ), S. 256—292.
vorgedrungen war. Es waren insgesamt sieben Bergsteiger, vorwiegend Münchener, und zwei Wissenschafter, der Arzt U. Luft und der Geograph K. Troll. Die beiden, die in allererster Linie berufen gewesen wären, Erwin Schneider und Peter Aschenbrenner, waren nicht dabei — sie waren nicht genehm.
Am 11. Juni war Lager 4 eingerichtet, und zwar diesmal etwas weiter südwestlich als 1934, in einer Mulde näher dem Rakhiot Peak. Am 14. Juni begann man, Lasten nach Camp 5 hinaufzutragen, das am 15. Juni von einem Teil der Mannschaft bezogen werden sollte. In der Nacht vom 14. zum 15. war daher Camp 4 ungewöhnlich stark belegt: sieben Sahibs, d.h. die ganze Bergsteigergruppe, und neun Sherpas. Gerade in dieser Nacht, wenige Minuten nach 12, deckte eine grosse Lawine vom Eisbruch des Rakhiot Peak das Lager zu; 16 Mann schliefen in die Ewigkeit hinüber.
Erst vier Tage später entdeckte U. Luft, vom Basislager heraufkommend, die Katastrophe.Vergebliche Rettungs- oder vielmehr Bergungsversuche... eine eigene kleine Expedition, die unter Führung von P. Bauer nach Indien geflogen war... auch über diese Tragödie ist viel geschrieben worden. Merkwürdiger Zufall? Bestimmung? Der « Dämon des Himalaya »? Die Hand Gottes? Die Deutung ist Sache der Weltanschauung. Hier sei nur eines sachlich festgestellt: Wenige Minuten höher oben, auf dem weiten Firnplateau westlich des Sattels 6283, wäre Lager 4 so sicher vor Lawinen gewesen wie der Paradeplatz in Zürich. Warum wurde das obere Standlager diesmal in der Mulde unterhalb der Eisbrüche des Rakhiot Peak errichtet? 1 Noch dazu von einem Expeditionsleiter mit Himalaya-Erfahrung! Trotz verschiedener Erklärungs-und Entschuldigungsversuche ist mir das stets unbegreiflich geblieben.
1938. Unentwegt wurde eine neue « D. H. E. » organisiert, diesmal unter dem erfahrensten deutschen Expeditionsleiter, Paul Bauer. Neben Fr. Bechtold und U. Luft sprangen sechs frische Nanga-Parbat-Stürmer in die Bresche, unter ihnen der ausgezeichnete Münchener Bergsteiger Ludwig Schmaderer. Auch zwei Engländer schlossen sich an, MacKenna als Transportoffizier, K. Hadow als Gast. Die D. H. E. 1938 verfügte wieder über reichliche Geldmittel und eine tadellose Ausrüstung, daneben über ein Kampfmittel, das zum ersten Male für eine bergsteigerische Himalaya-Expedition eingesetzt wurde, nämlich eine dreimotorige Junkers-Maschine für den Lastentransport. Von Thoenes, einem alten Kangchendzönga-Mann und tüchtigen Piloten, gesteuert, wurden sieben Flüge von Srinagar ausgeführt, fünf um Lager 4 mit allem Nötigen zu versehen, und zwei zwecks photographischer Aufnahmen. Natürlich standen auch Kurzwellensender und -empfänger zur Verfügung, und regelmässig gingen meteorologische Nachrichten ein. Zum Anmarsch konnte die direkte Route Abbotabad—Balakot—Kagan-Tal—Babusar-Pass— Chilas benützt werden, und mit 200 Arbeitern und Soldaten hatte man rasch vor der Expedition die Brücken instand gesetzt und die Strecke über den Babusar-Pass geöffnet. Es war ja die Blütezeit der « Appeasement»-Politik in London, und den Vertretern des Dritten Reiches wurden alle Wege geebnet.
