Dicht an dicht
Das alpine Museum präsentiert seine Bergbilder – auf unkonventionelle Art.
Dicht an dicht hängen rund 120 Bergbilder neben- und übereinander; Kitsch, Kunst und Dilettantismus treffen gleichermassen zusammen wie Erinnerungen, Sehnsüchte und Ängste. Das Matterhorn mit Stadeln darf ebenso wenig fehlen wie der abendliche Alpenfirn im Lötschental oder die liebliche Kapelle, die vor den schroffen Felsen Trost verspricht. Menschen sind meist abwesend, eine Staumauer ist nur auf einem Bild zu sehen, Lawinen kaum, der Schnee ist weiss, rein wie die Luft. Gepriesen wird in diesen Malereien die gewaltige Erhabenheit der Berge, gezeigt wird ihre Schönheit. Es sind Bilder, die in Gasthöfen, in Stuben – auch im Mittelland – oder in Ferienwohnungen hängen könnten. Es sind Bilder, die die Quintessenz unserer inneren Bilder von den Bergen, von «unseren» Bergen, verdichten. Die meisten von ihnen sind einfach schön; schöner Kitsch ist auch darun-ter – und man lässt sich das alles, anders als in einem Kunstmuseum, gerne und geradezu mit Vergnügen gefallen.
Gerötete Alpenfirne ...
Es gefällt, dass in der Ausstellung Schöne Berge – eine Ansichtssache derart viele Bergbilder gezeigt werden, wie es eigentlich nicht erlaubt wäre. Das Alpine Museum will bewusst keine Kunstausstellung machen, wenn es aus seiner Sammlung von rund 450 Gemälden in dichtester Hängung rund 120 ausgewählte Beispiele präsentiert. So lässt man, auf einer langsam drehenden Plattform sitzend, nach und nach, gewissermassen bedächtig dieses ganze Panorama vor den Augen vorübergleiten. Es ist das Panorama einer Mentalitätsgeschichte, die mit der Entdeckung der Alpen im 18. Jahrhundert begonnen hat, mit der Gründung des Bundesstaates und dem Tourismus im 19. Jahrhundert zu einem Ferment der Schweizer Kultur geworden ist und noch in der Freizeitindustrie unserer Tage eine Rolle spielt. Berge versprechen vieles: Urtümlichkeit, Natur, Freiheit, Gesundheit.
Man kann also ganz einfach schwelgen, dann aber in einem Seitenkabinett die Eindrücke systematisch ordnen, digital durchforsten, wie die Ausstellungsmacherinnen bemerken. So ist es möglich, die Wetterstimmungen vom klarblauen Himmel bis zum Sturm (ja, den gibt es doch auch) durchzuspielen. Oder man kann schauen, wie viele, das heisst wie wenige Bergmalerinnen überhaupt überliefert sind. Damit ist gesagt: Das ist keine trockene, sondern eine höchst sorgfältig inszenierte, witzige und geradezu atmosphärische Ausstellung.
... wilde Gewalten
Die scheinbar zeitlose Bergschönheit kippt unversehens, tritt man in den permanent eingerichteten Saal mit Ferdinand Hodlers Gemälden Aufstieg und Fall. Der Maler, der Berge erfasste wie individuelle Porträts, schuf diese Tafeln 1893/94 als Panorama für die Weltausstellung in Antwerpen. Erhalten geblieben sind nur noch Fragmente. Hodler schildert in diesem Werk die Erstbesteigung des Matterhorns – eine Tragödie antiken Ausmasses.
Die Gemälde sind ein radikaler Kontrast zu den schönen Bergen, wie auch, im nächsten Saal, das Statement von Anna Giacometti, der nimmermüden und kompetenten Gemeindepräsidentin von Bregaglia und damit Krisen-, ja Katastrophenmanagerin in Bondo. Sie erzählt von den gewaltigen Fels- und Wassermassen, die im letzten Sommer im Bergell niedergegangen sind und für Not, Schrecken und Hoffnungslosigkeit gesorgt haben. Die Stimme von Anna Giacometti ist vor einem romantisch-aufgewühlten Lawinenbild des berühmten Alpenmalers Alexandre Calame (1810–1864) zu hören. Weitere Hörstationen führen die Vielfalt und die Ambivalenzen vor Ohren (und Augen), wie sie sich aus der Sicht heutiger Bergbewohnerinnen, Berggänger und Bergmaler zeigen.
Und am Ende der Schönen Berge sind Sie eingeladen, die Ausstellung zu aktualisieren, durch Ihre Handyschnappschüsse, die die Sammlung des Alpinen Museums um heutige Sichtweisen ergänzen werden.
Lawine aus dem Bundeshaus?
Mit der Ausstellung Schöne Berge – eine Ansichtssache zeigt das Team des Alpinen Museums einmal mehr das Potenzial und das Know-how des Hauses – insbesondere weil es gelingt, ausschliesslich mit den Beständen der Sammlung und einer klug konzipierten Szenografie ein kulturhistorisches und mentalitätsgeschichtliches Feuerwerk zu zünden. Und dies, wie immer, mit Blick auf die Gegenwart. Umso erschreckender mutet der politisch kurzsichtige Plan an, die Subventionsgelder des Bundes um 75% zu kürzen. Denn er stellt die Existenz einer einzigartigen, publikumsnahen Institution grundsätzlich infrage.