Bergfahrten im deutschen Alpenraum
im deutschen Alpenraum
Hasso Lutz Gehrmann, Sektion Basel SAC, D-Eggenfelden
Ist der Anteil Deutschlands am Alpenraum, gemessen an dem der anderen Alpenländer, auch gering, so birgt dieser kleine Teil doch manches Kleinod, sei es nun für den Bergsteiger extremer Richtung oder den Liebhaber beschaulicher Bergwanderungen oder von Touren mittlerer Schwierigkeit. Rund 120 Gipfel erheben sich über die Zweitausendmetergrenze; die Dreitau-sendmetermarke jedoch erreicht keiner. Auch der Zugspitze, mit 2964 Meter Deutschlands höchstem Berg, blieb diese Höhenmarke verwehrt. Man wird auch vergeblich grössere Vergletscherungen oder gar Eiswände suchen. Die Felswände jedoch zählen zu den höchsten der Ostalpen, ja sogar zu den grössten und gewaltigsten im Alpenbogen.
Das Gegenrechtsabkommen zwischen SAC und DAV bedingt, dass auch Schweizer Bergkameraden nach Deutschland kommen. Ihnen sollen bekannte Touren nahegebracht, vor allem jedoch Hinweise auf weniger bekannte, aber deswegen nicht minder genussreiche Bergfahrten gegeben werden. Hierbei sollen auch Talorte, Hütten und Wege nicht unberücksichtigt bleiben. Meine Beschreibung richtet sich nach der Dreiteilung des deutschen Alpenraumes in Berchtesgadener, Bayerische und Allgäuer Alpen.
Stellen wir an den Anfang die Berchtesgadener Alpen.
Liegt ihr Grossteil, einschliesslich ihres Kulminationspunktes Hochkönig ( 2941 m ), auch auf österreichischem Boden, so finden sich die alpinen « Leckerbissen » doch auf dem Gebiet des Freistaates Bayern. Berchtesgadener Land -Land der grünen Seen, der himmelragenden Kalkgipfel und der Sagen! Als höchster Berg thront der sagenumwobene Watzmann ( 2713 m ) 1Die Zugspitze ( 2064 m ), Deutschlands höchster Berg 2Abstieg vom Hochkalter. Bildmitte: Reiteralm. Im Hintergrund rechts: Hochstaufen und Zwiesel 3Auf dem spaltenreichen Blaueisgletscher in den Berchtesgadener Alpen über dem Tal. Seine 1800 Meter hohe Ostwand ( Bartholomäwand ), die höchste Felswand der Ostalpen, flieht in jähem Sturz hinab zum Königssee und bildet dessen Paradekulisse. Watzmann-Ostwand - eine berühmte, leider auch berüchtigte Wand! Über 70 Menschen verloren beim Versuch, sie zu bezwingen, ihr Leben. Der Ramsauer Führer Johann Grill-Kederbacher, der 1883 auch das Walliser Weisshorn bestieg, erkletterte sie als erster am 6.Juni 1881 mit dem Touristen Schück aus Wien. Als Ausgangspunkt der Besteigung dienen Forsthütte und Gaststätte in St.Bartho-lomä, das man nach einer Bootsfahrt über den Königssee vom gleichnamigen Ort aus erreicht. Vier Hauptrouten führen durch die Riesenwand: Kederbacher, Salzburger, Münchner und Berchtesgadener Weg. Letzterer gilt als leichtester Wanddurchstieg ( III— ), doch sind auch für diese Durchsteigung bei guten objektiven Verhältnissen sieben Stunden anzusetzen. Man sollte sich im übrigen dieser Wand nur mit bester Kondition, bester Ausrüstung, entsprechendem Können und bei einwandfreier Wetterlage nähern; denn die objektiven Gefahren sind beachtlich; die Zahl der jährlichen Todesopfer beweist es. Der Watzmann bietet jedoch auch harmlosere Bergfahrten. Die Überschreitung ( II ) der drei Watzmanngipfel ist eine solche. Sie wird ausgeführt vom Watzmannhaus ( 1930 m ) über Hocheck, Mittel- und Südgipfel. Von hier erfolgt der Abstieg zur Wimbachgrieshütte ( 1327 m ). Bis hierher beansprucht die Tour etwa sieben Stunden; dann Weiterweg durch das Wimbachtal zum Talort Ilsank. Auch nach Durchsteigung der Ostwand wird entweder zum Watzmannhaus oder zur Wimbachgrieshütte abgestiegen.