Wieder hatte eine « D. H. E. » scheinbar alle Trümpfe in der Hand, und wieder blieb der Berg Sieger! Diesmal aber nicht durch einen dramatischen Gewaltstreich wie 1934 und 1937, sondern ganz einfach durch fast ständiges Schlechtwetter und denkbar ungünstige Schneeverhältnisse. Lager 4 wurde diesmal etwa 400 m nordöstlich von dem Ort der letzten Katastrophe aufgeschlagen. Wiederholt wurde man durch grosse Schneefälle wieder ins Basislager zurückgedrängt. Erst am 22. Juli wurde der Platz von Camp 6 erreicht. Die noch gut erhaltenen Leichen von Merkl und seinem Orderly Gaylay wurden in der Nähe bestattet. Verschiedene Versuche, zum Silbersattel ( 7451 m ) vorzustossen, scheiterten an den trostlosen Bedingungen, und trotz aller Mühe gelangte man nur bis etwa 7250 m. So musste Bauer den Rückzug anordnen. Auch die « D. H. E. 1938 » war gescheitert, diesmal aber wenigstens ohne Menschenverluste. Zum Abschluss wurde der Gipfel des unbezwungenen Nanga Parbat von Bauer und seinen Freunden wenigstens überflogen.
1939. Allmählich waren Zweifel aufgetaucht, ob der immer wieder versuchte Weg über den langen, wild zerklüfteten Rakhiot-Gletscher und weiter über den schweren Rakhiot Peak und den Silbersattel wirklich der einzig mögliche Zugang ist. Er sieht viel leichter aus, als er tatsächlich ist, hatte sich als ziemlich gefährlich herausgestellt und vor allem — er ist endlos lang. Darum war die alte Mummery-Route von NW, also die Diamir-Flanke, wieder interessant geworden. Um diese Möglichkeit gründlich zu untersuchen, startete eine kleine Expedition unter Leitung des alten Kangchendzönga-Kämpfers Peter Aufschnaiter von Kitzbühel. Ferner gehörten ihr an: H. Harrer aus Graz, einer der Eigernordwand-Leute, und H. Lobenhoffer von Reichenhall. Der Vierte ( L. Chicken ) musste krankheitshalber in Bombay zurückbleiben. Von den Ergebnissen dieser Kundfahrt sollte es abhängen, ob eine neue grosse Nanga-Parbat-Expedition 1940 wieder an der Rakhiot- oder an der Diamir-Front angesetzt werden würde.
Inzwischen brach aber der zweite Weltkrieg aus, und das grössere Drama überschattete den Kampf um den Nanga Parbat und schloss ihn vorläufig ab. Bisher sind es 12 Sahibs und 17 Träger, die Diamir, dem « König der Berge », ihr Leben geopfert haben.
i ) Der Nanga Parbat ist einer der vier Achttausender, die eine grosse Bibliographie haben. Auch hier kann ich also nur eine Auswahl der wichtigsten Arbeiten geben:
1. 1896 Collie, J. Norman: Climbing on the Nanga Parbat Range, Kashmir. Alp. J.
XVIII, S. 17—32.
2. 1902 Collie, J. Norman: Climbing on the Himalaya and other Mountain Ranges.
Douglas, Edinburgh. ( Bibliothek S.A.C. Nr. 4186. ) Die ersten 134 Seiten berichten über die Expedition von 1895.
3. 1931 Bruce, C. G.: The Passing of Mummery. Him. J. III, S. 1—12.
4. 1931 Wadia, D. N.: The Syntaxis of the North-West Himalaya: Its rocks, tectoniks, and orogeny. Records Geol. Surv. Ind. 65, Part 2.
5. 1932 Wadia, D. N.: Note on the geology of Nanga Parbat ( Mt. Diamir ), and adjoining portions of Chilas, Gilgit District, Kashmir. Rec. Geol. Surv. Ind. 66, S. 212 bis 234. Mit einem geol. Profil und einer Kartenskizze.
6. 1932 Kunigk, H.: The German-American Himalayan Expedition, 1932. Alp. J.
Nr. 245, S. 192—200.
