Bergwärts mit dem Kleinkind
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Bergwärts mit dem Kleinkind Wie Jungfamilien sicher in die Berge kommen

Kinder sind zwar ein Segen, aber ein Kleinkind schränkt die Möglichkeiten, in die Berge zu gehen, auch ein. Ganz auf Bergtouren verzichten muss man aber nicht, wenn man sich an einige Regeln hält.

Was in den Bergen Grosse belastet und gefährden kann, wird für die Kleinen noch schneller bedrohlich. Sie brauchen besondere Aufmerksamkeit und Schutz. Vor allem, weil sie ihr Unwohlsein nicht äussern können.

Ganz Kleine können ihren Wärmehaushalt nicht über eine breite Temperaturspanne hinweg regulieren. «Sie besitzen relativ zu ihrem Gewicht mehr Körperoberfläche als Erwachsene», sagt Susi Kriemler. «Daraus folgt, dass der Temperaturaustausch zwischen Körper und Umgebung rascher erfolgt: Kleinkinder kühlen rascher aus, überwärmen aber auch rascher!», so die auf Kinder- und Jugendmedizin spezialisierte Forscherin vom Schweizerischen Tropen- und Public-Health-Institut der Uni Basel.

Kleinkinder reagieren stark auf Temperaturwechsel

Zur Überwärmung trägt bei, dass Babys nur schlecht schwitzen, das heisst, die Eigenkühlung – die Physik nennt diesen Effekt Verdunstungskälte – durch Schweissabgabe nur eingeschränkt funktioniert. Umgekehrt kann Feuchtigkeit von aussen, etwa durch Niederschlag oder Wasserabstreifen von Boden/Pflanzen, den Wärmeverlust rapide beschleunigen. «Unterkühlungen können deswegen auch im Sommer leicht vorkommen », sagt Kriemler, « zumal wenn das Kind schläft oder auf dem Rücken oder vor der Brust getragen wird und die gefühlte Temperatur niedrig ist.» So liegt der «Windchill», die gefühlte Temperatur, auf ungeschützter Gesichtshaut bei minus einem Grad Celsius, wenn bei einer Lufttemperatur von zehn Grad der Wind mit 40 Kilometern pro Stunde bläst (s. auch Infos). Hinzu kommt, dass die Sitzhaltung und das Tragetuch die Durchblutung von Armen und Beinchen vermindern, ein weiterer Faktor, der die Unterkühlung begünstigt. Deshalb gilt: die Temperatur des Kindes regelmässig, mindestens aber alle Stunden kontrollieren, am Nacken oder im Zweifelsfall sogar mit einem Thermometer.

Auf Bewegung und Sonnenschutz achten

Füsse und Wangen sind am gefährdetsten, was Unterkühlungen oder gar Erfrierungen betrifft. Notabene können sich Kleinkinder nicht spezifisch zu ihrem Befinden äussern. «Wenn Kleinkinder im Tragegestell schreien», sagt Dermatologin Dr. Ute Weiglein-Gillitzer, «heisst es fälschlicherweise oft, die sind ja nur übermüdet oder langweilen sich.» Die in Sonthofen praktizierende Hautärztin, die Ärzte sportmedizinisch weiterbildet, fordert dazu auf, in kalter Umgebung auf regelmässige Bewegung der Kinder zu achten. Aber auch sonst sollte ein Kleinkind nicht länger als zwei Stunden am Stück im Tragegestell am Rücken getragen werden. Es wird ihnen langweilig, oder sie schlafen ein, man kennt die Bilder von wippenden Kinderköpfen.

Die Ärztin empfiehlt zudem, die Gesichtshaut penibel vor trockener Gebirgsluft und ultravioletter Strahlung zu schützen. «Aufgetragen werden sollte bei kühler Witterung eine sehr fettige, wenig Wasser enthaltende Creme», sagt Weiglein-Gillitzer. Laut der Dermatologin gibt es Produkte, die zugleich vor UV-Strahlung schützen. «Wichtig ist aber auch, dass man dick genug aufträgt – daran hapert es nämlich oft!» Ob in der kalten oder warmen Jahreszeit: Wirksamer Sonnenschutz tut im Gebirge ganzjährig not – «mindestens Schutzfaktor 25, besser noch höher», rät Weiglein-Gillitzer. Pivatdozentin Kriemler von der Uni Basel plädiert zudem für sorgsamen Schutz durch Kleidung, Hut und Brille.