Verlassen wir nun den Watzmann, um uns seinem nördlichen Nachbarn, dem Hochkalter ( 2607 m ), zuzuwenden. An seiner Nordseite lagert der nördlichste Gletscher der Alpen - das Blaueis. Dies ist etwa einen Kilometer lang, 300 Meter breit und steilt sich bis zu 55 Grad auf; es ist spaltenreich, bietet jedoch einen interessanten kombinierten Zustieg zum Hochkalter. Den Anstieg erleichtert die auf halbem Weg gelegene Blaueishütte ( 1750 m ), die man auf bequemem Weg von Ramsau aus erreicht. Nicht vergessen werden soll die 1400 Meter hohe Ostwand ( V ) des Hochkalters, deren Besteigung vom bereits erwähnten Wimbachtal aus erfolgt. Nördlich des Hochkalters ragt als Tafelgebirge die Reiteralpe auf. Erheben sich ihre Gipfel auch nur bis zu 2300 Meter Höhe, so bieten die 600 Meter hohen Nordabstürze der karstigen und dolinenreichen Hochfläche dennoch Klettereien im höchsten Schwierigkeitsgrad. Den gleichen Schwierigkeiten ist auch der Begeher der direkten Südkante des Grossen Mühlsturzhornes, eines Gipfels der Reiteralpe, ausgesetzt. Diesen Anstieg eröffneten im Jahre 1936 Toni Kurz und sein Gefährte Hinterstoisser, die später in der Eigernordwand ums Leben kamen. Auch der sagenumwobene Untersberg ( 1975 m ) bietet neben seinem Kuriosum, den Eishöhlen, an der Südseite Wandkletterei im höchsten Schwierigkeitsgrad. Wir wollen jedoch das Berchtesgadener Land nicht ohne Erwähnung des Hohen Göll ( 2522 m ) verlassen. Ausser kilometerlangen Höhlen bietet er dem extremen Kletterer an seiner Westflanke, den sogenannten « Trichterwe-gen », äusserst schwierige Anstiege, gewährt aber auf dem Normalweg über das Purtscheller-haus ( 1692 m ) auch dem gemässigten Alpinisten einen Zugang. Als Geheimtip gilt: Aufstieg über den « Schusterweg », Abstieg auf dem « Salzburger Steig ».
Auch der Tourenskifahrer kommt in den Berchtesgadener Alpen auf seine Rechnung. Die « Grosse Reib'n », eine Rundtour über das « Steinerne Meer » zum Hochkönig, beansprucht mehrere Tage und wird auch oft die deutsche « Haute Route » genannt.
Damit verabschieden wir uns von den Berchtesgadener Bergen, um unsere Aufmerksamkeit dem Werdenfelser Land, das den Bayerischen Alpen zugeordnet ist, zu schenken. Sein Glanz- 4In der Südostwand des Grossen Mühlsturzhornes ( 2235 m ). Berchtesgadener Alpen 5Die Schönangerspitze-Nordwand im Wetterstein; Eibsee Photos Hasso Lutz Gehrmann, D - Eggenfelden punkt ist die Zugspitze ( 2964 m ), Deutschlands höchster Berg, dessen Gipfel allerdings durch hässliche Bauten verunstaltet ist und auf dessen Höhen eine Zahnradbahn und zwei Seilbahnen hinaufführen. Sie unterstützen den Ganzjah-resskilauf auf dem Zugspitzplatt. Dieser Berg ist jedoch nicht nur eine Touristenattraktion; er ist trotz allem ein Berg für den Alpinisten geblieben. Der Normalanstieg führt vom Talort Gar-misch-Hammersbach in sechs bis sieben Stunden durch das Höllental, über die Höllentalan-gerhütte zum Gipfel, der einen herrlichen Blick auf die vergletscherte Kette der Zentralalpen bietet. Der Zugspitzgipfel wird auch erreicht über einen rassigen Gratweg, den « Jubiläumsweg ». Zuerst fährt man von Hammersbach mit der gleichnamigen Seilbahn zum Kreuzeck ( 1750 mdann geht 's auf markiertem Steig über die « Schöngänge » zum Gipfel der Alpspitze ( 2628 m ), dem Wahrzeichen Garmisch-Parten-kirchens. Nun setzt der « Jubiläumsweg » in langer ausgesetzter Gratkletterei ( II ) an, die nach etwa acht Stunden am Zugspitzgipfel