7. 1933 Merkl, W.: The attack on Nanga Parbat. Him. J. V, S. 65—74.
8. 1933 Merkl, W.: Der Angriff auf den Nanga Parbat. « Der Bergsteiger », S. 219—228.
9. 1933 Wiessner, Fr.: Nanga Parbat in retrospect. American Alp. J., S. 32—35.
10. 1933 Knowlton, E.: Nanga Parbat 1932. Am. Alp. J., S. 18—31.
11. 1933 Kurz, M.: Die Erschliessung des Himalaya. Massiv des Nanga Parbat. « Alpen » IX, S. 372—378.
12. 1934 Kurz, M.: L' Himalaya en 1934. Le désastre du Nanga Parbat. « Alpen » X, S. 429—433.
13. 1935 Bechtold, Fr.: Deutsche am Nanga Parbat. Der Angriff 1934. F. Bruckmann, München. 52 S., 80 Tafeln mit Abb.
14. 1935 Finsterwalder, R., Raechl. W. † 1, Misch, P., Bechtold, Fr.: Forschung am Nanga Parbat. Deutsche Himalaya-Expedition 1934. Helwing, Hannover. 148 S., 56 Abb., 2 Kartentafeln.
15. 1937 Bauer, P.: Auf Kundfahrt im Himalaya. Siniolchu und Nanga Parbat — Tat und Schicksal deutscher Bergsteiger. Knorr & Hirth, München. 170 S., 94 Abb., 5 Skizzen.
16. 1937 Editor, A.J. ( E. L. Strutt ): The Disaster on Nanga Parbat, 1937. Alp. J.
Nr. 255, S. 210—227.
17. 1938 Bauer, P.: Nanga Parbat, 1937. Him. J. X, S. 145—158.
18. 1939 Kurz, M.: Himalaya 1937. Nanga Parbat. « Alpen » XV, S. 11—14.
19. 1939 Bauer, P.: Nanga Parbat, 1938. Him. J. XI, S. 89—106.
20. 1939 Bechtold, Fr.: Nanga Parbat, 1938. Alp. J. Nr. 258, S. 70—78.
21. 1939 « Bergsteiger-Monatsspiegel »: Neue Kundfahrt zum Nanga Parbat. Heft 9, S. 273/274, und Heft 11, S. 348. « Der Bergsteiger », F. Bruckmann, München und Wien.
22. 1940 Kurz, M.: Himalaya 1938. L' expédition Bauer au Nanga Parbat. « Alpen » XVI, S. 67—69.
23. 1943 Deutsche Himalaya-Stiftung München: Nanga Parbat, Berg der Kameraden.
Bericht der Deutschen Himalaya-Expedition 1938. 94 S., 89 Abb. Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Berlin.
Karten 24. 1934 Survey of India: Kashmir & Jammu, N. W. Frontier Province. No. 43. I, Gilgit.
Scale 1: 253 440. ( Nur zur Übersicht brauchbar. ) 25. 1936 Finsterwalder, R., Raechl, W. t, Biersack, H., Ebster, F.: Karte der Nanga- Parbat-Gruppe, 1: 50 000, Schichtlinienabstand 50 m. Deutsche Forschungsgemeinschaft und D. u. Oe. Alpenverein.
k ) Abbildungen vom Nanga Parbat gibt es in grosser Fülle, und darunter sind viele wirklich erstklassige Aufnahmen. Besonders hingewiesen sei auf: Lit. Nrn. 11—15, 19, 20, 23.
l ) Über die Frage der Routenführung ist das meiste schon gesagt. Für die Überwindung des Rakhiot Peak scheint die Variante, die Bauer 1938 wählte, die relativ günstigste Lösung zu sein. Es ist eine Traverse durch die Nordflanke etwa in der Mitte zwischen den Routen von 1932 und 1934.