Höhenkrank ab 2000 Meter

Die weltweit renommierte Expertin für medizinische Fragen rund um das Kinderbergsteigen hat sich intensiv mit Fragen der Höhenexposition beziehungsweise Sauerstoffunterversorgung befasst. Sowohl als Wissenschaftlerin wie auch als Mutter kommt sie zum Schluss: «Mit Babys sollte man während des ersten Lebensjahres keine grossen Unternehmungen in höheren Gebirgslagen angehen.» Eine Passüberschreitung oder ein Abstecher mit der Bergbahn seien dagegen kein Problem. « Aber mit längeren Aufenthalten in Höhen über 2000 Metern muss man im ersten Lebensjahr extrem vorsichtig sein !» Der Grund ist derselbe, der auch Erwachsenen mit mangelnder Höhenanpassung zusetzt: Die dünne Höhenluft macht unter Umständen höhenkrank. Bei Kleinkindern kann das fatale Folgen haben, denn eine Sauerstoffunterversorgung ( Hypoxie ) begünstigt Atempausen ( und umgekehrtwas im schlimmsten Fall Ursache eines plötzlichen Kindstodes ( Mors subita infantium ) sein kann. Wer sich also mit dem jungen Nachwuchs aus dem Unterland nach Arolla oder Juf begibt oder gar ein ausgedehntes Hüttentrekking plant, muss extreme Vorsicht walten lassen. «Bei Auffälligkeiten in irgendeiner Art, im Ess- oder Spielverhalten, oder bei ungewöhnlichem Schreien oder Irritiertsein, sollte man unverzüglich absteigen», sagt Kriemler. «Solange nicht das Gegenteil bewiesen ist, muss man von einer Höhenkrankheit ausgehen.»

Dem Umstand, dass die Beurteilung einer Höhenkrankheit bei Kleinkindern äusserst schwerfällt, trug die International Society for Mountain Medicine ( ISMM ) Rechnung: Ein Expertengremium, dem auch Kriemler angehörte, vereinfachte den sogenannten «Lake Louise Score» – benannt nach einem Hypoxiesymposium, das am Lake Louise im kanadischen Alberta vor 20 Jahren stattfand und zum Ziel hatte, den Score auch auf Kleinkinder anwenden zu können (siehe Infos). Demnach muss bei einem bestimmten Grad von Ruhelosigkeit und bei bestimmten Symptomen von einer Höhenkrankheit ausgegangen werden.

Kind im Zentrum, nicht der Berg

Aber ist das Übernachten mit einem Baby zum Beispiel auf der Brunnihütte, auf knapp 2000 Metern, überhaupt sinnvoll? Strapaziert die ungewohnte Höhe Kleinkinder nicht zu sehr? Sicher ist: Ein Baby wird eine derartige Unternehmung nicht direkt geniessen. Andererseits kommt es dem Nachwuchs vielleicht doch zugute, wenn die Eltern glücklich und zufrieden sind, wenn sie ihrem geliebten Hobby nachgehen können. Das kann, muss aber nicht klappen. Ungewohnter Lärm, viele Leute und das Ambiente auf der Hütte können die Allerkleinsten stark irritieren. Vor allem in den Tälern spezialisieren sich deshalb immer mehr Hotels und Unterkünfte auf Familien mit Kleinkindern. Im Idealfall gehören Gitterbett, Wasserkocher, Flaschenwärmer zum Service. Kurz: Wer den Nachwuchs mit auf eine Tour nimmt, schränkt zwar den Aktionsradius und die Schwierigkeitsskala ein. Aber dies rückt allemal in den Hintergrund, wenn es darum geht, kleinen Erdenbürgern erste Erlebnisse am Berg zu ermöglichen und sich intensiv in das Erleben des Kleinkinds hineinzuversetzen. Auf den Punkt bringt dies Caroline Hellmeier, beim Deutschen Alpen Verein zuständig fürs Familienbergsteigen: «Auf einer Bergwanderung mit Kindern steht nicht mehr das bergsteigerische Ziel im Vordergrund, sondern das psychische und physische Wohl des Kindes.»