endet. Man sollte bei dieser Tour ein Biwak einplanen und entsprechend ausgerüstet sein. Der « Jubiläumsweg » ist eine der genussreichsten Gratbegehungen im deutschen Alpenraum. Daneben besteht ein weiterer, wenig bekannter Weg zur Zugspitze: Der wenig ausgeführte Anstieg durch das Reintal über die Knorrhütte ( 2051 m ) verläuft eindrucksvoll unter der Nordwand des Hochwanner. Extreme Kletterei bietet der von der Zugspitze nach Norden ziehende Waxensteinkamm. Obwohl von geringer Gipfelhöhe, steilen sich die Nordwände der Riffelspitzen, der Schönanger- ( 2273 m ) und der Schöneckspitze ( 2258 m ) bis 600 Meter auf und erfordern die Beherrschung des V. und VI. Schwierigkeitsgrades. Von der Südseite sind diese Gipfel in massig schwieriger Kletterei aus dem Höllental erreichbar. Die Überschreitung des Waxensteinkammes bietet eine Parallele zum « Jubiläumsweg ». 5 Die Erwähnung eines weiteren, dem extre- men Alpinisten vorbehaltenen Bergzieles im Wetterstein darf hier nicht fehlen: die 1400 Meter hohe Nordwand des Hochwanner ( 2746 m ) über dem Reintal. Ist der aussichtsreiche Gipfel von der Knorrhütte über den Kothbachsattel in viereinhalb Stunden leicht zu erreichen, so verlangt die Nordwand acht bis zehn Stunden Kletterei im Schwierigkeitsgrad V+. Sie ist eine der grossen Felsfahrten der deutschen Alpen. Oft ausgeführt in Kreisen extremer Felsgeher werden Touren an der Südwand der Schüsselkarspitze ( 2538 m, V—VI ), eines der beliebtesten Kletterberge des Wettersteins.Dieser gleichzusetzen in der Gunst der Bergsteiger ist die dreigipflige Partenkirchner Dreitorspitze ( 2633 m ). Sie bietet neben einem leichten Normalanstieg von der Meilerhütte über den Hermann-von-Barth-Weg ( zwei Stunden ) Kletterwege in den höchsten Schwierigkeitsgraden. Ein Kletterberg ersten Ranges ist auch der 2469 Meter hohe Ofelekopf. Er bietet jedem etwas; seine Südflanke mit bis zu 650 Meter hohen Wänden bleibt allerdings dem erfahrenen Kletterer vorbehalten. Die Reihe der grossen Felsanstiege im Wetterstein wäre endlos fortzusetzen; sie soll mit der Aufzählung der Kletterberge Kleiner und Grosser Waxenstein, Scharnitzspitze, Gehrenspitze und Musterstein abgeschlossen werden. Zwar gehört nur ein kleiner Teil des dem Wetterstein in östlicher Richtung benachbarten Karwendelgebirges zu Deutschland, aber es soll bei meinen Tourenhinweisen doch nicht unerwähnt bleiben. Mittenwald ist hierfür als günstigster Talort anzusehen. Von dem malerischen Geigenbauerstädtchen aus führt die Karwendel-Seilbahn bis unter den Gipfel der westlichen Karwendelspitze ( 2385 m ). Mittenwald ist aber vor allem ein ideal gelegener Stützpunkt für den Bergwanderer, der in der Umgebung eine Fülle leichter Touren vorfindet, sei es nun eine Tagesbergfahrt zum einsamen Wörner ( 2476 m ) oder zur leicht erreichbaren Nördlichen Linderspitze. Und dem extremen Alpinisten hält die Nordwand der Viererspitze ( 2053 m ) mit ihren überhängenden Wandteilen Anstiege höchster Schwierigkeit bereit.
Eine willkommene Abwechslung bringt zudem das Karwendel-Schutzgebiet, das als grösstes und schönstes Naturschutzgebiet der Ostalpen gilt und eine reiche Pflanzen- und Tierwelt beherbergt; selbst der seltene Steinadler ist hier noch heimisch.
Den Abschluss des Tourenreigens sollen die Allgäuer Alpen machen. Der Schweiz näherlie-gend als Berchtesgadener Alpen und Wetterstein, grenzen sie schon an den Bregenzer Wald und sind sie dem Bodensee benachbart.
