Der Atlas als afrikanisches Skiparadies
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Der Atlas als afrikanisches Skiparadies

Hinweis: Dieser Artikel ist nur in einer Sprache verfügbar. In der Vergangenheit wurden die Jahresbücher nicht übersetzt.

Von Daniel Bodmer

( Schluss ) SAC Bern ( Basel ) Aber werden die bestellten Träger bei ständig anschwellendem Sturm rechtzeitig zu unserer Verfügung stehen? Schon das Einholen der gestern auf dem Tizi n'Ouanoukrim zurückgelassenen Ski war ein harter Kampf gewesen. Anderntags gegen 9 Uhr rücken sie endlich verfroren und missmutig an. Heisser Kaffee und einige energische Zuspräche Robis muntern sie wieder auf; unser zuverlässiger Brahim macht ihnen vollends verständlich, dass wir sie gegen Abend auf dem Tizi n'Tarharat, den sie von Sidi Chamharouch aus durch ein Schneecouloir erreichen können, erwarten werden. Unserem Ober-Chleuh können wir den Abschluss des inneren Dienstes samt Abtransport des restlichen Materials ruhig anvertrauen. Eine halbe Stunde später fahren wir über die Nordhänge abwärts. Die Schneedecke wird aber bald so weich und steindurchsetzt, dass nur noch mühsame « Rösselsprünge » eine Fortsetzung der Abfahrt erlauben. Auf der Höhe von etwa 2700 m überschreiten wir den Bach auf einem Lawinenkegel wieder nach rechts und arbeiten uns die steile, breite Schneerinne des Irzher n'Immouzzer zum gleichnamigen Pass, 3670 m, hinauf. Das grösste Hindernis stellen die drei im blauen Eis eingepanzerten Wasserfallstufen im unteren Teil dar. Wir können diese Felsbänke links in mühsamer Schneewatarbeit umgehen, wozu uns der Himmel mit einem plötzlichen heftigen Graupelfall eine eher ungefreute Begleitmusik spielt. Auf dem nun gut tragenden körnigen Firn greifen unsere Felle im Vertikalaufstieg prächtig, aber die anhaltende Steilheit stellt unsere Knöchel auf eine harte Probe. Ein kurzer Schnaufhalt in relativ windgeschützter Talwanne. Dann geht der Hang mit « crescendo » ins « Finale » über. Wir versuchen es zur Abwechslung zu Fuss, brechen aber durch. Wir werden so erhitzt, dass wir die Kälte auf dem Gratkamm, den wir nach dreidreiviertel-stündigem Aufstieg erreichen, kaum spüren. Sprunghaft überfällt uns der Wind, und mit einem Gefühl von schauerndem Entzücken betrachten wir das silberne Wirbelspiel, das er mit dem aufgestöberten Schneestaub am Nordostgrat des Toubkal treibt. In einem nebelgesättigten, matten Glanz schauen wir im Osten die langgezogenen, sanften Hänge des Iférouane-Massivs. Das Wetter lädt aber nicht zu langen Betrachtungen ein, und auch die vorgerückte Zeit drängt zur Eile. Ein kurzes, leichtes Gratstück vermittelt den Zugang zum Fuss eines nur etwa 60 m das Gelände überragenden Felshöckers, des Afekois ( 3751 m ). Mit gegenseitiger Hilfe überwinden wir eine steile Kletterstelle und langen schon nach zwanzig Minuten auf dem Gipfel an. Unser erstes heutiges Ziel ist erreicht, aber wie unsagbar weitab scheint uns der Adrar n'Tichki, unser nächstes, zu liegen! Bauchtief ist der Pulverschnee in dem steilen Couloir, durch das wir mit geschulterten Ski in die Nordostflanke hineinsteigen. Bald können wir aber die Ski wieder zu Hilfe nehmen, trotzdem das Gefälle des in unabsehbare Abgründe auslaufenden Hanges gross ist und der Schnee ungleich; auch raubt uns der Sturm fast das Gleichgewicht und verwirrt die Sinne. Schliesslich landen wir aber doch alle heil auf dem Tizi n'Tichki ( 3560 m ). Zwischen Felsruinen und aperen Stellen hindurchlavierend, nähern wir uns dann dem Adrar n'Tichki ( 3730 m ), einem schroffen Felsstock. Da ein Direktanstieg nicht gut möglich ist, schwenken wir zu Fuss im vertrauten Breischnee nach links in das lange, steile Couloir ein, das sich zur sogenannten « Epaule ouest du Tichki » hinaufzieht. Schon glauben wir uns am Ende unserer Mühen, als wir zu unserer Enttäuschung feststellen müssen, dass uns noch etwa 40 m steiler Fels vom Gipfel trennen. Unser ebenso findiger wie kühner Robi entdeckt hier die erlösende Zauberformel « Sesam öffne dich », indem er mit Ski die grausig steilen und exponierten, zum Teil gefrorenen, von zwei Rippen durchzogenen nord- westlichen Gipfelhänge auf einer Länge von 200 m bis auf das sanfte, schöne Schneedach der Nordostseite quert. So heikel diese Spurarbeit angesichts der Ungewissen Schneebeschaffenheit war, so leicht ist das Nachkommen für uns. Diesmal ist wirklich Feierabend. Versöhnend bricht die letzte Abendsonne durch das schwere Gewölk und scheint uns ihren Segen zu erteilen. Keiner von uns ahnte, dass sie damit für volle 36 Stunden von uns Abschied nehmen sollte. Es bleibt uns nicht mehr viel Zeit; schon geistert die Dämmerung, und dann mischt sich aufsteigender Nebel in das erste Abendwerden und bringt die Kälte. Einige Minuten noch warten wir, bis er sich verzogen hat, dann sausen wir die bereits wieder erstarrten Halden hindernislos zum Tizi n'Tarharat hinab ( 3465 m ), wo wir die Chleuhs erwarten. Wir finden nur ihre Spuren. Sie weisen gegen das Azib Tifni hin. Dem Bachbett folgend, gleiten wir auf teilweise noch sulzigem Schnee bis in die Nähe der Schäferhütten auf etwa 2800 m. Es ist schon stockfinster, als Robis langgezogenes « Mohammed » endlich Antwort erhält. Eine unverkennbare Silhouette im flatternden Burnus zeichnet sich auf einem Hüttendach gegen den hellen Nachthimmel ab. Die beiden Chleuhs sind uns dienstfertig über den Bach entgegengeeilt. Etwa um 19.30 Uhr stellen wir unsere Zelte auf und beziehen Nachtquartier. Wenige Meter tiefer fliesst ruhig eine vom rauschenden Asif Tinzer ab-gezweigte « Seguias » ( Wasserleitung ) und spendet uns das Wasser für Suppe und Tee, die wir auf den Meta-Kochern zubereiten. Allah weiss, woher unsere Chleuhs den Brennstoff nehmen, mit dem sie zwischen zwei Steinen ein Feuer entfachen, um ihren Pfeffermünztee zu kochen. Dann legen sie sich mit ihren Kleidern ohne Decke zum Schlafen auf die blosse Erde hin. Verblüffend genügsam und zäh sind sie, diese braunen Söhne des Atlas. Auch uns fehlt nichts mehr zum Glücke, als wir nach einem letzten Blick zum Sternenhimmel müde in unsere Zelte kriechen, voller Vorfreude auf den morgigen Tag. Wir wollen talabwärts zum Azib Taouount ziehen, wo wir Zelte und Träger zurücklassen, um unbeschwert zum Tizi n'Ouourei, ca. 3122 m, und über seinen Südwestgrat zum Iférouane aufsteigen zu können. Es dürfte nicht schwer halten, durch eines seiner Nordcouloirs in verwegenem Slalom zum Asif Tinzer sich zurückzufinden. Die nächste Nacht würde uns im Zeltlager beim Azib Likemt sehen. Die letzte Etappe würde über den Tizi n'Likemt ( 3545 m ), die Felspyramide des Iguénouane ( 3875 m ) ( mit Skitragen ) zum Adrar n'Ahior ( 3791 m ) führen, wo uns eine herrliche Abfahrt zur Cabane Tacheddirt bevorstehen würde. Mehr als einmal hatte uns Robi schon von den Wonnen dieses — garantiert pistenfreien — Skidorados vorgeschwärmt. Das Schicksal hat es anders gewollt. Aber haben wir wirklich Grund, uns darüber zu grämen, dass nicht alle Träume in Erfüllung gehen?