Vom höchsten bisher erreichten Punkt ( Schneider und Aschenbrenner am 6. Juli 1934 ) kommt man leicht bis auf den Vorgipfel ( 7910 m ), aber danach sind noch einige Schwierigkeiten zu erwarten: Abstieg zur Bazhin-Scharte ( 7812 m ) und über die « Schulter » ( P. 8070 ) auf den Hauptgipfel ( 8125 m ). Man wird gut daran tun, Camp 8 bis etwa 7700 m hinaufzuschieben, damit man am Tage des Schlussangriffs für den Gipfelgrat genügend Zeit zur Verfügung hat.
1 Dr. Walter Raechl ist noch im Jahre der Expedition ( 1934 ) am Watzmann ( bei Berchtesgaden ) tödlich verunglückt — eine eigenartige Parallele zu dem Unfall von Rand Herron 1932, ebenfalls unmittelbar nach einer Nanga-Parbat-Expedition.
Auch für den Fall eines Aufstiegs von Westen würde das letzte Stück dieser « Mummery-Route » mit der Endphase der Rakhiot-Route wahrscheinlich zusammenfallen. Denn ein direkter Angriff vom Diamir-Gletscher auf den Hauptgipfel kommt kaum in Frage.Vermutlich müsste man versuchen, vom Diama-Gletscher, dem nördlichen Nährgebiet des Diamir-Gletschers, den Nordgipfel I ( 7816 m ) zu erreichen. Von der Diamir-Scharte ( 7712 m ) an wären die beiden Routen also identisch. Vorläufig ist es ja aber noch sehr zweifelhaft, ob der Aufstieg aus dem Diamir-Tal gegenüber der bekannten Rakhiot-Route wirklich Vorteile bietet.
m ) Geologisch ist das Nanga-Parbat-Massiv durch die Arbeiten von D. N. Wadia ( Lit. Nrn. 4 und 5 ) und P. Misch ( Lit. Nr. 14 ) verhältnismässig gut bekannt. « Die eigentliche Nanga-Parbat-Gruppe besteht aus einem in sich geschlossenen Gneismassiv. An seinem Aufbau sind zu kristallinen Schiefern umgewandelte Sedimentgesteine sowie Orthogneis-Material ( d.h. von magmatischer Abkunft ) beteiligt. In den Randgebieten des Massives ist der Anteil des Orthogneis-Materials geringer, zum Innern hin nimmt er dagegen stark zu. » Der Vertikalabstand vom Indus-Tal ( Rakhiot-Brücke 1179 m ) bis zum Gipfel ( 8125 m ) beträgt rund 7000 m. In der Südwand sehen wir rund 4500 m in einem einzigen Steilabfall aufgeschlossen. « Über solch riesige Höhenunterschiede hinweg bietet sich nun erstaunlicherweise stets das gleiche Bild; stets haben wir dieselben meist steilstehenden Gneis-serien oben und unten vor uns. Irgendwelche tektonischen Stockwerke fehlen völlig; etwa für das Vorhandensein von Deckenstrukturen im Nanga-Massiv fand sich keinerlei Anhalt. » ( Misch. ) Die nördliche Streichrichtung weicht vom normalen Himalaya-Streichen stark ab. Hier an seinem NW-Ende springt der Himalaya-Bogen an einem Sporn des vorderindischen Vorlandes weit nach Norden zurück.
Auch am Rande des Nanga-Parbat-Massivs fanden sich deutliche Anzeichen ganz junger orogener Bewegungen.
10. a ) Morshiadi oder Annapurna I, Peak Nr. XXXIX der Survey. b ) Nichts Näheres bekannt. Morshiadi ist vielleicht ein Synonym von Marsyandi, auch Marsiangti geschrieben. So heisst ein berühmter nepalischer Fluss, der die Annapurna-Gruppe im Norden und Osten begrenzt.
c ) 8078 m = 26 504 ft.
d )...
e ) 28° 35'44 " nördlicher Breite. f ) 83° 49'19 " östlicher Länge.
g ) Nepal, Annapurna Himal, zwischen den Flüssen Marsyandi und Krishna Gandaki.
h ) Eine ganz unbekannte Berggruppe.
i ) Dhaulagiri-Literatur Nr. 2—5, 7.