Das Allgäu ist das Land der Seen. Es seien nur der Bannwaldsee, Hopfensee, Alpsee und Forggensee genannt. Weit an die Berglehnen hinaufreichende grüne Matten prägen den Landschaftscharakter, doch fehlen auch die schroffen Formen nicht. Als Talorte gelten Füssen und Oberstdorf. Grosser Krottenkopf ( 2657 m ), Hohes Licht ( 2652 m ) und Mädelegabel ( 2645 m ) bilden die höchsten Punkte des Allgäus. Der Bockkarkopf und die imponierende Trettachspitze sind nur wenig niedriger. Die Allgäuer Hochgipfel sind für den Bergwanderer wie geschaffen. So benötigt man für die Mädelegabel vom Waltenbergerhaus aus auf bezeichnetem Weg zweieinhalb Stunden, für den Hochvogel vom Luitpoldhaus aus die gleiche Zeit. Auch hier ist die Route markiert. Ebenfalls zweieinhalb Stunden werden aufgewendet für die Besteigung des Grossen Krottenkopfes von der Kemptner Hütte aus. Schwieriger wird die Trettachspitze vom Waltenbergerhaus aus über den Nordgrat erklommen; dieser hat schon den Schwierigkeitsgrad II—III und verlangt ab Hütte drei Stunden Kletterzeit, wie überhaupt die Trettachspitze dem Kletterer vorbehalten ist. Nicht übergangen soll im Verein der Allgäuer Hochgipfel die viergipflige Höfats werden, ein 2269 Meter hoher Grasberg mit bis zu 70 Grad geneigten Grashängen, die oftmals die Verwendung von « Grödeln » und Steigeisen erforderlich machen. Ein düsterer Berg, der keine leichte Seite, keine schwache Stelle hat! Die Besteigung erfolgt vom Talort Gerstruben ( 1154 m ) aus. Von hier geht es über den Südostgrat ( II ) in drei Stunden zum Gipfel des Berges, dessen Erscheinung einzigartig im grossen Alpenbogen ist.
Abschliessend möchte ich den Liebhabern von Höhenwegen die Begehung des « Heilbronner Weges » empfehlen. Dieser nimmt seinen Ausgang bei der Rappenseehütte ( 2091 m ), führt über mehrere Hochgipfel zur Kemptner Hütte ( 1845 m ) und ist wohl einer der berühmtesten Höhenwege der Nördlichen Kalkalpen.
Ist der deutsche Alpenanteil auch relativ bescheiden und lässt seine Gipfelwelt auch keinen Vergleich mit den Bergriesen der Schweiz zu, so bietet er doch genussvolle Bergtouren aller Schwierigkeitsgrade. Es war mir nicht möglich, eine erschöpfende Aufstellung aller bedeutenden Bergfahrten im deutschen Alpenraum zu geben; dies war auch nicht meine Absicht. Vielmehr habe ich mich auf einige bekannte und weniger bekannte Touren beschränkt und versucht, zu diesen Hinweise und Anregungen zu geben. Aber verdanken wir nicht manch beglückende Bergfahrt einer Anregung, weil diese den Anstoss zu ihrer Durchführung gab?
Führer, Karten und sonstige Hinweise Die im Text erwähnten Talorte sind zumeist auch Bergführerstandorte. Zu näheren Auskünften ist der Autor1 gerne bereit. Die Schwierigkeitsbewertung erfolgte nach der Alpenskala 1947 und ist im UIAA- und SAG-Sprachge-brauch gehalten.
Führer Berchtesgadener Alpen ( Zeller/Schöner ) und Kl. Führer BV-Wanderkarte ( Nr. to ) Berchtesgadener Alpen Kompass-Wanderkarte ( Nr. 14 ) Berchtesgadener Alpen IRO-Wanderkarte ( Nr. 826 ) Berchtesgadener Land BV-Tourenblätter, Mappe 2 Alpenvereinsführer Wetterstein ( Pfanzelt ) und Kl. Führer ( Voelk ) Hasso Lutz Gehrmann, SAC Basel, I.andshuter Strasse to, D-833 Eggenfelden/Ndby.
AV-Karte Wetterstein I :25000 in 3 Blättern Freitag-Berndt-Touristen-Wanderkarte, Wettersteingebirge, Blatt 34 BV-Tourenblätter, Mappe 1 Alpenvereinsführer Karwendelgebirge ( Klier/März ) und Kl. Führer BV-Tourenblätter, Mappe 1 Alpen Vereinsführer Allgäuer Alpen Karte Allgäuer Alpen 1:50000 mit Kurzskiführer BV-Tourenblätter, Mappe 3 Die oben angeführten Alpenvereinsführer und Karten können über den Bergverlag Rudolf Rother, D-8 München 19, Landshuter Allee 49, bezogen werden.