Wer uns vier bärtige Gestalten im Schneewirbel jenes 12. April gesehen hätte, wäre wohl zuletzt auf den Gedanken gekommen, er befände sich im Subtropengürtel des schwarzen Erdteils. Schon ist die hässliche Steinwüste unter der rasch anschwellenden weissen Decke verschwunden. Während 24 Stunden sind wir Gefangene des wütenden Unwetters. Wie kam dieser plötzliche Rückfall in den Winter? Zuversichtlich und unternehmungslustig waren wir kurz vor 7 Uhr aus unseren Zelten geschlüpft und hatten uns zum Aufbruch vorbereitet, als die ersten Schneeflocken aus einem milchig übergossenen Himmel auf uns herabtanzten. Lange trösteten wir uns mit dem Gedanken, dass es sich wohl nur um einen kurzen Schneeschauer handeln könne, wie sie im Atlas zu jeder Jahreszeit an der Tagesordnung sind; und bis zuletzt sträubten wir uns, an das Verhängnis zu glauben, das unsere weiteren Bergpläne zunichte machen sollte. Auf eine zweite in unserem teilweise feucht gewordenen Wigwam verbrachte Nacht folgte ein gries-grämiger Morgen. Im umgekehrten Verhältnis zum angewachsenen Schnee ist unser Zeitvorrat zusammengeschmolzen — denn das Schiff wartet nicht. Deshalb heisst es: « Rückzug ». Nachdem die Hochpässe Tarharat — von wo wir gekommen sind — und Likemt wegen Lawinengefahr ausscheiden, steht uns nur noch das Tifni- und dessen Fortsetzung, das Ourikatal, offen, ein Gebiet, das weder unsere Chleuhs, geschweige denn wir selbst kennen und von dem wir nur eine sehr grobe Karte besitzen.