k ) Keine Abbildung aus der Nähe. Im Him. J. VI ist auf einem Panorama neben S. 73 ein Schneegipfel als Annapurna bezeichnet. Wahrscheinlich ist es Annapurna II ( 7937 m = 26 041 ft. ). Der auf der gleichen Abbildung als Dhaulagiri beschriftete Berg ist ziemlich sicher nicht der Dhaulagiri, sondern möglicherweise Annapurna I. Mit derartig mässigen Fernaufnahmen ist nicht viel anzufangen.
l ) Ausser den Vermessungsdaten wissen wir gar nichts. Auch dieser gewaltige Berg baut sich sehr steil über der tiefen Schlucht der Kali Gandaki auf, die zwischen dem Dhaulagiri- und dem Annapurna-Massiv eingeschnitten ist.
m ) Über die geologischen Verhältnisse ist ebenfalls nichts bekannt.
11. a ) Hidden Peak oder Gasherbrum I, Vermessungszeichen K5.
b ) Hidden Peak ( engl.Verborgener Berg, also sozusagen der Piz Zupò des Karakoram, und so wie dieser der zweithöchste Gipfel Graubündens ist, so wird der Hidden Peak im Baltoro-Gebiet nur vom K2 übertroffen. Der Name stammt von W. M. Conway, der irrigerweise annahm, dass dieser schöne Berg erst ganz zuletzt, vom oberen Baltoro-Gletscher aus, sichtbar werde. Immerhin ist richtig, dass er weit rückwärts und ziemlich versteckt liegt.
Gasherbrum entstammt der Balti-Sprache und soll etwa « leuchtender Berg » bedeuten; gasher = hell, leuchtend, brum = Wand, Berg. Der Nachteil dieses Namens ist, dass es nicht weniger als sechs Berge gibt, die so heissen — Gasherbrum I bis VI.
c ) 8068 m = 26 470 ft.
d ) Bestiegen bis zu einer Höhe von etwa 6900 m.
e ) 35° 43'30 " nördlicher Breite. f ) 76° 41'48 " östlicher Länge.
g ) Baltoro Mustagh im Grossen Karakoram ( Mustagh = Eisgebirge ).
h ) In meinem Werk « Baltoro » ( s. Lit. Nr. 11 ) habe ich die ganze Erschliessungsgeschichte des Baltoro-Gebietes und damit auch das Thema Hidden Peak genau behandelt. Ich kann mich darum hier kurz fassen:
1892. Die Expedition bestand aus William Martin Conway, C. G. Bruce, dem Maler MacCormick und dem Bergführer Matthias Zurbriggen aus Saas. Durch die topographische Erforschung des oberen Baltoro-Beckens wurde der Hidden Peak bekannt, abgebildet und vermessen.
1909. Die grosse Expedition des Herzogs der Abruzzen, die bereits beim K2 gewürdigt wurde, befasste sich zwar nicht näher mit dem Hidden Peak, brachte von ihm aber herrliche photographische Aufnahmen von Vittorio Sella heim.
1929. Auf der grossen wissenschaftlichen Expedition des Herzogs von Spoleto wurde auch das obere Baltoro-Gebiet und der « Abruzzi-Gletscher » bis zum « Conway-Sattel » hinauf erkundet und kartographisch aufgenommen. Die photographische Ausbeute war ebenfalls reichhaltig.
1934 arbeitete die unter der Leitung von G. O. Dyhrenfurth stehende Internationale Himalaya-Expedition ( « I. H. E. 1934 » ) hauptsächlich im obersten Teil des Baltoro ( « Abruzzi-Gletscher » ) und in der Umgebung des Conway-Sattels. Dabei wurde der Hidden Peak von NW über W und SW bis SE erkundet und der südliche Gasherbrum-Gletscher, der die Innenseite der ganzen Gasherbrum-Gruppe bildet, zum ersten Male begangen und erforscht. Am « I. H. E. Sporn » des Hidden Peak wurde bei einer « gewaltsamen Auf- klärung » eine Höhe von 6200 m erreicht und gleichzeitig festgestellt, dass diese Route tatsächlich möglich ist.