Weiterführende Infos

Formular zur Berechnung des Windchills (www.tecson.ch/page/umrechner.htm) Reiseapotheke: www.kinderaerzte- im-netz.de > Kleinkinder > Urlaub mit Kindern Berghütten: Der SAC-Hütten stuft die Hütten zwar nicht nach ihrer Eignung für Kleinkinder ein. Hütten wie die Brunnihütte oder die Capanna Corno Gries mit Zustiegen von nicht länger als zwei Stunden und einer Schwierigkeit zwischen T1 und T3 sind aber auf der Website zu finden (www.sac-cas.ch > Hütten) und in der neu aufgelegten Broschüre «Höhenflüge». Der deutsche, österreichische und südtirolische Alpenverein klassieren nach Kleinkindtauglichkeit. (www.alpenverein.de > FamilieKinder im Gebirge; 26 Hütten «ab Babyalter»). Weiterlesen: A.G. Brunello, M. Walliser, U. Hefti, Gebirgs- und Outdoormedizin, SAC Verlag, Bern 2010, www.sggm.ch; «Die Alpen» 1/2005

Mit Windelträgern unterwegs

 

Wann ist ein Kind ein Kleinkind?

Kinder gelten während der ersten vier Lebensmonate als Neugeborene, im ersten Lebensjahr als Babys und bis zum dritten Geburtstag als Kleinkinder. Transportieren lassen sich Babys zunächst nur in Wickeltüchern oder mit Bauchtragen; beim Ziehen oder Schieben selbst im gefederten Geländekinderwagen muss man wegen der empfindlichen Wirbelsäule während der ersten Lebensmonate extreme Vorsicht walten lassen. Sobald das Baby sicher sitzt, kann die Rückentrage zum Einsatz kommen – niemals jedoch durchgehend länger als ein bis zwei Stunden (Bewegungspausen!). Dabei stabilisiert man sich am besten mit Wanderstöcken, es sei denn, es regnet und das Gelände ist einfach: Dann schützt Träger und Kind am besten ein Schirm mit grossem Durchmesser. Praktisch für den Transport im abgedeckten Kinderwagen: ein Thermometer (in manchen kombinierten Höhenmessern/Uhren enthalten).

Komplikationen am Berg

Höhe – Hypoxie: Ab etwa 2000 Metern bedürfen nicht akklimatisierte Kleinkinder ständiger Beobachtung. Extrem höhenempfindlich sind sie bei akuter oder erst kürzlich abgeklungener Atemwegserkrankung oder wenn geburtsbedingt eine Hypoxie auftrat. Äusserste Vorsicht ist geboten beim Schlafen in einer Höhe von 2500 Metern und mehr – vor allem im ersten Lebensjahr! Eine Passüberschreitung oder ein Abstecher mit der Bergbahn sind dagegen kein Problem. Gemäss des speziellen Kleinkindscores mehrt sich der Verdacht auf eine Höhenkrankheit, wenn der Nachwuchs sich unerklärlich ruhelos zeigt und zudem, im Vergleich zum Alltag, schlecht isst, wenig spielt und schlecht schläft. Generell sollte jede Verhaltensänderung als Höhenkrankheit gewertet werden. Dann muss abgestiegen werden.

Hitze/Kälte/Sonne: Ständige Temperaturkontrolle (Nacken, Torso); Kleidung nach Zwiebelschalenprinzip – dabei auch an Sonnenschutz denken, Wechselkleider gehören zwingend dazu.

Schuhwerk: Durchblutung und anatomische Entwicklung sind nur bei ausreichender Grösse gewährleistet (nach einer Studie der Universität Wien tragen ca. 70% der Kinder zu kleine Schuhe).

Krankheiten: Medikamente gegen Fieber und Schwellung/Verstopfung der Atemwege gehören zur Grundausrüstung.

Übermässigen Flüssigkeitsverlust: fehlender Urin über sechs Stunden

 

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