Zunächst müssen wir, um einem schluchtartigen Bachknie auszuweichen, einen 300 m höher liegenden Pass überschreiten. Die apathisch gewordenen und verschüchterten Träger sind nur dadurch zum Mitkommen zu bewegen, indem wir ihnen Vorspuren. Erst im Abstieg, als der Ausblick auf aperes Gelände ihnen neuen Anporn gibt, können wir wieder unsere Ski benützen. Sie tragen uns etliche 100 Meter hinab, bis wir knirschend « auf Grund laufen ». In den letzten Zungen des Neuschnees steigen wir vollends zur nächsten Alpsäss — dem Azib Amto — ab. Behäbig dehnt sich hier das Tifnital in die Breite; fleissige Hände haben den Bach in ein silbernes Netz aufgelöst, das zahlreiche, viereckig eingefriedete Felder umschliesst. Wie aus dem Boden gestampft stehen plötzlich zwei Einheimische vor uns. Robi glaubt ihrem Kauderwelsch zu entnehmen, dass uns ein etwa fünfstündiger Marsch ins Ourikatal bevorstehe; also ein leicht verlängertes Lötschental, denken wir. Fürs erste lässt uns eine Wegspur am Hang entlang rasch vorwärts kommen, doch verliert sie sich allmählich. Auffallend ist hier der infolge Verwitterung in rundlichen Formen auftretende rosa Granit, oft mit Einschlüssen rostbrauner Lava. Auf unserem vermeintlichen Bummel lassen wir uns zu einer ausgiebigen Mittagsrast, verbunden mit Baden und Fischen ( allerdings erfolglos ) verleiten. Wieder schlängelt sich der Asif Tinzer durch eine sanfte Ebene, dann aber schlüpft er plötzlich in eine enge Schlucht. Das wird wohl die durch ihren Forellenreichtum bekannte Kassaria sein. Wie wir hier durchkommen? Zunächst haben wir den ziemlich reissenden und breiten Bach zu durchwaten. Dann klettern wir in steilen Felsen wohl 150 m empor und queren hoch über den tosenden Wassern auf schmalen Felsbändern. Statt wiederum in ruhigere Gefilde geraten wir in immer unwegsameres Gelände. Klamm folgt auf Klamm. Ein zweites und weitere Male sind wir zur Überschreitung des Wildwassers gezwungen, kämpfen uns zwischen hohen Blöcken hindurch, queren am rutschigen, kahlen Hang oder schleichen uns auf schmaler Wasserleitung an glatten Felswänden vorbei, manchmal auf falscher Fährte zum Krebsgang gezwungen. Von Zeit zu Zeit gesellt sich der Himmel mit schauerartigen Regengüssen zu dieser feindlichen Verschwörung der Elemente. Wenn wir uns auf einige Dutzend Quadratmeter flachen Tal- boden freuen, ist dieser durch ein Bewässerungssystem ersäuft. Oft wandern Ski und Rucksäcke von Hand zu Hand. Eben als unsere Geduld ihrer Erschöpfung zuneigt, taucht neuerdings ein Chleuh auf. Sein Angebot, uns zu führen, ist um so willkommener, als wir nicht mehr hoffen durften, vor Nacht diesem Labyrinth zu entkommen. Wir haben grösste Mühe, dem tiergleichen, elastischen Barfussgang dieses Einheimischen zu folgen. Es herrscht schon schwarze Finsternis, als wir eine halsbrecherisch steile Felsrinne hinaufgeführt werden. Während wir mitten in ausgesetzter Wand kleben, stockt unsere Kolonne plötzlich. Wir haben uns offenbar verirrt. Der Rückzug ist wenn möglich noch heikler wegen des Steinschlags. Ein terrassenartig durch Trockenmäuerchen am Steilhang angelegtes Äckerlein im ersten Saatgrün bietet den einzigen Biwakplatz.