Dann wurden die Nachbarn des Hidden Peak erobert:
a ) Alle vier Gipfel des Sia Kangri oder « Queen Mary Peak » ( Höhe des Hauptgipfels zwischen 7600 und 7422 m ).
bSE-Gipfel des Baltoro Kangri oder « Golden Throne » ( Höhe zwischen 7250 und 7140 m ).
Damit waren die ersten grossen Berge ( Siebentausender ) nicht nur am Baltoro, sondern sogar im ganzen Karakoram-Himalaya bestiegen. Bis jetzt ( 1944/45 ) sind sie die einzigen geblieben.
Auch die photographischen und filmischen Ergebnisse waren recht befriedigend, und insbesondere vom Hidden Peak wurde schönes und interessantes Bildermaterial sichergestellt.
1936 war das Jahr der ersten grossen Französischen Himalaya-Expedition, deren Ziel die Erstersteigung des ( von der I. H. E. 1934 bloss erkundeten ) Gasherbrum I war. Die Teilnehmer waren: Henry de Ségogne als Expeditionsleiter, Dr. J. Arlaud als Arzt, M. Ichac als Kameramann, P. Allain, J. Carle, J. Charignon, J. Deudon und J. Leininger als Bergsteiger, L. Neltner als Geologe und Kartograph, J. Azémar als Leiter des Basislagers und Captain Streatfield als britischer Verbindungsoffizier. Es war eine zahlenmässig starke und alpinistisch sehr leistungsfähige Mannschaft, zwar ohne eigene Himalaya-Erfahrung, aber sehr gut und sorgfältig vorbereitet, ausgerüstet und organisiert. Auch waren sie dank einer ziemlich breiten finanziellen Basis in der glücklichen Lage, 35 « Tiger » aus Darjeeling kommen zu lassen, so dass auch die erforderliche Zahl von Hochträgern für schwieriges Gelände zur Verfügung stand. Die Erfolgsaussichten schienen also recht günstig.
Der Anmarsch vollzog sich auf dem üblichen Wege Srinagar—Skardu— Askole und erforderte 40 Tage — vom 17. April bis 26. Mai. Das Standlager wurde an derselben Stelle eingerichtet, wie das der I. H. E. 1934, also dort, wo der « Abruzzi-Gletscher » zum eigentlichen Baltoro wird, in einer Höhe von 4950 m. Man entschied sich für den Angriff über den Südsporn und die Schulter P. 7069 des Hidden Peak.
Am 29. Mai wurde Camp 1 nahe dem Fusse der grossenteils felsigen Rippe aufgeschlagen. Dann begann die mühevolle Arbeit, die eigentlichen Hochlager auf diesem Sporn vorzuschieben. Das Gelände erwies sich als ziemlich schwierig, streckenweise als wirklich schwer, so dass viele Haken und fixe Seile erforderlich wurden, um die Felsen auch für die — mehr an Eis gewöhnten — « Tiger » gangbar zu machen. Infolgedessen waren die Fortschritte, durch gelegentliches Schlechtwetter noch gehemmt, ziemlich langsam. Camp 5 ( 6800 m ) konnte erst am 19. Juni eingerichtet werden. Damit war der Durchbruch durch den unteren Steilwandgürtel gelungen, und am 22. Juni sollte Lager 6 in einer Firnspalte nahe P. 7069 ( « Hidden Sud » ) aufgeschlagen werden. Das Schlimmste schien überstanden, der Weg zu den oberen Firnfeldern und der Gipfelpyramide lag offen.
Da kam es, wie bisher noch jedesmal: In diesem entscheidenden Augenblick setzte der Monsun ein, und zwar besonders früh, etwa drei Wochen zu zeitig. Im ganzen Baltoro-Gebiet begannen am 22. Juni starke Schneefälle, so dass man sich Ende Juni schweren Herzens zum Rückzug entschliessen musste. Am 1. Juli machten zwei Sherpas mit einer Neuschneelawine eine unfreiwillige Abfahrt von etwa 700 m Höhe, kamen aber wie durch ein Wunder mit dem Leben davon. Am 2. Juli war die unter den grössten Schwierigkeiten durchgeführte Räumung der vier Spornlager beendet, alles war glücklich wieder in Camp 1. Am 5. Juli erfolgte der Abmarsch vom Standlager, wobei die beiden verletzten « Tiger » getragen werden mussten.
Alles in allem hatte die französische Baltoro-Expedition 1936 in tapferem Kampf nur einen Achtungserfolg erringen können. Es war bisher der einzige ernsthafte Angriff auf den Hidden Peak.
i ) Im Hinblick auf die Bibliographie in « Baltoro » ( Lt. Nr. 11 ) nenne ich hier bloss:
1. 1894 Conway, W. M.: Climbing and exploration in the Karakoram-Himalayas.
Vol. I, 379 S., Vol. II, 374 S., mit vielen Abb. Fisher-Unwin, London.
2. 1912 Filippi, F. De: Karakoram and Western Himalaya. 481 S., viele Abb. und eine Mappe mit Panoramen und Karten. Constable, London.
3. 1933 Kurz, M.: Die Erschliessung des Himalaya. 8. Karakoram. « Alpen » IX, Nr. 11.
4. 1935 Dyhrenfurth, G. O., unter Mitarbeit von Gustav Diessl, Hettie Dyhrenfurth, Hans Ertl, André Roch und Hans Winzeler: Dämon Himalaya. Bericht der Internationalen Karakoram-Expedition 1934. 117 S., 123 Abb., 1 Panorama, 3 Kartenskizzen, 3 Zeichnungen. Benno Schwabe, Basel.
5. 1937 Escarra, J., Ségogne, H. de, Neltner, L. und Gefährten: L' Expédition Française à l' Himalaya 1936. 261 S., viele Abb. Paris.
6. 1937 Streatfield, N. R.: The French Karakoram Expedition, 1936. Him. J. IX, S. 100—104.
7. 1937 Kurz, M.: Himalaya 1935/1936. Die französische Karakoram-Expedition.
« Alpen » XIII, S. 441—443.
8. 1937 Spoleto, Duca di, e Desio, A.: La Spedizione Geografica Italiana al Karakoram ( 1929 ). Storia del viaggio e risultati geografici. Bertarelli, Milano/Roma. 643 S., viele Abb. und eine Mappe mit Karten und Panoramen.
9. 1938 Mason, Kenneth: Karakoram Nomenclature and Karakoram Conference Report.
« Geographical Journal », vol. 91, S. 123—152, und Him. J. X, S. 86—125.
10. 1939 Escarra, J., Sella, V. u.a.: Der Himalaya im Bild. Sammlung « Parthenon ».
Agostini, Novara.
11. 1939 Dyhrenfurth, G. O., mit Beiträgen von Hettie Dyhrenfurth, Hans Ertl und André Roch: Baltoro, ein Himalaya-Buch. 194 S., 202 Abb., 4 Panoramen, 53 Zeichnungen, 1 Kammverlaufkarte, 3 Kartenskizzen, die Beilagen in separater Mappe. Mit Bibliographie von 270 Nummern bis 1939 ( Karakoram im allgemeinen und Baltoro-Gebiet im besonderen ). Benno Schwabe, Basel.
Karten Siehe die Bibliographie in Lit. Nr. 11, S. 100, ferner die hier genannte K2-Literatur. Die beiden wichtigsten Karten — aber für den Hidden Peak noch ziemlich schematisch gehalten — sind:
12. 1937 Carta Topografica del territorio visitato dalla Spedizione comandata da S. A. R.
il Duca di Spoleto. Drei Blätter, 1: 75 000. Beilage zu Lit. Nr. 8.
13. 1940 Karakoram. A new map of the Karakoram with range and peak names approved by the Karakoram Conference 1937. 1: 175 000. Royal Geographical Society, London.
( Schluss folgt )