Anderntags sind wir früh wieder auf den Beinen. Noch zweimal haben wir das nun schon zum Fluss gewordene Wildwasser zu queren. Endlich lösen die uns umgebenden Felsmauern ihre finsteren und kalten Klammern. Unvermittelt tut sich vor uns ein liebliches Tal auf, das die Morgensonne im schönsten Glanz erstrahlen lässt. Wie ein Märchenbild scheint uns dies alles: die üppig spriessenden Felder, die rosa blühenden Pfirsichbäume, die blauen Iris dem steinigen Weg entlang und die bunten Tücher der werkenden Frauen. Solche Augenblicke erlösender Verklärung nach langer Irrfahrt gehören seit jeher zu den schönsten Glücksgeschenken, die uns Menschen — man denke an den alten Dulder Odysseus — auf der Lebensreise zuteil werden. Selbstverständlich läuft bei unserem Einzug in Enfii, einem der obersten Dörfer des endlich erreichten Ourikatals, die ganze Bevölkerung zusammen. Während vier Maultiere für uns aufgetrieben werden, sind wir beim Mokadem ( Dorfältesten ) zu Gast gebeten, der uns in langatmigem Zeremoniell auf matten-bedeckter Terrasse eigenhändig bereiteten Pfeffermünztee zu Fladenbrot und Butter anbietet. Mehr oder weniger geschickt besteigen wir die geduldigen Tiere, die uns samt Rucksäcken und Ski durch das obere Ourikatal zur nächsten Autocarstation tragen sollen. Der sechsstündige, fast ununterbrochene Ritt über 20 km hat auch seine Reize, wenigstens für die Augen. Beim ständigen Auf und Ab wird uns so recht bewusst, wie tief diese Atlastäler eingefressen sind. Wenn wir glaubten, am Ende unserer Mühen zu sein, so täuschten wir uns. Zwar befinden wir uns an schön ausgebauter Strasse, doch ist — wie wir nach umständlichem Fragen herausbringen — die Autocar-verbindung infolge der durch heftige Regengüsse verursachten Verheerungen schon seit Tagen unterbrochen. Kurz entschlossen stossen Baur und ich auf Schusters Rappen weiter talwärts vor, bestrebt, ein Fahrzeug für unsere zwei mit dem Gepäck zurückbleibenden Kameraden aufzutreiben. Am gleichen Abend kommen wir zwar nur noch bis zur 8 km entfernten Cantine d' Arhbalou. Doch in der Morgenfrühe des nächsten Tages wandern wir die restlichen 13 km vollends bis zum Rande des marokkanischen Tieflandes hinab ( Cantine d' Ouriki ). Ein Zufall treibt uns einem französischen Obersten in die Hände, der uns grosszügig seinen Jeep zur Verfügung stellt. Das ist unsere Rettung. Für ein anderes Fahrzeug hätte die arg beschädigte Strasse ein unüberwindliches Hindernis abgegeben. Max und Colin werden abgeholt, und der lottrige Eingeborenencar führt uns unserer in Marrakesch ungeduldig wartenden Brudergruppe wieder zu.

Nach unserer Verwandlung in halbwegs zivilisierte Europäer bleibt uns leider nur noch ein kurzer Nachmittag für die Stadtbesichtigung. Immerhin genügt er, um es Baur zu ermöglichen, uns mit den arabischen « Handels-gepflogenheiten » vertraut zu machen. Jeder ersteht sich nach langem Feilschen ein oder mehrere Andenken. Zwar ist das blitzende Parkett des mondänen « Hotels Mamounia », das die Organisation für den Schlussabend auserkoren hatte, unserem äusseren Aufzug nicht ganz angemessen, doch beeinträchtigte dieser Umstand unsere frohe Stimmung keineswegs. Weder wir noch die Gruppe Alschwang, der das Wetter ebenfalls einen Strich durch die Rechnung gemacht hatte, bereuten es, dass uns das Schicksal statt der ersehnten weiteren Bergerfolge ein überraschendes, aber um so erlebnisreicheres Abenteuer beschieden hatte.

Mit der Schnelligkeit eines Filmstreifens rollte dieser letzte Tag im « Empire chérifien » an uns vorüber: Fahrt von Marrakesch nach Casablanca, gemeinsames Mittagessen auf überflutetem Trottoir, wobei nochmals die Reporter « les as de l' expédition suisse » heimsuchten, Empfang in der Villa Tieffenbach durch Vertreter des CAF und der Firma Nestlé, Taxi zum Hafen, Einschiffung.

Langsam entziehen uns Entfernung und Dämmerung das schöne « pays froid où le soleil fait chaud ». Zwei Tage später landen wir in Marseille und hielten wacker noch den weiteren Tag Bahnreise aus, der uns von der Heimat trennte.

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